Haruki Murakami: Wenn der Wind singt / Pinball 1973. Zwei Romane
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
DuMont, Köln 2015
266 Seiten, 19,99 Euro
Wie Haruki Murakami zum Schreiben kam
Nach 35 Jahren erscheinen die beiden ersten Romane Haruki Murakamis endlich auf Deutsch. Wer den japanischen Schriftsteller liebt, wird auch diese Texte lieben. Er selbst wollte sie nicht mehr veröffentlichen, weil er Zweifel an ihrer Qualität hatte.
Das Interessanteste an diesem Buch ist das Vorwort – und damit soll nichts gegen die beiden Kurzromane gesagt sein, die dem folgen. Das Vorwort aber ist selbst eine kleine Erzählung. Da erzählt Haruki Murakami von sich selbst, von der Entstehungszeit dieser beiden frühen Versuche aus den Jahren 1979 und 1980 und davon, wie er, damals 30 Jahre alt, überhaupt zum Schreiben kam.
Denn das war keineswegs ausgemacht: Er hatte früh geheiratet und zusammen mit seiner Frau in einem Studentenviertel Tokios eine Kneipe aufgemacht, weil er dort seine Jazzplatten spielen wollte. Musik war seine erste Leidenschaft – und das ist ja auch in all seinen Büchern zu spüren. Doch dann erlebte er eine Epiphanie im Baseballstadion bei einem Zweitliga-Spiel mit wenig Publikum, kaltem Bier, grünem Rasen, weißem Ball, blauem Himmel und der plötzlichen Erkenntnis: Ich muss einen Roman schreiben.
Auf dem Nachhauseweg kaufte er sich Füller und Papier und setzte sich von da an in den Nächten, wenn die Kneipe schon geschlossen hatte, hin und schrieb. Das Ergebnis monatelanger Arbeit befriedigte ihn nicht. Er fand es langweilig und viel zu blumig, so dass er noch einmal, dieses Mal aber auf Englisch zu schreiben begann. Englisch konnte er schlecht genug, um damit nur kurze, knappe Sätze hinzukriegen. Das gefiel ihm besser, und als er fertig war, übersetzte er den Text ins Japanische zurück, schrieb ihn also zum dritten Mal und hatte damit seinen Stil gefunden.
Dieser Weg von der Epiphanie über die Fremdsprache hin zum Eigenen ist bemerkenswert. So entstand zunächst die Erzählung "Wenn der Wind singt" und dann als eine Art Fortsetzung der Kurzroman "Pinball 1973", die jetzt als Zwei Romane in einem Band zum ersten Mal auf Deutsch vorliegen.
Die Schwächen des Erstlings sind leicht zu erkennen – besonders das Bedürfnis, ständig über das Schreiben zu reflektieren. Und doch ist Murakami nicht nur im entschlackten Stil erkennbar, sondern auch in der stets zwischen Melancholie und Coolness changierenden Stimmung und in der leisen Trauer seiner unberührbaren Figuren.
Wegmarken des Autors
Es geht in diesen beiden Geschichten, die Murakami als seine "Küchentischromane" bezeichnet und als Wegmarken schätzt, um zwei junge Männer, um ihre Freundschaft, um Mädchen und die Beiläufigkeit von Begegnungen. So findet der Ich-Erzähler eines Tages zwei Zwillinge in seiner Wohnung vor und lebt von da an mit ihnen, ohne sich darüber zu wundern. Er schläft mit und zwischen ihnen, sie besuchen den Golfplatz und spielen dort Backgammon, vor allem aber geht er seiner Leidenschaft für einen bestimmten Flipper nach, das Modell "Spaceship" mit drei Armen – auch eine Liebesgeschichte.
Und dann ist da noch der Freund "Ratte", der jeden Samstag eine Frau besucht, von Sonntag bis Dienstag an sie zurückdenkt, mittwochs etwas tun kann, donnerstags und freitags vor Sehnsucht zergeht, bis endlich wieder Samstag ist. Aber jeden Abend sitzt er in der Bar eines Chinesen und befördert sich von Bier zu Bier ins Nirwana. Es ist klar, dass das so nicht weitergeht, und dass Ratte eines Tages beschließt, in eine andere Stadt zu ziehen.
Ursula Graefe hat diese Geschichten – mehr Stimmungen als Handlungen, mehr Skizzen als große Entwürfe – in bewährter Art übersetzt. Wer Murakami liebt, wird auch diese allerersten Texte lieben; alle anderen könnten ihn damit lieben lernen oder zumindest den Einstieg in sein Werk finden und dann gleich weitermachen mit "Wilde Schafsjagd", dem ersten "richtigen" Murakami und Teil drei dieser Trilogie.