Weltrettung mit Ritterin
In seinem neuen Buch – einer Mischung aus Märchen und Kulturkritik – ist die Heldin auf dem Weg in ihre "Kindergegend". Sie ist Musikantin, Ruferin und was sie ausspricht, muss geschehen, und wem sie sich hingibt, der muss sterben. "Kali" erzählt von einer Glückssuche und einer poetischen Weltrettung mit Ritterin.
Peter Handke hat sich zu Wort gemeldet. Hat nicht über Jugoslawien geschrieben, das ehemalige, oder gar über Serbien, sondern über - und schon muss man ausholen, denn Handke, der das Abschweifende, das Beiläufige, das über den einen Rahmen hinausgreifende Erzählen liebt, ist der Welt entflohen und ihr doch nicht entkommen, hat sich verzogen nach Handke-Land. Kali ist ein rätselhaftes Traumbuch, ist Märchen, Angstbuch und kulturkritische Welt-Schmähung in einem. Ist bilderreiches Tableau, Filmskript, Erzählung. Ein Buch über Tod und Krieg, den dritten Weltkrieg, "der rund um uns schon seit langem wütet, unerklärt, wenig sichtbar aber umso böser" - ein Buch über Schmerz, Liebe und Erlösung. Und ein Buch, in dem die Heldin auf dem Weg in ihre "Kindergegend" ist und ankommen will "in der Gegend hinter meiner Gegend."
Sängerin ist sie, Musikantin, Ruferin und eine Finderin. Auch eine "schöne Drohung". Denn was sie ausspricht, muss geschehen. Und wem sie sich hingibt, der muss sterben; eine Heutige aber ganz mittelalterlich geprägt. Nach langer Reise, mit einem Abstecher bei der Mutter, erreicht sie die Siedlung am Fuße des weiß aufragenden Salzbergs, in der kaum noch Einheimische aber viele Ausgewanderte, Flüchtlinge aus aller Herren Länder fremd nebeneinander leben. Der erste Mensch, den sie trifft, ist eine Pfarrerin. Unter deren Talar der Autor gekrochen ist, um eine Philippika loszuwerden gegen die Welt, in der für das Gute zu kämpfen nicht mehr lohnt, denn längst ist die Erde zur Hölle geworden: "Eine Hölle ohne Teufel. Eine Hölle ohne Flammen. Eine Hölle ohne Schall und Wahn, erzählbar von niemandem."
"Kali" heißt das Buch, und Kali ist mehr als Salz, ist auch eine hinduistische Göttin der Zerstörung wie der Erneuerung und ist ein philippinischer Kampfsport. Ein vielfach deutbarer Titel. Und so will Handke es haben. Auch im Text. Will vage bleiben, Raum lassen für diese oder ganz andere Möglichkeiten; und wie der ideale Zuschauer zugleich auch Akteur sein soll in seinen Stücken, so möge der Leser doch selber wählen und wägen und zum Beinahe-Mit-Erzähler werden.
Und schon geht sie wieder, unsere Heldin, "eine Frau, wie nur je eine war", geht "mit ihren großen Schritten" zu dem ihr bestimmten Mann. Es ist der Grubenherr, der Leiter des Salzbergwerks, der sie erwartet. Sie fürchten sich beide und zögern den Augenblick, den unvermeidlichen, hinaus, fahren lange durch die Grube – tief hinein bis in den letzten Stollen des Salzbergwerks.
Wie hat Handke es in einem Gespräch mit seinem Freund und Porträtisten Peter Hamm formuliert: "Ohne das Erbarmende geht überhaupt kein Schreiben".
Hier ist es der Schneewind - wir lesen eine Vorwintergeschichte, so der Untertitel des Buches - dessen Wehen der Grubenherr jubelnd zu entziffern versteht. "Es ist gesagt, aber es steht nicht geschrieben." Sie dürfen sich lieben, ohne den Tod zu finden dabei, sind angekommen in der anderen Welt. Peter Handke, der seine Weltangst und Weltwut zu bezwingen sucht, indem er sich schreibend dem Weltvertrauen überlässt, rettet sich ins Glückselige.
Das ist das Buch vor allem: Eine Glückssuche. Eine poetische Weltrettung. Mit einer weiblichen Ritterin. Denn dieser Finderin, die zunächst nur verlorene Knöpfe, Eheringe und Kontaktlinsen wie nebenbei aufliest, gelingt es auch, das verloren gegangene Kind des Toten Winkels aufzuspüren. Und ein Kind bedeutet Glück. Bedeutet Zukunft. Und "Kraft hat nur der Gedanke, der ein Zukunftsgedanke ist", heißt es im neuen Handke-Theaterstück: "Die Spuren der Verirrten".
Ja, der Ton ist der typische Handke-Ton, in dem Pathos seinen Platz hat und der Autor mit seinen Formulierungen und Sentimenten immer mal wieder leidig nah an den Kitsch herankurvt. Man kann das alles mit einem kalten Hochmutslächeln abtun und das Buch beiseite legen - aber: Man kann sich auch einlassen auf die schwebenden Bilder, die leuchtende Poesie, die dichten Szenen im vagen Gewebe, die Hoffnung, die leidenschaftlich herbei beschworene Freude.
Hinter dem hohen Ton liegt eine tiefe, eine weite Einsamkeit, die das ganze Buch durchzieht. Egal wie durchwimmelt es ist von Menschen und Salz und Sätzen. Ein Autor, der Zuflucht sucht im Erzählen, auf der Suche nach der verlorenen Unschuld. "Ah," heißt es auf Seite 18, "wenn ein Kind einmal zu reden anfängt" - und wieder im letzten Satz des Buches: "Ah, wenn einmal ein Kind ins Erzählen kommt: Gehen von Menschen unter blühenden Bäumen ..."
Rezensiert von Gabriele von Arnim
Peter Handke: Kali - Eine Vorwintergeschichte
Suhrkamp, Februar 2007, 162 S., 16,80 €
Sängerin ist sie, Musikantin, Ruferin und eine Finderin. Auch eine "schöne Drohung". Denn was sie ausspricht, muss geschehen. Und wem sie sich hingibt, der muss sterben; eine Heutige aber ganz mittelalterlich geprägt. Nach langer Reise, mit einem Abstecher bei der Mutter, erreicht sie die Siedlung am Fuße des weiß aufragenden Salzbergs, in der kaum noch Einheimische aber viele Ausgewanderte, Flüchtlinge aus aller Herren Länder fremd nebeneinander leben. Der erste Mensch, den sie trifft, ist eine Pfarrerin. Unter deren Talar der Autor gekrochen ist, um eine Philippika loszuwerden gegen die Welt, in der für das Gute zu kämpfen nicht mehr lohnt, denn längst ist die Erde zur Hölle geworden: "Eine Hölle ohne Teufel. Eine Hölle ohne Flammen. Eine Hölle ohne Schall und Wahn, erzählbar von niemandem."
"Kali" heißt das Buch, und Kali ist mehr als Salz, ist auch eine hinduistische Göttin der Zerstörung wie der Erneuerung und ist ein philippinischer Kampfsport. Ein vielfach deutbarer Titel. Und so will Handke es haben. Auch im Text. Will vage bleiben, Raum lassen für diese oder ganz andere Möglichkeiten; und wie der ideale Zuschauer zugleich auch Akteur sein soll in seinen Stücken, so möge der Leser doch selber wählen und wägen und zum Beinahe-Mit-Erzähler werden.
Und schon geht sie wieder, unsere Heldin, "eine Frau, wie nur je eine war", geht "mit ihren großen Schritten" zu dem ihr bestimmten Mann. Es ist der Grubenherr, der Leiter des Salzbergwerks, der sie erwartet. Sie fürchten sich beide und zögern den Augenblick, den unvermeidlichen, hinaus, fahren lange durch die Grube – tief hinein bis in den letzten Stollen des Salzbergwerks.
Wie hat Handke es in einem Gespräch mit seinem Freund und Porträtisten Peter Hamm formuliert: "Ohne das Erbarmende geht überhaupt kein Schreiben".
Hier ist es der Schneewind - wir lesen eine Vorwintergeschichte, so der Untertitel des Buches - dessen Wehen der Grubenherr jubelnd zu entziffern versteht. "Es ist gesagt, aber es steht nicht geschrieben." Sie dürfen sich lieben, ohne den Tod zu finden dabei, sind angekommen in der anderen Welt. Peter Handke, der seine Weltangst und Weltwut zu bezwingen sucht, indem er sich schreibend dem Weltvertrauen überlässt, rettet sich ins Glückselige.
Das ist das Buch vor allem: Eine Glückssuche. Eine poetische Weltrettung. Mit einer weiblichen Ritterin. Denn dieser Finderin, die zunächst nur verlorene Knöpfe, Eheringe und Kontaktlinsen wie nebenbei aufliest, gelingt es auch, das verloren gegangene Kind des Toten Winkels aufzuspüren. Und ein Kind bedeutet Glück. Bedeutet Zukunft. Und "Kraft hat nur der Gedanke, der ein Zukunftsgedanke ist", heißt es im neuen Handke-Theaterstück: "Die Spuren der Verirrten".
Ja, der Ton ist der typische Handke-Ton, in dem Pathos seinen Platz hat und der Autor mit seinen Formulierungen und Sentimenten immer mal wieder leidig nah an den Kitsch herankurvt. Man kann das alles mit einem kalten Hochmutslächeln abtun und das Buch beiseite legen - aber: Man kann sich auch einlassen auf die schwebenden Bilder, die leuchtende Poesie, die dichten Szenen im vagen Gewebe, die Hoffnung, die leidenschaftlich herbei beschworene Freude.
Hinter dem hohen Ton liegt eine tiefe, eine weite Einsamkeit, die das ganze Buch durchzieht. Egal wie durchwimmelt es ist von Menschen und Salz und Sätzen. Ein Autor, der Zuflucht sucht im Erzählen, auf der Suche nach der verlorenen Unschuld. "Ah," heißt es auf Seite 18, "wenn ein Kind einmal zu reden anfängt" - und wieder im letzten Satz des Buches: "Ah, wenn einmal ein Kind ins Erzählen kommt: Gehen von Menschen unter blühenden Bäumen ..."
Rezensiert von Gabriele von Arnim
Peter Handke: Kali - Eine Vorwintergeschichte
Suhrkamp, Februar 2007, 162 S., 16,80 €