Weniger Europa ist mehr

Die EU braucht eine Schrumpfkur - oder einen deutschen Austritt

Eine europäische Fahne
Eine europäische Fahne © dpa / picture alliance / Rene Ruprecht
Von Vlad Georgescu · 24.07.2015
Sollten einzelne Länder aus der Eurozone oder gar der EU austreten? Finanzregeln, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müssten in allen Mitgliedsstaaten unantastbar sein, fordert der Journalist Vlad Georgesu – das gelte natürlich auch für Deutschland.
Was wäre eigentlich so schlimm daran, die EU wieder zu verkleinern - um die ursprünglich selbst auferlegten Werte retten zu können? Und was wäre eigentlich, wenn in letzter Konsequenz auch Deutschland über einen Exit nachdenken würde?
Zunächst einmal die nüchterne Bestandsaufnahme. Europa hat mehr als nur ein Problem. Die Staatsverschuldung, gemessen am Bruttoinlandprodukt, liegt in Deutschland, Frankreich und Italien jeweils weit über der erlaubten 60-Prozent-Grenze. Diese Marke galt einst als Kriterium für die Aufnahme in den Euroraum.
Und heute? Finanzminister Schäuble fordert die Möglichkeit, jene Schuldnerstaaten aus dem Euro ausschließen zu können, die solche Kriterien nicht mehr erfüllen. Womit er freilich, wenn man es mit den Zahlen und dem Schuldenstand genau nimmt, neben Griechenland auch Deutschland gemeint haben könnte.
Europa hat viele Probleme. Das lehrte uns auf schmerzhafte Weise das Beispiel Griechenland und die dritte angebliche Rettung. Und dabei meine ich nicht jene Milliarden, die die EU locker als frisch gedrucktes Geld aufbringen kann.
Ich meine die Unehrlichkeit der Bundesregierung gegenüber den Bürgern: Warum erklärt sie nicht laut und deutlich, dass 80 Prozent der Griechenland-Rettungsgelder an jene Banken und Investoren fließen, die in Griechenland eben aufgrund solcher Rettungspakete seit Jahren nahezu risikolos agieren können.
Europa hat viele Probleme, weil es nicht nur seine finanzpolitischen Regeln eingerissen hat, sondern auch die Grundrechte-Charta des Jahres 2000 missachtet. Warum zum Beispiel darf ein Land wie Ungarn überhaupt noch Mitglied der EU sein? Justiz und Presse sind dort weder frei noch unabhängig. Und in weiten Teilen der osteuropäischen Union gelten die Menschenrechte für Minderheiten wie Sinti und Roma nur beschränkt, wenn überhaupt.
Ureigene demokratische Werte in Europa erhalten
In Rumänien grassiert die Korruption auf Staatsniveau. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt selbst den Premierminister Victor Ponta der Korruption. Sein Amtsvorgänger Adrian Nastase schaffte es sogar hinter Gitter. Vom viermaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und seinem Dauerkampf gegen die Rechtsstaatlichkeit ganz zu schweigen.
In Österreich und Deutschland ermitteln Staatsanwälte gegen Europas größten Rüstungskonzern EADS wegen Bestechung – in Rumänien vernahm die Nationale Antikorruptionsbehörde im gleichen Fall mehrere Hundert Zeugen - doch außer Ermittlungen passierte in diesem seit 2005 laufenden Fall so gut wie nichts.
Angesichts solcher Entwicklungen müssen wir auch über die Möglichkeit des Schrumpfens der Europäischen Union nachdenken - wenn die ureigenen demokratischen Werte Europas erhalten werden sollen.
Wer die EU retten will, sollte jedoch nicht wie Wolfgang Schäuble vorgehen, und andere Mitgliedsstaaten mit erhobenem Zeigefinger aus der Eurozone weisen wollen. Aus gutem Grund sieht keiner der europäischen Verträge einen Berliner Lehrmeister vor.
Vielmehr sollte die Bundesregierung zuerst sich selbst wieder an die Regeln halten. Und dann mit frischer Glaubwürdigkeit eine klare Botschaft aussprechen: Wir brauchen in Europa eine Union, deren Mitgliedstaaten sich an Menschenrechte, an Demokratie und Rechtstaatlichkeit und auch an Finanzregeln halten.
Falls auch dieser Appell verpufft: was will Deutschland dann noch in einer solchen EU?

Vlad Georgescu, 1966 geboren, studierte Chemie an der TU Hannover und Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Er ist freier Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalist und Mitglied der Wissenschaftspressekonferenz (WPK). Gemeinsam mit Marita Vollborn schrieb er "Die Joghurt-Lüge. Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie" und "Kein Winter, nirgends. Wie der Klimawandel Deutschland verändert".

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