Wenn das Militär zum Denkmal wird
Brandenburg ist geschichtlich mit militärischen Einrichtungen reich ausgestattet. So blieben nach dem Abzug russischer Truppen in Ostdeutschland gewaltige Altlasten zurück auf einer Fläche so groß wie das Saarland. Zum Beispiel die ehemalige militärische Liegenschaft Kummersdorf-Gut/Sperenberg. Sie ist das größte militärisches Denkmal Brandenburgs. Eine ungewöhnliche Koalition aus Denkmalschützern, Heimatfreunden und Naturschützern setzt sich nun für eine zivile Nutzung des Geländes ein.
Kummersdorf - eine knappe Autostunde südlich von Berlin. 120 Jahre lang war dieses Gelände fest in der Hand des Militärs. Zunächst der königlich-preußischen Artillerie, dann der kaiserlichen Armee, später der faschistischen Wehrmacht, zuletzt der sowjetischen Armee.
Mehr als alle anderen militärischen Liegenschaften in Deutschland steht Kummersdorf für die Ausrichtung aller Lebensbereiche auf den Krieg. Hier wurde all das getestet, erforscht und weiterentwickelt, was Deutschland für seine militärischen Auseinandersetzungen brauchte - vom Geschirr für Feldküchen über Stiefel für Kanoniere, von Granaten, Panzern und Artilleriegeschossen bis hin zu Raketenantrieben. Auch kriegstaugliche Hunde ließ das Militär hier züchten und ausbilden.
Georg Frank: "Ich denke, es ist wichtig, dass man sich klarmacht, dass es nicht irgendein Schießplatz ist."
Georg Frank vom brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege.
Georg Frank: " ... sondern dass es eine wirklich zentrale Forschungseinrichtung des Heeres gewesen ist, die alle Bereiche des Heeres betroffen hat."
So steht die Heeresversuchsstelle Kummersdorf auch für die faschistische Ideologie des totalen Kriegs.
Georg Frank: "Ja man hat hier wirklich versucht, Waffen zu entwickeln, die den Endsieg herbeiführen sollten. Das hat man ja auch propagiert, und hat das propagandistisch entsprechend ausgenutzt, also auch das Darstellen der ersten Raketen, die dann schießen konnten."
Doch an die Monstrosität dieses Krieges erinnert heute nur noch wenig auf diesem etwa 5.000 Fußballfelder großen Gelände. Zwischen spärlich gewachsenen märkischen Kiefern und trockenem Gras ragen einige graue Betonbauwerke in die Landschaft, die an kleine Bunker erinnern.
Martin Schnittler: "Jetzt sind wir hier auf der Versuchsstelle Ost. Und die Versuchsstelle Ost ist auch zuzuordnen der Raketenentwicklung."
Martin Schnittler vom Museumsverein Kummersdorf führt über das Gelände, das normalerweise für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Nur der Museumsverein hat von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben die Genehmigung, die ehemalige Heeresversuchsstelle zu betreten und sie Interessenten zu zeigen.
"Es gab hier Prüfstände in Kummersdorf, also man hat ab ja 1930/32 intensiv damit begonnen, an der Raketenentwicklung zu arbeiten. Es gab ja viele Leute, und viele interessierte Leute, die sich zur damaligen Zeit mit dieser Problematik beschäftigt haben."
Einer davon war Wernher von Braun - Raketentechniker, Raumfahrtpionier und SS-Mann. Er war oft in Kummersdorf, hat hier in der Versuchsstelle Ost gearbeitet, hat - geschützt durch einen halben Meter dicke Betonmauern - die Raketentriebwerke gezündet und durch die Sehschlitze beobachtet, was passiert. Genau wie der 7-jährige Richard heute.
"Das ist eine Scheibe Panzerglas, die hier drinne war, dass da wirklich nichts passieren kann. Siehst Du das."
"Ich will mal gucken."
"Vorsicht, sonst schneidest Du Dich, das ist richtig dickes Panzerglas."
"Kann da keine Kugel durch?"
"So schnell jedenfalls nicht."
Die kleinen Betonbunker sind durch unterirdische Gänge miteinander verbunden.
Richard: "Man kann von da laufen oder von da. Sie sehen, dass da noch ein Gang abgeht."
Mit dem Auto geht es weiter die insgesamt zwölf Kilometer langen Schießbahnen entlang. Sie sind mittlerweile zugewachsen. Auch von den 55 Beobachtungsständen, von denen aus die Militärs die Flugbahnen der Artilleriegeschosse verfolgten, sind nur noch Reste vorhanden.
Martin Schnittler stutzt. Er hat einen weißen Transporter entdeckt, der am Wegrand parkt. Vielleicht Raubgräber, auf die die Mitglieder des Museumsvereins immer wieder treffen und die sie dann vom Gelände scheuchen. Oder Teilnehmer einer Schnitzeljagd, die sich mithilfe von GPS-Geräten orientieren. Auch die haben auf der ehemaligen Heeresversuchsstelle Kummersdorf nichts zu suchen. Sich kreuz und quer über das Gelände zu bewegen, ist gefährlich, denn die Munition ist noch nicht beräumt.
Martin Schnittler: "Sie haben Leute, die halt nach Trophäen, nach bestimmten Abzeichen, nach Erkennungsmarken suchen, die dort unterwegs sind. Dann haben sie Leute, die bestimmten Insider-Hinweisen nachgehen, die irgendwelche Technik suchen. So ungefähr muss man sich das vorstellen."
Martin Schnittler gibt Entwarnung. Der weiße Transporter gehört dem Revierförster, der mit seinem Hund spazieren geht und nach dem Rechten sieht. Mehr als vier Fünftel des 3.500 Hektar großen Geländes sind mit Wald bedeckt. Rechts und links des Weges stehen Birken, gepflanzt von Soldaten der sowjetischen Armee, die sich damit ein bisschen Heimat in die DDR holten. Das sowjetische Militär nutzte die Fläche nach 1945 nicht mehr als Versuchsgelände, sondern als LKW-Basis und Flugplatz. Martin Schnittler zeigt nach rechts in den Wald hinein, dort sind Reste einer Mülldeponie zu sehen. Schutt, Asche und Sperrmüll türmen sich auf.
Martin Schnittler: "Die sowjetischen Truppen hatten das ja so an sich: Wo sich ein Loch fand, da wurde eben abgekippt. Und dementsprechend ist das nach wie vor eine Sache, die nicht hundertprozentig abgeschlossen ist."
Gifte aus der Mülldeponie und Treibstoff sickern ins Grundwasser, doch der Bund als Eigentümer der Fläche macht keine Anstalten, die Deponie zu sanieren. Der Landkreis Teltow-Fläming hat ihn dazu aufgefordert, sogar ein entsprechendes Gerichtsurteil erwirkt, doch passiert ist bislang nichts. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben setzt auf Zeit und darauf, dass die Fläche über kurz oder lang sowieso an das Land Brandenburg übergeben wird.
Doch auch Brandenburg lässt sich Zeit. Im Finanzministerium will man zunächst ein Gutachten zur Belastung der Fläche mit Altlasten und Munition abwarten, bevor man beginnt, mit dem Bund zu verhandeln.
Das ehemalige Abfertigungsgebäude des sowjetischen Militärflugplatzes verfällt. Fenster und Türen hat längst jemand ausgebaut und mitgehen lassen, die Räume sind leer, vom Dach lösen sich gelbe Ziegelsteine. Zwischen den Betonplatten der Start- und Landebahn wächst Gras. 1957 hat die sowjetische Armee den Flugplatz in Betrieb genommen, erzählt Martin Schnittler.
"Hauptsächlich als Transportflughafen, aber es wurde hier auch Passagierverkehr abgewickelt. Sprich, die Offiziersfamilien, die in Deutschland stationiert waren, sind hier halt mit dem Flugzeug gekommen, aber hauptsächlich für den Truppenaustausch."
Der Weg wird schmaler und schlechter, das Gras steht einen halben Meter hoch. Hier ist schon lange niemand mehr entlang gefahren. Die typische märkische Sand- und Kiefernlandschaft verschwindet, große Farne säumen den Weg.
Martin Schnittler: "So, hier kommen wir schon in die feuchteren Bereiche. (rumpel) Hops, das Auto ist Kummer gewöhnt. Ist ja gleich vorbei. Sehr viel zugewachsen mittlerweile. So. Wollen wir ein Stückchen laufen." (Tür schlägt)
Hier sieht es auf einmal wie in der Sächsischen Schweiz aus. Felsen türmen sich auf, von Moosen überwachsen. Dazwischen blühen lilafarbige Disteln.
Doch der erste Eindruck täuscht. Die Felslandschaft entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als von Menschen gemacht. Es ist das sogenannte "Vereinigte Panzer- und Gewölbeziel".
Martin Schnittler: "Das, was man an Material benötigte, musste hier her gebracht werden, sprich mit dem damaligen Transportmittel Pferd und Wagen in erster Linie, aber dann auch mit Feldbahnen, die hier verlegt wurden. Granitsteine, Zement, der vergossen wurde, aber auch die Ziegelsteine für das Gewölbe, das ja den Grundstock bildete. Das Gewölbe wurde zuerst aufgemauert, darüber wurde zum Schutz eine zwei Meter mächtige Hartgranitbetonschicht gegeben, um dieser gesamten Anlage den entsprechenden Schutz zu verleihen."
1884 errichtet, drei Jahre später mit 152 Granaten beschossen und in Schutt und Asche gelegt. Dadurch lernten die kaiserlich-preußischen Militärs, wie man Festungen stabil baut und wie man sie am besten erobert und zerstört.
"Wir können mal einen Spaziergang drum herum machen, um ein Gefühl davon zu bekommen, wie diese Anlage als solche aussah."
Für Martin Schnittler ist das "Vereinigte Panzer- und Gewölbeziel" das beeindruckendste Bauensemble auf dem Gelände. Es steht seit letztem Jahr unter Denkmalschutz, gemeinsam mit insgesamt 160 Bauwerken der Heeresversuchsstelle Kummersdorf. Dazu gehört auch die Versuchsstelle Gottow. Dort führten Kernphysiker während des Zweiten Weltkrieges Atomversuche durch. Ein noch unerforschtes Kapitel, sagt Georg Frank vom Landesdenkmalamt.
"Unser Problem ist, dass wir nicht die großen Kapazitäten haben, um jetzt an einem Denkmal, das eingetragen ist, eine umfassende Forschung zu machen. Die wäre jetzt sicherlich sinnvoll. Wenn ich das präsentieren will, muss ich mehr dazu sagen und vielleicht auch systematischer darstellen können, als der Verein es in der Regel kann."
Der Verein "Historisch-technisches Museum Kummersdorf" hat im ehemaligen Dorfkonsum eine kleine Ausstellung aufgebaut. In den Vitrinen liegen Panzermodelle, Übungsgranaten und spezielle Kanonierschuhe mit dicken Holzsohlen. Vereinsmitglieder haben die Schießbahnen in Kleinformat nachgebaut, an den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos vom Alltag in der Heeresversuchsstelle. Muss man Militarist sein, um sich in seiner Freizeit für dieses Museum zu engagieren? Martin Schnittler reagiert etwas verschnupft auf diese Frage.
"Ich finde es immer so ein bisschen komisch und mir tut das persönlich auch ein bisschen weh, wenn man 'Militarist' ist. Das ist immer so negativ belegt, dieser Begriff."
Nein, ich bin kein Militarist, sagt der 40-Jährige bestimmt. Er und die anderen Vereinsmitglieder verstehen sich als Heimatforscher. Und ihre Heimat ist nun einmal durch eine 120-jährige Militärgeschichte geprägt. Diese halten sie für so wichtig, dass sie die ehemalige Heeresversuchsstelle Kummersdorf am liebsten zum Weltkulturerbe erklären und unter Unesco-Schutz stellen möchten.
"Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass man sich mit der Geschichte beschäftigt, dass man darüber redet, und dass man seinen Standpunkt findet zu den Geschehnissen, zu den Ereignissen. Einfach totschweigen, das kann nicht das Maß der Dinge sein."
"Von Kummersdorf sollten vielleicht dann, wenn man es denn touristisch entwickelt, Friedensbotschaften in die Welt gehen. Und man sollte durchaus zeigen, wozu der Mensch fähig ist, und wenn man nicht Obacht gibt, dass es eben ganz schlimm ausgehen kann."
Sagt Carsten Preuß vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (BUND). Auch Naturschützer haben das Gelände der Heeresversuchsstelle Kummersdorf entdeckt. Seltene Tiere und Pflanzen fühlen sich wohl auf solch großen, unzerschnittenen Flächen. Das Militär war zwar lange in Kummersdorf aktiv, aber immer nur in den Randbereichen des weitläufigen Geländes. Kein Landwirt verbreitet Pestizide oder Dünger, außerdem ist die Fläche von der Außenwelt abgeschirmt.
"Das ist auch der Reiz dieser Fläche, dass ich hier ein buntes Mosaik von Biotop-Typen habe. Auf der einen Seite die Heide, wenige hundert Meter weiter kommt das Picherluch, da habe ich feuchte Bereiche. Also die Summe macht's dann aus, was den Wert ausmacht."
Das Land Brandenburg hat Teile des Geländes zum Naturschutzgebiet erklärt. Hier leben stark gefährdete Arten wie der Seeadler, die Glattnatter und der Fischotter. Die alten Bunker dienen Fledermäusen als Quartier. Das "Vereinigte Panzer- und Gewölbeziel" ist zum Ersatzfelsen für seltene Pflanzen geworden. Das Land Brandenburg hat die Fläche vor kurzem für eine Aufnahme in die "Nationale Naturerbeliste" vorgeschlagen. Ein Grund dafür sind die großen Heideflächen, die sich künftig auch touristisch nutzen ließen. Im Auftrag des Kreises Teltow-Fläming hat der Biologe Frank Meyer ein entsprechendes Gutachten erarbeitet.
"Es ist so, dass zwar Brandenburg bundesweit über den höchsten Anteil von Heideflächen verfügt, aber der heidefanatische Besucher, sage ich mal in Anführungszeichen, der heideinteressierte Besucher muss nach wie vor in die Lüneburger Heide fahren, um sich Heide anzugucken. Obwohl große Heideflächen zum Beispiel in Kummersdorf unmittelbar vor der Haustür sind. Sie sind nicht zugänglich und der Besucher guckt in die Röhre."
Frank Meyer kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass sich Denkmalschutz, Naturschutz und Tourismus in Kummersdorf hervorragend ergänzen. Ein geschichtlicher Lehrpfad könnte von einem militärischen Objekt zum anderen führen, ergänzt durch einen naturkundlichen Wanderweg. Voraussetzung dafür ist die Sanierung der Altlasten und die Räumung der Munition, ein teures Unterfangen.
Der Landkreis Teltow-Fläming steht der Idee einer touristischen Nutzung positiv gegenüber. Zunächst muss allerdings geklärt werden, wem das Gelände künftig gehören wird. Wir wollen keinen Privateigentümer, sagen Heimatforscher, Umwelt- und Denkmalschützer aus der Region.
Carsten Preuß: "Da es in der Regel so ist, dass der Höchstbietende den Zuschlag bekommt, haben wir keinen Einfluss darauf, ob er uns dann mit der Entwicklung, wie wir sie uns wünschen, wohl gesonnen ist oder nicht. Und wir wollen die zukünftige Entwicklung nicht dem Zufall überlassen, sondern wir wollen sie planen können."
Die drei Vereine setzen sich deshalb für eine Stiftung oder die öffentliche Hand als Eigentümerin der Fläche ein. Für Gutachter Frank Meyer ist die Frage des Eigentümers weniger bedeutsam.
"Es ist ein Schatz, den es zu heben und den es auch zu bewahren gilt. Dieser Platz soll einfach nicht verscherbelt werden, sondern auch für zukünftige Generationen zugänglich erlebbar gemacht werden. Also das wäre mein ganz eindeutiges Plädoyer. Mit welchem Eigentümer auch immer, da muss man sich unterhalten."
Eine Entscheidung noch vor den Kommunalwahlen im September, das wünschen sich Museumsverein, Heimatforscher und Naturschützer. Dazu wird es aller Voraussicht nach nicht kommen. Bund und Land haben es nicht eilig bei der Übertragung des Eigentums. "Hier brennt nichts an", heißt es aus dem Finanzministerium in Potsdam.
Mehr als alle anderen militärischen Liegenschaften in Deutschland steht Kummersdorf für die Ausrichtung aller Lebensbereiche auf den Krieg. Hier wurde all das getestet, erforscht und weiterentwickelt, was Deutschland für seine militärischen Auseinandersetzungen brauchte - vom Geschirr für Feldküchen über Stiefel für Kanoniere, von Granaten, Panzern und Artilleriegeschossen bis hin zu Raketenantrieben. Auch kriegstaugliche Hunde ließ das Militär hier züchten und ausbilden.
Georg Frank: "Ich denke, es ist wichtig, dass man sich klarmacht, dass es nicht irgendein Schießplatz ist."
Georg Frank vom brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege.
Georg Frank: " ... sondern dass es eine wirklich zentrale Forschungseinrichtung des Heeres gewesen ist, die alle Bereiche des Heeres betroffen hat."
So steht die Heeresversuchsstelle Kummersdorf auch für die faschistische Ideologie des totalen Kriegs.
Georg Frank: "Ja man hat hier wirklich versucht, Waffen zu entwickeln, die den Endsieg herbeiführen sollten. Das hat man ja auch propagiert, und hat das propagandistisch entsprechend ausgenutzt, also auch das Darstellen der ersten Raketen, die dann schießen konnten."
Doch an die Monstrosität dieses Krieges erinnert heute nur noch wenig auf diesem etwa 5.000 Fußballfelder großen Gelände. Zwischen spärlich gewachsenen märkischen Kiefern und trockenem Gras ragen einige graue Betonbauwerke in die Landschaft, die an kleine Bunker erinnern.
Martin Schnittler: "Jetzt sind wir hier auf der Versuchsstelle Ost. Und die Versuchsstelle Ost ist auch zuzuordnen der Raketenentwicklung."
Martin Schnittler vom Museumsverein Kummersdorf führt über das Gelände, das normalerweise für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Nur der Museumsverein hat von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben die Genehmigung, die ehemalige Heeresversuchsstelle zu betreten und sie Interessenten zu zeigen.
"Es gab hier Prüfstände in Kummersdorf, also man hat ab ja 1930/32 intensiv damit begonnen, an der Raketenentwicklung zu arbeiten. Es gab ja viele Leute, und viele interessierte Leute, die sich zur damaligen Zeit mit dieser Problematik beschäftigt haben."
Einer davon war Wernher von Braun - Raketentechniker, Raumfahrtpionier und SS-Mann. Er war oft in Kummersdorf, hat hier in der Versuchsstelle Ost gearbeitet, hat - geschützt durch einen halben Meter dicke Betonmauern - die Raketentriebwerke gezündet und durch die Sehschlitze beobachtet, was passiert. Genau wie der 7-jährige Richard heute.
"Das ist eine Scheibe Panzerglas, die hier drinne war, dass da wirklich nichts passieren kann. Siehst Du das."
"Ich will mal gucken."
"Vorsicht, sonst schneidest Du Dich, das ist richtig dickes Panzerglas."
"Kann da keine Kugel durch?"
"So schnell jedenfalls nicht."
Die kleinen Betonbunker sind durch unterirdische Gänge miteinander verbunden.
Richard: "Man kann von da laufen oder von da. Sie sehen, dass da noch ein Gang abgeht."
Mit dem Auto geht es weiter die insgesamt zwölf Kilometer langen Schießbahnen entlang. Sie sind mittlerweile zugewachsen. Auch von den 55 Beobachtungsständen, von denen aus die Militärs die Flugbahnen der Artilleriegeschosse verfolgten, sind nur noch Reste vorhanden.
Martin Schnittler stutzt. Er hat einen weißen Transporter entdeckt, der am Wegrand parkt. Vielleicht Raubgräber, auf die die Mitglieder des Museumsvereins immer wieder treffen und die sie dann vom Gelände scheuchen. Oder Teilnehmer einer Schnitzeljagd, die sich mithilfe von GPS-Geräten orientieren. Auch die haben auf der ehemaligen Heeresversuchsstelle Kummersdorf nichts zu suchen. Sich kreuz und quer über das Gelände zu bewegen, ist gefährlich, denn die Munition ist noch nicht beräumt.
Martin Schnittler: "Sie haben Leute, die halt nach Trophäen, nach bestimmten Abzeichen, nach Erkennungsmarken suchen, die dort unterwegs sind. Dann haben sie Leute, die bestimmten Insider-Hinweisen nachgehen, die irgendwelche Technik suchen. So ungefähr muss man sich das vorstellen."
Martin Schnittler gibt Entwarnung. Der weiße Transporter gehört dem Revierförster, der mit seinem Hund spazieren geht und nach dem Rechten sieht. Mehr als vier Fünftel des 3.500 Hektar großen Geländes sind mit Wald bedeckt. Rechts und links des Weges stehen Birken, gepflanzt von Soldaten der sowjetischen Armee, die sich damit ein bisschen Heimat in die DDR holten. Das sowjetische Militär nutzte die Fläche nach 1945 nicht mehr als Versuchsgelände, sondern als LKW-Basis und Flugplatz. Martin Schnittler zeigt nach rechts in den Wald hinein, dort sind Reste einer Mülldeponie zu sehen. Schutt, Asche und Sperrmüll türmen sich auf.
Martin Schnittler: "Die sowjetischen Truppen hatten das ja so an sich: Wo sich ein Loch fand, da wurde eben abgekippt. Und dementsprechend ist das nach wie vor eine Sache, die nicht hundertprozentig abgeschlossen ist."
Gifte aus der Mülldeponie und Treibstoff sickern ins Grundwasser, doch der Bund als Eigentümer der Fläche macht keine Anstalten, die Deponie zu sanieren. Der Landkreis Teltow-Fläming hat ihn dazu aufgefordert, sogar ein entsprechendes Gerichtsurteil erwirkt, doch passiert ist bislang nichts. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben setzt auf Zeit und darauf, dass die Fläche über kurz oder lang sowieso an das Land Brandenburg übergeben wird.
Doch auch Brandenburg lässt sich Zeit. Im Finanzministerium will man zunächst ein Gutachten zur Belastung der Fläche mit Altlasten und Munition abwarten, bevor man beginnt, mit dem Bund zu verhandeln.
Das ehemalige Abfertigungsgebäude des sowjetischen Militärflugplatzes verfällt. Fenster und Türen hat längst jemand ausgebaut und mitgehen lassen, die Räume sind leer, vom Dach lösen sich gelbe Ziegelsteine. Zwischen den Betonplatten der Start- und Landebahn wächst Gras. 1957 hat die sowjetische Armee den Flugplatz in Betrieb genommen, erzählt Martin Schnittler.
"Hauptsächlich als Transportflughafen, aber es wurde hier auch Passagierverkehr abgewickelt. Sprich, die Offiziersfamilien, die in Deutschland stationiert waren, sind hier halt mit dem Flugzeug gekommen, aber hauptsächlich für den Truppenaustausch."
Der Weg wird schmaler und schlechter, das Gras steht einen halben Meter hoch. Hier ist schon lange niemand mehr entlang gefahren. Die typische märkische Sand- und Kiefernlandschaft verschwindet, große Farne säumen den Weg.
Martin Schnittler: "So, hier kommen wir schon in die feuchteren Bereiche. (rumpel) Hops, das Auto ist Kummer gewöhnt. Ist ja gleich vorbei. Sehr viel zugewachsen mittlerweile. So. Wollen wir ein Stückchen laufen." (Tür schlägt)
Hier sieht es auf einmal wie in der Sächsischen Schweiz aus. Felsen türmen sich auf, von Moosen überwachsen. Dazwischen blühen lilafarbige Disteln.
Doch der erste Eindruck täuscht. Die Felslandschaft entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als von Menschen gemacht. Es ist das sogenannte "Vereinigte Panzer- und Gewölbeziel".
Martin Schnittler: "Das, was man an Material benötigte, musste hier her gebracht werden, sprich mit dem damaligen Transportmittel Pferd und Wagen in erster Linie, aber dann auch mit Feldbahnen, die hier verlegt wurden. Granitsteine, Zement, der vergossen wurde, aber auch die Ziegelsteine für das Gewölbe, das ja den Grundstock bildete. Das Gewölbe wurde zuerst aufgemauert, darüber wurde zum Schutz eine zwei Meter mächtige Hartgranitbetonschicht gegeben, um dieser gesamten Anlage den entsprechenden Schutz zu verleihen."
1884 errichtet, drei Jahre später mit 152 Granaten beschossen und in Schutt und Asche gelegt. Dadurch lernten die kaiserlich-preußischen Militärs, wie man Festungen stabil baut und wie man sie am besten erobert und zerstört.
"Wir können mal einen Spaziergang drum herum machen, um ein Gefühl davon zu bekommen, wie diese Anlage als solche aussah."
Für Martin Schnittler ist das "Vereinigte Panzer- und Gewölbeziel" das beeindruckendste Bauensemble auf dem Gelände. Es steht seit letztem Jahr unter Denkmalschutz, gemeinsam mit insgesamt 160 Bauwerken der Heeresversuchsstelle Kummersdorf. Dazu gehört auch die Versuchsstelle Gottow. Dort führten Kernphysiker während des Zweiten Weltkrieges Atomversuche durch. Ein noch unerforschtes Kapitel, sagt Georg Frank vom Landesdenkmalamt.
"Unser Problem ist, dass wir nicht die großen Kapazitäten haben, um jetzt an einem Denkmal, das eingetragen ist, eine umfassende Forschung zu machen. Die wäre jetzt sicherlich sinnvoll. Wenn ich das präsentieren will, muss ich mehr dazu sagen und vielleicht auch systematischer darstellen können, als der Verein es in der Regel kann."
Der Verein "Historisch-technisches Museum Kummersdorf" hat im ehemaligen Dorfkonsum eine kleine Ausstellung aufgebaut. In den Vitrinen liegen Panzermodelle, Übungsgranaten und spezielle Kanonierschuhe mit dicken Holzsohlen. Vereinsmitglieder haben die Schießbahnen in Kleinformat nachgebaut, an den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos vom Alltag in der Heeresversuchsstelle. Muss man Militarist sein, um sich in seiner Freizeit für dieses Museum zu engagieren? Martin Schnittler reagiert etwas verschnupft auf diese Frage.
"Ich finde es immer so ein bisschen komisch und mir tut das persönlich auch ein bisschen weh, wenn man 'Militarist' ist. Das ist immer so negativ belegt, dieser Begriff."
Nein, ich bin kein Militarist, sagt der 40-Jährige bestimmt. Er und die anderen Vereinsmitglieder verstehen sich als Heimatforscher. Und ihre Heimat ist nun einmal durch eine 120-jährige Militärgeschichte geprägt. Diese halten sie für so wichtig, dass sie die ehemalige Heeresversuchsstelle Kummersdorf am liebsten zum Weltkulturerbe erklären und unter Unesco-Schutz stellen möchten.
"Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass man sich mit der Geschichte beschäftigt, dass man darüber redet, und dass man seinen Standpunkt findet zu den Geschehnissen, zu den Ereignissen. Einfach totschweigen, das kann nicht das Maß der Dinge sein."
"Von Kummersdorf sollten vielleicht dann, wenn man es denn touristisch entwickelt, Friedensbotschaften in die Welt gehen. Und man sollte durchaus zeigen, wozu der Mensch fähig ist, und wenn man nicht Obacht gibt, dass es eben ganz schlimm ausgehen kann."
Sagt Carsten Preuß vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (BUND). Auch Naturschützer haben das Gelände der Heeresversuchsstelle Kummersdorf entdeckt. Seltene Tiere und Pflanzen fühlen sich wohl auf solch großen, unzerschnittenen Flächen. Das Militär war zwar lange in Kummersdorf aktiv, aber immer nur in den Randbereichen des weitläufigen Geländes. Kein Landwirt verbreitet Pestizide oder Dünger, außerdem ist die Fläche von der Außenwelt abgeschirmt.
"Das ist auch der Reiz dieser Fläche, dass ich hier ein buntes Mosaik von Biotop-Typen habe. Auf der einen Seite die Heide, wenige hundert Meter weiter kommt das Picherluch, da habe ich feuchte Bereiche. Also die Summe macht's dann aus, was den Wert ausmacht."
Das Land Brandenburg hat Teile des Geländes zum Naturschutzgebiet erklärt. Hier leben stark gefährdete Arten wie der Seeadler, die Glattnatter und der Fischotter. Die alten Bunker dienen Fledermäusen als Quartier. Das "Vereinigte Panzer- und Gewölbeziel" ist zum Ersatzfelsen für seltene Pflanzen geworden. Das Land Brandenburg hat die Fläche vor kurzem für eine Aufnahme in die "Nationale Naturerbeliste" vorgeschlagen. Ein Grund dafür sind die großen Heideflächen, die sich künftig auch touristisch nutzen ließen. Im Auftrag des Kreises Teltow-Fläming hat der Biologe Frank Meyer ein entsprechendes Gutachten erarbeitet.
"Es ist so, dass zwar Brandenburg bundesweit über den höchsten Anteil von Heideflächen verfügt, aber der heidefanatische Besucher, sage ich mal in Anführungszeichen, der heideinteressierte Besucher muss nach wie vor in die Lüneburger Heide fahren, um sich Heide anzugucken. Obwohl große Heideflächen zum Beispiel in Kummersdorf unmittelbar vor der Haustür sind. Sie sind nicht zugänglich und der Besucher guckt in die Röhre."
Frank Meyer kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass sich Denkmalschutz, Naturschutz und Tourismus in Kummersdorf hervorragend ergänzen. Ein geschichtlicher Lehrpfad könnte von einem militärischen Objekt zum anderen führen, ergänzt durch einen naturkundlichen Wanderweg. Voraussetzung dafür ist die Sanierung der Altlasten und die Räumung der Munition, ein teures Unterfangen.
Der Landkreis Teltow-Fläming steht der Idee einer touristischen Nutzung positiv gegenüber. Zunächst muss allerdings geklärt werden, wem das Gelände künftig gehören wird. Wir wollen keinen Privateigentümer, sagen Heimatforscher, Umwelt- und Denkmalschützer aus der Region.
Carsten Preuß: "Da es in der Regel so ist, dass der Höchstbietende den Zuschlag bekommt, haben wir keinen Einfluss darauf, ob er uns dann mit der Entwicklung, wie wir sie uns wünschen, wohl gesonnen ist oder nicht. Und wir wollen die zukünftige Entwicklung nicht dem Zufall überlassen, sondern wir wollen sie planen können."
Die drei Vereine setzen sich deshalb für eine Stiftung oder die öffentliche Hand als Eigentümerin der Fläche ein. Für Gutachter Frank Meyer ist die Frage des Eigentümers weniger bedeutsam.
"Es ist ein Schatz, den es zu heben und den es auch zu bewahren gilt. Dieser Platz soll einfach nicht verscherbelt werden, sondern auch für zukünftige Generationen zugänglich erlebbar gemacht werden. Also das wäre mein ganz eindeutiges Plädoyer. Mit welchem Eigentümer auch immer, da muss man sich unterhalten."
Eine Entscheidung noch vor den Kommunalwahlen im September, das wünschen sich Museumsverein, Heimatforscher und Naturschützer. Dazu wird es aller Voraussicht nach nicht kommen. Bund und Land haben es nicht eilig bei der Übertragung des Eigentums. "Hier brennt nichts an", heißt es aus dem Finanzministerium in Potsdam.