Wenn der Tod Leben rettet
In dieser Woche kommt ein Dokumentarfilm über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in die Kinos. "Das Herz von Jenin" erzählt die Geschichte eines Vaters, der nach dem Tod seines Sohnes Ahmed dessen Organe spendet – auch an jüdische Kinder. Und das obwohl Ahmed durch Schüsse eines israelischen Soldaten starb.
"Unser erster Besucher nach dem Ramadan war ein Freund von Ahmed. Er kam herein und schrie, Ahmed sei getötet worden, durch einen Kopfschuss. In Panik rannten wir raus, noch in Hausschuhen, vollkommen orientierungslos. Überall waren Soldaten."
Das erzählt Ismael Khatib über den Tag, an dem er seinen Sohn Ahmed verlor. Die Geschichte ereignete sich in Jenin, im Norden des Westjordanlands, zum Ende des Ramadans 2005. Der zwölfjährige Ahmed trifft auf dem Weg zu einem Geschäft zwei Freunde, der eine hat eine Spielzeugpistole dabei, die Kinder spielen damit "Räuber und Soldat". Zu diesem Zeitpunkt findet in Jenin eine Razzia des israelischen Militärs statt – ein Soldat hält Ahmeds Pistole für eine echte Kalaschnikow und schießt mehrere Male auf ihn. Im Krankenhaus in Haifa können die Ärzte nur noch den Hirntod des Jungen feststellen. Ein Pfleger, selbst christlicher Araber, spricht den Vater von Ahmed, Ismael Khatib, auf die Möglichkeit einer Organspende an:
"Während Sie hier am Bett Ihres Sohnes sitzen, dem wir leider nicht mehr helfen können, liegen Kinder in anderen Krankenhäusern, die sich ebenfalls in einem kritischen Zustand befinden."
"Nach jedem Satz gab ich ihm Zeit zum Nachdenken. Wir schwiegen über lange Strecken."
Weiter zum Vater:
"Doch die Situation dieser Kinder ist ein wenig anders. Sie können gerettet werden. Das Leben dieser Kinder hängt von Ihnen ab. Wenn Sie sich entscheiden, diesen Kindern die Organe Ihres Sohnes zu spenden, geben Sie ihnen das Leben zurück."
Der besondere Reiz des Films ist, dass die Regisseure Markus Vetter und Leon Geller für keine Seite Partei ergreifen und dennoch in fast beiläufigem und ruhigem Ton die großen Schwierigkeiten auf dem Weg zur Aussöhnung zwischen Juden und Palästinensern beschreiben. Regisseur Markus Vetter sagt, dass er vor allem Vorurteile abbauen will – die er selbst hat, aber auch die der Zuschauer:
"Das war mir sehr wichtig, gerade das zu erzählen, also alle Akteure, die an dieser Geschichte beteiligt waren, zu Wort kommen zu lassen und zu porträtieren."
Die Filmemacher begleiten Ismael Khatib und seinen Onkel, zu drei der Kinder, die die Organe von Ahmed erhalten haben. Eines davon ist die kleine Samah:
"Ich heiße Samah Gadban und lebe in der Stadt Pkiin. Hier leben Juden, Muslime, Christen und Drusen. Wir leben alle zusammen in Frieden. Ich wurde nach meinem Bruder Sameh benannt. Er war herzkrank, wie ich. Aber für ihn gab es keinen Spender."
Der Film begleitet Ismael auch zu Mohammed, den Sohn einer Beduinenfamilie aus der Wüste und zu Menuha, einem jüdischen Mädchen. Der Besuch bei der Familie Levinson ist ein beklemmender Höhepunkt des Films: Die Levinsons sind strenggläubige Juden, voller Ablehnung den Arabern gegenüber, gerade der Vater ist voller Hass und Misstrauen auf die Palästinenser. In einer Szene, die voller emotionaler Kälte ist, fragt Menuhas Vater, warum Ismael überhaupt noch im Westjordanland lebt:
Menuhas Vater:
"Was hat er hier in Israel verloren? Warum geht er nicht in die Türkei oder nach London?"
"Aber seine Heimat ist hier. Wie kann er da weggehen?",
erwidert Ahmeds Onkel.
"Dort gibt es wenigstens Arbeit. Hier gibt es nichts für ihn. Er sitzt in Jenin fest. Dort könnte er gut verdienen."
, so Menuhas Vater.
Ismael darauf: "Ich soll in die Türkei gehen?"
Ahmeds Onkel: "Er fragt, warum du nicht weggehst, wenn es hier so schwierig ist."
Ismael: "Warum geht er denn nicht? Für ihn ist es doch auch schwierig, warum geht er nicht?"
Die Szene illustriert auf eindrucksvolle Weise, wie viel Feindschaft zwischen den beiden Völkern herrscht. Die zweite Hälfte des Films schildert das alltägliche Leben Ismaels in Jenin: Er arbeitet in einem Kinderzentrum, das Hilfsmittel aus Italien bekommt: In einer Szene führt eine Lieferung Schulranzen zu großer Freude und Aufregung im ganzen Dorf. Die Arbeit mit den Kindern ist Ismael sehr wichtig:
"Wenn ein Kind mich auf der Straße mit 'Lehrer' anspricht, begreife ich, dass ich mehr Verantwortung habe, als ich dachte. Es ist neu für mich. Aber ich bin bereit, mein Leben mit diesen Kindern zu verbringen.
Was sollen wir noch alles aushalten? Ich möchte alle, die diesen Film sehen, fragen: 'Was erwartet ihr von uns Palästinensern?' Wir verlangen nicht viel. Wir verlangen nur unser Recht und Frieden. Denn ohne Frieden wird das Morden weitergehen. Und es werden noch mehr palästinensische und israelische Kinder sterben. Frieden zu machen ist nicht schwer."
Der Film "Das Herz von Jenin" hat international große Aufmerksamkeit erregt, und auch in den israelischen Medien wurde über Ismaels und Ahmeds Geschichte groß berichtet. Auf einer Interviewreise durch Deutschland stellte sich Ismael Khatib den Fragen der Journalisten – die wohl wichtigste lautete, ob er sich heute als eine Art Botschafter des Friedens fühlt?
"Es ist ganz neu für mich, was ich jetzt mache, die Reisen, die vielen Gespräche – das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Das Wichtigste ist jedoch, dass ich Verantwortung fühle für die Kinder im Westjordanland – für Ahmed und auch für die anderen, die getötet wurden. Ich hoffe, dass es eine friedliche Lösung für den Israel/Palästina-Konflikt gibt und dass meine Geschichte zu dieser Lösung beitragen kann, damit sich dauerhaft etwas verändert."
Das letzte Bild des Films gilt der kleinen Menuha aus der jüdisch-orthodoxen Familie Levinson – sie steht stellvertretend als Hoffnungsträgerin für viele andere Kinder, auf der einen wie auf der anderen Seite, erzählt Regisseur Markus Vetter:
"Sie spielt mit ihrem Vater an einem Spielplatz, sie steht dann alleine da und dann geht das Ganze ins Schwarze über, wird abgeblendet, was symbolisieren soll: Auf diesem Menschen liegt eine große Verantwortung, aber auch eine große Chance, denn sie trägt palästinensische Organe, und sie weiß, dass sie aufgrund einer solchen Entscheidung überlebt hat, und ich glaube, dass in dieser Familie Vorurteile abgebaut worden sind und ich glaube, dass Menuha einen schwierigen Weg vor sich hat, aber einen chancenreichen Weg auch."
Das erzählt Ismael Khatib über den Tag, an dem er seinen Sohn Ahmed verlor. Die Geschichte ereignete sich in Jenin, im Norden des Westjordanlands, zum Ende des Ramadans 2005. Der zwölfjährige Ahmed trifft auf dem Weg zu einem Geschäft zwei Freunde, der eine hat eine Spielzeugpistole dabei, die Kinder spielen damit "Räuber und Soldat". Zu diesem Zeitpunkt findet in Jenin eine Razzia des israelischen Militärs statt – ein Soldat hält Ahmeds Pistole für eine echte Kalaschnikow und schießt mehrere Male auf ihn. Im Krankenhaus in Haifa können die Ärzte nur noch den Hirntod des Jungen feststellen. Ein Pfleger, selbst christlicher Araber, spricht den Vater von Ahmed, Ismael Khatib, auf die Möglichkeit einer Organspende an:
"Während Sie hier am Bett Ihres Sohnes sitzen, dem wir leider nicht mehr helfen können, liegen Kinder in anderen Krankenhäusern, die sich ebenfalls in einem kritischen Zustand befinden."
"Nach jedem Satz gab ich ihm Zeit zum Nachdenken. Wir schwiegen über lange Strecken."
Weiter zum Vater:
"Doch die Situation dieser Kinder ist ein wenig anders. Sie können gerettet werden. Das Leben dieser Kinder hängt von Ihnen ab. Wenn Sie sich entscheiden, diesen Kindern die Organe Ihres Sohnes zu spenden, geben Sie ihnen das Leben zurück."
Der besondere Reiz des Films ist, dass die Regisseure Markus Vetter und Leon Geller für keine Seite Partei ergreifen und dennoch in fast beiläufigem und ruhigem Ton die großen Schwierigkeiten auf dem Weg zur Aussöhnung zwischen Juden und Palästinensern beschreiben. Regisseur Markus Vetter sagt, dass er vor allem Vorurteile abbauen will – die er selbst hat, aber auch die der Zuschauer:
"Das war mir sehr wichtig, gerade das zu erzählen, also alle Akteure, die an dieser Geschichte beteiligt waren, zu Wort kommen zu lassen und zu porträtieren."
Die Filmemacher begleiten Ismael Khatib und seinen Onkel, zu drei der Kinder, die die Organe von Ahmed erhalten haben. Eines davon ist die kleine Samah:
"Ich heiße Samah Gadban und lebe in der Stadt Pkiin. Hier leben Juden, Muslime, Christen und Drusen. Wir leben alle zusammen in Frieden. Ich wurde nach meinem Bruder Sameh benannt. Er war herzkrank, wie ich. Aber für ihn gab es keinen Spender."
Der Film begleitet Ismael auch zu Mohammed, den Sohn einer Beduinenfamilie aus der Wüste und zu Menuha, einem jüdischen Mädchen. Der Besuch bei der Familie Levinson ist ein beklemmender Höhepunkt des Films: Die Levinsons sind strenggläubige Juden, voller Ablehnung den Arabern gegenüber, gerade der Vater ist voller Hass und Misstrauen auf die Palästinenser. In einer Szene, die voller emotionaler Kälte ist, fragt Menuhas Vater, warum Ismael überhaupt noch im Westjordanland lebt:
Menuhas Vater:
"Was hat er hier in Israel verloren? Warum geht er nicht in die Türkei oder nach London?"
"Aber seine Heimat ist hier. Wie kann er da weggehen?",
erwidert Ahmeds Onkel.
"Dort gibt es wenigstens Arbeit. Hier gibt es nichts für ihn. Er sitzt in Jenin fest. Dort könnte er gut verdienen."
, so Menuhas Vater.
Ismael darauf: "Ich soll in die Türkei gehen?"
Ahmeds Onkel: "Er fragt, warum du nicht weggehst, wenn es hier so schwierig ist."
Ismael: "Warum geht er denn nicht? Für ihn ist es doch auch schwierig, warum geht er nicht?"
Die Szene illustriert auf eindrucksvolle Weise, wie viel Feindschaft zwischen den beiden Völkern herrscht. Die zweite Hälfte des Films schildert das alltägliche Leben Ismaels in Jenin: Er arbeitet in einem Kinderzentrum, das Hilfsmittel aus Italien bekommt: In einer Szene führt eine Lieferung Schulranzen zu großer Freude und Aufregung im ganzen Dorf. Die Arbeit mit den Kindern ist Ismael sehr wichtig:
"Wenn ein Kind mich auf der Straße mit 'Lehrer' anspricht, begreife ich, dass ich mehr Verantwortung habe, als ich dachte. Es ist neu für mich. Aber ich bin bereit, mein Leben mit diesen Kindern zu verbringen.
Was sollen wir noch alles aushalten? Ich möchte alle, die diesen Film sehen, fragen: 'Was erwartet ihr von uns Palästinensern?' Wir verlangen nicht viel. Wir verlangen nur unser Recht und Frieden. Denn ohne Frieden wird das Morden weitergehen. Und es werden noch mehr palästinensische und israelische Kinder sterben. Frieden zu machen ist nicht schwer."
Der Film "Das Herz von Jenin" hat international große Aufmerksamkeit erregt, und auch in den israelischen Medien wurde über Ismaels und Ahmeds Geschichte groß berichtet. Auf einer Interviewreise durch Deutschland stellte sich Ismael Khatib den Fragen der Journalisten – die wohl wichtigste lautete, ob er sich heute als eine Art Botschafter des Friedens fühlt?
"Es ist ganz neu für mich, was ich jetzt mache, die Reisen, die vielen Gespräche – das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Das Wichtigste ist jedoch, dass ich Verantwortung fühle für die Kinder im Westjordanland – für Ahmed und auch für die anderen, die getötet wurden. Ich hoffe, dass es eine friedliche Lösung für den Israel/Palästina-Konflikt gibt und dass meine Geschichte zu dieser Lösung beitragen kann, damit sich dauerhaft etwas verändert."
Das letzte Bild des Films gilt der kleinen Menuha aus der jüdisch-orthodoxen Familie Levinson – sie steht stellvertretend als Hoffnungsträgerin für viele andere Kinder, auf der einen wie auf der anderen Seite, erzählt Regisseur Markus Vetter:
"Sie spielt mit ihrem Vater an einem Spielplatz, sie steht dann alleine da und dann geht das Ganze ins Schwarze über, wird abgeblendet, was symbolisieren soll: Auf diesem Menschen liegt eine große Verantwortung, aber auch eine große Chance, denn sie trägt palästinensische Organe, und sie weiß, dass sie aufgrund einer solchen Entscheidung überlebt hat, und ich glaube, dass in dieser Familie Vorurteile abgebaut worden sind und ich glaube, dass Menuha einen schwierigen Weg vor sich hat, aber einen chancenreichen Weg auch."