Wenig gelernt aus dem Echo-Skandal?

"Wenn Geschäftsinteresse und Kunst aufeinanderstoßen"

07:07 Minuten
Die Rapper Kollegah (links) und Farid Bang feiern die Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo.
Die Rapper Kollegah (links) und Farid Bang feiern die Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo. © dpa / picture alliance / Jens Kalaene
Andreas Müller im Gespräch mit Dirk Schneider |
Audio herunterladen
Hat die Branche etwas aus der Echo-Verleihung an Kollegah und Farid Bang vor einem Jahr gelernt? Man werde weiter mit antisemitischen und sexistischen Inhalten rechnen müssen, mit denen in der Musik Geld verdient wird, fürchtet unser Musik-Experte.
Vor einem Jahr wurden zum letzten Mal die Pop-Echos verliehen. Der Preis für das Hip-Hop-Album "Jung, Brutal, Gutaussehend 3" der Rapper Kollegah und Farid Bang führte zu einer Diskussion über Antisemitismus und die Grenzen der Kunstfreiheit. Es hagelte Appelle an Gesellschaft und Musikindustrie, doch wie wurde der Skandal aufgearbeitet?
Die Verleihung Echo Pop am 12. April 2018 wurde mit Spannung und großer Skepsis erwartet: Es war bekannt, dass in der Kategorie Hip-Hop die Rapper Kollegah und Farid Bang nominiert waren mit einem Album, das antisemitische, rassistische und sexistische Texte hat. Das Internationale Auschwitz Komitee hatte bereits im Vorfeld protestiert, am Abend der Verleihung und danach hagelte es Kritik und alte Trophäen, denn viele Preisträger gaben ihre Echos aus Protest zurück. Die Empörung war groß, und was die Branche, was die Gesellschaft aus dem Skandal gelernt hat, wollte Andreas Müller von Tonart-Redakteur Dirk Schneider wissen.
Dirk Schneider: Was die Gesellschaft aus dem Skandal gelernt hat, lässt sich so ganz allgemein schwer sagen. Die Musikindustrie scheint eher froh zu sein, dass sich der Sturm gelegt hat. Der Bundesverband der Musikindustrie (BVMI) der die Echos verliehen hat, schweigt jedenfalls beharrlich. Er hat natürlich den Echo abgeschafft, aber das war die einfachste Lösung. Der Preis war ruiniert, er hatte keinen Wert mehr. Man hätte ihn komplett neu aufstellen können, als einen Preis, der nicht auf Verkaufszahlen beruht, sondern auf dem Urteil einer kompetenten Jury, aber daran bestand offenbar kein Interesse. Ich hatte Florian Drücke, den Chef des BVMI, angefragt, um mit ihm über die Aufarbeitung des Skandals zu sprechen, die Antwort kam prompt: "Dem, was von BVMI-Seite zum Thema Echo 2018 kommuniziert worden ist, gibt es derzeit nichts hinzuzufügen." Ein neuer Preis scheint nicht in Planung zu sein, dazu heißt es: "Der BVMI wird in keinen der neuen Musikpreise involviert sein."

Ein runder Tisch hat nie stattgefunden

Andreas Müller: Dass ein Echo für ein Album verliehen wurde, das antisemitische, sexistische und homophone Inhalte verbreitet, war ja für viele Kritiker ein Zeichen dafür, dass solche Sachen nicht nur im Battlerap zur Normalität gehören, sondern auch in unserer Gesellschaft akzeptiert sind. Viel wurde allerdings auch über die Kunstfreiheit diskutiert. Der damalige Kulturratspräsident Christian Höppner hatte einen runden Tisch angekündigt, an dem man sich über die Grenzen der Kunstfreiheit verständigen wollte. Was ist daraus geworden?
Dirk Schneider: Dieser runde Tisch hat nie stattgefunden. Ich habe mit Martin Maria Krüger, dem Präsidenten des Deutschen Musikrats gesprochen, der das so erklärt:
"Dieser runde Tisch war eigentlich eine Intention des Kulturrates, der das aber deshalb gelassen hat, weil sich ganz schnell gezeigt hat, dass an praktisch allen relevanten Stellen man ja dieses Thema ohnehin aufgriff. Man muss ehrlich sagen, dass insgesamt in Deutschland dieses Großthema Antisemitismus, erstens sein Voranschreiten, auf der anderen Seite aber jetzt auch wieder die Bewusstwerdung, dass man sich dem entgegenstellen muss, in Deutschland viel stärker virulent geworden ist."
Dirk Schneider: Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrats, war übrigens neben Höppner eines von sieben Mitgliedern des Echo-Beirats, der vom Echo ins Leben gerufen wurde, nachdem der Preis wegen der Ehrung der rechten Südtiroler Band "Frei.Wild" schon vor ein paar Jahren in die Kritik gekommen war. Der Beirat hatte im Vorfeld sehr deutliche Kritik an dem Album von Kollegah und Farid Bang geübt, sich aber nicht gegen eine Preisverleihung ausgesprochen, was Krüger und Höppner im Nachhinein als Fehler bezeichnet haben, und damit gehören sie zu den ganz wenigen, die sich in der Sache entschuldigt haben.

Kampagne gegen Antisemitismus an Schulen

Andreas Müller: Was ist denn vom Label BMG zu hören? Dort ist ja das Album "Jung, Brutal, Gutaussehend 3" von Kollegah und Farid Bang erschienen, man wollte die Arbeit mit den Künstlern ruhen lassen, hieß es damals, gibt es da Neues?
Dirk Schneider: Leider auch bei der Bertelsmann Music Group: Schweigen, Gesprächspartner zum Thema standen nicht zur Verfügung. Allerdings hat BMG eine Kampagne gegen Antisemitismus an Schulen initiiert, 100.000 Euro wollte man da reinstecken. Da gab es zum Beispiel einen Vortrag eines Schoah-Überlebenden vor Berliner Schülern und ein Songwriting-Camp mit Schülerinnen und Schülern gegen Antisemitismus und Hass. Die Zusammenarbeit mit Kollegah und Farid Bang sei beendet, hieß es auf Nachfrage. Und es scheint, als habe die Diskussion um den Echo die Musikindustrie stark verunsichert. BVMI-Chef Florian Drücke saß im September 2018 beim Reeperbahn Festival auf einem Podium, und auf die Frage nach der Verantwortung der Industrie für die Inhalte, mit der sie Geld verdient, hat er so geantwortet:
"Ich, im Verband, ich habe die ganzen CDs nicht gehört. Und der Punkt ist ja der, da geht die Kette ja weiter, dass man da natürlich sich in den verschiedenen Häusern damit auseinandersetzen muss: Was machen wir denn da? Wann wissen wir, was auf dem Produkt drauf ist? Wann wissen wir, wie sich der Künstler orientiert, wann wissen wir, was wir vertreiben, veröffentlichen, produzieren? Wer hat denn darauf Einfluss? Ich hab sogar schon, um es ganz ehrlich zu sagen, ich bin mal angesprochen worden, da hat eine kleine Firma gesagt, wäre es nicht vielleicht eine Idee, dass man eine Stelle definiert, wo wir, wenn wir etwas gesignt haben, dann den Text hinschicken, damit ich dann weiß, dass das definitiv okay ist? Ausdruck von maximaler Irritation!"

"Wir wollen keine Zensur"

Andreas Müller: Demnach haben die Plattenlabels also keine Kontrolle darüber, was sie veröffentlichen? Die Bertelsmann Music Group stellt also irgendwann ganz überrascht fest: Huch, antisemitische Inhalte auf unseren Produkten?
Dirk Schneider: Das fand ich auch nicht sonderlich glaubwürdig, aber das Problem ist in der Musikindustrie offenbar, dass Geschäftsinteresse und Kunst aufeinanderstoßen und man da bestimmte Freiheiten garantieren muss. Da ich gerne mit jemandem aus der Branche sprechen wollte, habe ich mich mit dem Hamburger Musiker Frank Spilker von der Band "Die Sterne" getroffen, der auch im Vorstand des Verbandes der unabhängigen Musikunternehmen (VUT) und für ihn stellt sich das so dar:
"Ich kann total die Enttäuschung verstehen, den Verbänden gegenüber und auch den Firmen gegenüber. Und ich finde auch, dass man eine Verantwortung hat. Aber gerade in der Kunst ist es schwierig - also du kannst für die Herstellungsbedingungen eines Produkts noch eher Verantwortung übernehmen als für das, was ein Künstler als nächstes macht. Und das hieße ja wirklich Kontrolle, das hieße ja: Leg mir doch erstmal vor, was du da schreiben willst, das wäre wirklich Zensur in Reinform, und da wollen wir alle auch nicht hin."
Dirk Schneider: Mein Fazit also: Wir werden weiterhin damit rechnen müssen, dass mit antisemitischen, sexistischen, rassistischen, homophoben und anderen Menschen verachtenden Inhalten in der Musik Geld verdient wird. Dass solche Werke noch einmal einen prominenten Preis bekommen, ist natürlich auch nicht ausgeschlossen, aber in dieser Hinsicht dürfte ein Lernprozess stattgefunden haben.
Mehr zum Thema