"Sorbisch ist momentan akut bedroht"
Am Welttag der indigenen Sprachen erinnert Ulrich Delius daran, dass es auch in Deutschland sterbende Sprachen gibt. Die Situation der Sorben in der Niederlausitz sei "schwierig", sagt der Direktor der Gesellschaft für bedrohte Sprachen.
Dieter Kassel: Heute ist der Welttag der indigenen Bevölkerung, gleichzeitig haben die Vereinten Nationen das Jahr 2019 zum Jahr der indigenen Sprachen ausgerufen, und das kann man auch sehr gut verbinden. Dazu zwei Zahlen: Es gibt auf der Welt im Moment noch rund 4000 indigene Sprachen, davon sind aber laut den Vereinten Nationen fast 2700 vom Aussterben bedroht, also knapp zwei Drittel. Warum das so ist und wie man das ändern kann, das wollen wir jetzt von Ulrich Delius erfahren, dem Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker. Ich stelle mal eine ketzerische Sprache gleich zu Anfang: Warum sind denn all diese Sprachen überhaupt erhaltenswert?
Delius: Weil diese Sprachen letztlich für die Menschen viel mehr bedeuten als nur eine Möglichkeit sich auszutauschen. Sie sind zum Beispiel für sie eigentlich das, was ihre Kultur ausmacht, das, was ihre Identität ausmacht, das, was sie unterscheidet von anderen, von der Mehrheitsbevölkerung und mit dem sie zum Beispiel auch ganz viel Wissen übertragen. Wenn man keine Sprache mehr hat, na ja, wie überträgt man das Wissen dann? Das sind oft nicht Kulturen wie die unsere, die über Millionen von Bibliotheken verfügen und Milliarden von Büchern. Es geht sehr viel mehr über Sprache bei ihnen.
Kassel: Und warum sind denn so viele dieser Sprachen akut vom Aussterben bedroht?
Delius: Es hängt natürlich auch mit der Lebenssituation dieser Menschen zusammen. Wenn ich selber sozusagen bedroht bin durch Einflüsse von außen, weil man zum Beispiel gerne an das herankommen möchte, was an Bodenschätzen unter mir liegt oder denkt, mein Land eignet sich für einen Stausee, dann bedeutet das auch, dass ich selber als Gruppe gefährdet bin und damit auch meine Sprache. Das heißt also, jede Bedrohung von indigenen Völkern, rein physisch, führt dann auch letztlich zu einer Bedrohung ihrer Sprache, weil dann müssen sie weg aus dieser Region, kommen oft nicht zusammen weg, und schon ist die Sprache bedroht, zumal es dann oft gar nicht um so viele Sprecherinnen und Sprecher geht, sondern relativ kleine, zahlenmäßig kleine Gruppen.
"Die Assimilierungspolitik ist am schlimmsten"
Kassel: Bei dem, was Sie jetzt gerade gesagt haben, Herr Delius, denke ich vor allen Dingen an Brasilien, an das Amazonasgebiet, wobei es sicherlich Beispiele für das Phänomen auch aus anderen Regionen gibt. Ich denke aber zum Beispiel aktuell auch an Uigurisch, eine von gar nicht so wenig menschengesprochene Sprache in China, die aus politischen Gründen unterdrückt wird. Wie oft kommt es denn vor, dass wirklich sozusagen politische geplant Sprachen verboten werden?
Delius: Das kommt leider relativ häufig vor, vor allen Dingen in autoritär geführten Staaten. Wir haben ein ähnliches Problem in der russischen Föderation, wo auch viele sibirische Völker darunter leiden, dass sie massiv in ihrer Sprachenvielfalt eingeschränkt werden momentan. Es heißt: Ihr sollt Russisch lernen! Wenn ihr Perspektiven haben wollt, wenn ihr Jobs finden wollt, dann müsst ihr Russisch lernen! In China sagt man: Ihr müsst Mandarin lernen!
Es fängt dann damit an, dass es irgendwann einfach gar keine Lehrerinnen und Lehrer mehr gibt, und so trocknet man diese Sprachen dann immer mehr aus, Dann kommen Gesetze, in denen es heißt, die Mehrheitssprache ist wichtig. In ihrem Alltag hören die Menschen immer nur: Gebt eure Sprache auf, lernt endlich sozusagen euch anzupassen. Das ist diese Assimilierungspolitik, die ist am schlimmsten, und die wird von einer Reihe von Staaten sehr, sehr aktiv betrieben.
Kassel: Aber kann das nicht sogar eine umgekehrte Folge haben, dass Menschen dann sagen, also wenn meine Sprache so aktiv verboten werden soll, dann spreche ich sie erst recht?
Delius: Natürlich gibt es so einen Reflex, aber man braucht dafür auch Strukturen. Und wir haben in diesen Staaten mit sehr autoritären Regimes zu tun, und die setzen natürlich dann auch mit aller Macht dieses Ziel der Zerstörung der Sprachen um. Also da kann man sich als einzelner nicht so richtig effektiv gegen wehren. Das sehen wir jetzt gerade zum Beispiel in Xinjiang im Nordwesten Chinas, wo die Uiguren enorme Probleme haben, ihre Kultur zu bewahren, wo ihre Moscheen niedergerissen werden, ihre Bücher verbrannt werden. Was will man als Einzelner dagegen tun, das ist schwer.
"Sprache bewahren durch moderne Technik"
Kassel: Gibt es auch zum Teil umgekehrte Bewegungen, also dass Sprachen, die lange Zeit vielleicht nicht verboten waren, aber doch sehr stark vernachlässigt wurden, wieder gefördert werden?
Delius: Ja, auf jeden Fall, und vor allen Dingen geht es sehr viel auf indigene Völker selber zurück, in den Staaten Südamerikas zum Beispiel, in Mittelamerika, die sich darauf besonnen haben, wir müssen diese Sprachen wiederbeleben, weil sie letztlich uns selber ausmachen, unsere Kultur, und die dann selber mit ganz vielen Initiativen auch zum Beispiel über soziale Medien, über Websites, auf denen sie dann vermitteln, was sind die Grundwerte unserer Sprache, dann auch große Entfernungen überwinden können. In Australien beobachten wir das, dass viele indigene Völker dadurch ihre Sprache bewahren, also durch diese moderne Technik auch.
Kassel: Aber wir haben ja angefangen dieses Gespräch mit einer Erklärung von Ihnen, dass das auch sehr besondere Sprachen sind, weil sie zum Teil vollkommen anders funktionieren als die großen Sprachen, die wir kennen, und teilweise schriftlich nicht verbreitet werden, teilweise natürlich schon. Entwickeln die sich überhaupt weiter, also um es sehr einfach auszudrücken: Gibt es in diesen Sprachen Worte für Internet, für Digitalisierung, für Globalisierung?
Delius: Klar entwickeln die sich weiter. Es sind lebendige Sprachen, und darum geht es uns ja auch, dass auch diese Dynamik innerhalb der Sprache weiter gefördert wird, dass diese Sprachen nicht einen musealen Charakter bekommen, sondern dass sie auch von vielen jungen Menschen weiterverwendet werden. Das setzt aber dann auch eine bestimmte Zahl von Sprecherinnen und Sprechern voraus, um sowas fortentwickeln zu können.
"Es fehlt einfach an Lehrkräften"
Kassel: Es gibt tatsächlich, was viele Menschen immer vergessen oder gar nicht wissen, auch zwei Minderheitensprachen in Deutschland, die offiziell anerkannt sind: Dänisch – das wissen die meisten noch – in Schleswig-Holstein und Sorbisch im Süden Brandenburgs und im Nordosten Sachsens. Mit diesen Sprachen gibt es insofern keine Probleme, weil das nicht großartig diskutiert werden muss. Die werden gefördert, sind natürlich auch völlig legal, da gibt es auch Schulunterricht. Insofern müssen wir wahrscheinlich ja nichts bei uns hier tun.
Delius: Das Sorbisch, also das sehe ich schon ein bisschen anders. Sorbisch ist schon momentan akut bedroht. Wir haben uns auch sehr häufig dazu geäußert, wie schwierig die Situation in der Niederlausitz ist. Das ist ja eigentlich erschreckend zu sehen, in so einem reichen Land wie unserem Land haben wir auch dieses Problem, dass es einfach an Lehrkräften fehlt und an Möglichkeiten, diese Sprache weiter zu tradieren. Das wird von den Sorben sehr stark beklagt, die sind in vielen Diskussionen mit der Landesregierung Brandenburgs darüber. Das ist also alles andere als geklärt. Innerhalb der sorbischen Gemeinschaf ist das ein ganz großer Sorgenfall.
Kassel: Erkenne ich an, bin dankbar, dass Sie das korrigiert haben. Kommen wir trotzdem zur Frage zum Schluss noch, die jetzt kommen sollte: Kann man denn von Deutschland aus wirklich etwas tun, um mit dazu beizutragen, dass indigene Sprachen am anderen Ende der Welt nicht aussterben?
Delius: Ja, natürlich, man kann viel tun. Wenn wir jetzt mal bei der Bundesregierung anfangen, dann würden wir sagen:. Die Bundesregierung muss noch mal stärker diese Vertragswerke unterstützen, die letztlich auch solche Sprachenrechte unter anderem festlegen und fördern. Das ist vor allen Dingen eine Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation, die ILO-Konvention 169, die sehr stark indigene Rechte stützt. Die Bundesregierung hat auch in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 zugesichert, endlich diese Konvention zu ratifizieren. Bislang sehen wir es noch nicht. Ja, und damit wollen wir heute auch noch mal uns an die Bundeskanzlerin wenden und sie auffordern, doch diesen Passus des Koalitionsvertrags ernst zu nehmen und schnell anzugehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.