Über 7000 Kilometer von der untergegangenen DDR entfernt
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In Los Angeles lagert eine der weltweit größten Sammlungen von Hinterlassenschaften der DDR. Sogar Margot Honecker übergab dem Wende Museum Dokumente. Wie es dazu kam und warum der exotische Standort auch Vorteile hat, zeigt ein Besuch vor Ort.
"Tatsächlich stammt Justin Jampol, der Gründer des Museums, aus Los Angeles. Für seine Dissertation an der Universität Oxford begann er, einige sozialistische Artefakte als Belegsammlung zusammenzutragen. Doch als er sie dann an ein Museum spenden wollte, fand er keines, das Interesse gehabt hätte. Also dachte er sich: dann mache ich eben selbst eins auf", erklärt der aus den Niederlanden stammende Kurator Joes Segal.
Am Beginn stand der Wunsch, Artefakte aus den untergegangenen sozialistischen Staaten zu sichern und zukünftiger Forschung zugänglich zu machen. So entstand 2002 über 7000 Kilometer von der untergegangenen DDR entfernt in Los Angeles ein Wende Museum - international vernetzt, gemeinnützig, mit privater Finanzierung und freiem Eintritt. 16.000 Besucherinnen und Besucher zählte das Museum im ersten Halbjahr 2019.
Ihre Ausstellungsstücke haben die Museumsgründer von Anfang an aus Spenden und Ankäufen von Privatleuten erhalten. Das Spektrum reicht von Autos und Kunstwerken über Heimvideos und Akten bis hin zu Alltagsgegenständen aller Art. Besucher, die selbst in der DDR gelebt haben, können hier in Los Angeles selbst Handpuppen aus der eigenen Kindheit wiedersehen.
"Wir bekommen viele Angebote von Menschen, die die sozialistische Periode in Europa miterlebt haben", erklärt Joes Segal. "Manche wollen ihre Sachen einfach nur loswerden. Andere jedoch suchen gezielt einen Ort, an dem der Umgang mit ihren Objekten und ihrer Geschichte von einer gewissen Objektivität und persönlicher Distanz geprägt ist. Der geografische Abstand zu Deutschland hat dem Museum also sogar geholfen."
Museumsname soll den Wandel in der Geschichte betonen
Ehemalige DDR-Grenzer am Checkpoint Charlie und sogar Margot Honecker übergaben dem Museum Dokumentensammlungen auch aufgrund dieser räumlichen Distanz. Etwa 50.000 Artefakte im Besitz des Museums stammen aus der DDR, das ist die Hälfte des Gesamtbestandes. Darauf soll auch der deutsche Name "Wende Museum" hinweisen. Gleichzeitig betone der Name den Wandel in der Geschichte, den das Museum laut Segal als Fokus beansprucht.
Ein solches Museum in den USA – das könnte leicht ein Kuriositätenkabinett einer untergegangenen Welt sein. Doch das ist es nicht, denn es hat einen eigenen theoretischen Ansatz in der Auseinandersetzung mit der Welt der ehemals kommunistischen Staaten.
"Auf der anderen Seite ist es natürlich schon schade, dass das Archiv nun so weit weg ist von den Leuten, die es sozusagen betrifft", bedauert Juliane Fürst. Sie ist Kommunismus-Forscherin und Abteilungsleiterin im Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Helfen könnte die Digitalisierung von Sammlungen und Ausstellungskatalogen, die auch das Wende Museum zum Teil schon betreibt.
Sie kennt das Museum in Los Angeles. Denn vor ihrer Tätigkeit in Potsdam hat sie eine Sammlung zur sowjetischen Hippiebewegung zusammengetragen und im Wende Museum ausgestellt. Ohne einen Ort außerhalb der ehemaligen UdSSR wäre ihr Projekt nicht zustande gekommen, auch wegen der russischen Geschichtspolitik. Die gebürtige Münchnerin kennt die Vorwürfe von russischen Kollegen, aber auch von Zeitzeugen und deren Nachkommen: Weil die sowjetische Geschichte nicht die ihrige sei, könne sie nichts dazu sagen. Fürst nahm diesen Gedanken ernst, wies ihn aber schließlich zurück.
"Ich kann etwas darüber sagen, einfach weil ich mich sehr, sehr lange in die Materie und mit sehr viel Respekt reingehängt habe. Ich hab mich auch damit auseinandergesetzt: Was hat mich eigentlich dazu bewogen, dieses Thema so lange zu verfolgen? Was in meiner eigenen Geschichte, in meiner eigenen Biografie hat mich überhaupt dazu gebracht, Russlandhistorikerin zu werden? Weil ich glaube, dass das alles schon einen Einfluss auf meine Interpretation hat."
Vielzahl widersprüchlicher Erfahrungen mit der DDR
Juliane Fürst ist zu der Überzeugung gelangt: Gerade das Zulassen und Betrachten von Widersprüchlichkeiten in der Geschichte des eigenen Landes kann durch die eigene Herkunft oder Sozialisation auch erschwert werden.
"Die Annahme zum Beispiel, jemand, der nicht aus dem Osten kommt, könnte nicht über den Osten schreiben. Oder jemand der nicht aus dem Westen kommt, könnte nicht über den Westen schreiben. Oder manchmal auch die Annahme, natürlich könnten nur Westler schreiben, weil - was können denn Ossis überhaupt wissen. Es bringt nichts zu sagen, die eine Gesellschaft ist böse, die andere ist gut, weil - damit versteht man gar nichts. Im Grunde genommen ist Geschichte ja doch dazu da, dass man sich in seiner eigenen Welt besser versteht."
Die Existenz von bestimmten Hinterlassenschaften oder historischen Fakten ist ebenso wenig bestreitbar wie die Vielzahl widersprüchlicher Erfahrungen mit der DDR und dem Einigungsprozess. Dieser Gedanke spielt auch bei dem Museum in Los Angeles eine Rolle, so Joes Segal.
"Geschichte liegt nicht einfach auf der Straße herum, sondern kann und muss interpretiert werden. Dafür bilden immer sehr unterschiedliche Perspektiven die Grundlage."
Dieser multiperspektivische Ansatz wird im online zugänglichen Katalog zur Ausstellung "Questionable History – Fragwürdige Geschichte" deutlich, die 2017 im Wende Museum in Los Angeles zu sehen war. Aus sozialistischen Staaten stammende Kunstwerke und Objekte – darunter auch solche aus der Wendezeit – werden widersprüchlich interpretiert. Für Segal und das Anliegen, das er mit dem Wende Museum in Los Angeles verfolgt, ist nicht nur die persönliche Betrachtung der Ausstellungsstücke wichtig.
"Sehr wichtig finde ich, historische Materialien nicht bloß zu sammeln, sondern zum Sprechen zu bringen. Dafür muss man sie in einen zeitgenössischen Kontext einordnen."
Anstöße, um Geschichte mit Gegenwart zu verbinden
Für ihn ist das Wende Museum in Los Angeles mehr als nur ein Panoptikum exotischer Hinterlassenschaften einer untergegangenen Welt – es soll vor allem auch ein Ort sein, an dem man sich mit dieser untergegangenen Welt immer wieder neu auseinandersetzt. So wie in der Ausstellung "crumbling empires - bröckelnde Imperien", die das Wende Museum im Frühjahr 2019 zeigte. Hier wurden subversive Plakate aus den Jahren von Perestroika und Glasnost kombiniert mit zeitgenössischer Street Art von Shepard Fairy.
"Das also ist eine Möglichkeit zu zeigen, dass Gegenkultur nicht nur als Protest gegen kommunistische Regime funktionierte, sondern immer noch relevant ist und in meinen Augen auch nottut."
Der künstlerische Zugang des Wende Museums liefert Anstöße, um die Geschichte mit der Gegenwart zu verbinden. Für Juliane Fürst steht auch in Deutschland eine neue Befragung der Geschichte der Wende und der DDR an. Die Potsdamer Historikerin spürt den Wunsch nach einer Neubewertung der Geschichte der DDR, der Gründe und Folgen ihres Verschwindens.
Allein der umstrittene und umkämpfte Begriff "Wende" zeige bereits, so Juliane Fürst, "dass die Geschichte der Wende noch nicht vorbei ist. Ich glaube, dass dieses Jubiläum nicht ein Ende, sondern ein Anfang ist. Ich glaube, es ist ein Ende dieser rein historischen Erinnerung und es ist ein Anfang, um eben diese Möglichkeiten zu erschaffen, mit den Resten aus dieser sozialistischen Welt der DDR auch anders umzugehen. Sie zum Beispiel auch so zu manipulieren, dass ein neues Kunstwerk entsteht, zu sagen: was können wir mit denen in unserem heutigen Leben eigentlich noch machen?"
Das Wende Museum in Los Angeles ist weit entfernt vom Ort des historischen Geschehens – aber gedanklich ist es nah dran an diesen Fragen.