Wendy Brown: "Mauern. Die neue Abschottung und der Niedergang der Souveränität"
Aus dem Amerikanischen von Frank Lachmann
Suhrkamp, Berlin, 2018
260 Seiten, 28,00 Euro
Inszenierter Abwehrzauber
Wendy Brown gilt als streitlustige Intellektuelle. In "Mauern" geht die Politologin der Frage nach, warum immer mehr Staaten eine Mauer bauen. Kühn bindet sie den Glauben an den Nutzen solcher Anlagen an die Vorstellung eines souveränen Staates.
"Was für eine Art von bedrohter oder beschädigter Identität, sei es die eines Subjekts oder die einer Nation, erzeugt das Verlangen nach dem Bau von Mauern?" In dieser Frage der Politologin Wendy Brown versteckt sich schon die Antwort – nun muss sie nur noch das Spektrum der – realen oder fiktiven - Bedrohungen und Beschädigungen entfalten. An die 70 solcher Wälle, Grenzbefestigungen gibt es heute, unterschiedlich gerechtfertigt, doch alle dienen – zumindest symbolisch - entweder der Abwehr oder der Einzäunung, und manchmal beidem.
Wie das Pfeifen im dunklen Wald, wie inszenierter Abwehrzauber "funktionieren die neuen Mauern oft auf theatralische Weise, indem sie eine Macht und Wirksamkeit ausstrahlen, die sie in Wahrheit weder real ausüben noch dies je tun könnten".
Kühn aber einleuchtend bindet Brown, Professorin im kalifornischen Berkeley, in ihrem im englischen Original bereits vor acht Jahren veröffentlichten Band den Glauben an den Nutzen und die Legitimität solcher Befestigungen an die – quasi-religiöse – Vorstellung eines verlässlich abgegrenzten souveränen Staates: Eine offenbare Illusion in Zeiten der Globalisierung, der Waren- und Menschenflüsse, der auch medial vermittelten multikulturellen, also "unreinen" Identitäten. Mitgeglaubt wird in dieser Vorstellung von Souveränität, das Bedrohte lasse sich schützen, bewahren – gegen die Invasion der Barbaren (so hießen ja schon im Altertum ganz selbstverständlich diejenigen, die außerhalb der Grenzen lebten). Gegen ihren Ansturm muss die eigene Leitkultur, der Volkskörper, die virtuelle Identität verteidigt werden.
Kühn aber einleuchtend bindet Brown, Professorin im kalifornischen Berkeley, in ihrem im englischen Original bereits vor acht Jahren veröffentlichten Band den Glauben an den Nutzen und die Legitimität solcher Befestigungen an die – quasi-religiöse – Vorstellung eines verlässlich abgegrenzten souveränen Staates: Eine offenbare Illusion in Zeiten der Globalisierung, der Waren- und Menschenflüsse, der auch medial vermittelten multikulturellen, also "unreinen" Identitäten. Mitgeglaubt wird in dieser Vorstellung von Souveränität, das Bedrohte lasse sich schützen, bewahren – gegen die Invasion der Barbaren (so hießen ja schon im Altertum ganz selbstverständlich diejenigen, die außerhalb der Grenzen lebten). Gegen ihren Ansturm muss die eigene Leitkultur, der Volkskörper, die virtuelle Identität verteidigt werden.
Die Welt in Freund und Feind einteilen
Kaum zufällig beruft sich Brown hier auf Carl Schmitt, den großen Denker des Freund-Feind-Gegensatzes, der Souveränität als Fähigkeit bestimmte, Ausnahmezustände zu schaffen, mithin selbst Recht und Gesetz gegebenenfalls zu suspendieren. Die Welt in Freund und Feind einzuteilen, schafft ja die Grenze, deren andere Seite dann zur Projektionsfläche für alles Unerwünschte, alle Ängste, alles Verhasste wird – auch das Verdrängte in der eigenen Identität: Eben all das, was einem kollektiv und individuell womöglich ängstigt, was man nicht wahrhaben will und daher auf Feinde jenseits der Mauern projiziert.
Genau hier wird Browns Analyse interessant, weil sie psychohistorisch argumentiert, mit Anleihen vor allem bei Freud und Foucault. Identität ist ja im Wortsinn von Selbstdefinition eine Grenze, die etwas einschließt und damit anderes automatisch ausschließt: "Mauern, die um politische Gebilde herum errichtet werden, können nicht abwehren, ohne zugleich einzusperren ... [Mauern] können kein äußeres 'sie' definieren, ohne ein reaktionäres 'wir' zu produzieren."
Genau hier wird Browns Analyse interessant, weil sie psychohistorisch argumentiert, mit Anleihen vor allem bei Freud und Foucault. Identität ist ja im Wortsinn von Selbstdefinition eine Grenze, die etwas einschließt und damit anderes automatisch ausschließt: "Mauern, die um politische Gebilde herum errichtet werden, können nicht abwehren, ohne zugleich einzusperren ... [Mauern] können kein äußeres 'sie' definieren, ohne ein reaktionäres 'wir' zu produzieren."
Schade nur, dass Brown gewisse andere Mauern ignoriert: ideologische, religiöse, politisch korrekte und andere Denkmauern, die nicht unbedingt durch Abwehr einer Bedrohung oder Verlustängste erklärbar sind. Solche psychischen und kognitiven Mauern werden ja zu Wahrnehmungsfiltern - und sind in der Folge oft der "Grund" für die Verteidigung sozialer und (im weitesten Sinn) materieller Mauern. Die derart innergesellschaftlich Ausgegrenzten sind gleichfalls häufig Hassobjekte, weil sie gelegentlich Grundmauern ihrer eigenen Gemeinschaft – und damit deren Ab-'Wehrkraft' – zersetzen. Eine Lücke, die nach einem Folgeband ruft.