Weltraumteleskop Hubble

Das mit den Sternen tanzt

29:59 Minuten
Das Hubble-Bild die "Säulen der Schöpfung"
Wohl eines der bekanntesten Bilder von Hubble: Die "Säulen der Schöpfung". © imago images/StockTrek Images/CoreyxFord
Von Dirk Lorenzen · 09.04.2020
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Als Hubble 1990 in den Weltraum geschossen wurde und nur unscharfe Bilder lieferte, drohte das Milliardenprojekt zum Megaflop zu werden. Seit Jahren liefert Hubble nun atemberaubende Aufnahmen von Galaxien und Sternhaufen. Und langsam denkt man ans Ende.
April 1990, Kennedy Space Center in Florida. In den blauen Morgenhimmel stemmt sich die US-Raumfähre Discovery – im Laderaum wertvolle Fracht: Das Hubble-Weltraumteleskop, das neue Fenster zum Universum, wie der NASA-Kommentator schwärmt.
Mario Livio: "Hubble ist vermutlich das erfolgreichste wissenschaftliche Experiment aller Zeiten. Ich meine, nicht nur in der Astronomie, sondern ganz allgemein."
Ray Villard: "Für die Öffentlichkeit ist Hubble heilig. Die NASA kann es niemals abschalten. Klar, irgendwann wird Hubble kaputt gehen. Aber wollte man es jemals abschalten, gäbe es einen Aufschrei, als wenn man sein Haustier erschießt."
Das Weltraumteleskop hat die Ausmaße eines Reisebusses: Gut 13 Meter lang, mehr als vier Meter Durchmesser. Der silbrig glänzende Zylinder hat vorn eine Öffnung, durch die das Licht aus den Tiefen des Weltalls auf den Spiegel im Innern fällt. Links und rechts sorgen zwei große Solarzellen-Flügel für die Stromversorgung. Hubble sieht aus wie ein dickes Insekt, das in mehr als 500 Kilometern Höhe um die Erde kreist.


"Das Weltraumteleskop hat Phantastisches in praktisch jedem Bereich der Astronomie geleistet. Einige Beispiele: Hubble war entscheidend an der Entdeckung der Dunklen Energie beteiligt, die das Universum immer schneller auseinandertreibt. Es hat so tief hinaus ins All geblickt wie kein Teleskop zuvor und uns junge Galaxien kurz nach dem Urknall gezeigt. Und neben vielen weiteren Dingen hat Hubble als erstes die Zusammensetzung der Atmosphäre eines fernen Planeten gemessen."
Das Hubble Space Telescope, im Hintergrund die Erde mit Wolken und blauen Schimmern dazwischen, am oberen Bildrand zeigt sich schwarz der Weltraum mit winzigen Sternen.
Das Hubble Space Telescope in der Umlaufbahn der Erde.© Gettyimages/ Stocktrek Images

Satelliten kommen und gehen, Hubble bleibt

Mario Livio, Astronom am Hubble-Institut in Baltimore in den USA, war fast von Anfang an bei dieser Mission dabei. 15 Mal am Tag kreist es um die Erde und blickt ungestört von Wind und Wolken in die Tiefen des Kosmos. Seit drei Jahrzehnten prägt das Weltraumteleskop die Himmelsforschung. 30 Jahre sind in der Raumfahrt fast schon eine Ewigkeit – Satelliten kommen und gehen, Hubble aber bleibt.
"Die Hubble-Mission folgte einem Spannungsbogen, den in der Zukunft kaum ein Observatorium wird wiederholen können – aber das ist auch nicht gerade wünschenswert. Hubble ist ein Drama aus Wissenschaft, Reisen durch Raum und Zeit und dem Einsatz von Astronauten. Mehrfach ging das Instrument kaputt und musste repariert werden. Dieses Auf und Ab ist einzigartig."
Ray Villard hat jahrzehntelang die Kommunikationsabteilung bei Hubble geleitet – und die Mission etliche Male vor dem Aus gesehen. Tatsächlich lässt sich die Hubble-Geschichte fast wie eine Netflix- oder Fernseh-Serie inszenieren: als himmlisches Drama mit ganz irdischer Realität.

Es begann als Albtraum

Schon lange vor dem Beginn der Raumfahrt hatten Astronomen davon geträumt, mit einem Instrument im Weltraum den Sternen ein Stück näher zu sein. Doch die ersten Bilder, die Hubble wenige Wochen nach dem Start zur Erde funkte, waren merkwürdig verschwommen. Das lang ersehnte Instrument geriet zum Albtraum, erinnert sich Rudolf Albrecht, damals Leiter der europäischen Hubble-Koordinierungsstelle in Garching.
Rudolf Albrecht: "Wir sind mit ziemlich großer Erwartung gestartet. Wir waren nicht überrascht, dass es nicht gleich einen Tag nach dem Start nadelscharfe Bilder gegeben hat. Das ist ganz klar, wenn man an die Vibrationen denkt, an den Schalldruck in der Payload-Bay während des Shuttle-Starts etc. Wir wussten aber ja auch, dass im Teleskop eigentlich fast alles einstellbar war. Was allerdings nicht einstellbar war, war die Form des Hauptspiegels. Da hat sich dann herausgestellt, ziemlich schnell, dass damit etwas nicht in Ordnung ist."
Die Bilder kleiner Instrumente am Boden waren besser als die des milliardenteuren Weltraum-Observatoriums. Bei der Form des 2,4 Meter großen Hauptspiegels hatte man sich verrechnet – er war nahezu perfekt geschliffen, nur eben perfekt nach der falschen Formel. Instrumente, die im Weltraum zum Einsatz kommen sollen, lassen sich auf der Erde nur mit viel Mühe testen. Im Weltall herrschen Vakuum und Schwerelosigkeit, was sich im Labor nicht so einfach nachstellen lässt.
"Da liegt es an der Erfahrung des Projektmanagers zu sagen, hier und hier müssen wir testen, hier und hier, wenn es geht, auch. Da und da verlassen wir uns darauf, dass wir, wenn etwas falsch ist, das im Ergebnis anderer Tests sehen. Oder man sagt sich, das ist derart gesicherte Technologie, dass wir nicht zu testen brauchen. Und das war der Fehler, der beim Spiegel gemacht wurde. Spiegel geschliffen hat schon der Galileo, und daher hat man gesagt, den Spiegel zu schleifen, das ist derart gesicherte Technologie, da testen wir nur bis zu einem gewissen Grad. Genau da lag der Fehler."

Hubble drohte zum Superflop zu werden

Das himmlische Teleskop stürzte die NASA und auch die europäische Weltraumorganisation ESA, die zu 15 Prozent beteiligt ist, in eine schwere Krise – Hubble drohte zum Superflop zu werden. Doch die Lage war nicht aussichtslos: Von Anfang an standen Service-Missionen auf dem Plan.
Astronauten sollten alle fünf Jahre das Weltraumteleskop anfliegen, es technisch überholen und neue Kameras einsetzen. Nach der Spiegelpanne wurde die erste Service-Mission schneller realisiert als ursprünglich geplant. Die NASA-Ingenieure hatten zügig eine Art überdimensioniertes Monokel für Hubble ersonnen. Gut drei Jahre nach dem Start war die Korrekturoptik eingebaut. Es war Hubbles zweite Geburt – erinnert sich Roger Doxsey, damals Chef des Hubble Mission Office in Baltimore:
"Als wir nach der ersten Servicemission sahen, wie die allerersten Aufnahmen in den Kontrollraum kamen, war sofort klar: Der Fehler ist behoben. Das ließ sich unmittelbar in den Bildern erkennen. Wir waren unglaublich erleichtert, dass es so gut geklappt hatte. Von da an machte Hubble exzellente Wissenschaft. Das war mit Abstand der schönste Moment in meinem Berufsleben."

Das Weltraumteleskop konnte endlich seine Stärken ausspielen: Es lieferte gestochen scharfe Bilder von Sternhaufen, Gasnebeln und Galaxien, aber auch von den Objekten in unserem Sonnensystem. Heidi Hammel, Vizepräsidentin von AURA, der Vereinigung der Universitäten, die astronomische Forschung betreiben, ist gelernte Planetenforscherin. Kurz nach der Reparatur Hubbles wollte sie den Gasriesen Neptun beobachten. Doch dann gab es buchstäblich ein Geschenk des Himmels:
"Wir haben von dem neuen Kometen gehört, der in Dutzende Teile zerbrochen war und bald darauf in den Planeten Jupiter stürzen sollte. Ein Kollege am MIT bat mich, ihm beim Beobachtungsantrag für Hubble zu helfen, um die Einschlagstellen zu beobachten. Ich hielt das für völlig unsinnig, denn ich dachte, dass die winzigen Kometenbrocken spurlos im Planeten verschwinden würden."

"Es war absolut überwältigend"

Fast scheint es, als habe sich das Universum richtig ins Zeug gelegt, um Hubble nach dem Fehlstart zum Durchbruch zu verhelfen. Im Sommer 1994 lagen die Astronomen weltweit auf der Lauer, um die Einschläge des Kometen Shoemaker-Levy 9 zu verfolgen.
"Zu meiner größten Überraschung haben die Kometenteile tatsächlich große schwarze Explosionswolken hinterlassen, die sich im Lauf einiger Tage in der turbulenten Atmosphäre verteilt haben. Wir haben gesehen, wie Materie aus dem Planeten herausgeschleudert wurde und wieder zurück regnete. Es war absolut überwältigend. Alle Teleskope auf der Erde hatten Jupiter und die Kometeneinschläge im Blick – aber die Hubble-Bilder waren mit Abstand die besten."
Hubble zeigte nahezu in Echtzeit die "Narben" des Riesenplaneten. Wochenlang waren die Spuren der Treffer der Kometenbrocken zu sehen. Doch es war nicht nur dieses äußerst seltene Ereignis einer kosmischen Kollision fast vor unserer Haustür. Hubble kam auch eine technische Neuerung auf der Erde zu Gute, erklärt Ray Villard:
"In den frühen 90er-Jahren wurde das Internet immer wichtiger. Das hat einen großen Anteil an der Erfolgsgeschichte von Hubble. Die Bilder wurden elektronisch verteilt und viele Menschen in aller Welt haben sie gesehen. Die Aufnahmen waren perfekt scharf und bunt – sie haben die Wahrnehmung des Universums für die breite Öffentlichkeit massiv verändert."


Das Weltraumteleskop war binnen weniger Monate vom verspotteten Pannenprojekt zu einem Liebling der Massen geworden. Mindestens wöchentlich sorgten neue Hubble-Bilder für Aufsehen – bunt, schillernd, atemberaubend, manchmal sicher auch etwas übertrieben dargestellt. Aber das Weltall war auf einmal etwas, das viele Menschen wahrnahmen, die sich vorher nie für den Kosmos interessiert hatten.
"Das Bild der ‚Säulen der Schöpfung‘ wurde zu einer Ikone Hubbles. Es zeigt drei dunkle Säulen, die wie Stalagmite in ein buntes Meer aus Gas und Sternen reichen. Der Spitzname ´Säulen der Schöpfung` für diese verwunschene Aufnahme blieb hängen. Ich glaube, die Menschen mögen dieses Bild so, weil es geradezu belebt aussieht, zugleich fremd und irgendwie nicht von dieser Welt."
Die drei Säulen, die wie knorrige Gicht-Finger empor ragen, gehören zu den Himmelsaufnahmen, die fast jeder Mensch kennt – vielleicht ohne zu wissen, dass es ein Hubble-Bild ist. Das Weltraumteleskop fasziniert nicht nur Laien – auch die Experten staunen bis heute über das, was sie mit dem himmlischen Observatorium zu sehen bekommen.
Eine Aufnahme der Pillars of Creation: Zu sehen sind undefinierbare braune Strukturen in einem hellen Nebel, es leuchten Sterne auf hellblauen Hintergrund.
Die "Säulen der Schöpfung": Ein Lichtjahr alt, ein Gemisch aus kaltem Wasserstoff und Staub, verortet in der Carina Nebula. © imago images / StockTrek Images

"Wie Konfetti im Weltraum"

Ende 1994 blickte das Weltraumteleskop zwei Wochen lang an dieselbe Stelle am Himmel, im Sternbild Großer Bär. Dort waren zuvor nur zwei, drei schwache Sterne zu erkennen – mehr nicht. Hubble machte auch aus diesem schwarzen Fleck am Himmel ein buntes Durcheinander.
"Wissenschaftlich ist das Hubble Deep Field herausragend. Dieses ´tiefe Feld` macht einen einfach sprachlos. Vorher war da nichts zu sehen. Die lang belichtete Aufnahme Hubbles zeigte Tausende von Galaxien – eine riesige Großstadt von Sternen, verteilt wie Konfetti im Weltraum."
Hubble hat seitdem noch einige weitere "tiefe Felder" aufgenommen. Für Garth Illingworth, Kosmologe an der Universität von Santa Cruz in Kalifornien, lässt sich ihre Bedeutung für die Himmelsforschung kaum überschätzen.
"Diese Aufnahmen sind Geschichtsbücher, mit denen wir erkennen, wie sich Galaxien im Kosmos entwickelt haben. Auf den Bildern sind Galaxien zu sehen, die gerade erst entstanden sind – und wir sehen alle Stadien von damals bis in die heutige Zeit. Hubble lässt uns mehr als 13 Milliarden Jahre zurücksehen. Wir sehen bis in eine Epoche, als der Kosmos erst drei Prozent so alt wie heute – das war nur 400 Millionen Jahre nach dem Urknall."

Blicke bis fast zurück zum Urknall

Vor dem Start des Hubble-Teleskops konnten die Astronomen nur schemenhaft erkennen, was in einigen Milliarden Lichtjahren Entfernung vor sich ging. Der scharfe Blick des Weltraumteleskops reichte plötzlich bis fast zurück zum Urknall. Die Veröffentlichung des ersten Deep Fields veränderte schlagartig die Kosmologie.


Diese Teildisziplin der Astrophysik, die sich mit dem Universum als Ganzem beschäftigt, seinem Aufbau und seiner Entwicklung, galt zuvor mangels Daten eher der Philosophie, wenn nicht gar der Theologie zugehörig. Doch dank Hubble lässt sich der ganz junge Kosmos untersuchen, als gerade die ersten Sterne und Galaxien aufgeleuchtet waren. Das Licht, das von diesen Objekten heute auf den Spiegel des Weltraumteleskops trifft, hat sich auf den Weg gemacht, lange bevor unsere Sonne und die Erde entstanden sind.
Im Jahr 2002 hatte zum vierten Mal eine US-Raumfähre das Weltraumteleskop angesteuert und Hubble auf den neuesten Stand gebracht. Eine fünfte und letzte Mission war geplant. Doch dann kam der 1. Februar 2003.
"Columbia, hier Houston. Wir sehen Eure Druckdaten, aber wir haben das letzte nicht verstanden."
"Roger, wir…"
"Columbia, hier Houston. Kommunikations-Check."
"Columbia, Funk-Check."
Bei der Rückkehr zur Erde brach der Kontakt zum Space Shuttle Columbia ab. Die Raumfähre war in der Atmosphäre verglüht, die sieben Menschen an Bord kamen ums Leben. Jahre später flogen die Raumfähren zwar wieder, aber aus Sicherheitsgründen musste es stets zur Internationalen Raumstation gehen – ein Flug zu Hubble war untersagt, weil von dort im Notfall die Raumstation nicht zu erreichen gewesen wäre. Bei Hubble fielen immer mehr Komponenten aus und die Steuerung wurde schwierig. Das Ende war nah, erinnert sich Jennifer Wiseman, die Chefwissenschaftlerin des Weltraumteleskops:
"Etliche Male während dieser Mission war nicht klar, ob und wie lange es mit Hubble weitergehen würde. Dann hat weltweit die Öffentlichkeit ihre Stimme erhoben und hat sich für das Weltraumteleskop stark gemacht. Uns hat das sehr geholfen klarzumachen, dass Hubble nicht einfach irgendeine Wissenschaftsmission ist. Es ist das himmlische Auge der Welt."
Zu sehen ist eine Aufnahme des Hubble Space Telescope von einer spiralförmigen Galaxie, die sich hell vom schwarzen Weltraum abhebt.
Hubble Deep Field: Eine Spiralgalaxie, ungefähr eine Milliarde Lichtjahre entfernt im Sternbild Eridanus.© imago images / ZUMA Press

Wahlkampf mit Hubble

Politiker in den USA warfen sich für Hubble in die Bresche – nicht nur, weil sie vielleicht selbst von den Bildern fasziniert waren, sondern weil sie wussten, dass sich die Unterstützung für das Weltraumteleskop bei den Wählern auszahlt. Der öffentliche Druck zeigte Wirkung. Der damalige NASA-Chef Michael Griffin kam medienwirksam zu einer Mitarbeiterversammlung ins Goddard Space Flight Center vor den Toren Washingtons, referierte zunächst lange über die Sicherheitsaspekte eines Fluges zu Hubble – und sprach dann den entscheidenden Satz:
"Nach Abwägung aller Risiken könnte die Antwort ja sein – und sie ist ja."


So bekam Hubble im Mai 2009 ein letztes Mal Besuch. Zwei neue Kameras wurden eingebaut, ein Instrument vor Ort repariert, die alten Batterien ersetzt und viele elektronische Bauteile ausgetauscht. Schließlich setzte die Besatzung der Raumfähre Atlantis Hubble wieder im All aus.
Aus dem Cockpitfenster verfolgte die Crew, wie das Weltraumteleskop über dem Erdhorizont immer kleiner wurde und schließlich ganz aus dem Blickfeld entschwand. Auch die Landung der Atlantis klappte problemlos, wie der NASA-Kommentator erleichtert feststellte.
"Die finale Service-Mission ist vollendet – aber die Entdeckungsmission Hubbles fängt gerade erst an."
Was damals sehr vermessen klang, hat sich erstaunlicherweise bewahrheitet. In seinen ersten 19 Jahren hatte Hubble fünfmal Besuch – und jedes Mal waren wichtige Reparaturen zu erledigen. Seitdem ist Hubble auf sich allein gestellt – der Ausfall von Komponenten lässt sich jetzt nicht mehr ausbügeln. Doch die Hubble-"Chefin" Jennifer Wiseman hat allen Grund zum Strahlen:
"Das Hubble-Weltraumteleskop ist technisch in exzellentem Zustand. Nach 30 Jahren im All ist es wissenschaftlich so produktiv wie nie zuvor. Natürlich wusste niemand, wie lange die Geräte nach dem Austausch 2009 halten würden. Aber alles funktioniert bestens. Im Moment sieht es so aus, als würde das bis weit in die 2020er Jahre der Fall sein – und vielleicht sogar noch länger."
Eine Nahaufnahme des Hubble Space Telescope, während es an das Space Shuttle Atlantis angedockt ist.
Eine Nahaufnahme des Hubble Space Telescope von 2009, während es an das Space Shuttle Atlantis angedockt ist.© Imago Images/ Zuma Press

Ein Teleskop macht weiter

Hubble hat bereits weit mehr als eine Million Himmelsbeobachtungen durchgeführt. Über 15.000 Fachartikel sind auf der Basis dieser Daten entstanden. Zu den großen Entdeckungen gehört, dass sich im Zentrum nahezu jeder großen Galaxie ein Schwarzes Loch befindet.
Hubble nimmt weiter die Gas- und Staubwolken auf, in denen Sterne und Planeten entstehen und es misst, wie schnell sich das Universum als Folge des Urknalls ausdehnt. In den vergangenen 30 Jahren sind auf der Erde Dutzende von Großteleskopen hinzugekommen. Mit High-Tech-Geräten kompensieren sie größtenteils die Luftunruhe der Atmosphäre. Doch Hubble wird weiter gebraucht.
"Hubble kann die Ultraviolettstrahlung empfangen, was auf der Erde nicht geht, weil die Atmosphäre UV nicht durchlässt. Gleiches gilt für Bereiche der Infrarotstrahlung. Die Großteleskope am Boden und Hubble ergänzen sich ideal. Für manche Projekte ist ein Instrument unten besser geeignet, für andere das oben im Weltraum.
Noch immer wird für Hubble etwa fünf Mal mehr Beobachtungszeit beantragt als zur Verfügung steht. Wir müssen aus den Vorschlägen hart auswählen. Am Ende ermöglichen erst alle Teleskope gemeinsam große Fortschritte – egal, ob es um unser Sonnensystem geht, um Sterne, andere Galaxien oder die Planeten bei anderen Sternen, die Exoplaneten."
Hubble bleibt im Einsatz – auch wenn es am Boden inzwischen Teleskope gibt, deren Spiegel mehr als zwanzigmal größer sind und die damit noch viel schwächere Objekte sehen als Hubble. Das Instrument im Weltraum ist NASA und ESA dennoch weiterhin lieb – und teuer. Die Gesamtkosten für Planung, Bau und 30 Jahre Betrieb liegen bei etwa 15 Milliarden US-Dollar.

Ein Kontrollzentrum wie eine Behörde

Damit kostet Hubble mehr als alle anderen Teleskope auf der Welt zusammen. Jedes weitere Jahr schlägt mit etwa 100 Millionen Dollar zu Buche. Dabei wird schon kreativ gespart: Zwar kümmern sich Hunderte von Fachkräften darum, dass Hubble eine Aufnahme nach der anderen macht. Aber das Kontrollzentrum wird inzwischen wie eine Behörde betrieben – montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr. Hubble spult meist lange vorher gespeicherte Befehlssequenzen ab. Abends und am Wochenende gibt es lediglich eine Bereitschaft für Notfälle.
"Ich bin vor einiger Zeit gefragt worden, ob Hubble die Milliarden von Dollar wert wäre."
Mario Livio, ein Hubble-Veteran, der mit allen Wassern gewaschen ist, hat natürlich die rosarote Brille auf.
"Meine Antwort war: Naja, es hat uns das Universum gegeben – dafür ist es sehr billig."


Tatsächlich scheint Hubble für viele Menschen etwas sehr Besonderes zu sein. Größere Diskussionen um die Kosten hat es – außer direkt nach der Spiegelpanne zu Anfang der Mission – nie gegeben. Auch Forscher aus anderen Disziplinen äußern keinen Neid. Während sich Großprojekte wie der Beschleuniger LHC am CERN in Genf ob gewaltiger Kosten immer wieder massiver Kritik ausgesetzt sehen, scheint Hubble irgendwie über den Dingen zu schweben. Mario Livio wundert das nicht.
Das Hubble Space Telescope in einer Nahaufnahme
Das Hubble Space Telescope in einer Nahaufnahme: "Es ist ins Wohnzimmer von vielen Millionen Menschen vorgedrungen."© imago / Zuma Press
"Hubble hat nicht nur überragende wissenschaftliche Bedeutung. Es ist buchstäblich bis ins Wohnzimmer von vielen, vielen Millionen Menschen rund um den Globus vorgedrungen."

"Die ganze Welt mag Hubble"

Offenkundig hat es nicht nur die guten Stuben erreicht, sondern auch die Herzen vieler Menschen – Hubble ist es gelungen, Leute für Wissenschaft zu begeistern, die sonst nichts damit zu tun haben. Und so seien dem Team fast nie die Kosten der Mission vorgehalten worden, erklärt auch Ray Villard. Hubble gilt vielen als hoch und heilig.
"Oft scheinen Wissenschaft und Religion kaum vereinbar, aber bei Hubble ist das nie ein Problem. Seine Bilder tauchen auch in vielen religiösen Schriften auf. Kürzlich habe ich mir aus Spaß eine DVD von Kreationisten gekauft, die meinen, das Universum sei gemäß der biblischen Schöpfungsgeschichte entstanden. Auch die sehen sich durch Hubble-Daten gestützt. Bei diesen Bildern gibt es keine politischen oder kulturellen Grenzen. Die ganze Welt mag Hubble. Nach der Mondlandung war das Interesse am Mond schnell abgeflaut und das Geld wurde gestrichen. Hubble aber ist seit 30 Jahren ein Thema, das die Öffentlichkeit überschwänglich verfolgt."
Und doch: Es wird nicht ewig so weitergehen. Hubble kommt in die Jahre. Als Auto wäre dieser Satellit ein Oldtimer. Es gibt kleinere Wehwehchen. Ein Knackpunkt sind die Gyroskope – Kreiselinstrumente, die nötig sind, um das Teleskop zu drehen und präzise auszurichten.
Jennifer Wiseman: "Drei der sechs Gyroskope an Bord sind in den letzten zehn Jahren ausgefallen. So etwas passiert, Gyroskope sind Verschleißteile. Da wir drei für den Routinebetrieb brauchen, klingt das dramatisch. Aber wir sind ganz entspannt. Denn die verbliebenen drei sind anders gebaut, sie sind stabiler als die, die bereits kaputt sind. Zudem haben wir ein Verfahren entwickelt, wie Hubble notfalls auch mit nur einem Gyroskop arbeiten könnte."

Irgendwann ist der Tanz mit Sternen vorbei

Beim Ausfall eines weiteren Steuerkreisels wäre die Mission nicht zu Ende. Aber Hubble wäre danach nicht mehr ganz so flexibel. Und doch: Irgendwann wird das Teleskop seine letzte Beobachtung machen und die letzten Daten zur Erde funken.
Die Shuttle-Flotte ist seit 2011 nicht mehr in Betrieb, eine weitere Wartung ist technisch unmöglich. Noch kreist Hubble knapp 550 Kilometer hoch um die Erde. Doch die Reibung an der dünnen Luft dort oben lässt es pro Jahr um einige Kilometer absinken. Irgendwann, das ist der Chefwissenschaftlerin klar, ist die Party vorbei, irgendwann ist Hubbles Tanz mit den Sternen zu Ende.
"Wir wollen nicht, dass es unkontrolliert auf die Erde stürzt. Entweder schicken wir es mit einem angedockten Triebwerk auf eine höhere Umlaufbahn, einen Parkorbit. Oder wir lassen es gezielt in den Südpazifik stürzen, wo niemand zu Schaden kommen kann. Details sind noch nicht ausgearbeitet und dieses Triebwerk, das wir zu Hubble schicken wollen, ist noch nicht einmal in Planung. Ich glaube, dass wir das Problem derzeit wegschieben -– aber langfristig müssen wir etwas tun."
Wann genau Hubble vom Himmel geholt wird, ist noch unklar. Jederzeit kann ein weiterer Kreisel ausfallen. Sind alle drei defekt, bleibt nur noch das gezielte Versenken. Überlässt man Hubble sich selbst, so wird es wohl Ende der 2030er Jahre unkontrolliert in die Erdatmosphäre eintreten. Die tonnenschweren Trümmer könnten großen Schaden anrichten. Heide Hammel, die mit Hubble derzeit noch Jahr für Jahr die Atmosphären der Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun beobachtet, setzt auf einen Abschied der besonderen Art.
"Ich hoffe, wir wissen lange genug vorher, wann und wo Hubble im Südpazifik niedergehen wird. Dann könnten wir alle, die so lange mit Hubble gearbeitet haben, ein Kreuzfahrtschiff chartern und beim Ende zusehen. Das wird traurig sein und wir werden weinen. Aber zugleich wäre da diese Freude über die viele wunderbare Wissenschaft, die uns Hubble in all den Jahrzehnten beschert hat."

Autor: Dirk Lorenzen
Sprecherinnen und Sprecher: Ilka Teichmüller, Barbara Becker, Christiane Guth, Frank Arnold und Olaf Oelstrom
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Technik: Martin Eichberg
Redaktion: Joachim Baumann und Martin Mair

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