"Wenn das Riff da vorne nicht da wäre, dann sähe es hier aber ganz anders aus"
Auch vor 20 Jahren beim ersten UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro war das Sterben der Korallen ein Thema. Das 2002 formulierte Ziel, weltweit zehn Prozent der Küstenmeere unter Schutz zu stellen, sei bis heute leider nicht erreicht worden, beklagt der Korallenforscher Claudio Richter.
Stephan Karkowsky: In Rio tagen die Klimaschützer – in Stralsund die Meeresforscher. Beide können voneinander lernen: Denn der Klimawandel hat auch Auswirkungen auf die Ökosysteme der Meere. Professor Claudio Richter vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut kümmert sich praktischerweise gleich um beides: um Meere und um das Klima. Guten Tag, Herr Richter!
Claudio Richter: Guten Tag!
Karkowsky: Im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung wird das Meer ja meist als Bedrohung wahrgenommen: Also, wenn die Polkappen schmelzen, steigt der Meeresspiegel, Küstenregionen und Inselstaaten gehen unter. Sie dagegen sehen das Meer selbst als Opfer des Klimawandels: Vor allem die Korallenriffe leiden. Und ich dachte immer, Herr Richter, je wärmer es wird, desto schöner wachsen die Korallen. Die meisten fühlen sich doch in den Tropen am wohlsten, oder?
Richter: In der Tat sollte man das meinen. Man denkt immer, Korallen leben im warmen Wasser, ein bisschen mehr Wärme würde da nichts ausmachen. Aber es ist genau das Gegenteil der Fall: Die Korallen leben bereits sozusagen am Limit. Sie bauen sozusagen direkt an der Kante, und wenn es dann so ein bisschen wärmer wird, als sie das langjährig erfahren haben, dann bekommen sie große Probleme. Dann treten so Phänomene auf wie Korallenbleiche und andere Phänomene, die letztlich zum weitflächigen Absterben der Korallen führen.
Karkowsky: Wie kommt es denn dazu? Woran sterben die Korallen?
Richter: Die Korallen, das ist ja eine Tiergruppe, die es seit vielen Millionen Jahren gibt, 250 Millionen Jahre. Damals wurde sozusagen die Symbiose erfunden, also das Zusammenleben dieser sehr einfachen Tiere mit Algen, die im Gewebe der Koralle leben. Und wenn dieses Zusammenleben nicht mehr funktioniert, zum Beispiel eben durch eine Erwärmung, dann ist es so, dass die sich trennen. Und zwar nicht gütlich trennen, sondern die Alge wird sozusagen rausgeschmissen. Und letztlich verhungert dann der Wirt.
Karkowsky: Sie haben schon gesagt, Korallen sehen nur aus wie Pflanzen. Wir lernen in zahlreichen Naturfilmen, es sind eigentlich Nesseltiere, also festsitzende Meeresbewohner, und die Kalkskelette der Korallen, die bilden die berühmten Korallenriffe. Wie flexibel sind die eigentlich? Wenn die Wassertemperatur steigt, können die nicht einfach an andere, kühlere Orte ziehen?
Richter: Das ist zum Teil richtig. Man muss natürlich immer die Zeitskalen oder auch die Geschwindigkeit betrachten, mit der sich diese Veränderungen vollziehen. Die Evolution der Korallen geht in Millionen von Jahren zurück, und eine vergleichbare Situation, die wir jetzt in den nächsten Jahrzehnten erwarten, hatten die Korallen zuletzt vor 55 Millionen Jahren. Also das sind völlig andere Dimensionen. Das eine ist ein Wimpernschlag, das andere sind wirklich geologische Zeiträume, in denen eine Anpassung natürlich weitaus gemächlicher sozusagen sich vollziehen kann als eben dieses Schlag auf Schlag: Jetzt wird es plötzlich warm, und jetzt seht mal zu, dass ihr euch da schnellstens anpasst.
In der Tat ist es so, dass die Korallen mit sehr, sehr vielen verschiedenen Untergruppierungen von Algen assoziieren können, und es finden auch tatsächlich schon Anpassungen statt. Das wird also gut erforscht im Augenblick. Aber dennoch ist einfach die Sorge: Wenn wir jetzt innerhalb von hundert Jahren zwei Grad plötzlich es wärmer haben, dass dann die Möglichkeiten oder die Flexibilität einfach überreizt wird.
Karkowsky: Das größte und bekannteste Korallenriff der Welt ist das australische Great Barrier Reef. Sie waren schon ein paar Mal da, richtig?
Richter: Ja.
Karkowsky: Wie hat sich das verändert seit Ihrem ersten Besuch?
Richter: Also, das Barrier Reef ist ja eines der eigentlich noch gut geschützten Riffe, wo im Prinzip die australische Regierung schon seit vielen Jahren versucht hat, die Bedeutung herauszustellen und das Gebiet unter Schutz zu stellen. Nichtsdestotrotz ist dort schon seit den 70er-Jahren, sind dort regelmäßig Ereignisse wie Dornenkronenseesternausbrüche, Hitzewellen ...
Karkowsky: Das müssen Sie uns erklären! Dornenkronenseesternenausbrüche, was ist das?
Richter: Dornenkronenseestern ist einer der Räuber, der Korallen befällt, und zwar am liebsten Tischkorallen, das sind große, verzweigte, tischförmig aussehende Korallen. Schnorchler und Taucher werden die kennen. Und die sind also riesig, diese Seesterne, und die stülpen ihren Magen aus und sind dadurch in der Lage, großflächig diese Tische abzuräumen, zu verdauen, und wenn also viele von diesen Seesternen auftauchen, schlagartig, dann können eben ganze Riff-Areale sozusagen als weiße, bleiche Skelette zurückbleiben.
Karkowsky: Das ist aber dann kein menschengemachtes Phänomen, und da ist der Klimawandel nicht schuld, oder?
Richter: Ja, es ist schon so, dass man dieses Phänomen erst in den 70er-Jahren entdeckt hat. Man kann natürlich sagen, früher hat man nicht hingeguckt. Sicherlich wird das nicht das erste Mal gewesen sein. Aber die Häufigkeit, mit der sich solche Ereignisse wiederholen, und auch die Intensität und die Großräumigkeit, das ist eben Anlass zur Sorge. Und man hat das auch gut über viele Jahre jetzt untersucht und doch festgestellt, dass das Überleben jetzt der Jungstadien von diesen Seesternen wohl sehr klar sich assoziieren lässt mit letztlich der Verschmutzung der Küstengewässer. Also dass mehr Nährstoffe eingeleitet werden.
Und all diese Sachen sind unvermeidbar mit der räumlichen Entwicklung, also mit der Ausbringung von Dünger und auch ungeklärte Abwässer, die eingeleitet werden. Also im Prinzip die Küstengewässer, gerade die flachen Gewässer, die sind besonders anfällig sowohl gegen Erwärmung, aber eben auch gegen die Einleitung von Nährstoffen. Und dadurch kommt es eben zu sehr vielen verschiedenen Faktoren, die nachher zusammenwirken und den Riffen zusetzen.
Karkowsky: Sie hören anlässlich des Klimagipfels in Rio Professor Claudio Richter, Korallenforscher am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Herr Richter, es war jetzt immer mal wieder zu lesen von Herpesviren, die den Korallen zusetzen. Sind das die gleichen, die auch Menschen zu schaffen machen?
Richter: Die Herpesviren und überhaupt Korallenkrankheiten ist ein Thema, was gerne natürlich von den Medien aufgenommen wird, aber in den Kreisen der Korallenwissenschaftler spielen die wirklich nur eine Randbedeutung. Korallenkrankheiten haben in der Tat zugenommen, es ist aber so, dass die Ursachen der allermeisten Korallenkrankheiten noch völlig unbekannt sind.
Man macht jetzt natürlich – versucht, mit modernen genetischen Methoden dahinter zu blicken: Was wächst eigentlich auf diesen Korallen? Die Korallen sind ja eigentlich, wenn sie gesund sind, ganz glatt und sauber und schön aus. Aber natürlich sind die vergesellschaftet wie jeder Organismus. Auch wir Menschen haben ja eine Vielzahl von Bakterien, also eine ganze Mikroflora tragen wir mit uns herum. Und ähnlich ist das bei den Korallen, die natürlich auch bedeckt sind mit sehr, sehr vielen verschiedenen Mikroorganismen. Und auch Viren sind darunter. Und insofern: Es wäre umgekehrt verwunderlich, wenn bestimmte Virengruppen nicht da wären.
Jetzt ist es tatsächlich so, dass neben anderen Viren auch Herpesviren gefunden wurden. Und man hat auch Experimente gemacht. Man hat also dann manche Korallen sozusagen unter Hitzestress gebracht. Und in der Tat gab es eine Veränderung dieser Mikroflora, was eigentlich auch nicht verwunderlich ist, wenn wir uns stressen, dann verändern wir wahrscheinlich auch unsere Mikroflora. Aber ein direkter Zusammenhang zwischen Herpesviren und Korallenkrankheiten wurde an keiner Stelle festgestellt.
Karkowsky: Nun könnte man ja ganz herzlos sagen, ach, wozu brauchen wir denn die Korallen. Die sehen zwar hübsch aus, aber da haben doch nur die Taucher was davon. Man kann sie nicht essen, man kann sie nicht zu Treibstoff verarbeiten. Tut doch eigentlich keinem weh, wenn die nicht mehr da sind, oder?
Richter: Die Korallen sind ein sehr wichtiger Lebensraum für eine Vielzahl von anderen Organismen. Also Tausende und Abertausende von Arten sind vergesellschaftet mit Korallen. Korallen sind das lebende Fundament dieser artenreichen Gemeinschaft. Insofern, wenn das Fundament wegbricht, dann bricht auch diese gesamte Gemeinschaft zusammen. Und das hat erhebliche Auswirkungen nicht nur auf den Fischreichtum und damit die Ernährung von vielen Küstenvölkern, sondern eben auch als Erosionsschutz an den Küsten.
Das sind ja nachwachsende Wellenbrecher, die also wirklich eine enorme Bedeutung haben. Jeder, der einmal in einem tropischen Sturm an den Gestaden Indonesiens oder in den Riffgebieten war, und sieht, wie ruhig das Wasser ist. Und wie draußen dann die Brecher anbranden gegen den Riffwall, der weiß: Mensch, wenn das Riff da vorne nicht da wäre, dann sähe es hier aber ganz anders aus.
Karkowsky: Nun konkurrieren Forscher wie Sie im Klimaschutz mit vielen anderen. Haben Sie den Eindruck, dass die Korallen auf der Agenda des Klimaschutzes, beim Klimagipfel in Rio, die Priorität haben, die ihnen gebührt?
Richter: Ich glaube, es wird von viel zu wenig Leuten wahrgenommen, welch fundamental wichtige Rolle sie spielen, gerade in den Tropenländern. Aber nicht nur dort, sondern auch bei uns in hohen Breiten haben wir auch Tiefwasserkorallen, Kaltwasserkorallen, die auch für die Fischerei eine große Rolle spielen. Dennoch ist es so, dass natürlich die unmittelbaren Sorgen, die wir Menschen haben, dann oftmals weiter oben in der Prioritätenliste stehen.
Karkowsky: Wie erklären Sie sich denn, dass viele Probleme, auch das Korallensterben, ja bereits beim ersten Rio-Gipfel vor 20 Jahren bekannt waren, bis heute aber das Korallensterben weiter zunimmt?
Richter: Das ist einfach die Erfahrung, dass man nicht oft genug reden kann über Probleme, bis sie dann wirklich endlich wahrgenommen werden. Ich denke, dass ist ein allmählicher, langsamer Prozess der gesellschaftlichen Akzeptanz. Wenn wir uns überlegen, dass vor 20 Jahren wir eben auch nicht so wie heute Selbstverständliches machen wie Müll sortieren. Und unsere Nachbarn, wo man sich das vielleicht vor zehn Jahren nicht einmal vorstellen konnte, dass sie jetzt genauso tun wie wir. Rio war natürlich schon wichtig, die Agenda zu setzen. Agenda 21. Zehn Jahre später die Ziele dann auch wirklich zu konkretisieren. Also ein Ziel war ja, dass man zehn Prozent der Küstenmeere unter Schutz stellt. Das haben wir nicht erreicht, dennoch ist die Entwicklung in sehr vielen Ländern sehr positiv.
Karkowsky: Zum Zusammenhang zwischen Klimawandel und Korallensterben anlässlich des Klimagipfels in Rio Professor Claudio Richter. Er ist Korallenforscher am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Herr Richter, vielen Dank!
Richter: Bitteschön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Claudio Richter: Guten Tag!
Karkowsky: Im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung wird das Meer ja meist als Bedrohung wahrgenommen: Also, wenn die Polkappen schmelzen, steigt der Meeresspiegel, Küstenregionen und Inselstaaten gehen unter. Sie dagegen sehen das Meer selbst als Opfer des Klimawandels: Vor allem die Korallenriffe leiden. Und ich dachte immer, Herr Richter, je wärmer es wird, desto schöner wachsen die Korallen. Die meisten fühlen sich doch in den Tropen am wohlsten, oder?
Richter: In der Tat sollte man das meinen. Man denkt immer, Korallen leben im warmen Wasser, ein bisschen mehr Wärme würde da nichts ausmachen. Aber es ist genau das Gegenteil der Fall: Die Korallen leben bereits sozusagen am Limit. Sie bauen sozusagen direkt an der Kante, und wenn es dann so ein bisschen wärmer wird, als sie das langjährig erfahren haben, dann bekommen sie große Probleme. Dann treten so Phänomene auf wie Korallenbleiche und andere Phänomene, die letztlich zum weitflächigen Absterben der Korallen führen.
Karkowsky: Wie kommt es denn dazu? Woran sterben die Korallen?
Richter: Die Korallen, das ist ja eine Tiergruppe, die es seit vielen Millionen Jahren gibt, 250 Millionen Jahre. Damals wurde sozusagen die Symbiose erfunden, also das Zusammenleben dieser sehr einfachen Tiere mit Algen, die im Gewebe der Koralle leben. Und wenn dieses Zusammenleben nicht mehr funktioniert, zum Beispiel eben durch eine Erwärmung, dann ist es so, dass die sich trennen. Und zwar nicht gütlich trennen, sondern die Alge wird sozusagen rausgeschmissen. Und letztlich verhungert dann der Wirt.
Karkowsky: Sie haben schon gesagt, Korallen sehen nur aus wie Pflanzen. Wir lernen in zahlreichen Naturfilmen, es sind eigentlich Nesseltiere, also festsitzende Meeresbewohner, und die Kalkskelette der Korallen, die bilden die berühmten Korallenriffe. Wie flexibel sind die eigentlich? Wenn die Wassertemperatur steigt, können die nicht einfach an andere, kühlere Orte ziehen?
Richter: Das ist zum Teil richtig. Man muss natürlich immer die Zeitskalen oder auch die Geschwindigkeit betrachten, mit der sich diese Veränderungen vollziehen. Die Evolution der Korallen geht in Millionen von Jahren zurück, und eine vergleichbare Situation, die wir jetzt in den nächsten Jahrzehnten erwarten, hatten die Korallen zuletzt vor 55 Millionen Jahren. Also das sind völlig andere Dimensionen. Das eine ist ein Wimpernschlag, das andere sind wirklich geologische Zeiträume, in denen eine Anpassung natürlich weitaus gemächlicher sozusagen sich vollziehen kann als eben dieses Schlag auf Schlag: Jetzt wird es plötzlich warm, und jetzt seht mal zu, dass ihr euch da schnellstens anpasst.
In der Tat ist es so, dass die Korallen mit sehr, sehr vielen verschiedenen Untergruppierungen von Algen assoziieren können, und es finden auch tatsächlich schon Anpassungen statt. Das wird also gut erforscht im Augenblick. Aber dennoch ist einfach die Sorge: Wenn wir jetzt innerhalb von hundert Jahren zwei Grad plötzlich es wärmer haben, dass dann die Möglichkeiten oder die Flexibilität einfach überreizt wird.
Karkowsky: Das größte und bekannteste Korallenriff der Welt ist das australische Great Barrier Reef. Sie waren schon ein paar Mal da, richtig?
Richter: Ja.
Karkowsky: Wie hat sich das verändert seit Ihrem ersten Besuch?
Richter: Also, das Barrier Reef ist ja eines der eigentlich noch gut geschützten Riffe, wo im Prinzip die australische Regierung schon seit vielen Jahren versucht hat, die Bedeutung herauszustellen und das Gebiet unter Schutz zu stellen. Nichtsdestotrotz ist dort schon seit den 70er-Jahren, sind dort regelmäßig Ereignisse wie Dornenkronenseesternausbrüche, Hitzewellen ...
Karkowsky: Das müssen Sie uns erklären! Dornenkronenseesternenausbrüche, was ist das?
Richter: Dornenkronenseestern ist einer der Räuber, der Korallen befällt, und zwar am liebsten Tischkorallen, das sind große, verzweigte, tischförmig aussehende Korallen. Schnorchler und Taucher werden die kennen. Und die sind also riesig, diese Seesterne, und die stülpen ihren Magen aus und sind dadurch in der Lage, großflächig diese Tische abzuräumen, zu verdauen, und wenn also viele von diesen Seesternen auftauchen, schlagartig, dann können eben ganze Riff-Areale sozusagen als weiße, bleiche Skelette zurückbleiben.
Karkowsky: Das ist aber dann kein menschengemachtes Phänomen, und da ist der Klimawandel nicht schuld, oder?
Richter: Ja, es ist schon so, dass man dieses Phänomen erst in den 70er-Jahren entdeckt hat. Man kann natürlich sagen, früher hat man nicht hingeguckt. Sicherlich wird das nicht das erste Mal gewesen sein. Aber die Häufigkeit, mit der sich solche Ereignisse wiederholen, und auch die Intensität und die Großräumigkeit, das ist eben Anlass zur Sorge. Und man hat das auch gut über viele Jahre jetzt untersucht und doch festgestellt, dass das Überleben jetzt der Jungstadien von diesen Seesternen wohl sehr klar sich assoziieren lässt mit letztlich der Verschmutzung der Küstengewässer. Also dass mehr Nährstoffe eingeleitet werden.
Und all diese Sachen sind unvermeidbar mit der räumlichen Entwicklung, also mit der Ausbringung von Dünger und auch ungeklärte Abwässer, die eingeleitet werden. Also im Prinzip die Küstengewässer, gerade die flachen Gewässer, die sind besonders anfällig sowohl gegen Erwärmung, aber eben auch gegen die Einleitung von Nährstoffen. Und dadurch kommt es eben zu sehr vielen verschiedenen Faktoren, die nachher zusammenwirken und den Riffen zusetzen.
Karkowsky: Sie hören anlässlich des Klimagipfels in Rio Professor Claudio Richter, Korallenforscher am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Herr Richter, es war jetzt immer mal wieder zu lesen von Herpesviren, die den Korallen zusetzen. Sind das die gleichen, die auch Menschen zu schaffen machen?
Richter: Die Herpesviren und überhaupt Korallenkrankheiten ist ein Thema, was gerne natürlich von den Medien aufgenommen wird, aber in den Kreisen der Korallenwissenschaftler spielen die wirklich nur eine Randbedeutung. Korallenkrankheiten haben in der Tat zugenommen, es ist aber so, dass die Ursachen der allermeisten Korallenkrankheiten noch völlig unbekannt sind.
Man macht jetzt natürlich – versucht, mit modernen genetischen Methoden dahinter zu blicken: Was wächst eigentlich auf diesen Korallen? Die Korallen sind ja eigentlich, wenn sie gesund sind, ganz glatt und sauber und schön aus. Aber natürlich sind die vergesellschaftet wie jeder Organismus. Auch wir Menschen haben ja eine Vielzahl von Bakterien, also eine ganze Mikroflora tragen wir mit uns herum. Und ähnlich ist das bei den Korallen, die natürlich auch bedeckt sind mit sehr, sehr vielen verschiedenen Mikroorganismen. Und auch Viren sind darunter. Und insofern: Es wäre umgekehrt verwunderlich, wenn bestimmte Virengruppen nicht da wären.
Jetzt ist es tatsächlich so, dass neben anderen Viren auch Herpesviren gefunden wurden. Und man hat auch Experimente gemacht. Man hat also dann manche Korallen sozusagen unter Hitzestress gebracht. Und in der Tat gab es eine Veränderung dieser Mikroflora, was eigentlich auch nicht verwunderlich ist, wenn wir uns stressen, dann verändern wir wahrscheinlich auch unsere Mikroflora. Aber ein direkter Zusammenhang zwischen Herpesviren und Korallenkrankheiten wurde an keiner Stelle festgestellt.
Karkowsky: Nun könnte man ja ganz herzlos sagen, ach, wozu brauchen wir denn die Korallen. Die sehen zwar hübsch aus, aber da haben doch nur die Taucher was davon. Man kann sie nicht essen, man kann sie nicht zu Treibstoff verarbeiten. Tut doch eigentlich keinem weh, wenn die nicht mehr da sind, oder?
Richter: Die Korallen sind ein sehr wichtiger Lebensraum für eine Vielzahl von anderen Organismen. Also Tausende und Abertausende von Arten sind vergesellschaftet mit Korallen. Korallen sind das lebende Fundament dieser artenreichen Gemeinschaft. Insofern, wenn das Fundament wegbricht, dann bricht auch diese gesamte Gemeinschaft zusammen. Und das hat erhebliche Auswirkungen nicht nur auf den Fischreichtum und damit die Ernährung von vielen Küstenvölkern, sondern eben auch als Erosionsschutz an den Küsten.
Das sind ja nachwachsende Wellenbrecher, die also wirklich eine enorme Bedeutung haben. Jeder, der einmal in einem tropischen Sturm an den Gestaden Indonesiens oder in den Riffgebieten war, und sieht, wie ruhig das Wasser ist. Und wie draußen dann die Brecher anbranden gegen den Riffwall, der weiß: Mensch, wenn das Riff da vorne nicht da wäre, dann sähe es hier aber ganz anders aus.
Karkowsky: Nun konkurrieren Forscher wie Sie im Klimaschutz mit vielen anderen. Haben Sie den Eindruck, dass die Korallen auf der Agenda des Klimaschutzes, beim Klimagipfel in Rio, die Priorität haben, die ihnen gebührt?
Richter: Ich glaube, es wird von viel zu wenig Leuten wahrgenommen, welch fundamental wichtige Rolle sie spielen, gerade in den Tropenländern. Aber nicht nur dort, sondern auch bei uns in hohen Breiten haben wir auch Tiefwasserkorallen, Kaltwasserkorallen, die auch für die Fischerei eine große Rolle spielen. Dennoch ist es so, dass natürlich die unmittelbaren Sorgen, die wir Menschen haben, dann oftmals weiter oben in der Prioritätenliste stehen.
Karkowsky: Wie erklären Sie sich denn, dass viele Probleme, auch das Korallensterben, ja bereits beim ersten Rio-Gipfel vor 20 Jahren bekannt waren, bis heute aber das Korallensterben weiter zunimmt?
Richter: Das ist einfach die Erfahrung, dass man nicht oft genug reden kann über Probleme, bis sie dann wirklich endlich wahrgenommen werden. Ich denke, dass ist ein allmählicher, langsamer Prozess der gesellschaftlichen Akzeptanz. Wenn wir uns überlegen, dass vor 20 Jahren wir eben auch nicht so wie heute Selbstverständliches machen wie Müll sortieren. Und unsere Nachbarn, wo man sich das vielleicht vor zehn Jahren nicht einmal vorstellen konnte, dass sie jetzt genauso tun wie wir. Rio war natürlich schon wichtig, die Agenda zu setzen. Agenda 21. Zehn Jahre später die Ziele dann auch wirklich zu konkretisieren. Also ein Ziel war ja, dass man zehn Prozent der Küstenmeere unter Schutz stellt. Das haben wir nicht erreicht, dennoch ist die Entwicklung in sehr vielen Ländern sehr positiv.
Karkowsky: Zum Zusammenhang zwischen Klimawandel und Korallensterben anlässlich des Klimagipfels in Rio Professor Claudio Richter. Er ist Korallenforscher am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Herr Richter, vielen Dank!
Richter: Bitteschön.
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