Zentralamerika leidet unter dem Klimawandel
Die Klimakonferenz der Vereinten Nationen beginnt am 1. Dezember in Lima. Fünf Klimaaktivisten sind von Mexiko nach Peru unterwegs, um Beispiele für Umweltzerstörungen anzusehen und wollen in Lima darüber berichten.
Es regnet in Costa Rica - endlich! Die eigentlich niederschlagsreichen Sommermonate waren dieses Jahr viel zu trocken. Wieder einmal! Mary de León macht sich Sorgen. Nach einem langen Arbeitstag wartet sie unter einem großen Regenschirm auf den Bus nach Hause. Die Mitfünfzigerin arbeitet seit zwanzig Jahren in einer kleinen NGO, sie ist nicht nur das kleine Nachschlagewerk zu Fragen ihrer Organisation, sondern zu allem, was sich in Costa Rica in den letzten Jahrzehnten getan und verändert hat. Das Klima zum Beispiel:
"Früher hat die Regenzeit im Mai begonnen. Um zwölf, halb eins fing es an zu regnen, da konnte man die Uhr nach stellen. Die Frauen haben früh Wäsche gewaschen, damit am Mittag alles trocken ist. Die Bauern wussten, wann sie pflanzen mussten. Dieses Jahr hat es nur ganz wenig geregnet, dafür kann es auch morgens schon bewölkt sein und dann regnet es trotzdem nicht, es ist halt nicht mehr so wie früher ..."
Temperaturen steigen und die Regenmengen gehen zurück
Meteorologen weisen natürlich darauf hin, dass ein zu trockener Sommer noch keinen Klimawandel bedeutet. Doch die Daten des meteorologischen Instituts von Costa Rica decken sich mit Marys Beobachtungen: Die Temperaturen steigen und in weiten Landesteilen gehen die Regenmengen zurück. Eine Entwicklung mit Folgen.
Im Zentrum von Costa Ricas Hauptstadt San José macht Professor Marco Boza seinen täglichen Rundgang durch das altehrwürdige Hospital Calderón Guardia, Geburtsort und Symbol des öffentlichen Gesundheitssystems Costa Ricas. Das Krankenhaus sieht ein bisschen heruntergekommen aus, in Wartesälen und Gängen drängeln sich viel zu viele Patienten.
Das Fachgebiet des 45-Jährigen, dessen Jeans unter dem Arztkittel hervorlugen, sind Infektionskrankheiten. Vor allem Dengue und Chikungunya, tropische Viruskrankheiten, die sich wegen der Erwärmung mittlerweile auch in höher gelegenen und kühleren Ballungsräumen wie Guatemala-Stadt, San Salvador oder eben San José ausbreiten und dort die Gesundheit von Millionen bedrohen:
"Dengue und Chikungunya werden beide durch denselben Mosquito übertragen. Wo immer es diesen Mosquito und Menschen gibt, können sich die Viren ausbreiten. Dengue klingt bei normalem Verlauf nach drei Wochen wieder ab, bei Chikungunya können aber über Monate starke Gliederschmerzen auftreten. Patienten haben berichtet, dass sie noch neun Monate später ärztliche Betreuung benötigten. Man stelle sich vor, was das für ein Land bedeutet, über Monate Arbeitskräfte zu verlieren, weil Fünfzehntausend Menschen Chikungunya haben."
Als sei die Zeit stehen geblieben
Die Bergwelt um San José erinnert an süddeutsche und österreichische Landschaften. Auf saftig grünen Weiden stehen hinter Holzgattern Milchkühe, auf Feldern reifen Erdbeeren, wachsen Kohl und Kartoffeln, Zwiebeln und Zucchini, in Vorgärten und an den Landstraßen blühen hellblaue Hortensien. Fast sieht es so aus, als sei die Zeit stehen geblieben. Aber auch die Bauern hier spüren längst die Auswirkungen des Klimawandels.
Fabian Pacheco ist passionierter Öko-Bauer. Dreimal in der Woche unterrichtet der junge, Mann in der staatlichen Schule für ökologische Landwirtschaft. In schweren Lederboots, einer ausgebeulten Jeans und Holzfällerhemd steht Pacheco vor einer Gruppe Bäuerinnen und Bauern und erklärt ihnen alles zu ökologischer Schädlingsbekämpfung und zu organischen Düngern. Die Schule mit ihren Blau-Weiß getünchten Klassen- und Wirtschaftsräumen steht auf den Hängen des Vulkans Irazú, eingebettet in die Felder, Hecken und Waldstücke benachbarter Bauernhöfe.
"Früher war es einfacher, die Aussaat und Ernten vor allem von Getreide und Bohnen zu planen. Bohnen haben wir zum Beispiel drei Monate vor Beginn der Trockenzeit gepflanzt. Aber heute regnet es entweder bis in die Trockenzeit oder es regnet gar nicht. Der Klimawandel hat auch Auswirkungen auf Schädlinge und Pflanzenkrankheiten, die Erntemengen gehen zurück. Uns Bauern bereitet das ziemliche Kopfschmerzen."
Fabian Pacheco ist nicht nur Bauer und Ausbilder, er ist auch ein politischer Mensch. Seit Jahren engagiert er sich gegen Gentechnik und Monokulturen, überhaupt gegen die industrialisierte Lebensmittelproduktion, die er für einen Killer der heimischer Landwirtschaft hält. Und des Weltklimas. Schließlich sei die globalisierte Landwirtschaft weltweit größter Produzent der Treibhausgase Methan und Lachgas, vor allem durch Massentierhaltung und den Einsatz künstlicher Dünger.
"Die globale, industrialisierte Lebensmittelproduktion ist nur daran interessiert, aus Nahrungsmitteln Produkte zu machen und diese Produkte unter riesigem Einsatz fossiler Energie über den ganzen Erdball zu verteilen. In Brasilien produzierte Soja wird nach Europa verschifft, wo damit zum Beispiel Käse hergestellt wird, der wiederum x-fach in Plastik verpackt wieder in Lateinamerika landet. Die Dünger, die Pestizide, der Transport, alles basiert auf Öl. Diese Logik verantwortet einen Großteil der Treibhausgase, die die weltweite Klimakrise verursachen."
Costa Rica produziert heute nur noch ein Drittel seines Bohnenkonsums und kaum noch eigenen Mais. Bohnen kommen heute aus China, der Mais, gentechnisch modifiziert, aus den USA. Das ist billiger, als die heimischen Bauern produzieren können. Aber dieses billiger beinhaltet eben nicht die Kosten, die zerstörte Ökosysteme und Klimafolgen bedeuten, und natürlich auch nicht die sozialen Kosten, die die Vernichtung bäuerlicher Existenzen in Costa Rica nach sich zieht. Bauer Pacheco kämpft für ein weltweites Zurück zu regionaler und umweltbewussterer Produktion von Nahrungsmitteln.
Auf dem Weg von Mexiko zur Klimakonferenz in Peru
Es sind Menschen wie Fabian Pacheco, mit denen sich Ju und Braulio treffen. Die beiden sind mit ein paar weiteren Klimaaktivisten in einem umgebauten Schulbus auf dem Weg von Mexiko zur Klimakonferenz in Peru, quer durch Lateinamerika. Ju ist Brasilianerin, studiert in Mexiko und hat sich für die Tour ein halbes Jahr freigenommen. Die 28-Jährige führt mit charmantem brasilianischen Akzent und leuchtenden Augen durch den alten Ford Bluebird Baujahr 88, den sie Che-Bus nennen. Che, wie Che Guevara.
"Unser "Che Bus" trägt ein Grafitti, das auf der Klimakonferenz 2010 in Cancun entstanden ist. Es zeigt den südkoreanischen Aktivisten Lee Kyung Hae, der sich auf der Welthandelskonferenz 2003 in Cancun getötet hat, um gegen die neoliberale Agrarpolitik in seinem Land zu protestieren, durch die so viele Kleinbauern aufgeben mussten. Das Dach des Busses dient als Plattform für Filmaufnahmen, als Sonnenterrasse und Gepäckträger, da stehen auch unsere Fahrräder drauf. Hinten am Bus hängt ein Motorrad, mit dem wir auch entlegene Gemeinden erreichen können. Drinnen im Bus sind viele Sticker von Widerstandsbewegungen in Lateinamerika und eine kleine Bibliothek. Ein Klo, eine Küche, Schlafgelegenheiten und ein paar Sitze haben wir auch. Und so reisen wir."
Der Mexikaner Braulio ist Anfang Dreißig, Geograph und Medienschaffender. Mit seinen langen Haaren und dem gebatikten T-Shirt scheint sich Braulio besser mit der Dynamik der ermüdenden, sechsmonatigen Reise arrangiert zu haben, als seine Mitreisende Ju, die trotz aller Strapazen immer noch Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt. Im Mai ist der Che-Bus in Mexiko gestartet, bis Dezember besuchen sie lokale Widerstandsbewegungen gegen klimaschädliche Wirtschaftsaktivitäten.
An jedem Ort entsteht eine Radiosendung, die von Dutzenden Community-Radios in Lateinamerika wiedergegeben und auf der Website der Karawane dokumentiert wird. Zum Beispiel in El Salvador: Das kleine, dicht besiedelte Land in Zentralamerika, gilt durch den Klimawandel als besonders gefährdet.
"El Salvador hat in den letzten Jahrzehnten den Boden für Megaprojekte bereitet. An der Mündung des Lempa-Flusses zum Beispiel wollen Investoren ein riesiges Tourismusprojekt in den größten zusammenhängenden Mangrovenwald des Landes setzen. Dafür wollen sie nicht nur die Mangroven vernichten, sie wollen auch die Menschen vertreiben. Dort wehren sich die Menschen, sie haben vor kurzem ein Netzwerk aus 26 Gemeinden gegründet. Wir haben eine ihrer Versammlungen dokumentiert und es ist sehr spannend zu sehen, wie viele junge Leute die Initiative ergreifen. Ihre Eltern und Großeltern waren nach dem langen salvadorianischen Bürgerkrieg müde, aber durch den Einsatz der Jungen glauben sie wieder, dass man etwas bewegen kann."
In Guatemala haben Braulio und Ju Gemeinden im Widerstand gegen Goldminen besucht, für die man ganze Berge samt Wäldern abfräst. In Honduras waren sie bei afrokaribischen Garifuna-Gemeinden, deren Küstendörfer nicht nur durch den steigenden Meeresspiegel bedroht sind, sondern auch durch hermetisch abgeschottete Modellstädte, die die Regierung mit verbündeten Investoren für reiche Honduraner in das Garifuna-Gebiet setzen will. Und in Costa Rica beschäftigt sich die Karawane mit Redd+.
Geschützter Wald als Kohlenstoffspeicher
Die Wälder der Erde sind bedroht - durch Bevölkerungswachstum, die Ausdehnung der Landwirtschaft, illegalen Holzhandel oder Bergbauprojekte. Jedes Jahr verschwindet weltweit Regenwald von der Fläche Griechenlands. Die Staatengemeinschaft meint: Arme Staaten brauchen Geld für Waldschutz. Und das soll über Redd+ kommen. Das Kürzel steht für die "Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung in Entwicklungsländern". Geschützter Wald wird als Kohlenstoffspeicher gewertet, dafür werden Kohlenstoffzertifikate ausgestellt. Treibhausgasproduzenten, zum Beispiel Unternehmen, kaufen diese Zertifikate und rechnen damit die eigenen Emissionen herunter. Costa Rica hat da nicht lange überlegt: Das Land hat letztes Jahr einen 63 Millionen Dollar schweren Vertrag mit der Weltbank unterzeichnet.
"Der Redd+ Vertrag macht einige Vorgaben: Es darf keine Waldnutzung geben. Es darf keinen Holzeinschlag geben, es darf nicht gejagt werden, es darf nichts gemacht wer-den, was das Ökosystem in Mitleidenschaft zieht. Geld fließt nur dann, wenn wir alle Punkte des Vertrages erfüllen."
... erläutert Jorge Rodríguez, Chef des nationalen Waldfonds FONAFIFO im costa-ricanischen Fernsehen. Das klingt gut, doch vor allem die indigenen Völker sind misstrauisch. Die Ureinwohner der Welt müssten eigentlich wichtige Partner im REDD+ Mechanismus sein: Denn sie leben oft in und mit den wenigen, noch intakten Waldgebieten.
Zwischen Bananenstauden und Yuccawurzeln
Zum Beispiel in der Provinz Talamanca, im Südosten Costa Ricas, im entlegenen Grenzgebiet zu Panama. Im Zweihundert-Seelen Dörfchen Yorkín stehen nur aus Holz und mit Palmblattdächern gebaute Häuser zwischen Bananenstauden und Yuccawurzeln, dazwischen laufen Hühner und Schweine herum. Dahinter erhebt sich die grüne Wand des Urwaldes, die Menschen holen sich aus dem Wald nur das, was sie benötigen. In Yorkín lebt Ciomara Sánchez, eine der Dorfältesten. Das warme Lächeln der kleinen, stämmigen Frau weicht einem harten Blick, wenn sie indigenes Leben und Autonomie gefährdet sieht. Und Redd+ sieht sie als Gefahr.
"Die kommen in unsere Gemeinden und versprechen uns Geld, dafür dass wir unseren Wald schützen und Bäume pflanzen. Das klingt ja nicht schlecht. Dann gibt es eine Infoveranstaltung und auf der wird die ganze Zeit über die Schrecken des Klimawandels geredet. Das, worum es eigentlich geht, also REDD Plus, wird in zwei Minuten abgehandelt. Die erklären nichts! Nicht, dass sie uns vorschreiben wollen, wie wir zu leben haben, während sie weiter die Welt zerstören. Und natürlich nicht, dass sie unsere Wälder privatisieren."
So ist internationaler Klimaschutz, von Regierungen in zähen Verhandlungen ausgehandelt und dann auf nationaler Ebene von oben umgesetzt, längst nicht überall wohl gelitten. Zumal der globale Raubbau, riesige und hochprofitable Bauvorhaben oder die anschwellenden Handelsströme in den Klimaverhandlungen nicht infrage gestellt werden, sondern allenfalls etwas klimafreundlicher gestaltet werden sollen. Klimaaktivisten wie Braulio und Ju werden diese Kritik, dokumentiert an Dutzenden von Fällen in ganz Lateinamerika, auf der Klimakonferenz in Peru zur Sprache bringen.