Dichten ist ein positiver Zwang
Wie der Lyriker Durs Grünbein meint, gelingt es der Poesie immer wieder, durch Fantasie "das so genannte Reale" zu durchkreuzen. Auch in politisch miserablen Situationen könne man mittels Dichtung vorankommen.
Korbinian Frenzel: Es ist eine Gattung, die es schwer hat: die Lyrik, Gedichte. Verlegt werden sie immer weniger, zumindest von den großen Verlagen. Warum eigentlich? Passt Lyrik, passen Gedichte weniger gut in diese Zeit als in andere? – Am Telefon ist Durs Grünbein, Schriftsteller und Dichter. Einen schönen guten Morgen!
Durs Grünbein: Guten Morgen.
Frenzel: Sie geben in gewisser Weise eine ganz konkrete Antwort auf meine Zweifel. Am Montag erscheint ein neuer Gedichtband von Ihnen, ein Gedichtzyklus: "Cyrano oder Die Rückkehr vom Mond" – das ist der Titel. Warum wählen Sie als Autor die Lyrik, um zu erzählen?
Die Poesie wählt den Dichter aus
Grünbein: Es ist wahrscheinlich so, dass wer ein Leben lang Gedichte schreibt das sich nicht richtig aussucht, sondern die Gedichte oder die Poesie sucht ihn aus, wählt ihn aus. So haben es ein paar der großen ausgedrückt, denken wir an Dichter wie Rilke, der sich quasi zum Medium gemacht hat. Der hat sich das so nicht ausgesucht. Er musste es tun, es sprach durch ihn hindurch. Heute sind wir da etwas schamvoller. Wir versuchen, als Dichter ein eher aktives Verhältnis dazu einzunehmen, zu sagen, wir steuern das. Wir experimentieren mit der Sprache, wir suchen neue Formen und so weiter. Aber ein gewisser Zwang dabei ist immer im Spiel, ein positiver Zwang.
Frenzel: Ist das die Beschreibung, die auch für Sie gilt, die Sie gerade getroffen haben, dass Sie diesen Versuch wagen? Wenn wir jetzt mal Ihr aktuelles Werk nehmen, das am Montag herauskommt, dieser Zyklus, was ist das für eine Reise, auf die Sie uns da mitnehmen, vom Mond?
Grünbein: In diesem Band wird es in vielen eher kürzeren Gedichten immer wieder um das eine Zentralmotiv, den Mond gehen. Das ist ja eines der ältesten Motive in allen Weltpoesien, in allen Weltsprachen. Der ist hier gewissermaßen nur das symbolische Zentrum. Wir alle kennen dieses Objekt von der Kindheit an, es ist ganz einfach von der Anschauung her, es hat auch nur diese eine Silbe, und das wird dann nun in vielen, vielen Gedichten umkreist.
Zugleich kommt ein bisschen die Geschichte ins Spiel, die der Monderoberung, bis die Amerikaner dann den Fuß darauf setzen und wenig später im Grunde ablassen von diesem Objekt. Die Menschheit hat heute mehr oder weniger abgelassen, auch wenn demnächst wahrscheinlich Chinesen oder Inder da noch hinauffahren. Wir segeln inzwischen am Mond vorbei. Der ist quasi jetzt kein zentrales Objekt des Begehrens mehr, wie er das so lange war und wie er es auch in den Gedichten immer war.
Frenzel: Und Sie machen dann quasi einen Abgesang, einen abschließenden Gedichtzyklus?
Das Kostbarste ist die Ausgangsbasis, die Erde
Grünbein: Ja so würde ich das nicht nennen, sondern es geht auch ein bisschen – das sagt der zweite Teil des Titels – um die Rückkehr von diesem Mond, nämlich in dem Moment, wo man da oben war, sah man auf einmal die Erde ganz neu. Es ist wirklich so. Während der letzten Apollo-Missionen machte man jene sensationellen Aufnahmen von unserer Erde, die dann in mehreren Schritten auch zu einem ganz neuen Bewusstsein von der Kostbarkeit dieses, unseres Planeten geführt haben. Das ist charakteristisch. Nach dem man so lange alle Kräfte, alle technischen Kräfte auch bündelt, um diese Eroberung im All zu machen, kommt man plötzlich wieder zu dem Bewusstsein, dass doch das Kostbarste wahrscheinlich die Ausgangsbasis ist, diese Erde, und seither ist auch dieses ökologische Denken sehr gewachsen.
Frenzel: Wenn wir noch mal auf die generelle Bedeutung von Gedichten schauen – das letzte Mal, dass ein Gedicht öffentlich wirklich hohe Wellen geschlagen hat, war das Gedicht von Günter Grass, „Was gesagt werden muss“. Darin hat er ja Israel schwer angegriffen. Sie haben damals eine Art Gegenposition eingenommen, nicht inhaltlich, sondern eher in der Frage, was Dichtung soll. Sie legt sich, haben Sie damals geschrieben, nicht mit der Realität an. Darüber bin ich ein bisschen hängen geblieben, über dieser Formulierung, weil das für mich so klingt wie ein literarisches Biedermeier, wo man sich wohl fühlen kann.
Grünbein: Nein. Ich habe mal an anderer Stelle gesagt, in einem Gedicht, um es vielleicht mal so kurz wie möglich für mich, übrigens nur für mich zu definieren, was das ganze soll, gefragt, was es eigentlich ist, das Poetische: Es geht auch um die Besonnenheit traumdichter Bilder in der Bananenrepublik des Realen. Ich habe also gesagt, okay, dieses Reale, was uns immer umgibt, dass wir auch alle sehr gut kennen, das wird ein bisschen, wenn man diesen Abstand hat, selber zu einer Art Bananenrepublik. Ich sage damit, dass eigentlich die Dichtung mit ihren Möglichkeiten es schafft, qua Fantasie dieses sogenannte Reale immer neu zu durchkreuzen, und das ist sehr wichtig. Das ist kein Biedermeier, sondern das ist eine Art Souveränitätserklärung.
Wer sagt mir denn, dass das, was mich umgibt, politisch umgibt, etwa das Ewige ist oder so, dass es immer so bleiben muss und so weiter? Ich kann also auch in politischen miserablen Situationen mittels Dichtung vorankommen. So war das immer in der Menschheit. Es waren oft kühne Dichterträume, die uns schon die Zukunft gezeigt haben und Möglichkeiten, aus diesem Schlamassel herauszufinden, weshalb ich dann immer enttäuscht bin, wenn die Dichtung direkt missbraucht wird für sehr direkte politische Botschaften. Das hatten wir auch oft gerade im 20. Jahrhundert, aber das sehe ich als Missbrauch der Poesie und das ist kein Biedermeier. Im Gegenteil! Das ist eine Art Unabhängigkeitserklärung, die sich durch Poesie herstellt.
"Heute ist keiner mehr im Elfenbeinturm"
Frenzel: Es ist aber eine Art Rückzugsraum. Was Sie beschrieben haben, kann ich gut nachvollziehen, aber es gibt einem ja auch die bequeme Position des zurückgezogen seins.
Grünbein: So wie der Elfenbeinturm.
Frenzel: Ja richtig, der Elfenbeinturm.
Grünbein: Nun ist aber heute keiner mehr im Elfenbeinturm. Seitdem die Türme alle weggesprengt werden, gibt es natürlich auch keinen Dichter mehr, der im Elfenbeinturm sein kann. Das wissen die Dichter, die spazieren hier überall in allen Nischen dieser Erde umher, nehmen sehr genau wahr. Wir hatten neulich den Fall eines Wettbewerbs in China, wo ein völlig Unbekannter, einer dieser vielen Millionen Arbeiter in diesen neuen Industriestädten, mittels Gedichten sich quasi neu orientierte und auch seine eher elende Existenz reflektierte. Da sieht man plötzlich, was das leisten kann. Diesen Menschen wird wahrscheinlich seine Dichtung am leben erhalten, sonst würde er es gar nicht mehr aushalten im Kopf.
Frenzel: Herr Grünbein, heute ist der Welttag der Poesie. Haben Sie Gedichte auf den Lippen, bestimmte Gedichte, die immer wieder in den Sinn kommen, die Sie manchmal so vor sich hinmurmeln, vor sich hinzitieren?
Grünbein: Was man im Kopf hat, sind natürlich immer Zeilen, reimbare Zeilen, Gedichte von, ich hatte es schon erwähnt: Rilke rückt immer wieder mal heran. Der hat tatsächlich Großes geleistet. Im heimischen Bereich sind es natürlich oft Verse, die schon aus den Kinderbüchern kommen. Für mich als ein Mann, der aus Sachsen kommt, wäre immer wichtig zum Beispiel Erich Kästner.
Frenzel: Der Dichter Durs Grünbein im Gespräch in Deutschlandradio Kultur. Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit.
Grünbein: Bitte sehr.
Frenzel: „Cyrano oder Die Rückkehr vom Mond“, das ist sein neuer Gedichtzyklus, der am Montag erscheint, im Suhrkamp-Verlag, und auch das straft mich Lügen, was ich Anfangs sagte. Es gibt also noch große Verlage, die Lyrik veröffentlichen, verlegen.
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