Wem gehört Johann Gregor Mendel?
Das Hauptwerk des mährisch - schlesischen Forschers - würde vermutlich bei einer Auktion locker eine Million Euro oder mehr einbringen. Alle Beteiligten, einschließlich der entzweiten Familienerben, beteuern indes, es gehe ihnen nicht um den materiellen, sondern allein um den ideellen Wert des Gegenstands.
Besagter Gegenstand - das Hauptwerk des mährisch - schlesischen Forschers - würde vermutlich bei einer Auktion locker eine Million Euro oder mehr einbringen. Alle Beteiligten, einschließlich der entzweiten Familienerben, beteuern indes, es gehe ihnen nicht um den materiellen, sondern allein um den ideellen Wert des Gegenstands.
Das vom Stuttgarter Kultusministerium im Sommer erlassene einstweilige Ausfuhrverbot für das Mendel-Werk kam im letzten Moment. Das Dokument steckte schon in der Aktentasche des Regionalvikars des Wiener Augustinerordens, um von ihm in die österreichische Hauptstadt gebracht zu werden.
Die Wiener Augustiner tragen ihre Eigentumsansprüche recht robust vor, obwohl das Manuskript seit 1922 nachweislich dem Brünner "Naturforschenden Verein" gehörte. Davor war es rechtmäßiges Eigentum des Brünner deutsch - jüdischen Mendelbiographen Hugo Iltis.
Nach 1945 fiel der gesamte Besitz des ‚Naturforschenden Vereins‘, da deutschsprachig, unter die Enteignungsdekrete des Präsidenten Beneš, obwohl sich dieser Gelehrtenclub niemals der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten gebeugt hatte.
Die gegenwärtige diplomatische Vorsicht ist daher nachvollziehbar: Denn eine direkte Forderung seitens der Tschechischen Republik zur Herausgabe, wäre nur durch Geltendmachung der Beneš – Dekrete begründbar und zwar in Deutschland. Das wäre ein Novum, zumal das offizielle Prag nicht müde wird, zu betonen, diese Nachkriegserlasse hätten heute auch in Tschechien keine praktische Rechtswirksamkeit mehr. Was jedoch nicht stimmt.
Obwohl es klare Erwartungen aus der tschechischen Naturwissenschaftler – Community, Publizistik und einzelner Politiker, nach "Rückführung" des kostbaren Schriftstücks nach Tschechien gibt, scheint das offizielle Prag zur Zeit lieber auf einen Erfolg der Wiener Augustiner zu setzen, um sich später mit ihnen - etwa durch einen günstigen Kuhhandel - zu einigen. Mit dem Ergebnis, dass Brünn, das heutige Brno, Heimstatt des Original - Dokuments wird.
Dennoch: Entspräche es nicht der Natur der Dinge, das Mendelsche Manuskript in der Stadt zu verwahren, in der dieser geniale Mönch einst seine Entdeckungen machte? Zweifel sind angebracht.
Denn der kulturelle und sprachliche Kontext, aus dem heraus Mendel wirkte, existiert nicht mehr. Er wurde mit Stumpf und Stil ausgemerzt. Es gibt sie nicht mehr: Kein Heinzendorf, in dem Mendel geboren wurde, das heutige Hynčice. Kein Odrau, Troppau, Olmütz oder Brünn, Orte die den Lebensweg des großen Forschers markierten. Es geht nicht nur um verlorene Ortsnamen. Die Zwangsumsiedlung der über drei Millionen deutschen Bewohner - zu denen selbstverständlich auch alle Nachkommen der Familie Mendel gehörten - hat nicht nur ihren Orten, sondern dem ganzen, einst zweisprachigen, Land die Seele geraubt.
Selbst Johann Gregor Mendel verlor in den Nachkriegsjahrzehnten seine Vornamen. Sogar in wissenschaftlichen Publikationen wurde er mit ihren tschechischen Pendants - Jan Řehoř - versehen, was der Verschleierung seiner deutschen Herkunft diente. Nur in ethnisch berichtigter Form wollte man sich mit seinem Ruhm schmücken.
Die düstere Historie müsste dennoch nicht Grund sein, mit der Übergabe des Manuskripts nach Brünn zu zögern. Gäbe es nicht die widersprüchliche Gegenwart, in der der ethnische Reinheitswahn der Nachkriegszeit mit seinen pathologischen Zügen nachwirkt.
Die auch bei den Bildungsschichten bis heute weit verbreitete kollektive Gedächtnisstörung und Ignoranz gegenüber der deutsch – tschechischen Symbiose, von der das Land ein ganzes Jahrtausend geprägt war, ist Ergebnis eines schon seit anderthalb Jahrhunderten tradierten Geschichtsverständnisses, das die tschechische Geschichte konsequent völkisch ausgelegt - als ewigen Kampf von Tschechen und Deutschen.
Seit den Umbrüchen von 1989 wird die deutsch – tschechische Vergangenheit in den böhmischen Ländern zwar nicht mehr geleugnet, aber nur kleingedruckt zugegeben, oft verschleiert, indem alle kulturellen, zivilisatorischen, wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften als die schon immer eigenen präsentiert, bei Bedarf auch vermarktet werden.
Da fast immer der Hinweis fehlt, es handele sich um Dinge, die von den Vorfahren später vertriebener Deutschböhmen erschaffen wurden, wirken solche Präsentationen wie ein - sich mit – fremden - Federn - Schmücken. Ähnliches könnte leicht dem Mendel-Manuskript passieren.
Geschichtssensible Menschen in Tschechien haben das Problem längst erkannt. Es berührt schließlich Grundfragen der tschechischen Identität. Sie scheinen den Verlust und Schmerz zu spüren, der durch die Vertreibung ihrer deutschen Landsleute, nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch ihnen entstand. Eine Minderheitsmeinung, noch, die versucht, sich durchzusetzen. Ein nationaler Diskurs über dieses zentrale Thema steht noch aus.
Die Annahme, dass Mendels Manuskript doch nach Brünn gehört, behält ihre Gültigkeit. Seine "Rückführung" zum jetzigen Zeitpunkt, bedeutete aber den Export in ein Land, das sich seiner bi-kulturellen Bindung viel zu wenig bewusst ist und somit noch weit entfernt ist von sich selbst.
Richard Szklorz wuchs in der Nachkriegs-Tschechoslowakei auf. Er lebt schon seit Jahrzehnten in Berlin, dort arbeitet er als Journalist.
Das vom Stuttgarter Kultusministerium im Sommer erlassene einstweilige Ausfuhrverbot für das Mendel-Werk kam im letzten Moment. Das Dokument steckte schon in der Aktentasche des Regionalvikars des Wiener Augustinerordens, um von ihm in die österreichische Hauptstadt gebracht zu werden.
Die Wiener Augustiner tragen ihre Eigentumsansprüche recht robust vor, obwohl das Manuskript seit 1922 nachweislich dem Brünner "Naturforschenden Verein" gehörte. Davor war es rechtmäßiges Eigentum des Brünner deutsch - jüdischen Mendelbiographen Hugo Iltis.
Nach 1945 fiel der gesamte Besitz des ‚Naturforschenden Vereins‘, da deutschsprachig, unter die Enteignungsdekrete des Präsidenten Beneš, obwohl sich dieser Gelehrtenclub niemals der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten gebeugt hatte.
Die gegenwärtige diplomatische Vorsicht ist daher nachvollziehbar: Denn eine direkte Forderung seitens der Tschechischen Republik zur Herausgabe, wäre nur durch Geltendmachung der Beneš – Dekrete begründbar und zwar in Deutschland. Das wäre ein Novum, zumal das offizielle Prag nicht müde wird, zu betonen, diese Nachkriegserlasse hätten heute auch in Tschechien keine praktische Rechtswirksamkeit mehr. Was jedoch nicht stimmt.
Obwohl es klare Erwartungen aus der tschechischen Naturwissenschaftler – Community, Publizistik und einzelner Politiker, nach "Rückführung" des kostbaren Schriftstücks nach Tschechien gibt, scheint das offizielle Prag zur Zeit lieber auf einen Erfolg der Wiener Augustiner zu setzen, um sich später mit ihnen - etwa durch einen günstigen Kuhhandel - zu einigen. Mit dem Ergebnis, dass Brünn, das heutige Brno, Heimstatt des Original - Dokuments wird.
Dennoch: Entspräche es nicht der Natur der Dinge, das Mendelsche Manuskript in der Stadt zu verwahren, in der dieser geniale Mönch einst seine Entdeckungen machte? Zweifel sind angebracht.
Denn der kulturelle und sprachliche Kontext, aus dem heraus Mendel wirkte, existiert nicht mehr. Er wurde mit Stumpf und Stil ausgemerzt. Es gibt sie nicht mehr: Kein Heinzendorf, in dem Mendel geboren wurde, das heutige Hynčice. Kein Odrau, Troppau, Olmütz oder Brünn, Orte die den Lebensweg des großen Forschers markierten. Es geht nicht nur um verlorene Ortsnamen. Die Zwangsumsiedlung der über drei Millionen deutschen Bewohner - zu denen selbstverständlich auch alle Nachkommen der Familie Mendel gehörten - hat nicht nur ihren Orten, sondern dem ganzen, einst zweisprachigen, Land die Seele geraubt.
Selbst Johann Gregor Mendel verlor in den Nachkriegsjahrzehnten seine Vornamen. Sogar in wissenschaftlichen Publikationen wurde er mit ihren tschechischen Pendants - Jan Řehoř - versehen, was der Verschleierung seiner deutschen Herkunft diente. Nur in ethnisch berichtigter Form wollte man sich mit seinem Ruhm schmücken.
Die düstere Historie müsste dennoch nicht Grund sein, mit der Übergabe des Manuskripts nach Brünn zu zögern. Gäbe es nicht die widersprüchliche Gegenwart, in der der ethnische Reinheitswahn der Nachkriegszeit mit seinen pathologischen Zügen nachwirkt.
Die auch bei den Bildungsschichten bis heute weit verbreitete kollektive Gedächtnisstörung und Ignoranz gegenüber der deutsch – tschechischen Symbiose, von der das Land ein ganzes Jahrtausend geprägt war, ist Ergebnis eines schon seit anderthalb Jahrhunderten tradierten Geschichtsverständnisses, das die tschechische Geschichte konsequent völkisch ausgelegt - als ewigen Kampf von Tschechen und Deutschen.
Seit den Umbrüchen von 1989 wird die deutsch – tschechische Vergangenheit in den böhmischen Ländern zwar nicht mehr geleugnet, aber nur kleingedruckt zugegeben, oft verschleiert, indem alle kulturellen, zivilisatorischen, wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften als die schon immer eigenen präsentiert, bei Bedarf auch vermarktet werden.
Da fast immer der Hinweis fehlt, es handele sich um Dinge, die von den Vorfahren später vertriebener Deutschböhmen erschaffen wurden, wirken solche Präsentationen wie ein - sich mit – fremden - Federn - Schmücken. Ähnliches könnte leicht dem Mendel-Manuskript passieren.
Geschichtssensible Menschen in Tschechien haben das Problem längst erkannt. Es berührt schließlich Grundfragen der tschechischen Identität. Sie scheinen den Verlust und Schmerz zu spüren, der durch die Vertreibung ihrer deutschen Landsleute, nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch ihnen entstand. Eine Minderheitsmeinung, noch, die versucht, sich durchzusetzen. Ein nationaler Diskurs über dieses zentrale Thema steht noch aus.
Die Annahme, dass Mendels Manuskript doch nach Brünn gehört, behält ihre Gültigkeit. Seine "Rückführung" zum jetzigen Zeitpunkt, bedeutete aber den Export in ein Land, das sich seiner bi-kulturellen Bindung viel zu wenig bewusst ist und somit noch weit entfernt ist von sich selbst.
Richard Szklorz wuchs in der Nachkriegs-Tschechoslowakei auf. Er lebt schon seit Jahrzehnten in Berlin, dort arbeitet er als Journalist.