"Der Egoismus ist wieder gut sichtbar"
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Werden auch die ärmeren Länder ausreichend Zugang zu Impfstoffen gegen Covid-19 haben? Der Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner sieht die UN-Impfinitiative noch lange nicht am Ziel. Schuld sind seiner Ansicht nach die reichen Nationen.
Das Ziel ist ehrenwert: Damit auch die ärmeren Länder baldmöglichst Zugang zu Impfstoffen gegen Covid-19 erhalten, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die Initiative Covax (Covid-19 Vaccines Global Access) ins Leben gerufen. An der Initiative sind fast alle Länder der Welt beteiligt. Sie soll Impfstoff-Dosen bei den Pharmaunternehmen kaufen und dann global verteilen, sodass Impfen keine Frage des Geldbeutels wird.
Reiche Länder kaufen auf
Laut dem Gesundheitsökonomen Wolfgang Greiner funktioniert das aber nicht so wie ehemals geplant. Nicht einmal die Hälfte der versprochenen Mittel für den Ankauf der Impfstoffe sei bisher zusammengekommen, kritisiert er.
Zudem sei auch nicht klar, wann die Impfstoffe in den ärmeren Ländern eintreffen sollen, "denn alles, was zurzeit zusätzlich noch auf dem Markt ist, was dazu kommt, wird dann doch wieder von den reichen Ländern schnell weggekauft."
"Was man eigentlich durch Covax vermeiden wollte, diesen Egoismus, der ist jetzt doch wieder ganz gut sichtbar", sagt Greiner. Für ihn ist auch die Zielvorgabe von Covax viel zu niedrig. Demnach sollen mindestens 20 Prozent der jeweiligen Bevölkerung geimpft werden: "Wir wissen alle, das reicht gar nicht."
Die Initiative selbst hatte die Situation zuletzt in einem anderen Licht dargestellt. Demnach hat das Programm der Weltgesundheitsorganisation knapp zwei Milliarden Impfdosen zugesichert bekommen. Damit hätten die rund 190 Länder, die an der Covax-Initiative beteiligt seien, "während der ersten Hälfte des nächsten Jahres" Zugang zu Impfstoffen, hieß es. Das sei "ein Meilenstein bei der globalen Gesundheit".
Warnung vor dem Pendeleffekt
Um die Pandemie wirklich sinnvoll zu bekämpfen, müsste eigentlich in allen Ländern zugleich geimpft werden. Wenn anderswo nicht geimpft werde und deutsche Touristen und Geschäftsreisende das Virus dann wieder einschleppten, drohe ein Pendeleffekt, betont Greiner.
"Es ist naiv zu glauben, dass wir uns völlig abkoppeln können", sagt der Gesundheitsökonom. Die Gefahr eines Pendeleffekts bestehe sogar dann, wenn ein Teil der Bevölkerung schon geimpft sei: "Wir werden nicht so schnell auf 60, 70 Prozent Impfquote kommen, und wir wissen auch noch nicht, wie lange der Schutzeffekt der Impfung andauern wird."
Neue Forderungen von Wissenschaftlern nach einem koordinierten Lockdown in Europa unterstützt Greiner deswegen, hält sie aber zugleich für unrealistisch. "Wenn man sich eine Welt backen könnte, wäre das genau das Richtige", sagt er. Doch die EU sei nur ein "relativ lockerer Verbund", und irgendein Land schere immer aus.
(ahe)