Die Grenze des Artenschutzes
An der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze in der Nähe von Göttingen streiten Umweltschützer und Landwirte über das Grüne Band, ein Naturschutzgroßprojekt. Die Besitzer des Landes befürchten Enteignungen. Johannes Kulms hat sich für die Reihe "Wem gehört Deutschland?" in der einstigen Grenzregion umgehört.
Sattes Grün und der Duft von sommerlicher Natur. Die Hügel steigen mal sanft, mal steil an. Noch ist das hier Niedersachsen.
"Und jetzt machen wir was, was vor 25 Jahren wahrscheinlich tödlich geendet hätte: Wir machen den Grenzübertritt nach Thüringen."
Holger Keil läuft auf einen grasüberwucherten Betonweg zu – Den ehemaligen Kolonnenweg der zu. Keil ist Geschäftsführer der Heinz-Sielmann-Stiftung.
Wie hier, nahe Duderstadt, war der streng bewachte Todesstreifen für die Menschen ein fast unüberwindbares Bollwerk. Für die Natur bot die deutsch-deutsche Grenze ein besonderes Refugium – über die Jahrzehnte entstand ein Grünes Band.
Grenzstreifen als ökologische Nische
Auf DDR-Seite hatte man im Todesstreifen viele Sträucher und Bäume besonders kurz gehalten, um flüchtende DDR-Bürger schneller zu entdecken. Für die Menschen eine tödliche Gefahr. Für die Tiere eine besonders wertvolle Fläche und eine ökologische Nische, erklärt Holger Keil.
"Hier selber, wo wir gerade stehen, haben wir eine relativ große Population der Zauneidechse. Gerade vom Südharz bis zum Thüringer Wald mit der hügeligen Landschaft ist das ein ganz wichtiger Wanderkorridor der Wildkatze."
Seit mehr als 11 Jahren treibt die Stiftung ein besonderes Vorhaben voran, um den wertvollen Lebensraum zu bewahren. "Das Naturschutzgroßprojekt Grünes Band Eichsfeld-Werratal." 130 ehemalige Grenz-Kilometer lang soll das Projekt einmal werden. 276 auf der Roten Liste stehende Tier- und Pflanzenarten wurden hier in den vergangenen drei Jahren ausgemacht.
Das geplante Projekt verläuft durch die drei Bundesländer Niedersachsen, Thüringen und Hessen durchlaufen. Wenn alles gut läuft, wird die Sielmann-Stiftung noch in diesem Jahr die Fördermittel beim Bundesamt für Naturschutz beantragen. Dann könnte die Umsetzung losgehen.
Doch ob das Projekt so wie geplant überhaupt zustande kommt, ist fraglich. Denn dafür müssten die Eigentümer der betroffenen Flächen grünes Licht geben. 9.600 Hektar ist das Projektgebiet groß. Fast die Hälfte davon gehört Privateigentümern. Die benötigten Gebiete sollen entweder aufgekauft oder gepachtet werden.
Starker Widerstand in Südniedersachsen
Seit rund zwei Jahren gibt es vor allem in Südniedersachsen verstärkt Widerstand gegen die Naturschutzpläne. Keil kann die Sorge von Waldbesitzern, Jägern und Landwirten nachvollziehen: Schließlich würden landwirtschaftliche Flächen in Deutschland immer stärker ins Interesse von Investoren geraten.
"Und wenn man jetzt als Naturschützer sagt, na ja, wir nehmen ein öffentliches Förderprogramm in Anspruch. Wir wollen Geld in die Region bringen, wir wollen aber auch mit dem Geld Flächen kaufen, um einfach Naturschutz machen zu können und zu dürfen, dann ist man natürlich schon in einer Konkurrenzsituation mit den bisherigen Landnutzern. Das ist einfach so."
"Wir sehen hier, dass sich die Kühe hervorragend in den Liegenboxen wohlfühlen."
Jens Luthin ist Milchviehhalter. Sein Hof liegt in Weißenborn nahe Göttingen. Nur wenige hundert Meter hinter dem Ort verläuft die ehemalige deutsch-deutsche Grenze. Heute besitzt Luthin landwirtschaftliche Flächen sowohl in Niedersachsen als auch in Thüringen. Vom Naturschutzgroßprojekt Grünes Band hält der Landwirt gar nichts.
"Und für Milchvieh ist da keinerlei Planungssicherheit oder irgendwas drinne. Weil wir auf Flächen arbeiten, wo wir die sehr intensiv nutzen müssen. Und für uns gibt's keine Extensivierungsmöglichkeit in unserem Betrieb, wo wir sagen, davon können wir also existieren."
Luthin könnte gleich mehrere Hektar seiner Fläche an die Sielmann-Stiftung verkaufen oder für das Projekt langfristig verpachten. Doch das lohne sich für ihn finanziell nicht, sagt der Landwirt. Auch die ökologische Landwirtschaft, die im geplanten Naturschutzgroßprojekt oder teilweise betrieben werden soll, ist für ihn keine Alternative. Und noch aus einem anderen Grund ist er gegen das Projekt.
"Das gehört hier nicht hin. An dieser Stelle, an der ehemals Grenze war und die Leute über 40 Jahre Nachteile hatten, da fragen wir uns, warum wir denn schon wieder. Wir möchten doch auch nur leben wie Menschen in Deutschland – die an normalen Landesgrenzen!"
Hunderte Unterschriften wurden gesammelt
Das Göttinger Landvolk – die Interessenvereinigung der regionalen Landwirte – hat in den letzten Monaten hunderte Unterschriften bei seinen Mitgliedern gegen das Projekt gesammelt. Doch grundsätzlich gehe es dem Verband nicht darum, dass Projekt vollkommen zum Scheitern zu bringen, sagt der Landvolk-Vorsitzende Hubert Kellner.
"Und da sind wir auf dem jetzigen Zeitpunkt so, dass wir sagen, Nein, so nicht. Aber alle Akteure an einen Tisch, vielleicht finden wir ja auch einen vernünftigen Weg, wie es gehen kann."
Es gehe bei der Diskussion über das Naturschutzgroßprojekt vor allem um eines: Vertrauen aufzubauen. Das sagen sowohl die Bauern wie auch Holger Keil von der Heinz Sielmann-Stiftung. Immer wieder hat das Landvolk Göttingen der Sielmann-Stiftung vorgeworden, für das Naturschutzprojekt notfalls auch Flächen zwangsenteignen zu wollen – ein sensibles Thema im ehemaligen Grenzgebiet.
Naturschützer Keil hält dagegen: Die Teilnahme am Projekt sei freiwillig, niemand werde zur Flächenabgabe gezwungen. Der Stiftung bleibe nur die Möglichkeit, Überzeugungsarbeit zu leisten und mit den Flächeneigentümern zu verhandeln. Und falls sich in den nächsten Monaten nicht ausreichend Unterstützer finden?
"Also, es wäre keine ökologische Katastrophe, wenn das Naturschutzgroßprojekt nicht kommt. Es wäre aber dennoch für die Region und für das Grüne Band ein Verlust. Weil das Schwinden unserer Artenvielfalt, das ist ja nicht gestoppt bundesweit. Sondern es schreitet ja fort. Umso wichtiger wäre es eigentlich auch, dem mit solchen Projekten entgegen zu wirken."
Wo beginnt eine Grenze und wo endet sie? Diese Frage scheint auch 25 Jahre nach dem Mauerfall gar nicht so einfach zu beantworten.
Sechs Reporter sind in dieser Woche fürs Deutschlandradio unterwegs und fragen: Wem gehört Deutschland? - Ihre Berichte können Sie vom 28. April bis zum 3. Mai jeweils um 8:40 Uhr in der "Ortszeit" hören. Weitere Informationen zur Reportagereise finden Sie im Blog Wem gehört Deutschland?