Wenn alte Musik auf junge Sänger trifft

Von Nadine Lindner |
Das Herdermer Vokalensemble in Freiburg singt vor allem alte geistliche Chormusik. Viele der Sänger sind allerdings alles andere als betagt: Da die Universität gleich um die Ecke liegt, kommen immer wieder neue junge Interessenten.
"Diese Musik ist sehr intim und unglaublich ausdrucksstark."

Carsten Klomp steht am Klavier. Der Chorleiter hat die Augen geschlossen. Er ist hochkonzentriert. Hört auf jeden Ton in den komplexen Stimmverläufen. Das Kyrie in fünf Stimmen aus der Missa Brevis von Dieterich Buxtehude.

"Die großen Buxtehude-Kantaten, das ist Musik, die ganz selten gemacht wird, die aber wunderschön ist und zum Teil hochanspruchsvoll für den Chor ist."

Vor ihm stehen – in einem Halbkreis - die Sänger des Herdermer Vokalensembles. Rund dreißig Chormitglieder proben an diesem Abend im Gemeindesaal der Ludwigskirche, am Rand der Innenstadt von Freiburg im Breisgau.

Freiburg? Warum heißt Carsten Klomps Chor dann Herdermer Vokalensemble? Er trägt den Namen des Stadtteils:

"Weil wir ansässig sind in Herdern haben wir gesagt, wir nennen uns Herdermer Vokalensemble. Und dann gibt es diese Tradition, dass man hier von den Herdermern spricht. Das ist also ein bisschen dialektal gefärbt."

Ohnehin ist der Chor regional gut verwurzelt. Nicht nur in der Ludwigskirche in Herdern, für Konzerte geht es immer wieder raus in den Breisgau. Seine musikalische Heimat hat das Vokalensemble in alter geistlicher Chormusik gefunden, Buxtehude, Schütz und andere, die in der Zeit vor Johann Sebastian Bach gewirkt haben.

Kein Zufall, denn Freiburg ist ein guter Ort für alte Musik, findet Sängerin Andrea Smeli:

"Also ich rede von der Region Freiburg bis Basel etwa, und da gibt es schon lange Leute, die auch alte Instrumente bauen und alte Musik machen, noch ältere als wir. Und das hat einfach auch Tradition."

Seit zehn Jahren singt die Frau mit den kurzen braunen Haaren im Vokalensemble. Der Alt ist ihre Stimmlage. In der Probe wirkt sie ruhig und konzentriert. Andrea Smeli singt gern hier.
Ihr gefällt die Mischung aus meist geistlichen Chorälen und hohem musikalischen Anspruch.

"Singet dem Herrn ein neues Lied" - für die achtstimmige Bach-Kantate, die heute auf dem Programm steht, müssen die Sänger schon mal ihren angestammten Platz verlassen. Nun steht Alt neben Bass, Tenor neben Sopran, alle acht Stimmgruppen bunt gemischt:

"Der Grund, warum ich das mache, das fördert die Selbstständigkeit der Sänger. Ich kann mich als Sänger nicht darauf zurückziehen, dass mein Nachbar schon die richtigen Töne singt, sondern ich muss einfach selber als Sänger meine Stimme so drauf haben, dass ich sie beherrschen kann."

Nicht nur die Proben, auch die Konzerte lässt Carsten Klomp in dieser gemischten Aufstellung singen – das Klangbild wird runder, sagt der Landeskantor mit der Liebe zum Detail.

Das Herdermer Vokalensemble ist der kleinere von zwei Kirchenchören an der evangelischen Ludwigskirche. Hier trifft alte Musik auf junge Sänger. Denn durch die nahe gelegene Universität finden immer wieder junge Leute den Weg in den Chor. Nachwuchssorgen kennt man hier nicht – trotz des obligatorischen Vorsingens.

Steffi Schweiger, eine junge Frau mit wachen Augen und braunen langen Haaren kann sich noch gut daran erinnern:

"Das war drüben in der Kirche bei einer guten Akustik. Und es war nur mit Carsten die Einsingübungen. Und ein Lied, das vom Blatt zu singen war, ansonsten nichts weiter. Ich war schon nervös vorher."

Die Ansprüche an die Sänger sind hoch – die meisten von ihnen können direkt vom Blatt singen. Mit einem sehr ausgeprägten Gehör für Töne und Stimmverläufe.

Viele von ihnen singen schon seit ihrer frühen Kindheit in einem Chor und können sich ein Leben ohne Musik gar nicht mehr vorstellen – einige mit kirchenmusikalischem Hintergrund. So wie Florian Löffelbein, der mit seinen 35 Jahren voll im Altersdurchschnitt liegt:

"Zum Singen gekommen im Kinder-Kirchen-Chor und Jugend-Kirchen-Chor, dann Schulchor, das zieht sich eigentlich kontinuierlich durch …"

Auch in dem neuesten Konzertprogramm wird Florian Löffelbein wieder als Tenor dabei sein. Er singt dann die Kantate von Bach und ein modernes Stück des ungarischen Komponisten Zoltan Kodály. Für das Herdermer Vokalensemble neben Bach und Buxtehude ein kleiner Ausflug in die Moderne.


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