Nachhaltige Energien – aber am falschen Ort
In der nordwestchinesischen Provinz Gansu sind in den vergangenen Jahren gigantische Windparks und Solarkraftwerke entstanden. Dort gibt es Wind, Sonne und Platz im Überfluss – der ideale Ort für nachhaltige Energien. Allerdings leben in dieser Region kaum Menschen.
So klingt Solarenergie. Der Zentralwechselrichter speist Strom ins Netz ein. Ein rauschender grauer Kasten in einem schummrigen Kubus. Draußen vor der Tür hingegen ist es still. Die Sonne knallt vom Himmel auf die Kollektoren. Ein endloses bläulich spiegelndes Meer von Solarzellen. Sonst ist weit und breit nichts zu sehen. Hier am Rand der Wüste Gobi leben kaum Menschen. Es fehlt an Wasser und damit an so ziemlich allem anderen auch. Es gibt eben nur die Sonne. Sie scheint an mehr als 300 Tagen im Jahr. Regen ist selten. Keine Wolken, kein Dunst.
"Wir haben hier gute Bedingungen. Weites leeres Land, hoch gelegen. Die Sonnenschein-Verhältnisse sind besser als im Rest Chinas. Bevor die Erneuerbaren Energien in die Wüste Gobi kamen, hatte das Land keinen Wert. Jetzt schafft es Werte. Die Erzeugung von Sonnenergie braucht Land. In urbanisierten Regionen ist das unmöglich. Dort sind die Bodenpreise zu hoch."
Chen Wenkai ist verantwortlich für das Solarkraftwerk der chinesischen Firma ZK Energy. Es liegt im Kreis Yumen, in der Provinz Gansu im Nordwesten Chinas. Nach Peking sind es von hier 1700 Kilometer Luftlinie. Das Kraftwerk mit seiner Leistung von 20 Megawatt gehört zu den kleineren in der Gegend. Ringsum haben sich weitere Firmen angesiedelt. Immer mehr kommen hinzu. Die Solarfelder gehen ineinander über.
Der größte Windpark der Welt
100 Kilometer weiter westlich. Der Kreis Guazhou. Eine endlose staubige Steppe. Einst nutzloses Land entlang der Seidenstraße. In der Zukunft der größte Windpark der Welt auf 10.000 Quadratkilometern, wenn er einmal fertig ist. Das entspricht der zehnfachen Fläche von Berlin. Wie Spargel in Reih und Glied stecken Tausende Windräder im Boden. Die Regierung plant hier eine Gesamtleistung von 20 Gigawatt. Die Rede ist von einem Drei-Schluchten-Staudamm des Windes. Das kommt nicht von ungefähr. Das monumentale Wasserkraftwerk in Zentralchina besitzt eine vergleichbare Energieleistung. Auch hier perfekte Bedingungen. Guazhou liegt in einem Windkanal zwischen zwei Gebirgszügen. Ein scharfer Luftzug fegt über die wüstenhafte Landschaft.
"Der Wind hier ist weder zu schwach noch zu stark. Es weht ein beständiger Wind das ganze Jahr hindurch. Das sind einzigartige Bedingungen für die Entwicklung von Windenergie. In mehr als 90 Prozent der Zeit haben wir Wind, vor allem am Abend."
Liu Yinhui leitet in der Region den Bereich Windenergie des staatlichen Energiekonzerns Sinohydro. Viele Unternehmen, staatliche wie private, haben in der Gegend Windanlagen installiert. Guazhou gehört zu einem halben Dutzend Regionen, die Peking zu Großstandorten für die Windkraft ausbauen will.
Wind- und Sonnenenergie entwickeln sich schnell
Chinas Nordwesten hat fast alles, was Erneuerbare Energien brauchen: Platz, Sonne und Wind. Nur Wasser fehlt. Die großen Staudämme für die Erzeugung von Wasserkraft liegen daher im Süden und Südwesten des Landes. China investiert mehr Geld in saubere Energie als jedes andere Land der Erde. Liu Wenping ist der Vizepräsident von Kong Sun, einem weiteren Unternehmen, das in Wind und Solar investiert.
"Nach unseren Schätzungen entwickeln sich Wind und Sonnenenergie in China sehr schnell. Im Jahr 2020 werden wir 200 Gigawatt installierte Windkraft haben und 150 Gigawatt im Bereich Solar. Bis dahin werden also beide Bereiche jeweils um rund 20 Gigawatt pro Jahr wachsen."
Zusammen also um 40 Gigawatt im Jahr. Zum Vergleich: in Deutschland nimmt die installierte Leistung von Wind- und Sonnenenergie derzeit um rund 7 Gigawatt jährlich zu. Der chinesische Staat garantiert den Stromerzeugern einen festen Abnahmepreis und subventioniert darüber den Ausbau der Erneuerbaren.
China also ein Musterland der sauberen Energie? Nicht ganz. Die absoluten Zahlen mögen beeindrucken – wie fast immer in China. Doch beim Blick auf den nationalen Energiemix sieht das Bild weniger rosig aus.
Fossile Kohle liegt bei 65 Prozent
Noch immer beherrscht die fossile Kohle mit mehr als 65 Prozent die Statistik. Die Erneuerbaren Energien steuerten zum Ende des vergangenen Jahres 11 Prozent zum Gesamtenergieverbrauch bei. Bis zum Jahr 2030 sollen es 20 Prozent sein. Das klingt respektabel. Doch China zählt auch die Atomkraft zu den Erneuerbaren Energien. Und den Löwenanteil an den sauberen Stromquellen macht die Wasserkraft aus, die durch massive Staudammbauten ihrerseits ökologische und soziale Schäden anrichtet. Unbedenklicher Strom aus Wind und Sonne macht am Ende nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz des chinesischen Gesamtverbrauchs aus. Liu Wenping:
"Bis 2020 wird der Anteil von Wind- und Sonnenenergie noch gering sein. China steigt zwar von der Kohle und traditionellen Energieträgern auf saubere Energie um. Der Trend ist klar. Doch trotz der schnellen Entwicklung wird ihr Anteil in den nächsten fünf Jahren noch nicht groß sein."
Ein Problem vor allem steht dem Siegeszug von Sonne und Wind im Wege.
Der Wind bläst stark in Guazhou. Viele Windräder stehen trotzdem still. Und auch die Sonnenkraftwerke produzieren weniger, als sie könnten. Chen Wenkai von der Solaranlage in Yumen:
"In Chinas Nordwesten wachsen die Erneuerbaren Energien rasant. Doch der Energiebedarf in der Region ist gering. Die Provinz Gansu hat im vergangenen Jahr 20 Prozent mehr Strom produziert als benötigt. Leider sind auch alle Nachbarprovinzen reich an Energie. Auch sie leiden unter Stromüberschuss. Und deshalb drosselt jetzt der Staat die Stromproduktion.
Manche Anlagen sind nicht am Stromnetz
In manchen Gegenden dürften die Produzenten nur zehn Prozent ihrer Kapazität nutzen, erzählt Chen. Etliche Anlagen sind zudem gar nicht ans Stromnetz angeschlossen. Sie stehen ungenutzt in Wind und Sonne und warten auf bessere Zeiten.
China hat mit dem gleichen Problem zu kämpfen wie Deutschland. Die Regionen, die sich besonders für die Erzeugung sauberer Energien eignen, sind weit von den Gegenden entfernt, wo der Strom gebraucht wird. Chinas Milliardenbevölkerung lebt überwiegend im Osten und Süden des Landes, entlang den Küsten. Dort sitzt auch die Industrie. Der Nordwesten, wo die Sonne scheint und der Wind weht, ist hingegen fast menschenleer. Es fehlt an Ferntrassen, die den Strom transportieren könnten. Der Ausbau des Stromnetzes hinkt dem der Solar- und Windkraftwerke hinterher. Im Jahr 2017 soll endlich die erste Fernleitung vollendet sein – aus Gansu bis ins südchinesische Hunan. Das sind 2400 Kilometer. Das Budget: mehr als vier Milliarden Euro. Doch das wird nicht ausreichen. Und die Planungen für weitere Strecken laufen schleppend. Die Transit-Provinzen haben kein Interesse an den Trassen. Und auch der mächtigen staatlichen Kohlebranche ist die Förderung des Ökostroms ein Dorn im Auge.
Angesichts der nötigen gigantischen Investitionen stellen sich auch Umweltschützer die Frage, wie sinnvoll der Ausbau von Sonne und Wind im fernen Westen ist. Der US-Amerikaner Richard Brubaker ist Berater und Professor für Nachhaltigkeit an der Shanghaier Wirtschaftshochschule CEIBS.
"Wird man die jetzt installierten Anlagen jemals in Beitrieb nehmen? Ich glaube schon. Aber bis dahin werden sie gealtert sein. Viele Rotorblätter wird man ersetzen müssen. Toll, das schafft neuen Absatz. Aber dem Klima ist damit nicht geholfen. Der Aufbau all dieser Anlagen ist in großen Teilen ein Jobförderprogramm. Eine Subvention für die Industrie."
Hersteller leiden unter Überkapazitäten
Tatsächlich leiden Chinas Hersteller von Solarmodulen und Windkraftanlagen unter Überkapazitäten. Lange von verschiedenen Regierungsebenen als Zukunftsbranchen gefördert, produzieren sie deutlich mehr, als der Markt braucht. Da steigt der Druck, auch am Bedarf vorbei möglichst viele Anlagen zu installieren.
Wer in China wirklich das Klima schützen will, sollte von großen Windparks und Solarkraftwerken die Finger lassen und lieber ganz woanders anfangen, so Brubaker. In Chinas Städten nämlich, bei der Gebäudequalität.
"China wird ungefähr 250 bis 300 Millionen weitere Menschen in die Städte umsiedeln. Das ergibt dann 800 Millionen bis eine Milliarde Stadtbewohner. Jeder Mensch, der in die Stadt zieht, vergrößert seinen energetischen Fußabdruck um ein Vielfaches. Er verbraucht fünf- bis achtmal so viel Energie wie auf dem Land. Viel hat mit den Wohngebäuden zu tun und deren Effizienz. Hier müssen die Bau- und Ausstattungsstandards angehoben werden. Nötig sind Dinge wie Fensterfolien, Doppelverglasung, Isolierung, moderne Klimaanlagen. Das sind keine riesigen Investitionen. Diese Standards müssen durchgesetzt werden beim Bau der Häuser."
Wind und Solaranlagen sollten ebenfalls entstehen, aber dezentraler in Stadtnähe und nicht Tausende Kilometer entfernt. Lieber Chinas Städte, wahre Energieschleudern, umrüsten als die Wüste aufrüsten. Das spart mehr CO2. So Brubakers Ansatz.
Das Land der Mega-Infrastrukturprojekte
Doch danach sieht es im Moment nicht aus. China ist das Land der Mega-Infrastrukturprojekte, nicht das Land der Sparer, Anpasser und Ausbesserer. Man liebt den großen Strukturwandel. Der ist längst im Gange. Und da wird auch gerne mal eine ganze Stadt versetzt.
Zurück in Gansu, in der Stadt Yumen. Einst eine Hochburg der Ölindustrie. Eine Arbeiterstadt aus Maos Zeiten. Solide Wohnblocks, ein Stadion, Schulen zeugen von einer lebendigen Vergangenheit. Doch die Straßen sind leer. Seit Jahren geht das Erdöl hier immer mehr zur Neige. Chen Wenkai, der Solartechniker, wurde in der Ölstadt geboren.
"Der Niedergang von Yumen tut mir Leid. Ich kam hier 1985 zur Welt, als die Stadt auf ihrem Höhepunkt war. Ich habe erlebt, wie es Stück für Stück bergab ging. Immer mehr Leute zogen weg. Yumen wuchs durch das Öl und geht mit dem schwindenden Öl zugrunde."
Tragisch und vielleicht doch nur halb so schlimm: 70 Kilometer weiter ist längst das neue Yumen entstanden. Eine moderne chinesische Stadt aus der Retorte mit rund 100.000 Einwohnern – an einer Stelle, wo nicht mehr Erdöl, sondern Gansus neue Energiequelle sprudelt.
"Das neue Yumen liegt direkt am Windkanal. Das große Thema für die Stadt ist: Investitionen anziehen und die Windenergie entwickeln."