Die Essenz der vietnamesischen Seele
Der in Paris geborene Gitarrist Nguyen Le hat sich immer wieder intensiv mit der Musikkultur seiner vietnamesischen Vorfahren beschäftigt. Auf dem neuen Album "Ha Noi Duo" experimentiert er mit dem jungen, vietnamesischen Musiker Ngo Hong Quang - um die Seele Vietnams zu erforschen.
Traditionelle vietnamesische Gesänge in einem zeitlos dahinschwebenden Jazz – das neue Album von Nguyên Lê setzt dessen Sound-Idee eines "Asia without borders" fort. Vor 58 Jahren wurde der Gitarrist in Paris geboren. Vor 20 Jahren hat er sich auf "Tales from Vietnam” erstmals in Albumlänge mit der Musik seiner Vorfahren auseinander gesetzt. Die vietnamesische Sprache allerdings kann er selbst gerade mal verstehen, doch nicht sprechen oder schreiben. Hat Nguyên Lê bisher traditionelle Stücke aus Vietnam neu bearbeitet, sind nun zusammen mit dem vietnamesischen Sänger und Multiinstrumentalisten Ngô Hồng Quang ausschließlich eigene Werke entstanden.
"Auch weil Quang so ein junger Musiker ist, war mein Ziel, auf diesem Album Eigenkompositionen zu schaffen. Er und ich schrieben Melodien, die von traditionellen Instrumenten gespielt werden können, aber sich in unseren Arrangements zu sehr moderner Musik weiter entwickeln."
Da verschmelzen Stimme und Gitarre zum echten Duo – Sänger Ngô Hồng Quang ist 25 Jahre jünger, geboren in der Nähe von Vietnams Hauptstadt Hanoi, von wo auch Nguyên Lês Vorfahren stammen. Daher der Titel "Hà Nôi Duo". Dort studierte Ngô Hồng Quang auch am Konservatorium, wurde Musiklehrer, bevor er nach Europa ging. Seine Neugier auf die westliche Musik führte ihn nach Amsterdam und Den Haag, wo er zeitgenössische Komposition studierte. Seine besondere Leidenschaft ist aber eine andere:
"Ich mag diese ethnische Musik. Und habe bei Bergvölkern gelebt, um ihre Kultur und besonderen Instrumente kennenzulernen und Musik aufzunehmen. Auch von ethnischen Minderheiten wie den Thai verwende ich Instrumente, die ich mir meistens selbst beibringe."
Inspiriert durch die vietnamesische Bergwelt
Sehr seltene Saiteninstrumente bringt er von seinen Exkursionen mit, außergewöhnliche Gesangstechniken und ein großes kulturelles Einfühlungsvermögen. Und doch klingt das alles bei Ngô Hồng Quang nicht nach klischeehafter Asia-Folklore, denn der 33-Jährige ist offen für andere Klänge. Zwar ist Jazz für ihn Neuland, aber unter der Dusche singt er auch westlichen Pop. Und: Es war bei einer großen Popshow in Saigon, wo er Nguyên Lê traf und die beiden sich zur Zusammenarbeit verabredeten. Inspiriert wird er aber durch eine ganz andere Umgebung – so wie sie auf dem Albumcover zu sehen ist: eine nebelverhangene, weite Bergwelt.
"Bei meinen Kompositionen denke ich oft an diese Verbindung zwischen mir und dieser riesigen, weiten und friedlichen Natur, inmitten der diese Minderheiten leben. Diese Vorstellung ist die Hauptquelle meiner Inspiration."
"Ich bin in Frankreich in einer großen Stadt geboren, aber ich kenne diese Gefühle. Das ist die Essenz der asiatischen Seele, man findet sie im Buddhismus. Es ist nicht Teil von mir. Aber als wir beide vergangenen August in Vietnam in den Bergen waren, konnte ich diese mystische Verbindung fühlen zwischen Mensch und Natur."
Vietnam als Land voller Gegensätze
Nguyên Lê hat chinesische Kalligraphie gelernt, wollte Maler werden, bevor er zur Musik kam. Studierte Bildende Kunst und Philosophie, bevor er Weltruhm erlangte als Gitarrist zwischen Jazz und Musik verschiedenster Welt-Kulturen. Auf "Hà Nôi Duo" gelingt es ihm in eben diesem Duo, Vietnam musikalisch einzufangen als Land voller Gegensätze: Mit den traumatischen Kriegserfahrungen und den friedlich-freundlichen, in der Mehrzahl jungen Menschen. Mit seinen langen, manchmal hektischen Küstenstreifen und seinen ruhig anmutenden Gebirgslandschaften. Seinen ländlich traditionellen Gegenden und der Modernität der Millionen-Metropolen. Vielleicht klingt in dieser Musik so etwas wie die Essenz der vietnamesischen Seele.
Besonders sind auf diesem neuen Album auch die melancholischen Melodiebögen von Paolo Fresu. Der sardische Trompeter und Flügelhornspieler ragt eine Wolkenspitze heraus aus dem internationalen Ensemble, das Nguyên Lê auch schon auf früheren Werken begleitete. Darunter eine japanische Koto-Spielerin und ein indischer Tablaspieler. Denn der Bandleader will mit seinem so anmutigen wie atmosphärischen Projekt "Hà Nôi Duo" weit mehr als die Seele Vietnams erforschen:
"Die Noten sind zunächst sehr vietnamesisch. Wir haben ja über diese speziellen Sachen gesprochen: Diese besondere Minderheit aus dieser bestimmten Bergregion… Aber am Ende machen wir Musik nicht für Vietnamesen, nicht für euch Deutsche, sondern für die ganze Welt."