Wenn der Bahnhof Sehnsucht weckt
Der aus Algerien stammende Abdelkader Djemai thematisiert den Migrationskonflikt in Frankreich: Mit großer Zärtlichkeit porträtiert der Autor in "Gare du Nord" drei alte Männer in Paris, die einander gegenseitig die Heimat ersetzen.
Zwar fühlt sich der aus Algerien stammende Abdelkader Djemai Albert Camus verbunden, der dort ebenfalls familiäre Wurzeln hat, doch beim Lesen ist man anfangs wegen des Farbenreichtums der Beschreibungen und Atmosphäre an Autoren wie den Portugiesen Antonio Lobo Antunes erinnert. Doch dürfte der Farbenreichtum im Schildern auf die alte afrikanische Tradition des Erzählens zurückzuführen sein. Schließlich handelt "Gare du Nord" zwar vom täglichen Leben im Herzen der französischen Hauptstadt, doch im Hintergrund der Erzählung erklingt eine zweite Melodie, und die gehört zu Algerien. Die Heimat des Autors und seiner drei Protagonisten ist von der ersten bis zur letzten Seite des Romans präsent.
Es ist unübersehbar: Den drei alten Männern in seinem kurzen Roman gehört die ungebrochene Sympathie des Autors. Bonbon, Bartolo und Zalamite sind Rentner um die 70, die vor vielen Jahren als Gastarbeiter nach Frankreich kamen. Die drei Algerier kamen, als sich französische Soldaten in die Gegenrichtung aufmachten: Der Algerienkrieg und Frankreichs unrühmliche Rolle dabei schwingen im Hintergrund der Erzählung mit. Kontrapunktisch dazu steht die Beschreibung der drei Freunde, die auch nach Jahrzehnten noch entwurzelt sind und sich so wie unzählige andere Gastarbeiter in fremden Ländern zu Bahnhöfen hingezogen fühlen. Dort, wo Metallbänder eine Art Verbindungsschnur zur fernen Heimat symbolisieren, wo man sentimental den Gedanken an früher und daheim nachhängt.
Kein Wunder, dass die drei Romanhelden immer wieder auf ihren täglichen Spaziergängen den Pariser Nordbahnhof ansteuern und dort fasziniert die abfahrenden und ankommenden Züge betrachten, bevor sie wieder zurück in ihr Altenheim oder die nahe Bar im Pariser Immigrantenviertel La Goutte-d'Or spazieren. Sehnsucht – dieser Begriff zieht sich, wenngleich kaum angesprochen, als Grundstimmung durch den Roman.
Was Abdelkader Djemai beschreibt, ist kein rasantes Schauspiel, streckenweise wirkt sein Roman wie ein Stillleben, das versonnen die drei Männer im Abendrot ihres Lebens betrachtet, drei Männer, die nach wie vor weder lesen und schreiben können, die lediglich über eine kleine Rente verfügen, aber es sich im eingeschränkten Aktionsradius des Alters bescheiden und zufrieden eingerichtet haben.
Mit großer Zärtlichkeit porträtiert der Autor die drei Alten, die einander ein Stück algerische Heimat sind und sich so gegenseitig vor der Vereinsamung in der Fremde bewahren. Gleichzeitig bringt er den europäisch sozialisierten Lesern sanft die Welt der maghrebinischen Einwanderer nahe. Dazu bedient er sich nicht illusionsloser Jugendbanden oder Kinderwagen schiebender Frauen mit Kopftuch als Personal, an dem Migrationskonflikte abgehandelt werden, sondern er wählt Menschen aus, die den täglichen Kampf der Selbstbehauptung bereits geführt haben, deren zähes Ringen ums Überleben im fremden Europa schon einige Zeit zurückliegt und die nun den Lebensabend genauso verbringen wie die hier geborenen Altersgenossen: ein wenig erschöpft, ein wenig weise und abgeklärt.
Dabei ist Djemai nie aufdringlich, wenn er Kultur und Religion seiner Hauptfiguren mitspielen lässt, denen sich diese ganz selbstverständlich auch nach Jahrzehnten noch eng verbunden fühlen, er versteht es auch, keine Rührseligkeit aufkommen zu lassen. Eines aber vermittelt er bis zur letzten Zeile: dass diese Männer, die in ihrem Leben nie hoch hinausgekommen sind, sich bis zuletzt ihre Würde erhalten haben. Das ist das eigentlich Berührende des Romans.
Besprochen von Stefan May
Abdelkader Djemai: "Gare du Nord". Roman.
Aus dem Französischen von András Dörner.
Sujet Verlag, Bremen 2011,
104 Seiten, 10,80 Euro
Es ist unübersehbar: Den drei alten Männern in seinem kurzen Roman gehört die ungebrochene Sympathie des Autors. Bonbon, Bartolo und Zalamite sind Rentner um die 70, die vor vielen Jahren als Gastarbeiter nach Frankreich kamen. Die drei Algerier kamen, als sich französische Soldaten in die Gegenrichtung aufmachten: Der Algerienkrieg und Frankreichs unrühmliche Rolle dabei schwingen im Hintergrund der Erzählung mit. Kontrapunktisch dazu steht die Beschreibung der drei Freunde, die auch nach Jahrzehnten noch entwurzelt sind und sich so wie unzählige andere Gastarbeiter in fremden Ländern zu Bahnhöfen hingezogen fühlen. Dort, wo Metallbänder eine Art Verbindungsschnur zur fernen Heimat symbolisieren, wo man sentimental den Gedanken an früher und daheim nachhängt.
Kein Wunder, dass die drei Romanhelden immer wieder auf ihren täglichen Spaziergängen den Pariser Nordbahnhof ansteuern und dort fasziniert die abfahrenden und ankommenden Züge betrachten, bevor sie wieder zurück in ihr Altenheim oder die nahe Bar im Pariser Immigrantenviertel La Goutte-d'Or spazieren. Sehnsucht – dieser Begriff zieht sich, wenngleich kaum angesprochen, als Grundstimmung durch den Roman.
Was Abdelkader Djemai beschreibt, ist kein rasantes Schauspiel, streckenweise wirkt sein Roman wie ein Stillleben, das versonnen die drei Männer im Abendrot ihres Lebens betrachtet, drei Männer, die nach wie vor weder lesen und schreiben können, die lediglich über eine kleine Rente verfügen, aber es sich im eingeschränkten Aktionsradius des Alters bescheiden und zufrieden eingerichtet haben.
Mit großer Zärtlichkeit porträtiert der Autor die drei Alten, die einander ein Stück algerische Heimat sind und sich so gegenseitig vor der Vereinsamung in der Fremde bewahren. Gleichzeitig bringt er den europäisch sozialisierten Lesern sanft die Welt der maghrebinischen Einwanderer nahe. Dazu bedient er sich nicht illusionsloser Jugendbanden oder Kinderwagen schiebender Frauen mit Kopftuch als Personal, an dem Migrationskonflikte abgehandelt werden, sondern er wählt Menschen aus, die den täglichen Kampf der Selbstbehauptung bereits geführt haben, deren zähes Ringen ums Überleben im fremden Europa schon einige Zeit zurückliegt und die nun den Lebensabend genauso verbringen wie die hier geborenen Altersgenossen: ein wenig erschöpft, ein wenig weise und abgeklärt.
Dabei ist Djemai nie aufdringlich, wenn er Kultur und Religion seiner Hauptfiguren mitspielen lässt, denen sich diese ganz selbstverständlich auch nach Jahrzehnten noch eng verbunden fühlen, er versteht es auch, keine Rührseligkeit aufkommen zu lassen. Eines aber vermittelt er bis zur letzten Zeile: dass diese Männer, die in ihrem Leben nie hoch hinausgekommen sind, sich bis zuletzt ihre Würde erhalten haben. Das ist das eigentlich Berührende des Romans.
Besprochen von Stefan May
Abdelkader Djemai: "Gare du Nord". Roman.
Aus dem Französischen von András Dörner.
Sujet Verlag, Bremen 2011,
104 Seiten, 10,80 Euro