Wem gehört der Parthenon-Fries?

Von Wolfgang Herles |
Seit ein paar Tagen gibt es einen Grund mehr, nach Athen zu reisen. Das neue Akropolis-Museum ist nicht nur das modernste, sondern auch schönste archäologische Museum der Welt. Das oberste Stockwerk, ein Kubus aus schwarzem Glas, ist genau so ausgerichtet wie der Tempel des Parthenon nur 300 Meter davon entfernt auf dem Burgfelsen.
Wie einst oben an der Cella des Tempels, umschließt der einzigartige, 160 Meter lange Fries das Rechteck des Gebäudes. Dazu kommen die Skulpturen der Giebel und die Reliefplatten des äußeren Gebälks, die Metopen. Und wenn sich dieses gewaltige Kunstwerk in den schwarzen Scheiben vor der wirklichen Akropolis spiegelt, beide optisch wieder zueinanderfinden, ist der Eindruck überwältigend.

Wie wesentlich ist es da noch, dass nur ein Teil der Museumsstücke original sind, mehr als die Hälfte der marmornen Pracht hingegen nur Abgüsse der Originale im Britischen Museum? Eigentlich fast gar nicht. Der Geist des Originalschauplatzes überträgt sich auf das Ganze.

Doch sehen die Griechen im Akropolis-Museum einen nationalen Schrein und ein Mahnmal. Aller Welt soll demonstriert werden, dass da etwas fehle, was allein hierhin gehöre. Zumal ein Hauptargument der Briten sich erledigt hat, dass nämlich Athen nicht in der Lage sei, die Kunstwerke sicher zu bewahren und auszustellen.

Großbritanniens Botschafter, der Earl of Elgin, hatte sie vor 200 Jahren abtransportieren lassen, mit Genehmigung der damaligen Behörden des Landes. Griechenland war damals kein Staat, sondern Teil des Osmanischen Reichs. Von Kunstraub kann keine Rede sein.

Bei der Museumseröffnung betonten die führenden griechischen Politiker, die Rückgabe sei nicht verhandelbar, auf alles andere könne verzichtet werden, nur auf die Elgin Marbles Nicht. Die Begründung dieses Anspruchs ist jedoch widersprüchlich. Einerseits wird immer wieder betont, dass der von der Erfindung der Demokratie zeugende Schatz der ganzen Menschheit gehöre. Andererseits gelten die Marmorblöcke des Parthenon als die heiligste Reliquie des griechischen Nationalbewusstseins. Das passt nicht zusammen.

Das Weltkulturerbe der Antike gehört in der Tat der Menschheit – und deshalb in die großen Museen dieser Welt. Alles andere ist Geschichtsklitterung.

Alle Staaten, die in Europa im 19. Jahrhundert entstanden, brauchten Mythen, die eine lange kontinuierliche Geschichte heraufbeschworen und den Nationalismus ideologisch-propagandistisch begründeten. Die meisten dieser Mythen waren mehr oder weniger Märchen, wie etwa in Deutschland die Legende, die aus dem römischen Offizier Arminius den Volksbefreiungshelden Herrmann machte. Ethnisch gesehen hatten die Griechen des 19. Jahrhunderts mit den Griechen des Altertums kaum noch etwas zu tun. Es war eine Mischbevölkerung mit einer den Türken eng verwandten Kultur. Aber der Gründungsmythos des Landes, das sich im Kampf aus dem Osmanischen Reich löste, musste die direkte Abstammung von den alten Griechen behaupten. Das wirkt heute anachronistisch und reaktionär. Zumal im vereinten Europa, zu dessen geistigen Wurzeln die griechische Antike zählt.

Die Griechen sollten froh sein, überhaupt in die EU aufgenommen worden zu sein. Streng historisch betrachtet, hätte Griechenland nicht anders als die Türkei behandelt werden dürfen. Zum Glück für Athen waren aber die romantischen Vorstellungen von der Antike in Europa noch immer lebendig.
Lässt sich Kunstbesitz überhaupt in einen allgemein gültigen und gerechten Urzustand zurück versetzen?

Natürlich nicht. Wo sollte das auch enden? Soll etwa Italien die Obelisken an Ägypten zurückerstatten, die seit 2000 Jahren schon die Plätze Roms zieren? Soll Deutschland den Ägyptern die Büste der Nofratete aushändigen, was Ägypten heftig fordert, oder den Griechen den Pergamonaltar, der übrigens nach dem letzten Krieg auch schon einmal nach Russland und wieder zurück transportiert worden war? Gehörte er wirklich den Griechen oder doch eher der Türkei, auf dessen heutigem Territorium er einst stand?

Selbstverständlich gibt es keinen Freibrief für künftige Raubzüge. Seit 1907 ist der Abtransport von Kulturgütern im Krieg verboten. Deshalb bleibt die Rückgabe der im Zweiten Weltkrieg geraubten Kunst ebenso ein Thema wie die Restitution privaten Eigentums aus dieser Zeit.

Was aber nun mit der Marmorkunst vom Parthenon?

Briten! Schickt sie nach Athen – als Leihgaben für eine einzigartige Ausstellung im neuen Akropolis-Museum! Das aber kann erst geschehen, wenn Griechenland auf seine Besitzansprüche verzichtet.
Und Griechen! Stellt dem Britischen Museum Kopien der eigenen Parthenonoriginale zur Verfügung. Dann hätte die Menschheit gleich zwei quasi komplette Sätze dieses wunderbaren Erbes. Wäre das nicht die beste Lösung?

Wolfgang Herles studierte Neuere deutsche Literatur, Geschichte und Psychologie in München. Nach seiner Promotion 1980 und dem Besuch der Deutschen Journalistenschule war er zunächst Korrespondent für den Bayerischen Rundfunk in Bonn und Redakteur des TV-Magazins "Report". Von 1987 an leitete er das ZDF-Studio Bonn und moderierte später auch die ZDF-Talkshow ‘Live’. Er ist jetzt Leiter des ZDF-Kulturmagazins "aspekte".
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