Wendland

Lob der ungehorsamen Provinz

Eine Katze sitzt in Jameln im Wendland auf dem zentralen Platz in dem historischen Rundlingsdorf.
Manche Leute suchen nur einen Haus- und Hundehüter fürs Wochende, andere sind für Monate weg, © picture alliance / dpa / Philipp Schulze
Von Alexander Budde |
Niedersachsen bietet viel Platz. In den 70er-Jahren entstand daher die Idee, dort ein nukleares Endlager einzurichten: im Wendland. Atomkraft-Gegner verbinden Widerstand und Stolz mit der Region.
Rebecca Harms: "Hier hat die allererste Sitzblockade stattgefunden. Ungefähr 20 Leute blockierten ein Bohrfahrzeug."
Rebecca Harms steht an diesem Morgen breitbeinig im Wald. In der Pose einer Feldherrin schaut sie hinüber zum Erkundungsbergwerk Gorleben. Nur einen Steinwurf entfernt, zur Lichtung hin, hat Greenpeace das Aktionsschiff "Beluga" als monströses Mahnmal aufgebockt.
Harms: "Ich habe ja eben auch viele der Leute persönlich gekannt, die sich dann für uns damals sehr überraschend entschieden haben, doch schnell zu verkaufen: Bauern und Leute, die hier kleine Waldgrundstücke geerbt haben."
Mit Geld sollten die Bauern vom Acker vertrieben werden
Koffer voll Geld: Vor bald 40 Jahren wollte die damalige niedersächsische Landesregierung unter dem CDU-Politiker Ernst Albrecht damit die Bauern dazu bewegen, sich vom Acker zu machen. Denn hier im Landkreis Lüchow-Dannenberg, einem dünn besiedelten Landstrich an der Grenze zur DDR, sollte ein nukleares Entsorgungszentrum mit unterirdischen Kavernen entstehen.
Harms: "Und wir haben dann damals, um das zu verhindern, bei einem Grundstück, das auch günstig lag auf dem Salzstock, haben wir die erste Crowdfunding-Aktion eigentlich gemacht – und haben innerhalb kürzester Zeit für mich eine unvorstellbar große Summe zusammengesammelt."
Wackelige Filmaufnahmen aus dieser Zeit: Harms als blutjunge Jeanne d´Arc der Lagerfeuer und Palisaden. Am Anfang, so raunt die Veteranin, war der Ungehorsam des Grafen gegen die allmächtig scheinende Obrigkeit.
Andreas Graf von Bernstorff: "Dann hat er mir gesagt, das wäre nun einmal so Fakt, dass die Wiederaufbereitungsanlage hier gebaut wird, und er hätte volles Verständnis dafür, dass ich das nicht so witzig fände. Aber in zwei Jahren redet da kein Mensch mehr drüber, genauso wie bei den Kernkraftwerken ..."
So hat Andreas Graf von Bernstorff eine einschlägige Begegnung mit dem damaligen Landesvater Albrecht in den Siebziger Jahren im Gedächtnis behalten. Rund 30 Millionen Mark bot die Landesregierung damals dem konservativen Aristokraten für dessen Ländereien über dem Salzstock Gorleben. Doch dieser verzichtete überraschend auf das Geld, trat aus der CDU aus und ließ sich in seiner Rebellion auch von der Drohung mit Enteignung nicht beirren.
Andreas Graf von Bernstorff: "Ich mache mir jetzt auch Gedanken darüber: Wie sieht eigentlich die Zukunft aus, ist es nun so toll, dass wir wieder die ganzen Kohlekraftwerke anschmeißen? Und wie kann man eigentlich die Energiewende durchsetzen?"
"Wir sind stolz, aus dem Wendland zu kommen"
Fried Graf von Bernstorff, der Junior, hat unlängst die Geschäfte übernommen. Auch er versteht sich mehr als Gestalter, denn als Verhinderer. Im familieneigenen Privatwald, dem größten Norddeutschlands, will der junge Graf Windmühlen betreiben. Mit Freunden hat er den Verein Wendezukunft ins Leben gerufen. Der Thinktank soll neue attraktive Formen des Landlebens entwickeln. Bürgerbeteiligung, Kreislauf, Vernetzung: Inzwischen, bemerkt Rebecca Harms, reisen Delegationen aus aller Welt in die niedersächsische Provinz, um die hier in Jahrzehnten erprobten Konzepte zu studieren.
Harms: "Ich glaube, das Wichtigste, was ich von hier mitnehme, ist die Parole Niemals aufgeben!. Weit gesteckte Ziele – und dann trotzdem jede Chance, die sich bietet, auch in kleineren Schritten oder nur in Etappen vorwärts zu kommen, das auch zu nutzen."
Sie sind alle ein wenig in die Jahre gekommen: Harms, der Graf und auch die Jungbauern, die einst mit ihren Traktoren die Gleise blockierten. Harms führt durch ihr Bauernhaus, vom Schuppen bis zur Tenne hinauf liebevoll renoviert. Durch die Fenster oben gehen Blicke über weites Land.
Harms: "Ich denke, dass in der Auseinandersetzung um die Endlagersuche die Politik die Lüchow-Dannenberger manchmal zu sehr als Nervensägen ansieht. Und dass sie nicht sehen, was für ein Wissen einerseits hier abzuholen ist, und was auch für Diskussionskultur hier vorhanden ist. Dass wir die erste Region waren, die 100 Prozent regenerativ funktioniert hat, dass wir die meisten Ökobauern haben, dass wir tatsächlich stolz sind, aus dem Wendland zu kommen - trotz Gorleben - das ist alles gut!"
Mehr zum Thema