Koloniales Nicht-Gedenken
06:56 Minuten
Orte, die an die Verbrechen der Kolonialzeit erinnern, gibt es in Deutschland kaum. Und meist gehen sie zurück auf die Initiative zivilgesellschaftlicher Gruppen.
Auf Spurensuche in Berlin mit Erica und Frank.
Kurz nach meinem Besuch bei Erica in der Paläontologie schreibt mir Frank eine WhatsApp. Er sucht in Berlin Spuren deutscher Kolonialgeschichte. Und schreibt. "Kannst du mir sagen, wo ich das Haus der Berliner Konferenz finden kann?" "Da ist nur noch eine Gedenktafel", schreibe ich zurück. Und: "Wollen wir trotzdem hinfahren?"
Noch am selben Nachmittag irren wir an den grauen Plattenbauten der Wilhelmstraße entlang, auf der Suche nach der damaligen Hausnummer 77, dem Reichskanzlerpalais. Hierher hatte Bismarck im November 1884 fast ausschließlich europäische Mächte geladen, um mit ihnen den Handel am Kongo und Niger zu regeln.
Vor der Hausnummer 92 finden wir, was wir suchen. Eine bescheidene Metalltafel erinnert an die Berliner Konferenz, besser bekannt als Kongo-Konferenz. Bismarck und die anderen Europäer handelten hier Regeln aus, wie man sich auf dem fremden Kontinent möglichst nicht in die Quere kommt, steckten so schon mal ihre Einflusssphären ab.
"Geschachere um den afrikanischen Kontinent"
Für Deutschland war das Treffen die Grundlage für die Kolonien im heutigen Namibia, Kamerun, Togo und in Teilen Ghanas sowie in Tansania, Ruanda und Burundi. Für die afrikanische Bevölkerung bedeutete es blutige Auseinandersetzungen wie der Maji-Maji-Aufstand im späteren Tansania oder der Völkermord an den Herero und Nama in Namibia.
Die Gedenktafel in der Wilhelmstraße ist 2005 von Mitgliedern des Vereins Afrika-Forum initiiert worden. Für sie ist die Konferenz ein Schlüsselereignis, um Kolonialismus und koloniale Gewalt zu verstehen. Ähnlich bewertet sie der Afrikanologe Andreas Eckert:
"Die Konferenz steht auch als Symbol dafür, dass Europäer über die Köpfe der Beteiligten hinweg einfach so eine Art Geschachere um den Kontinent gestartet haben, ohne überhaupt auf die Idee zu kommen, dass es dort afrikanische Gesellschaften, Herrscher gibt. Personen, die da eine Art von Mitsprache hätten."
Eckert glaubt sogar, "dass sich im Grunde und im Kern an dieser Haltung bis heute nichts geändert hat. Von daher steht diese Konferenz eben als zugespitzte Form eines europäischen, paternalistischen, rassistischen Denkens."
Frank liest den Text auf der Gedenktafel, nickt kurz und sagt, dass die historischen Fakten stimmen. Aber kein Wort darüber verloren wird, dass alle Teilnehmer damals getrieben waren vom Kampf um afrikanisches Kupfer, Gold und Diamanten. Auch Bernhard Sattler, der Dino-Entdecker, suchte ursprünglich nach etwas ganz anderem.
Herero-Holzpuppen im Museum
Nur einen Steinwurf entfernt liegt das Deutsche Historische Museum.
Das Kapitel Kolonialismus wird in einer acht Meter langen, zwei Meter hohen Vitrine abgehandelt. Darin eine deutsche Kolonialuniform neben zwei Holzschnitzpuppen, die gefangene Hereros darstellen sollen. Eine Landkarte von Afrika, die im Schulunterricht benutzt wurde - mit den von Europäern gemachten Grenzen.
Frank ist erleichtert, weil hier klipp und klar geschrieben steht, dass die Deutschen ihre Kolonien ausbeuteten. Und nicht nur das: Ich zeige Frank das Plakat einer Völkerschau im Berliner Panoptikum. Wo man Menschen aus den Kolonien als exotische Sehenswürdigkeiten ausstellte. Wie Tiere. Frank liest den Text dazu und kann es nicht glauben.
Orte, die an die Verbrechen der Kolonialzeit erinnern, gibt es in Deutschland kaum. Straßen tragen weiterhin Namen von Militärs und Politikern aus dieser Zeit. Zivilgesellschaftliche Gruppen kämpfen dafür, diese umzubenennen. Seit Jahren verhandelt Deutschland zum Beispiel mit Namibia über Wiedergutmachung an den Stämmen der Herero und Nama. In Berlin erinnert an den Völkermord nur ein kleiner Stein.
"Hier gibt es einen Findling, der heißt Herero-Stein."
"Einen Findling?"
"Ja, der heißt Herero-Stein und daneben ist eine Gedenktafel."
"Da müssen Sie hier durchgehen. Rechts, da mal am besten gucken."
"Einen Findling?"
"Ja, der heißt Herero-Stein und daneben ist eine Gedenktafel."
"Da müssen Sie hier durchgehen. Rechts, da mal am besten gucken."
Stahlhelme auf dem Friedhof
Der Gärtner glaubt den Weg zu kennen, schickt mich die Hauptachse auf dem Neuen Garnisonsfriedhof im Berliner Stadtteil Neukölln hinunter. Die führt zu einer großen Skulptur. Ein gefallener Soldat. Auf dem Leichentuch, das den Körper verhüllt, liegt ein Stahlhelm. Aus dem Tuch ragt eine geballte Faust heraus.
"Ich suche den Herero-Stein. Wissen Sie, wo der ist?"
"Hier gerade durch, dann links halten und wieder ein Stück gerade durch. Da ist ein kleiner Weg, große Fläche mit verschiedenen Gedenksteinen. Da müsste der bei sein."
"Hier gerade durch, dann links halten und wieder ein Stück gerade durch. Da ist ein kleiner Weg, große Fläche mit verschiedenen Gedenksteinen. Da müsste der bei sein."
Also zurück. Vorbei an zwei Gräberfeldern lande ich erst wieder beim Gärtner, schließlich bei seiner Kollegin.
"Ich hab jetzt gegoogelt. Am äußersten Rand, grenzt ans Columbiabad."
"Das ist dahinten. Wir gehen einfach mal zusammen."
"Ich weiß, welcher das ist, da ist er."
"Das ist dahinten. Wir gehen einfach mal zusammen."
"Ich weiß, welcher das ist, da ist er."
Großer Findling, kleine Gedenktafel
Eigentlich sind es zwei. Denn der Findling erinnert gar nicht an die Herero, sondern an die deutschen Soldaten, die auf dem Feldzug von 1904 bis 1907 den "Heldentod" starben. So steht es hier in Stein gemeißelt. Schräg links darunter ist eine kleine Gedenktafel in den Boden eingefasst. Darauf steht: "Zum Gedenken an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia 1884-1915, insbesondere des Kolonialkrieges von 1904-1907".
80.000 Herero und Nama kamen bei diesem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts ums Leben.
"Da ist auch die Karte von Afrika. Ja hätten'se auch nochmal n bisschen mehr Platz machen können dafür."
Die Grabpflegerin kannte die Gedenktafel, die Geschichte dahinter nicht. Sie findet sie - gemessen an der Zahl der Toten - beschämend klein.