Wende in der DDR

Gefallene Opposition

Versammlung im Januar 1990 am Zentralen Runden Tisch im Konferenzgebäude des Ministerrates der DDR am Schloss Niederschönhausen (heute Schönhausen) in Berlin-Pankow.
Versammlung im Januar 1990 am Zentralen Runden Tisch im Schloss Niederschönhausen in Berlin-Pankow. © picture alliance / dpa-ZB / Peer Grimm
Von Stephan Hilsberg · 05.02.2015
Als Anfang 1990 beschlossen wurde, die Volkskammerwahl vom 6. Mai auf den 18. März vorzuziehen, hätten die DDR-Bürgerrechtler Verantwortung gezeigt, meint Stephan Hilsberg. Allerdings war der Preis hoch – sie wurden anschließende politisch bedeutungslos.
Die Öffnung der Berliner Mauer war die Kapitulationserklärung der SED und der eigentliche Sieg der friedlichen Revolution 1989. Niemand aber von denen, die diese angestoßen hatten, konnte die Macht, die der SED verloren ging, sofort übernehmen. Dafür gab es gute Gründe.
Manche wollten mit Macht grundsätzlich nichts zu tun haben, andere waren sich über ihr politisches Konzept nicht im Klaren, wieder andere fühlten sich zu schwach zum Regieren. Einige wiederum drängte es an die Macht; doch wäre es nicht klug gewesen, sie zu lassen.
Am Beispiel der damals neu gegründeten sozialdemokratischen Partei in der DDR kann man diese Gemengelage gut studieren. Sie hatte innerhalb der oppositionellen Szene das am weitesten entwickelte Konzept. Doch war sie noch sehr klein, kannte ihre eigenen Leute nicht und hatte keinerlei Verwaltungserfahrung.
Die SED war zwar entmachtet, aber unverzichtbar – letztlich als Folge ihrer eigenen Politik, hatte sie doch wirksam den Aufbau einer Gegenelite torpediert. Ein Putsch aber, den zu wagen sich Kommunisten nicht gescheut hätten, verbot sich der Opposition, weil es ja gerade ihr Ziel war, dass die Bürger auf demokratischem Wege selbst über ihre Zukunft bestimmten sollten.
Schon bald wurde die deutsche Einheit gefordert. Ein Mandat, sie auszuhandeln, konnten die Bürger aber nur demokratisch legitimierten Politikern erteilen. Zunächst also ging es darum, die DDR zu demokratisieren, die Opposition einzubinden, freie Wahlen vorzubereiten – und die Entstaatlichung aufzuhalten.
Dem Land eine Zukunft geben
Die Maueröffnung löste eine bis dahin ungekannte Massenflucht in den Westen aus, was dazu führte, dass Betriebe und Versorgungseinrichtungen wie das Gesundheitswesen nicht weiterarbeiten konnten. Nur wenn sich die Ostdeutschen nicht mehr vor ihren Behörden fürchteten, würden sie bleiben und dem Land eine Zukunft geben.
Aus diesen Gründen wurde der Runde Tisch geschaffen, eine aus Polen stammende Idee, die Willy Brandt bereits in den ersten Tagen der friedlichen Revolution angeregt hatte. Und dieses Konzept ging auf. Die DDR stabilisierte sich und begann totalitäre Strukturen abzustreifen.
Doch auch die alten Kräfte erhielten eine Atempause und stellten sich neu auf. Die SED wandelte sich zur PDS, die Blockparteien CDU und LDPD suchten die Nähe ihrer westdeutschen Schwestern. Während dessen verlor die Opposition gewaltig an Einfluss. Das "Neue Forum" beispielsweise vermochte sich nicht zu halten.
Es war ein Fehler, sich noch vor den Neuwahlen an der Macht zu beteiligen und dem Ministerrat unter Hans Modrow beizutreten. Gleichzeitig nämlich stieg die Ost-CDU aus der Regierungsverantwortung aus und konnte so die Weichen für ihre Renaissance stellen – bei der Volkskammerwahl am 18. März 1990.
Die Akteure der friedlichen Revolution unterlagen letztlich in der Wählergunst, obschon sie die SED besiegt und Ostdeutschland auf den Weg zur Demokratie gebracht hatten. Es bleibt ihr Verdienst, dass die notwendige Übergangszeit von fünf Monaten gelang und der Prozess zur staatlichen Einheit Deutschlands so harmonisch verlief.

Stephan Hilsberg, 1956 im brandenburgischen Müncheberg geboren, arbeitete in der DDR als Informatiker. Am Beginn der friedlichen Revolution 1989 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der ostdeutschen SPD. Hilsberg gehörte der letzten und frei gewählten Volkskammer 1990 an. Anschließend war er Bundestagsabgeordneter bis 2009. Heute ist er selbständig als Autor und Publizist tätig.

Stephan Hilsberg, Mitbegründer der ostdeutschen SPD 
© picture alliance / dpa / Foto: Karlheinz Schindler
Mehr zum Thema