Weniger, aber besser

Von Jochen Stöckmann |
Als in den 50er Jahren die ersten von Dieter Rams gestalteten Produkte auf den Markt kamen, sagten viele dem Unternehmen Braun die baldige Pleite voraus. Die schnörkellos geformten Haartrockner und Elektrorasierer setzen sich klar von der Konkurrenz ab. Doch Braun hatte Erfolg mit seinem Markendesign. Für seine Arbeit ist Dieter Rams nun mit dem Lucky-Strike-Award ausgezeichnet worden.
Einen sehr weiten, fast ausufernden Begriff von "Design" hatten die Juroren des mit 50.000 Euro dotierten Lucky-Strike-Designer Award in der Vergangenheit bewiesen. Im Namen der Raymond-Loewy-Foundation, benannt nach dem Vater der Stromlinie, zeichneten neben der Modeschöpferin Donna Karan auch Karl Lagerfeld aus, im vergangenen Jahr sogar den Koch Ferra Adrian. Diesmal aber hat die neu besetzte Jury einen klassischen, einen Industriedesigner auserkoren: Dieter Rams, auch "Mr. Braun" genannt, hat für den deutschen Elektrogerätehersteller vom Radio und der HiFi-Anlage über Haartrockner und Elektrorasierer bis hin zum Tischfeuerzeug nicht nur eine erstaunlich breite, sondern auch exzellent gestaltete Produktpalette entworfen. Auch Regalsysteme oder Türgriffe stammen von einem Gestalter, dessen Credo "Gutes Design ist möglichst wenig Design" ihn als engen Geistesverwandten von Raymond Loewy ausweist, dem Namenspatron des Preises. Gestern Abend wurde Dieter Rams, dem 1932 in Wiesbaden geborenen Architekten, der höchstdotierte deutsche Designer-Preis im Berliner e-Werk überreicht.

Dieter Rams über Raymond Loewy:

"Obwohl ich als Student 1951 zusammen mit meinen Kommilitonen das zu dieser Zeit typische amerikanische Styling verachtet habe, gibt es besonders mit Raymond Loewy Gemeinsamkeiten. Zu Loewys Welt gehörten – ebenso wie zu meiner – Wissenschaftler, Techniker und vor allem Unternehmerpersönlichkeiten. Und er hat sich zeitlebens der, wie er selbst schreibt, krampfhaften Jagd auf Pseudotechnologisches widersetzt, womit Kitsch und Flitterkram unter dem Mäntelchen des Modernismus an den Mann gebracht werden sollen. Auf die Frage, ob Design die Funktionalität erhöht, war Loewys Antwort schlicht: ‚So und nicht anders sollte industrielles Gestalten begriffen werden.’ Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen. Dem ‚Flitterkram’ widersetzt hat sich erfolgreich die Lucky Strike-Verpackung. Wo gibt es eine Werbepackung, die sich über Jahrzehnte halten konnte und damit zur Design-Ikone wurde?"
Dieter Rams: Was gutes Design ausmacht:

"Ich habe immer alles Überflüssige vermieden und versucht, auch die technischen Innovationen im Vordergrund zu halten. Wenn ein Produkt für den Verbraucher sinnvoll sein soll, muss es etwas Neues bringen, eine neue Technologie oder einen neuen Gebrauchsnutzen. Mein Leitspruch bis heute: Weniger, aber besser."

Dieter Rams: 10 Thesen für gutes Design:

"1. Gutes Design ist innovativ.
2. Gutes Design macht ein Produkt verständlich.
3. Gutes Design ist ästhetisch.
4. Gutes Design macht ein Produkt brauchbar.
5. Gutes Design ist unaufdringlich.
6. Gutes Design ist ehrlich.
7. Gutes Design ist langlebig.
8. Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail.
9. Gutes Design ist umweltfreundlich.
10. Gutes Design ist so wenig Design wie möglich."

"Als wir die ersten Geräte 1955 auf der Funkausstellung in Düsseldorf vorgestellt haben, haben viele Leute gesagt zu den Brüdern Braun, dass sie in Zukunft wahrscheinlich damit rechnen müssten, dass sie pleite gingen."

Heute, mehr als fünfzig Jahren nach diesen Unkenrufen, sind die Braun-Geräte des Designers Dieter Rams zur Verleihung des Lucky-Strike-Award als Kostbarkeiten aufgereiht: Der sagenumwobene Schneewittchensarg etwa, eine erlesen schlichte Kombination von Plattenspieler und Radio, oder T 1000, ein eleganter Weltempfänger aus mattem Stahl und Lochblende, als einziger "Schmuck" neben der übersichtlichen Skala nur vier weiße Drehknöpfe. Dieses Gerät fand sich bald auf dem Schreibtisch vieler bundesrepublikanischer Diplomaten, war ein Statussymbol. Das konnte - in einer Zeit des plumpen Gelsenkirchener Barock – als kleine Revolution gelten. Die ausgerechnet im Jahr 1968 fast ein vorzeitiges Ende gefunden hätte. Damals nämlich wurde die Firma Braun verkauft an einen US-Konzern. Aber Rams, damals bereits bekannt als "Mr. Braun", blieb optimistisch:

"Ich lernte sehr schnell den damaligen Präsidenten von Gillette kennen. Und ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass er damals so interessiert war an Braun, weil ihn das Image, was Braun weltweit durch sein Design hatte, so fasziniert hat, dass er das da aufpropfen wollte."

Nur funktionierte diese "Übernahme" durch den ausländischen Investor eben nicht so einfach. Um ein wirklich gutes Produkt zu entwickeln brauchte es neben Technikern und Designern auch Unternehmer, Persönlichkeiten, wie Rams im Rückblick erkennt:

"Erwin Braun hatte Ideen, die für die damalige Zeit revolutionär waren. Zum Beispiel Einrichtung einer Diätkantine, Einrichtung von gesundheitsfördernden Institutionen. Und der logische Schritt war eigentlich dann auch der, die Produkte entsprechend zu gestalten."

Nun also gibt es 50.000 Euro Preisgeld für dieses in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Design, das auch der Jury nicht allein als richtungsweisendes Leitbild gilt. Als einer der ersten, so heißt es in der Preisbegründung, habe Rams bereits in den Fünfzigern ein ausgeprägtes Markenbewusstsein entwickelt. Für die gediegen hergestellten und zurückhaltend gestalteten Produkte legten Käufer schon mal einiges mehr auf den Tisch, hielten einer Marke trotz hoher Preise die Treue. Dafür durften sie als "Kenner" gelten. Den Preisträger selbst allerdings überrascht diese Tatsache:

"Es gibt so einige Passagen, die habe ich an mir noch gar nicht kennenglernt: zum Beispiel Marktstratege."

Im Blick auf die "Zielgruppen" offenbarte das scheinbar nüchterne Design starke emotionale Momente. Die Juroren sprechen gar vom "Hasspotenzial", das die Kundschaft spaltet in Fans und Verächter der Rams-Produkte. Für viele seiner ebenso guten wie einfachen Dinge, für Rasierer, Toaster oder auch das unübertroffen funktionale und immer noch stabile Regalsystem trifft das wohl nicht ganz zu. Der Gestalter selbst dachte nämlich immer nur an das eine:

"Unsere Geräte sollten sein wie ein guter englischer Butler: Sollte da sein, wenn man ihn braucht, und sollte im Hintergrund bleiben, wenn man ihn nicht braucht."

Und all den multimedialen Geräten, die sich im täglichen Leben laut und lärmend, mit bunten Displays und allerlei Bedienungsknöpfen in den Vordergrund drängen, erteilt Rams mit einem simplen Werkzeug eine Lektion:

"Es ist ein Flaschenöffner, es hat ein Messer und es hat natürlich viele Funktionen – und die muss man sich ertasten."
Selbst wer solch ein Gerät nicht verstehen mag oder will, kann es immerhin im Wortsinne begreifen. "Selbsterklärbarkeit" nennt Rams sein humanes Prinzip, das auf die Abschaffung der Gebrauchsanweisung durch übersichtliche Gestaltung hinauslaufen könnte. Wenn es denn genügend Unternehmer vom Schlage der Brüder Braun gäbe:

"Ich habe damals immer gesagt, sie können es an ihren zehn Fingern abzählen, wer auf der ganzen Welt Design wirklich ernsthaft betreibt oder ernst nimmt – auch an Firmen. Und daran hat sich wenig geändert. Es gibt heute wieder Designer als auch Firmen – als erstes würde ich nennen wollen: apple."

Da wird das wache Interesse des mittlerweile 75-jährigen Rams am Designer-Nachwuchs deutlich. Noch heute ist er unterwegs, um in Vorträgen für seine Sache, die gute Gestaltung, zu werben. So, wie er das jahrelang als Präsident des Rates für Formgebung gehalten hat:

"Der Rat für Formgebung war damals gegründet von Ludwig Erhard und Theodor Heuss, also unter starken Einwirkungen der Politik. Was ich heute vermisse, sehr stark vermisse, dass die Politik sich nicht interessiert dafür, wie unsere Umwelt aussieht."

Für alle Kollegen aber, die auf Modewellen mitschwimmen, nur auf Zeitgeistimpulse reagieren oder ausschließlich starke Emotionen bedienen wollen, für die prominenten Stars eines schnelllebigen Designs mit immer kürzerem Verfallsdatum also hat Dieter Rams einen geradezu väterlichen, erfahrungsgesättigten persönlichen Rat:

"Heute hat das Design und damit auch der Designer eine kulturelle Mitverantwortung. Der Designer muss mit dazu beitragen, das Chaos, in dem wir alle heute zu leben gezwungen sind, etwas mehr zu lichten. Und ich meine eben auch die visuelle Umweltverschmutzung."