Wenn das Hirn brennt
Es ist hochkonzentriert, es ist billig und es wird zunehmend zum Problem in Sachsen. Das Ausputschmittel Crystal ist im Freistaat auf dem Vormarsch. Seit Jahren wächst die Zahl der Konsumenten des "Kokains der Armen".
"Das erste Mal hatte ich konsumiert, da war ich 24. Unheimliche Glücksgefühle hatte ich damals. Das war nach der Party mal sonntags. Abends, wo man normalerweise schlafen geht. Wusste ich auch noch nicht, wie sich das alles entwickelt. Und dann hab ich’s halt probiert. Und aus dem Probieren ist dann mehr geworden."
So wie Riko ist es in der letzten Zeit immer mehr jungen Leuten in Sachsen gegangen: Sie sind auf den Geschmack von "Crystal" gekommen – dem "Turbo-Porsche" unter den Aufputschmitteln, wie es in der Szene heißt. Crystal schlägt durch wie kaum eine andere Droge; ist extrem berauschend. Weil der Körper verstärkt Adrenalin und Dopamin ausschüttet – und man bis zu siebzig Stunden am Stück wach bleibt; tanzt; Sex hat. Das kommt an bei den Raver-Kids – genau wie die Tatsache, dass Crystal verhältnismäßig wenig kostet: In Dresden bekommt man das Gramm schon für zwanzig Euro.
"In der Szene sagt man ja auch: Crystal ist das Kokain der Armen."
Meint denn auch Karla Aust, die Leiterin der Drogenklinik in Moritzburg bei Dresden. Vor sieben Jahren ist die Klinik gegründet worden, die idyllisch am Rande der Stadt auf einem Hügel liegt. Viel Platz, viel Grün, viel Ruhe. Doch dafür haben Karla Austs Patienten erst einmal keine Augen, wenn sie hierher kommen. 34 sind es zurzeit – die meisten junge Männer zwischen achtzehn und Anfang dreißig.
"Ganz am Anfang der Einrichtung hat Crystal irgendwie mal als Probierkonsum ne Rolle mitgespielt. Und ich glaub jetzt sind’s so zwei Drittel unserer Patienten hier, bei denen Crystal als Hauptdroge ne Rolle spielt. Vielleicht hängt's ja auch damit zusammen, dass Crystal-Konsumenten über eine lange Zeit gesellschaftskonform leben können. Man ist gesellschaftskonform, wenn man richtig mitmachen kann, durchziehen kann, feiern kann. Wenn man den Kick hat."
"Leistungssteigernd ist es gewesen. Also man hat Dinge geschafft innerhalb kürzester Zeit. Viele Ideen. Das waren dann nur so viele Ideen, die kannste dann gar nicht umsetzen."
Die Droge passt in die Zeit. Es ist eine Leistungs- und Ego-Droge.
Sachsen – laut "Leipziger Volkszeitung" ist der Freistaat "die Crystal-Hochburg Deutschlands". Tatsächlich wird in keinem anderen Bundesland so viel Crystal konsumiert - und beschlagnahmt: 2006 waren es mehr als sieben Kilo. Experten gehen davon aus, dass das nur fünfzehn Prozent dessen ist, was tatsächlich auf dem sächsischen Markt zirkuliert.
"Das ist wie, als wenn du in den Supermarkt gehst. So hattest du immer drei, vier Mann in einem Ort, wo du was organisieren konntest; beschaffen konntest."
Dass Sachsen "Crystal-Land" ist, hat auch mit seiner Nähe zur tschechischen Republik zu tun. Dort wird die synthetische Droge schon seit Jahrzehnten in illegalen Drogenküchen gebrodelt. Ein lukratives Geschäft – speziell seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Heute ist Tschechien die Crystal-Drogenküche Europas; überschwemmt der illegale Exportschlager das sächsische Grenzgebiet und die Metropolen: Dresden, Leipzig, Chemnitz.
Seit fünf, sechs Jahren ist das jetzt schon so, konstatiert Torsten L. von der gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift vom Zoll und Landeskriminalamt Sachsen. Erst letzte Woche ist dem Rauschgiftfahnder ein Crystal-Schmuggler ins Netz gegangen: 40 Gramm reines Crystal, ein relativ kleiner Fund. Doch Torsten L. ist schon froh, dass sein Team überhaupt mal wieder fündig geworden ist.
"Die Schmugglerverstecke werden immer besser, es wird immer professioneller. Es werden teilweise die Autos umgebaut, Verstecke eingebaut, mit Elektrik, mit Hydraulik. Teilweise wird das Rauschgift am Körper transportiert; teilweise wird das Rauschgift sogar im Körper transportiert. Es wird geschluckt. Oder teilweise wird’s in Körperöffnungen eingeführt. Und das sind natürlich Sachen, die uns vor immer größere Probleme stellen. Man kann nicht mehr sagen: Der Jugendliche, 22-jährige oder 18-jährige, schmuggelt das Gift. Wir haben Schmuggler gehabt in aller Couleur. Jedes Alter."
Die sächsischen Drogenfahnder kooperieren eng mit ihren tschechischen Kollegen, Torsten L. schließt sich regelmäßig mit einem Verbindungsbeamten von der anderen Seite der Grenze kurz – per Telefon oder E-Mail. Klappt reibungslos, meint der Mittvierziger, dessen Büro zugepflastert ist mit Postern der australischen Hardrock-Band ACDC.
"Wir haben auch sehr gute Kontakte nach Bayern, zum bayrischen Landeskriminalamt. Also, die bayerischen Kollegen haben durchaus ähnliche Probleme wie wir, was Crystal anbetrifft. Da werden die Erkenntnisse ausgetauscht. Wenn man also so und so Ermittlungsverfahren hat und irgendwelche Erkenntnisse, die vielleicht Richtung Bayern gehen, ist es also völlig unproblematisch, sich dann an die entsprechenden Kollegen zu wenden. Wobei man sagen muss, diese Phänomen Crystal ist wirklich bayrisch, sächsisches, thüringisches Problem. Weiter nördlich ist die Droge fast kaum bekannt."
In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise – in Hamburg oder Bremen. Von dort erreichten die sächsischen Drogenfahnder schon Anfragen, ob Crystal denn das gleiche wäre wie Crack.
"Ist es nicht." Rüdiger Schmitt von der Suchtberatungsstelle Stollwerk schüttelt den Kopf. Der Mittdreißiger ist in den letzten Jahren zum Crystal-Experten geworden; seitdem immer mehr junge Crystal-Süchtige aus der Kleinstadt am Fuße des Erzgebirges zu ihm in die Beratungsstelle kommen.
"Es gibt viele Leute, die denken, dass das gerade im ländlichen Raum nicht so ausgebreitet ist. Aber hier ist es doch sehr verbreitet: Crystal und Cannabis sind die illegalen Drogen, mit denen wir hier am meisten zu kämpfen haben. Und die Ursachen: einmal, die Nähe zur tschechischen Grenze. Und dann eben auch diese Ballungsgebiete, die in der Nähe sind. Das ist einmal Zwickau beziehungsweise Chemnitz. Der Transfer kommt dann eben über die Grenze und zum Teil wird dann nen Zwischenstopp gemacht. Oder hier im Erzgebirge werden auch immer mal wieder kleine Labore ausgehoben, wo eben selbst hergestellt wird."
"Je länger du dabei bist, desto mehr stumpft es ab. Dann ist keine Kommunikation mehr da. Jeder macht sein Ding für sich. Ich war manchmal drei, vier Tage wach. Hab nicht geschlafen. Ging einfach nicht. Ich hab nur die Augen zu gemacht, dass sich die Augen mal ausruhen konnten. So gegessen hab ich überhaupt nicht mehr. Weil du kein Hunger hast."
Irgendwann wog Riko nur noch 65 Kilo. Da habe er es zum ersten Mal mit der Angst zu tun bekommen, erinnert er sich. Aber Aufhören?! Dazu war er noch nicht bereit. Hat also weitergemacht; die Ration gesteigert: Von drei Mal die Woche auf jeden Tag – auch wenn das Hartz IV dafür kaum noch reichte; das Zeug auf Teufel kommt raus geschnupft, bis seine Nase völlig verätzt - und seine Mundhöhlen vereitert waren. Ist er also auf Crystal-Pillen umgestiegen – zusammen mit seiner Freundin; die irgendwann auch nur noch ein Strich in der Landschaft war.
Gewichtsverlust durch Crystal-Konsum – Simone Reinhardt, die Leiterin der Jugend- und Drogenberatungsstelle in Dresden, kennt das von etlichen weiblichen Crystal-Usern.
"Ich hatte durchaus Frauen, die über den Konsum von Crystal ihr Körpergewicht um zwanzig bis dreißig Kilo in sehr kurzen Zeiträumen hoch und runter regulieren können. Was dann natürlich überhaupt Auswirkungen hat auf die Gesundheit. Und alle Organsysteme, die damit im Zusammenhang stehen. Das Schlafbedürfnis wird herabgesetzt. Was heißt: Der Körper kommt völlig aus dem Gleichgewicht. Was dann wiederum Auswirkungen hat natürlich auf den sozialen Bereich: Wenn ich am Wochenende über den Crystal-Konsum 48 Stunden durchmache, Party mache, bin ich natürlich oftmals montags, dienstags nicht in der Lage, vernünftig ne Ausbildung beziehungsweise ner Schule nachzugehen."
"Den Kopf nimmt’s auch ganz schön mit. Vom ganzen Tagesablauf her. Du hast keinen rechten durch strukturierten Tag mehr. Ich hab eigentlich ne Acht-Tage-Woche gespürt, die es gar nicht gibt. Du kannst es zeitlich gar nicht mehr richtig festsetzen, was wann für nen Tag ist. Ich musste manchmal nachfragen: Was haben wir eigentlich für nen Tag? Oder was für ne Uhrzeit? Du verlierst komplett den Anschluss an die Gesellschaft. Ich hab keinen Kontakt mehr zu Familie gehabt. Zu niemanden mehr. Am Ende."
Crystal hat viele Namen. In den USA ist die Droge als "Meth" oder "Crank" bekannt – und breitet sich laut Angaben des Suchtstoffkontrollrats der Vereinten Nationen "wie eine Seuche" aus. In Sachsen wird sie auch "Hitler Speed" genannt. Das Zeug ist nämlich nichts neues, schon im Zweiten Weltkrieg wurde es unter dem Namen Pervitin Piloten der Luftwaffe oder Panzerfahrern gegeben - gegen die Angst und die Müdigkeit.
Crystal ist leicht herzustellen. Ziemlich leicht sogar. Die Inhaltsstoffe bekommt man in jeder Apotheke - ganz legal. Das toxische Pulver kostet unterm Strich nicht viel, ist aber nicht ganz ungefährlich. Immer wieder tragen ungeübte Heimkocher durch Explosionen Brandwunden davon.
In den illegalen Laboren in Tschechien passiert so etwas nur selten. Dafür, meint Rauschgiftfahnder Torsten L, sei die Szene längst viel zu professionell – auch wenn die hochgehobenen Labore oft die letzten Klitschen seien.
"Man muss sich auch vom Begriff Labor verabschieden. Ich sag mal so: Der Normalverbraucher verbindet mit Labor weiße Kittel, sterile Geräte und Laboreigenschaften, wie man das halt so aus der Medizin kennt. Und wir verwenden das Wort Labor in dem Zusammenhang natürlich nur, weil dort Chemikalien zum Einsatz kommen. Das sind meistens Hinterhöfe, irgendwelche Schuppen. Da wird das unter übelsten hygienischen Bedingungen zusammengekocht. Also wir haben Videoaufnahmen und Fotos von den tschechischen Kollegen bekommen. Die dort also verschiedene Labore sichergestellt haben und ausgeräumt haben und die Täter fest genommen wurden. Sieht wirklich zum Teil übel aus."
Den meisten Crystal-Usern ist das egal. Hauptsache, sie kommen an den Stoff ran. Möglichst reinen Stoff. Das ist gar nicht so einfach. Denn oft ist das Crystal gestreckt. Je weniger reines Crystal, desto größer der Profit - lautet die Rechnung der Dealer. Mögliche Gesundheitsschäden der Konsumenten: reine Nebensache.
Bislang haben die sächsischen Drogenfahnder nur relativ harmlose Strecksubstanzen in ihren Laboren nachgewiesen, ist noch kein Blei entdeckt worden - wie unlängst bei einem Marihuana-Fund im Freistaat. Noch nicht.
Und an sich auch egal: Denn allein schon die Langzeitfolgen von Crystal sind gravierend genug. So ähneln computertomographische Aufnahmen exzessiver Konsumenten denen von Alzheimer-Patienten im Frühstadium, laufen die Abhängigen ein zwanzigfach höheres Risiko, an einer Psychose zu erkranken.
"Man hat überhaupt keine Gefühle mehr, für niemanden mehr; stumpft ab. Geht wie mit Scheuklappen durchs Leben. Wenn man einmal in den Teufelskreis drin ist – alleine da raus zu kommen ist schwierig. Also, ich brauchte nen Denkanstoss von meinem Kumpel. Und nach zwei Jahren konnte ich mich dann durchringen oder hab überlegt: Ich brauch ne Therapie. Dann bin ich hierher gekommen, in die Suchtberatungsstelle. Hab erst nen halbes Jahr intensive Gespräche geführt, ob ich das auch wirklich will. Das hab ich dann durchgezogen. Und dann bin ich halt – das war im Sommer 2005 – zur Entgiftung. Und dann im Anschluss zur Therapie gegangen. Nen halbes Jahr."
Keine leichte Zeit für Riko. Runter zu kommen von der Droge; ganz ohne Hilfe von außen: Die ersten drei Monate gilt eine komplette Kontaktsperre. Eltern, Freundin, Freunde: Alles tabu. Wegen der Rückfallgefahr, meint Chefärztin Karla Aust von der Drogenklinik Moritzburg.
"Dann gibt’s halt die unterschiedlichen therapeutischen Angebote. In der Wohngruppe selber sage ich immer: Die backen, braten, bohnern sozusagen. Also, das heißt, die versorgen sich selbst. Die lernen ne ganze Menge lebenspraktischer Dinge. Und die haben ne ganze Menge an sozialer Kompetenz, die sie lernen können. Wenn sie sich vorstellen: Wenn sie mit acht oder neun Leuten immer zusammen sind: Jeden Konflikt aussprechen müssen; alles immer wieder auch geklärt werden muss. Und unterschiedlichste Belange ne Rolle spielen. Und man sich da abstimmen muss. Dann ist das schon ne ganz schöne Aufgabe."
"Es war ne Arbeitstherapie. Ich war in der Küche eingeteilt. Also man hat von früh weg bis abends nen durchstrukturierten Tag gehabt. Ob das Arbeit war, Gruppengespräche. Da gab’s Neigungsgruppen, da konnteste Spiele im Haus machen. Oder Kampfsport. Hab andere Leute kennengelernt. Viele junge Leute, die schon mit elf, zwölf Jahren mit den Drogen in Kontakt gekommen sind."
Einstiegsalter elf Jahre: Karla Aust kennt einige solcher Fälle. Teenager, die schon als Babys Alkohol bekommen haben, mit sechs die erste Zigarette geraucht haben und irgendwann bei Crystal gelandet sind. Weil: Ist ja angesagt und billig zu kriegen – die Droge.
"Wichtig wäre, dass die Schüler, die in der Schule schon auffallen, dass es problematisch für sie im Leben ist, dass die vielleicht mehr Unterstützung kriegen könnten. Weil die Jungen, die dann bei uns ankommen, das sind meistens welche, wo zu 60 Prozent in der Schule schon Schwierigkeiten aufgetreten sind. Die, die bei uns landen, die schwere Abhängigkeitserkrankungen entwickeln, die haben schon in der Vorgeschichte zu 99 Prozent Erfahrungen, die kompliziert und schwierig sind. Man muss einfach auch sagen: In der Arbeit hier ist das Klientel auch schon besonders."
In Simone Reinhardts Jugend- und Drogenberatungsstelle ist das ähnlich. 2006 haben 432 "Klienten" die Beratungsstelle in der Nähe des Dresdner Hauptbahnhofs aufgesucht. Viele Mehrfachabhängige; viele Schulabbrecher; viele junge Männer, die nicht mehr runter kommen von Crystal.
"Also, da ist es ähnlich wie im Alkoholbereich beziehungsweise überhaupt im Suchtbereich, dass auf drei Männer eine Frau kommt. Wir führen das unter anderem auf die Sozialisation von Frauen zurück. Dass Frauen vielleicht mehr erst Mal mit sich ausmachen; mehr privat versuchen, mit dem Problem klar zu kommen. Wo Männer auch eher auffällig werden mit dem Konsum; auch strafrechtlich gesehen."
Ein Ende des Crystal-Booms in Sachsen ist nicht abzusehen – im Gegenteil. Drogenfahnder Torsten L. geht davon aus, dass auf ihn in der nächsten Zeit noch mehr Arbeit zukommt. Wegen Schengen und des Wegfalls der Grenzkontrollen an der tschechischen Grenze werden nämlich:
"... logischerweise auch mehr Drogen rein kommen. Ganz klarer Fall. Keine Kontrollen mehr. Und BDM-Delikte, also Drogendelikte, sind ne ganz typische Kontrollkriminalität. Und wenn keine Beamte mehr an der Grenze stehen, die Kontrollen durchführen, wird’s natürlich für uns wesentlich schwerer, an die Täter ran zukommen. Der Zoll strukturiert sich um. Wird entsprechend hoffentlich aus unserer Sicht mehr Personal auf die Straße schicken. Sicherlich nicht an der Grenze, dann im verdeckten Bereich. Im Hinterland werden die Kontrollen erfolgen."
Meint der Rauschgiftfahnder, nur um hinzuzufügen, er wisse noch nicht so ganz, ob sie mit dieser Strategie auch Erfolg haben würden. Wird sich noch zeigen.
Es ist ein Katz- und Maus-Spiel, was sich Drogenfahnder und Dealer liefern. Meist haben letztere die Nase vorn; sind sie besser ausgerüstet, besser vernetzt. Ab und zu aber geht den sächsischen Fahndern ein dicker Fisch ins Netz. Vor kurzem wurde ein Crystal-Dealer erwischt, der Minderjährige zum Schmuggeln angestiftet hatte. Der sitzt jetzt erst einmal die nächsten acht Jahre hinter Gittern.
Ein Erfolg für Torsten L. War ihm wichtig; ist ja selbst Vater zweier Kinder. Haben sich die langwierigen Ermittlungen doch ausgezahlt.
"Die Ermittlungen an sich führen wir im verdeckten Bereich durch. Und da gibt die Strafprozessordnung natürlich alle Möglichkeiten, gerade im Betäubungsmittelbereich. Also, das fängt an mit Observationen, Überwachen der Telekommunikation. Die gesamte Bandbreite der Strafgesetzordnung schöpfen wir aus. Und müssen wir mittlerweile auch ausschöpfen. Weil unser Klientel sich auch darauf inzwischen eingestellt hat. Unsere Ermittlungsverfahren dauern mittlerweile auch sechs Monate, acht Monate, teilweise ein Jahr. Und es werden viele Aktenbände beschrieben."
Kriminell ist Riko nicht geworden. Meint er. Keine Diebstähle; keine Dealereien. Das ist ihm wichtig. Zumindest da hat er eine reine Weste.
"Nach zwei Jahren hab ich nen Rückfall gehabt. Und hab meinen Führerschein deswegen verloren. War in der Ausbildung zum Berufskraftfahrer. Und ist schwer eigentlich. Nun bin ich zu Hause, kann ja meinen Job als Berufskraftfahrer nicht mehr ausüben. So. Und die freie Zeit sinnvoll auszugleichen – das ist nen böser Knackpunkt, wo ich jetzt noch dran arbeiten muss."
Zwei von drei Crystal-Usern, die einen Entzug hinter sich haben, schaffen es nicht, danach clean zu bleiben. Ein hohe Rückfallquote – doch Rüdiger Schmitt von der Suchtberatungsstelle Stollwerk kann dem ganzen auch etwas Positives abgewinnen.
"Ich für mich finde es immer schon als Erfolg, wenn die Person erst Mal da drüber nachdenkt, wie könnte ein Leben ohne Drogen aussehen. Ungefähr ein Drittel der Klienten schaffen das beim ersten Anlauf gleich raus zu kommen. Aber wie das dann weiter geht; wie lange das dann auch durchgestanden wird, dieses Trockensein, abstinent sein, nichts mehr nehmen, ist immer wieder nen Fragezeichen. Kommt auf die einzelne Person an. Aber wenn ich sag, ein Drittel schafft das, dann heißt das nicht, dass die anderen zwei Drittel nichts gelernt haben. Manche brauchen mehrere Anläufe."
So wie Riko. Jetzt ist er wieder clean. Endgültig. Sagt er.
"Es ist ein tagtäglicher Kampf, nicht zu konsumieren. Weil: Du musst wirklich komplett abschließen mit allem, was vorher war. Also: Die Sucht ist immer da. Die wird mich mein ganzes Leben begleiten."
So wie Riko ist es in der letzten Zeit immer mehr jungen Leuten in Sachsen gegangen: Sie sind auf den Geschmack von "Crystal" gekommen – dem "Turbo-Porsche" unter den Aufputschmitteln, wie es in der Szene heißt. Crystal schlägt durch wie kaum eine andere Droge; ist extrem berauschend. Weil der Körper verstärkt Adrenalin und Dopamin ausschüttet – und man bis zu siebzig Stunden am Stück wach bleibt; tanzt; Sex hat. Das kommt an bei den Raver-Kids – genau wie die Tatsache, dass Crystal verhältnismäßig wenig kostet: In Dresden bekommt man das Gramm schon für zwanzig Euro.
"In der Szene sagt man ja auch: Crystal ist das Kokain der Armen."
Meint denn auch Karla Aust, die Leiterin der Drogenklinik in Moritzburg bei Dresden. Vor sieben Jahren ist die Klinik gegründet worden, die idyllisch am Rande der Stadt auf einem Hügel liegt. Viel Platz, viel Grün, viel Ruhe. Doch dafür haben Karla Austs Patienten erst einmal keine Augen, wenn sie hierher kommen. 34 sind es zurzeit – die meisten junge Männer zwischen achtzehn und Anfang dreißig.
"Ganz am Anfang der Einrichtung hat Crystal irgendwie mal als Probierkonsum ne Rolle mitgespielt. Und ich glaub jetzt sind’s so zwei Drittel unserer Patienten hier, bei denen Crystal als Hauptdroge ne Rolle spielt. Vielleicht hängt's ja auch damit zusammen, dass Crystal-Konsumenten über eine lange Zeit gesellschaftskonform leben können. Man ist gesellschaftskonform, wenn man richtig mitmachen kann, durchziehen kann, feiern kann. Wenn man den Kick hat."
"Leistungssteigernd ist es gewesen. Also man hat Dinge geschafft innerhalb kürzester Zeit. Viele Ideen. Das waren dann nur so viele Ideen, die kannste dann gar nicht umsetzen."
Die Droge passt in die Zeit. Es ist eine Leistungs- und Ego-Droge.
Sachsen – laut "Leipziger Volkszeitung" ist der Freistaat "die Crystal-Hochburg Deutschlands". Tatsächlich wird in keinem anderen Bundesland so viel Crystal konsumiert - und beschlagnahmt: 2006 waren es mehr als sieben Kilo. Experten gehen davon aus, dass das nur fünfzehn Prozent dessen ist, was tatsächlich auf dem sächsischen Markt zirkuliert.
"Das ist wie, als wenn du in den Supermarkt gehst. So hattest du immer drei, vier Mann in einem Ort, wo du was organisieren konntest; beschaffen konntest."
Dass Sachsen "Crystal-Land" ist, hat auch mit seiner Nähe zur tschechischen Republik zu tun. Dort wird die synthetische Droge schon seit Jahrzehnten in illegalen Drogenküchen gebrodelt. Ein lukratives Geschäft – speziell seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Heute ist Tschechien die Crystal-Drogenküche Europas; überschwemmt der illegale Exportschlager das sächsische Grenzgebiet und die Metropolen: Dresden, Leipzig, Chemnitz.
Seit fünf, sechs Jahren ist das jetzt schon so, konstatiert Torsten L. von der gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift vom Zoll und Landeskriminalamt Sachsen. Erst letzte Woche ist dem Rauschgiftfahnder ein Crystal-Schmuggler ins Netz gegangen: 40 Gramm reines Crystal, ein relativ kleiner Fund. Doch Torsten L. ist schon froh, dass sein Team überhaupt mal wieder fündig geworden ist.
"Die Schmugglerverstecke werden immer besser, es wird immer professioneller. Es werden teilweise die Autos umgebaut, Verstecke eingebaut, mit Elektrik, mit Hydraulik. Teilweise wird das Rauschgift am Körper transportiert; teilweise wird das Rauschgift sogar im Körper transportiert. Es wird geschluckt. Oder teilweise wird’s in Körperöffnungen eingeführt. Und das sind natürlich Sachen, die uns vor immer größere Probleme stellen. Man kann nicht mehr sagen: Der Jugendliche, 22-jährige oder 18-jährige, schmuggelt das Gift. Wir haben Schmuggler gehabt in aller Couleur. Jedes Alter."
Die sächsischen Drogenfahnder kooperieren eng mit ihren tschechischen Kollegen, Torsten L. schließt sich regelmäßig mit einem Verbindungsbeamten von der anderen Seite der Grenze kurz – per Telefon oder E-Mail. Klappt reibungslos, meint der Mittvierziger, dessen Büro zugepflastert ist mit Postern der australischen Hardrock-Band ACDC.
"Wir haben auch sehr gute Kontakte nach Bayern, zum bayrischen Landeskriminalamt. Also, die bayerischen Kollegen haben durchaus ähnliche Probleme wie wir, was Crystal anbetrifft. Da werden die Erkenntnisse ausgetauscht. Wenn man also so und so Ermittlungsverfahren hat und irgendwelche Erkenntnisse, die vielleicht Richtung Bayern gehen, ist es also völlig unproblematisch, sich dann an die entsprechenden Kollegen zu wenden. Wobei man sagen muss, diese Phänomen Crystal ist wirklich bayrisch, sächsisches, thüringisches Problem. Weiter nördlich ist die Droge fast kaum bekannt."
In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise – in Hamburg oder Bremen. Von dort erreichten die sächsischen Drogenfahnder schon Anfragen, ob Crystal denn das gleiche wäre wie Crack.
"Ist es nicht." Rüdiger Schmitt von der Suchtberatungsstelle Stollwerk schüttelt den Kopf. Der Mittdreißiger ist in den letzten Jahren zum Crystal-Experten geworden; seitdem immer mehr junge Crystal-Süchtige aus der Kleinstadt am Fuße des Erzgebirges zu ihm in die Beratungsstelle kommen.
"Es gibt viele Leute, die denken, dass das gerade im ländlichen Raum nicht so ausgebreitet ist. Aber hier ist es doch sehr verbreitet: Crystal und Cannabis sind die illegalen Drogen, mit denen wir hier am meisten zu kämpfen haben. Und die Ursachen: einmal, die Nähe zur tschechischen Grenze. Und dann eben auch diese Ballungsgebiete, die in der Nähe sind. Das ist einmal Zwickau beziehungsweise Chemnitz. Der Transfer kommt dann eben über die Grenze und zum Teil wird dann nen Zwischenstopp gemacht. Oder hier im Erzgebirge werden auch immer mal wieder kleine Labore ausgehoben, wo eben selbst hergestellt wird."
"Je länger du dabei bist, desto mehr stumpft es ab. Dann ist keine Kommunikation mehr da. Jeder macht sein Ding für sich. Ich war manchmal drei, vier Tage wach. Hab nicht geschlafen. Ging einfach nicht. Ich hab nur die Augen zu gemacht, dass sich die Augen mal ausruhen konnten. So gegessen hab ich überhaupt nicht mehr. Weil du kein Hunger hast."
Irgendwann wog Riko nur noch 65 Kilo. Da habe er es zum ersten Mal mit der Angst zu tun bekommen, erinnert er sich. Aber Aufhören?! Dazu war er noch nicht bereit. Hat also weitergemacht; die Ration gesteigert: Von drei Mal die Woche auf jeden Tag – auch wenn das Hartz IV dafür kaum noch reichte; das Zeug auf Teufel kommt raus geschnupft, bis seine Nase völlig verätzt - und seine Mundhöhlen vereitert waren. Ist er also auf Crystal-Pillen umgestiegen – zusammen mit seiner Freundin; die irgendwann auch nur noch ein Strich in der Landschaft war.
Gewichtsverlust durch Crystal-Konsum – Simone Reinhardt, die Leiterin der Jugend- und Drogenberatungsstelle in Dresden, kennt das von etlichen weiblichen Crystal-Usern.
"Ich hatte durchaus Frauen, die über den Konsum von Crystal ihr Körpergewicht um zwanzig bis dreißig Kilo in sehr kurzen Zeiträumen hoch und runter regulieren können. Was dann natürlich überhaupt Auswirkungen hat auf die Gesundheit. Und alle Organsysteme, die damit im Zusammenhang stehen. Das Schlafbedürfnis wird herabgesetzt. Was heißt: Der Körper kommt völlig aus dem Gleichgewicht. Was dann wiederum Auswirkungen hat natürlich auf den sozialen Bereich: Wenn ich am Wochenende über den Crystal-Konsum 48 Stunden durchmache, Party mache, bin ich natürlich oftmals montags, dienstags nicht in der Lage, vernünftig ne Ausbildung beziehungsweise ner Schule nachzugehen."
"Den Kopf nimmt’s auch ganz schön mit. Vom ganzen Tagesablauf her. Du hast keinen rechten durch strukturierten Tag mehr. Ich hab eigentlich ne Acht-Tage-Woche gespürt, die es gar nicht gibt. Du kannst es zeitlich gar nicht mehr richtig festsetzen, was wann für nen Tag ist. Ich musste manchmal nachfragen: Was haben wir eigentlich für nen Tag? Oder was für ne Uhrzeit? Du verlierst komplett den Anschluss an die Gesellschaft. Ich hab keinen Kontakt mehr zu Familie gehabt. Zu niemanden mehr. Am Ende."
Crystal hat viele Namen. In den USA ist die Droge als "Meth" oder "Crank" bekannt – und breitet sich laut Angaben des Suchtstoffkontrollrats der Vereinten Nationen "wie eine Seuche" aus. In Sachsen wird sie auch "Hitler Speed" genannt. Das Zeug ist nämlich nichts neues, schon im Zweiten Weltkrieg wurde es unter dem Namen Pervitin Piloten der Luftwaffe oder Panzerfahrern gegeben - gegen die Angst und die Müdigkeit.
Crystal ist leicht herzustellen. Ziemlich leicht sogar. Die Inhaltsstoffe bekommt man in jeder Apotheke - ganz legal. Das toxische Pulver kostet unterm Strich nicht viel, ist aber nicht ganz ungefährlich. Immer wieder tragen ungeübte Heimkocher durch Explosionen Brandwunden davon.
In den illegalen Laboren in Tschechien passiert so etwas nur selten. Dafür, meint Rauschgiftfahnder Torsten L, sei die Szene längst viel zu professionell – auch wenn die hochgehobenen Labore oft die letzten Klitschen seien.
"Man muss sich auch vom Begriff Labor verabschieden. Ich sag mal so: Der Normalverbraucher verbindet mit Labor weiße Kittel, sterile Geräte und Laboreigenschaften, wie man das halt so aus der Medizin kennt. Und wir verwenden das Wort Labor in dem Zusammenhang natürlich nur, weil dort Chemikalien zum Einsatz kommen. Das sind meistens Hinterhöfe, irgendwelche Schuppen. Da wird das unter übelsten hygienischen Bedingungen zusammengekocht. Also wir haben Videoaufnahmen und Fotos von den tschechischen Kollegen bekommen. Die dort also verschiedene Labore sichergestellt haben und ausgeräumt haben und die Täter fest genommen wurden. Sieht wirklich zum Teil übel aus."
Den meisten Crystal-Usern ist das egal. Hauptsache, sie kommen an den Stoff ran. Möglichst reinen Stoff. Das ist gar nicht so einfach. Denn oft ist das Crystal gestreckt. Je weniger reines Crystal, desto größer der Profit - lautet die Rechnung der Dealer. Mögliche Gesundheitsschäden der Konsumenten: reine Nebensache.
Bislang haben die sächsischen Drogenfahnder nur relativ harmlose Strecksubstanzen in ihren Laboren nachgewiesen, ist noch kein Blei entdeckt worden - wie unlängst bei einem Marihuana-Fund im Freistaat. Noch nicht.
Und an sich auch egal: Denn allein schon die Langzeitfolgen von Crystal sind gravierend genug. So ähneln computertomographische Aufnahmen exzessiver Konsumenten denen von Alzheimer-Patienten im Frühstadium, laufen die Abhängigen ein zwanzigfach höheres Risiko, an einer Psychose zu erkranken.
"Man hat überhaupt keine Gefühle mehr, für niemanden mehr; stumpft ab. Geht wie mit Scheuklappen durchs Leben. Wenn man einmal in den Teufelskreis drin ist – alleine da raus zu kommen ist schwierig. Also, ich brauchte nen Denkanstoss von meinem Kumpel. Und nach zwei Jahren konnte ich mich dann durchringen oder hab überlegt: Ich brauch ne Therapie. Dann bin ich hierher gekommen, in die Suchtberatungsstelle. Hab erst nen halbes Jahr intensive Gespräche geführt, ob ich das auch wirklich will. Das hab ich dann durchgezogen. Und dann bin ich halt – das war im Sommer 2005 – zur Entgiftung. Und dann im Anschluss zur Therapie gegangen. Nen halbes Jahr."
Keine leichte Zeit für Riko. Runter zu kommen von der Droge; ganz ohne Hilfe von außen: Die ersten drei Monate gilt eine komplette Kontaktsperre. Eltern, Freundin, Freunde: Alles tabu. Wegen der Rückfallgefahr, meint Chefärztin Karla Aust von der Drogenklinik Moritzburg.
"Dann gibt’s halt die unterschiedlichen therapeutischen Angebote. In der Wohngruppe selber sage ich immer: Die backen, braten, bohnern sozusagen. Also, das heißt, die versorgen sich selbst. Die lernen ne ganze Menge lebenspraktischer Dinge. Und die haben ne ganze Menge an sozialer Kompetenz, die sie lernen können. Wenn sie sich vorstellen: Wenn sie mit acht oder neun Leuten immer zusammen sind: Jeden Konflikt aussprechen müssen; alles immer wieder auch geklärt werden muss. Und unterschiedlichste Belange ne Rolle spielen. Und man sich da abstimmen muss. Dann ist das schon ne ganz schöne Aufgabe."
"Es war ne Arbeitstherapie. Ich war in der Küche eingeteilt. Also man hat von früh weg bis abends nen durchstrukturierten Tag gehabt. Ob das Arbeit war, Gruppengespräche. Da gab’s Neigungsgruppen, da konnteste Spiele im Haus machen. Oder Kampfsport. Hab andere Leute kennengelernt. Viele junge Leute, die schon mit elf, zwölf Jahren mit den Drogen in Kontakt gekommen sind."
Einstiegsalter elf Jahre: Karla Aust kennt einige solcher Fälle. Teenager, die schon als Babys Alkohol bekommen haben, mit sechs die erste Zigarette geraucht haben und irgendwann bei Crystal gelandet sind. Weil: Ist ja angesagt und billig zu kriegen – die Droge.
"Wichtig wäre, dass die Schüler, die in der Schule schon auffallen, dass es problematisch für sie im Leben ist, dass die vielleicht mehr Unterstützung kriegen könnten. Weil die Jungen, die dann bei uns ankommen, das sind meistens welche, wo zu 60 Prozent in der Schule schon Schwierigkeiten aufgetreten sind. Die, die bei uns landen, die schwere Abhängigkeitserkrankungen entwickeln, die haben schon in der Vorgeschichte zu 99 Prozent Erfahrungen, die kompliziert und schwierig sind. Man muss einfach auch sagen: In der Arbeit hier ist das Klientel auch schon besonders."
In Simone Reinhardts Jugend- und Drogenberatungsstelle ist das ähnlich. 2006 haben 432 "Klienten" die Beratungsstelle in der Nähe des Dresdner Hauptbahnhofs aufgesucht. Viele Mehrfachabhängige; viele Schulabbrecher; viele junge Männer, die nicht mehr runter kommen von Crystal.
"Also, da ist es ähnlich wie im Alkoholbereich beziehungsweise überhaupt im Suchtbereich, dass auf drei Männer eine Frau kommt. Wir führen das unter anderem auf die Sozialisation von Frauen zurück. Dass Frauen vielleicht mehr erst Mal mit sich ausmachen; mehr privat versuchen, mit dem Problem klar zu kommen. Wo Männer auch eher auffällig werden mit dem Konsum; auch strafrechtlich gesehen."
Ein Ende des Crystal-Booms in Sachsen ist nicht abzusehen – im Gegenteil. Drogenfahnder Torsten L. geht davon aus, dass auf ihn in der nächsten Zeit noch mehr Arbeit zukommt. Wegen Schengen und des Wegfalls der Grenzkontrollen an der tschechischen Grenze werden nämlich:
"... logischerweise auch mehr Drogen rein kommen. Ganz klarer Fall. Keine Kontrollen mehr. Und BDM-Delikte, also Drogendelikte, sind ne ganz typische Kontrollkriminalität. Und wenn keine Beamte mehr an der Grenze stehen, die Kontrollen durchführen, wird’s natürlich für uns wesentlich schwerer, an die Täter ran zukommen. Der Zoll strukturiert sich um. Wird entsprechend hoffentlich aus unserer Sicht mehr Personal auf die Straße schicken. Sicherlich nicht an der Grenze, dann im verdeckten Bereich. Im Hinterland werden die Kontrollen erfolgen."
Meint der Rauschgiftfahnder, nur um hinzuzufügen, er wisse noch nicht so ganz, ob sie mit dieser Strategie auch Erfolg haben würden. Wird sich noch zeigen.
Es ist ein Katz- und Maus-Spiel, was sich Drogenfahnder und Dealer liefern. Meist haben letztere die Nase vorn; sind sie besser ausgerüstet, besser vernetzt. Ab und zu aber geht den sächsischen Fahndern ein dicker Fisch ins Netz. Vor kurzem wurde ein Crystal-Dealer erwischt, der Minderjährige zum Schmuggeln angestiftet hatte. Der sitzt jetzt erst einmal die nächsten acht Jahre hinter Gittern.
Ein Erfolg für Torsten L. War ihm wichtig; ist ja selbst Vater zweier Kinder. Haben sich die langwierigen Ermittlungen doch ausgezahlt.
"Die Ermittlungen an sich führen wir im verdeckten Bereich durch. Und da gibt die Strafprozessordnung natürlich alle Möglichkeiten, gerade im Betäubungsmittelbereich. Also, das fängt an mit Observationen, Überwachen der Telekommunikation. Die gesamte Bandbreite der Strafgesetzordnung schöpfen wir aus. Und müssen wir mittlerweile auch ausschöpfen. Weil unser Klientel sich auch darauf inzwischen eingestellt hat. Unsere Ermittlungsverfahren dauern mittlerweile auch sechs Monate, acht Monate, teilweise ein Jahr. Und es werden viele Aktenbände beschrieben."
Kriminell ist Riko nicht geworden. Meint er. Keine Diebstähle; keine Dealereien. Das ist ihm wichtig. Zumindest da hat er eine reine Weste.
"Nach zwei Jahren hab ich nen Rückfall gehabt. Und hab meinen Führerschein deswegen verloren. War in der Ausbildung zum Berufskraftfahrer. Und ist schwer eigentlich. Nun bin ich zu Hause, kann ja meinen Job als Berufskraftfahrer nicht mehr ausüben. So. Und die freie Zeit sinnvoll auszugleichen – das ist nen böser Knackpunkt, wo ich jetzt noch dran arbeiten muss."
Zwei von drei Crystal-Usern, die einen Entzug hinter sich haben, schaffen es nicht, danach clean zu bleiben. Ein hohe Rückfallquote – doch Rüdiger Schmitt von der Suchtberatungsstelle Stollwerk kann dem ganzen auch etwas Positives abgewinnen.
"Ich für mich finde es immer schon als Erfolg, wenn die Person erst Mal da drüber nachdenkt, wie könnte ein Leben ohne Drogen aussehen. Ungefähr ein Drittel der Klienten schaffen das beim ersten Anlauf gleich raus zu kommen. Aber wie das dann weiter geht; wie lange das dann auch durchgestanden wird, dieses Trockensein, abstinent sein, nichts mehr nehmen, ist immer wieder nen Fragezeichen. Kommt auf die einzelne Person an. Aber wenn ich sag, ein Drittel schafft das, dann heißt das nicht, dass die anderen zwei Drittel nichts gelernt haben. Manche brauchen mehrere Anläufe."
So wie Riko. Jetzt ist er wieder clean. Endgültig. Sagt er.
"Es ist ein tagtäglicher Kampf, nicht zu konsumieren. Weil: Du musst wirklich komplett abschließen mit allem, was vorher war. Also: Die Sucht ist immer da. Die wird mich mein ganzes Leben begleiten."