Sokrates oder Immanuel Kant hätten heute keine Chance an einer Universität, sagt Thomas Vasek, Begründer der Philosophie-Zeitschrift "Hohe Luft". Er meint, Karriere könne man als Philosoph heute eher in der Wirtschaft oder in den Medien machen. (7:50 min.)
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Der Hochmut der Geisteswissenschaften
Wird nach der gesellschaftlichen Rolle der Geisteswissenschaften gefragt, reagieren einzelne Fachvertreter mit Weltgeltungspathos, kritisiert Daniel Hornuff. In einer offenen Gesellschaft verfügen sie aber über kein interpretatorisches Monopol, so der Philosoph.
Laut UNESCO sei die "Philosophie als Disziplin" die "entscheidende Grundlage für alle anderen Disziplinen". Philosophie vermöge, "die richtigen Fragen zu stellen". Mit anderen Worten: Ohne Philosophie keine Wissenschaft – zumindest keine, die diesen Namen verdient hätte.
Zuständig für die ersten und letzten Fragen
Ein solches Bild der Philosophie ist entweder naiv oder anmaßend. Ärgerlich aber ist: Derartige Superlative bestätigen ein Image des intellektuellen Denkens, wie es gerade unter Geisteswissenschaftlern hin und wieder kursiert.
Manch einer neigt dazu, das jeweils eigene Metier als Zuständigkeitsbereich für die ersten und letzten Fragen zu deklarieren. Unbewusst konkurriert er mit manchen Theologen und etlichen Neurologen: Der Geist möge erfüllen, was Gott und Gehirn fehle.
Strotzen vor Weltgeltungspathos
Wird also nach der gesellschaftlichen Rolle der Geisteswissenschaften gefragt, reagieren einzelne Fachvertreter mit reflexhaften Omnipotenzansprüchen. Jahr für Jahr erscheint mindestens ein programmatischer Sammelband zur Situation der Geisteswissenschaften. Dabei zeigt sich, dass die Mehrzahl dieser Beiträge vor Weltgeltungspathos nur so strotzt.
So preist ein Text die Geisteswissenschaften als Garanten demokratischer Gesellschaften. In einem anderen Beitrag sollen sie das Überleben der Kunst sichern. Ein weiterer Autor erklärt gleich die ganze Menschheit zum Aufgabenfeld der Geisteswissenschaften. Und entsprechend verkündet einer der meistzitierten Bände denn auch "Das Ende der Bescheidenheit". Demnach seien die Geisteswissenschaften unter anderem dazu prädestiniert, "die zukünftige Konstitution unserer gemeinsamen Welt" zu "entwerfen".
Imponiergehabe signalisiert Verunsicherung
Man mag Aufschneidereien dieser Art mit einem Lächeln quittieren – und daran erinnern, dass es zur Aufgabe von Interessengruppen gehört, die eigene Sache möglichst gewichtig darzustellen. Immerhin geht es nicht nur um Drittmittelakquise, sondern ebenso um gesellschaftliche Reputation, die ihrerseits dazu dienen soll, zukünftige Ansprüche zu begründen.
Doch drängt sich gerade damit ein Verdacht auf: Signalisiert ein großspuriges Imponiergehabe nicht immer auch eine grundsätzliche Verunsicherung? Anders gefragt: Könnte es sein, dass sich einige Geisteswissenschaftler gerade deshalb als besonders bedeutsam ausgeben, weil sie über keine konkreten gesellschaftlichen Machtbefugnisse verfügen? Kompensieren sie also in Habitus und Sprache, was ihnen in größeren Zusammenhängen versagt bleibt? Resultiert der akademische Elitarismus aus der Sorge vor gesellschaftlicher Missachtung?
Großvisionen sind mit Verlustgeschichten verbunden
Dazu passt, dass sich geisteswissenschaftliche Großvisionen in der Regel mit umfassenden Verlustgeschichten verbinden. Gerne wird die eigene Relevanz durch kulturkritische Narrative dramatisiert. Ständig muss irgendein Niedergang postuliert, eine Oberflächlichkeit konstatiert, eine Klage über den Zustand der Zeit lanciert werden, um die eigene Position als umso dringlicher erscheinen zu lassen.
Mit Eifer geriert man sich als Therapeut einer aus den Fugen geratenen Welt. Das Verlautbaren eines totalen Verblendungszusammenhangs ist allerdings kontraproduktiv – und wendet sich gegen die Geisteswissenschaften selbst. Regelmäßig sind sie die ersten Leidtragenden der zu dick Auftragenden.
Nur eine Stimme von vielen
In einer offenen Gesellschaft verfügen Geisteswissenschaftler über kein interpretatorisches Monopol. Während eines öffentlichen Streits um Sichtweisen und Auslegungen sind sie ein Akteur unter anderen.
Sich einzugestehen, jeweils nur über eine Stimme im Verbund der Vielen zu verfügen, mag manchen Intellektuellen schmerzen. Tatsächlich aber ist er entlastet – von dem Anspruch, die Grundlage von allem und jedem sein zu müssen.