Auf der Jagd nach der Rehkeule
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Wildfleisch gilt als gesund und schmeckt. Doch Wild aus deutschen Wäldern schafft es fast nie in die Supermärkte. Warum ist das so? Dorothea Heintze ist mit einem Jäger in Niedersachsen auf die Pirsch gegangen.
Ein Supermarkt in Hamburg, Ende November. Nein, Wild gibt es hier nicht, ebenso wenig wie in einem weiteren Laden. Erst beim dritten Anlauf klappt es; allerdings stammt der Rehrücken aus Australien. Schade, sagt Thomas Sampl. Wenn der NDR-Fernsehkoch mit Wild kocht, dann ausschließlich mit Wild aus deutscher Jagd:
"Wildfleisch aus Deutschland ist qualitativ so hochwertig, weil es tatsächlich aus der Natur herausgegriffen ist, dadurch halt immer den Auslauf hatte, sich ganz normal im Wald ernährt hat und dadurch ist das Fleisch viel aromatischer, viel fester auch in der Verarbeitung und einfach leckerer."
Wild aus dem Ausland stamme meist aus großen Zuchtbetrieben, so genannter Gatterhaltung, erklärt Thomas Sampl. Darunter leidet die Qualität, von den ökologischen Gesichtspunkten der langen Transportwege mal ganz abgesehen.
Wild aus Deutschland kommt meist von Hobbyjägern
Wild aus Deutschland kommt dagegen meist von Hobbyjägern, und die verkaufen ihr Fleisch direkt an Freunde und Kunden aus der Region. Eine professionelle, und vor allem auch ganzjährige Vermarktung, schaffen sie nur ganz selten. Auch Thomas Sampl kauft sein Wild direkt bei einigen Jägern, die er gut kennt – und akzeptiert, dass er es nicht das ganze Jahr über anbieten kann:
"In Deutschland ist es so, dass direkt Wild, also wildes Wild, gehandelt wird und das ist halt nicht immer vorrätig."
"Ja, ich bin Christian Reyers, 30 Jahre, Fleischermeister, und jetzt gehen wir hier zum Hochsitz hin, an die Waldkante, wo aus dem Wald das Wild kommt."
Christian Reyers ist Fleischermeister und Jäger. Gerade stapft er durch eine nasse Herbstwiese, im Amt Neuhaus in Niedersachsen, fast genau auf der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern. In beiden Bundesländern hat er mit seinem Partner ein Jagdrevier gepachtet. Und im Ort Dellien betreiben die beiden einen Wildfleischhandel mit eigenem Schlachthaus.
Im Hintergrund piept eine Erntemaschine. Wir sind am Hochsitz:
"Offener Hochsitz, ohne Fenster, rustikal halt, ja Natur pur."
Eine schmale Holzbank, ein großer Sehschlitz. Christian Reyers lädt sein Gewehr, dann heißt es warten - und die Natur genießen. Als Jäger im Revier ist Reyers mit verantwortlich für den Schutz des Waldes und seiner Bäume:
Bäume pflanzen, Biotope anlegen
"Ja, als Jäger bin ich auch Naturschützer. Und: Da fallen natürlich sämtliche Arbeiten im Revier an, für den Naturschutz; zum Beispiel Bäume pflanzen, und Biotope anlegen für andere Tiere, einen Steinhaufen für Raubwild oder eine Mäuseburg bauen. So was macht man auch halt mal; halt die Vielfalt im Revier bewahren."
Es wird dunkel. Immer mal wieder klingelt leise das Handy. Mehrere Gastjäger sind im Revier unterwegs. Darunter auch Annette von Karp. Sie sitzt mit einem Freund in Sichtweite auf einem Hochsitz am anderen Ende der Wiese. Wieder summt das Telefon.
"Ja, schießt doch … Tschüss ... Die haben jetzt gerade einen Fuchs vor sich."
Es gibt zu viele Füchse im Revier, sie fressen die Gelege von Bodenbrütern und sind oft Krankheitsüberträger. Annette von Karp wird den Fuchs schießen.
Und dann – endlich – hat auch Christian Reyers eine direkte Wildsichtung. Ein Reh tritt aus dem Wald.
"Siehst Du es jetzt?"
Vorsichtig äugt das Reh, blickt auch zum getarnten Hochsitz. Wer Tiere isst, sollte zusehen können, wie sie getötet werden. Genau das wird gleich geschehen. Der Jäger bringt sich in Position und zielt – im Idealfall ist das Tier sofort tot.
"So ich schieß jetzt …"
Der Schuss hat getroffen, doch das Reh ist in den Wald zurück geflohen. Ein verletztes Tier im Revier? Für jeden Jäger ein Albtraum.
Der Hund verfolgt die Blutspur
So schnell es geht, steigen wir vom Hochsitz herunter. Christian Reyers findet die Blutspur sofort. An der sehr hellen Farbe des Blutes erkennt er, dass auch die Lunge getroffen wurde. Das Reh ist bestimmt schon tot – aber wo liegt es im mittlerweile fast dunklen Wald? Reyers ärgert sich. Warum hat er keinen Hund mitgenommen?
"Jagd ohne Hund ist Schund."
Sagt Christian Reyers und telefoniert schnell aus dem nächsten Dorf einen befreundeten Jäger mit Hund herbei. Tatsächlich dauert es nicht mal zwanzig Minuten, da haben Hund und Jäger das tote Reh im Wald gefunden:
"Der Hund hat super die Blutspur verfolgt und gefunden. Somit ist alles gut."
Mittlerweile ist auch Annette von Karp zur Gruppe gestoßen. Zusammen begutachten sie das Reh. Das "Stück" - so sagt man im Jagdjargon - ist noch ein Stück in den Wald gelaufen:
"Das ist ein perfekter Schuss – direkt hinter dem Blatt … direkt hinter der Schulter da rein, besser kann man es nicht erlegen."
"Und wie geht es Dir jetzt, Christian?"
"Erleichtert, ja – wobei das Stück ist jetzt 100 Meter nach dem Schuss gegangen, das ist eigentlich völlig normal, doch wegen der Dämmerung braucht man einen Hund, damit es schneller geht."
Nun geht es zurück zum Jagdhaus nach Dellien. Das Reh muss ausgeweidet und zerteilt werden, solange das Fleisch noch warm ist. Kaum dort angekommen, greift Christian Reyers zum Messer. Er kommt trotz der Kälte ins Schwitzen. Auch morgen wird er wieder, wie täglich jetzt im Spätherbst, um fünf Uhr auf den Beinen sein.
60 Kilogramm Fleisch pro Jahr und Kopf
Gut 60 Kilogramm Fleisch isst jeder Deutsche im Durchschnitt. Nur wenige hundert Gramm Wild gehören dazu – und dieses Wild essen die meisten nur in der Weihnachtszeit. Schade, sagt Reyers. Wenn er im Sommer zum Grillen eingeladen ist, bringt er immer Wild mit. Fast alle sind erstaunt und begeistert.
Mittlerweile hat der Jäger dem toten Reh das Fell abgezogen. Wieviel Fleisch bleibt am Ende übrig?
"Ein Reh hat ungefähr, bei so einem guten Schuss, fünf bis sechs Kilogramm, ohne Knochen."
Macht vielleicht 50 bis 60 Euro Umsatz für gut vier Stunden Jagd. Am nächsten Tag wird die Tierärztin das Fleisch begutachten, das bedeutet nochmal Kosten zusätzlich.
Kein Jäger kann davon leben. Sein Geld verdient Christian Reyers mit seinem Bio-zertifizierten Schlachthof, in dem er auch Rinder verarbeitet, die er direkt auf der Weide geschossen hat. Ganzheitliche Tierhaltung bis zum Tod, das ist ihm in der Nutztierhaltung genauso wichtig wie das waidgerechte Jagen und der Naturschutz.
Annette von Karp begutachtet derweil die Eingeweide.
"Das ist also das Herz."
Seit ihrer Kindheit ist Annette von Karp, ebenso wie ihre Schwester, Jägerin mit Leidenschaft. Zu Hause produzieren sie Pasteten und Wildwürste. Heute nimmt sie die Leber mit, die gibt es gebraten zum Abendbrot. Auch der Hund bekommt noch was ab. Soviel vom toten Tier wie möglich soll verwertet werden.
Die Jagd und ihr Image
Das öffentliche Image der Jagd in Deutschland ist nicht besonders gut. Immer noch dominiert das Bild eines Altherrensports, bei dem sich reiche Trophäenjäger für viele tausend Euro das Recht erkaufen, einen kapitalen Hirsch abzuknallen.
Jäger wie Christian Reyers und Annette von Karp sind anders. Sie schützen die Natur und ihre Tiere. Damit das noch mehr Menschen wissen, hat Annette von Karp "Netties Waldkindergarten" gegründet. Regelmäßig nimmt sie Stadtkinder mit in den Wald. Viele von ihnen waren noch nie in der echten Natur. Dort lernen sie dann:
"Sie die spüren die Natur, sie spüren den Waldboden, sie lernen die Baumarten kennen. Sie lernen die Fährten zu lesen, und in dem Zusammenhang bringe ich auch natürlich ins Spiel, dass ich Jägerin bin, das finden sie ganz spannend. Und dass der Jäger nicht nur Wild schießt, sondern auch ganz viel anderes dazu gehört."
Und noch etwas verändert das Image der Jagd: Sie wird weiblicher. Früher war Annette von Karp oft die einzige Jägerin unter vielen Männern. Heute gibt es immer mehr Frauen, die wie sie den Jagdschein machen und mit großkalibrigen Gewehren Hirsche oder Wildschweine schießen, sie dann genau wie ihre männlichen Kollegen aufbrechen und beim Halali mit einem Schnaps auf die erfolgreiche Jagd anstoßen. Der Wandel, so weiß Annette von Karp, ist längst da - auch wenn einige alte Männer das noch nicht verstanden haben.
"Ja, wir kamen im Mai in Mecklenburg zusammen, hatten einen wunderbaren Bockjagd-Tag, die Böcke lagen da. Da kam so ein älterer Herr auf mich zu, und sagte: 'Was willst du denn hier? Frauen gehen nicht zur Jagd.' Ich hab' nur gelächelt und mir meinen Teil gedacht. Alles gut."