Wenn deutsche Medien gegen Hellas hetzen
Die Griechen sind angeblich faul, korrupt und verschwenderisch - so zumindest klingen die Klischees über Hellas in deutschen Boulevardmedien. Der Griechenlandkenner und Buchautor Eberhard Rondholz warnt: Was hierzulande geschrieben wird, das nehmen die Griechen sehr aufmerksam wahr.
Britta Bürger: Dem Griechenlandbild der Deutschen hat der Journalist Eberhard Rondholz in seinem neuen Buch "Griechenland: Ein Länderporträt" ein ausführliches Kapitel gewidmet. Schlusspunkt ist der heftige Schlagabtausch inmitten der griechischen Finanzkrise. Nicht nur der "Focus" montierte die Aphrodite von Melos mit dem Stinkefinger zur Schlagzeile "Betrüger in der Eurofamilie". Auch die Griechen klebten auf ihre Demonstrationsplakate das eine oder andere Hakenkreuz, und Horst Reichenbach, der Chef der neuen EU-Sondergruppe Griechenland, wurde unlängst sogar in einer griechischen Zeitung als Gauleiter der Hellenen bezeichnet.
Empfindlichkeiten gibt es also auf beiden Seiten. Zum Teil sind sie historisch begründet, zum anderen spiegeln sie alte Vorurteile. Eberhard Rondholz, wie nehmen Sie das wahr – sind durch die Krise alte Klischees wieder hochgekocht?
Eberhard Rondholz: Na ja, zunächst mal haben wir neue Klischees, die eigentlich so nicht im Schwange waren, die vom faulen korrupten Griechen und so weiter, wie Sie also vor allen Dingen von der "Bild"-Zeitung transportiert worden sind, und zwar dort in einer Form, die von einem ehemaligen Journalisten des Hauses, von Michael Spreng, dem ehemaligen Chefredakteur von "Bild am Sonntag", als an der Grenze zur Volksverhetzung bezeichnet worden ist. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. Aber auch im "Focus" sind Dinge geschrieben worden, wo man sich wirklich fragt: Haben die Leute nur keine Ahnung, oder geht es einfach nur um Polemik?
Also gerade im Bereich der Beurteilung der griechischen Kultur hat da einer geschrieben, die Griechen hätten keinen bedeutenden Dichter mehr hervorgebracht, die neuen Griechen, und es wurde auch nie ein Film gedreht, der in Europa Beachtung fände – als ob der Mann noch nie etwas von dem Literaturnobelpreisträgern Seferis und Elytis gehört hätte oder ganz zu schweigen von (…) oder Giannis Ritsos, und auch was den Film angeht, nicht wahr, wenn man sich ein bisschen auskennt, dann weiß man, dass es da Silberne Bären und Goldene Löwen und Goldene Palmen die Menge gegeben hat.
Bürger: Dennoch: In diesen ganzen Wochen, in diesen Monaten sind doch auch alte Animositäten wieder hochgekocht. Sie schreiben in Ihrem Buch deshalb auch, dass man als Deutscher in Griechenland neuerdings häufiger auf die Zeit der deutschen Okkupationen angesprochen wird, das war ja jahrelang eher die Ausnahme. Warum jetzt?
Rondholz: Na ja, man muss ja eins den Griechen zugute halten, dass sie eine Kultur der Versöhnung gepflegt haben nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie haben als erste die kulturellen Beziehungen wieder aufgenommen zu Deutschland, sie haben sehr früh auf die Verfolgung von Kriegsverbrechern verzichtet, was manche hier gar nicht so richtig verstanden haben, aber da war auch ein bisschen Erpressung im Spiel, da wurde also der Strafanspruch der griechischen Opfer für ein Linsengericht verkauft, nämlich für die Zusage, mehr Tabak aus Griechenland zu importieren und so weiter.
Dass man sich jetzt an diese Dinge erinnert, hat natürlich auch etwas mit der Hetze zu tun, die in einigen deutschen Medien gepflegt worden ist, und das wird in griechischen Medien sehr wohl wahrgenommen, es wird übersetzt und transportiert, die Leute lesen das, zum Teil können die natürlich auch noch deutsch, die Leute, die als Gastarbeiter hier waren. Also es ist bekannt, was die Medien hier über Griechenland schreiben - im Unterschied zu dem, was die Franzosen und die Briten schreiben, da ist ein großer Unterschied.
Bürger: Worin rührt aber die Angst der Griechen vor einer ich nenne das jetzt mal feindlichen Übernahme? An welche alten Erinnerungen knüpft das an, dass die Griechen sich jetzt von den Deutschen bevormundet fühlen?
Rondholz: Na ja, die Erinnerung an die Besatzungszeit ist da und auch an die wirtschaftliche Ausplünderung des Landes in dieser Zeit. Es ist ja nicht nur so, dass da Tausende von Zivilisten umgebracht worden sind bei sogenannten Vergeltungsaktionen, sondern das Land ist wirtschaftlich ausgeplündert worden. Es wurden den Griechen Zwangskredite verordnet, Geldsummen, die bis heute nicht zurückgezahlt worden sind, daran muss man auch mal gelegentlich erinnern, es geht da also doch immerhin um ganz erhebliche Summen, nach heutiger Kaufkraft etwa fünf Milliarden Euro, die das deutsche Reich den Griechen als Kredit abverlangt hat, und wenn man Zins und Zinseszins dazurechnet, wären das heute ungefähr 20 Milliarden, und die sind nie bezahlt worden, diese Gelder, und daran erinnert man heute auch, nicht wahr. Also die Ausplünderung und Ausbeutung Griechenlands in der Zeit der Besatzung ist noch in Erinnerung, das ist nicht vergessen.
Bürger: Der Schriftsteller Petros Markaris hat vor Kurzem bei uns im Interview gesagt, es sei eine Art griechischer Tradition, sich in der Opferrolle zu sehen. Sie haben das jetzt ja mit berechtigten Begründungen angefüllt. Gibt es andere Gründe dafür als die, die Sie genannt haben, diese Art, sich als Opfer zu stilisieren?
Rondholz: Das ist bei fast allen kleinen Ländern so, dass die sich sehr schnell als Opfer sehen, wenn sie von den großen bevormundet oder ausgebeutet werden oder wie auch immer schlecht behandelt. Das ist ganz normal. Markaris hat einen etwas merkwürdigen Blick auf Griechenland, er ist zwar selber auch zur Hälfte Grieche, aber er ist nicht in Griechenland aufgewachsen, sondern in Istanbul, er ist also aus einer armenisch-griechischen Ehe und er ist eher in Deutschland sozialisiert, war ja auch Brecht- und Goethe-Übersetzer, bevor er angefangen hat, seine Krimis zu schreiben. Und er schreibt etwas Merkwürdiges, und das wiederholt er auch immer wieder: Als Griechenland noch ärmer war, waren die Griechen eigentlich besser dran, man hatte eine Kultur der Armut, die dann mit dem Beitritt zur EU und zur Eurozone verloren gegangen sei, als ob es für die Griechen empfehlenswert wäre, jetzt zu dieser Zeit der Armut zurückzukehren, aber das war eine Zeit des Elends. Die Leute waren gezwungen, zu Hunderttausenden auszuwandern und Arbeit woanders zu suchen, zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland.
Bürger: Das hat ein gewisses Maß an Sozialromantik.
Rondholz: Ja, das würde ich sagen, das ist der Blick eines Wohlhabenden, der sich nicht so richtig hineinversetzen kann in die Situation der armen Leute. Auch in seinen Krimis ist es mehr so der Kleinbürger, da auch in dem neuesten, nicht wahr, die faulen Kredite, da hat er auch einen etwas ironischen Blick auf diese ...
Bürger: Der neue Krimi von Petros Markaris.
Rondholz: ... übertriebene Stilisierung der Opferrolle. Aber der griechische Arbeiter und der kleine Angestellte ist ein Opfer dieser Situation, wenn man plötzlich 20 Prozent weniger Geld in der Kasse hat oder 30 gar, dann ist das eine schlimme Lage.
Bürger: Und darüber sind die Griechen zu Recht unzufrieden in diesen Wochen, in diesen Monaten, mit den Vorgängen in ihrem Land, darüber sprechen wir hier mit dem Griechenlandkenner Eberhard Rondholz, langjähriger Redakteur des WDR und Autor eines neuen Griechenland-Buches, er ist zu Gast hier bei uns im Deutschlandradio Kultur. Warum hört man dennoch nur selten selbstkritische Stimmen aus Griechenland?
Rondholz: Bitte?
Bürger: Warum hört man dennoch nur wenige selbstkritische Stimmen aus Griechenland? Man hat den Eindruck, es fehlt so ein bisschen an der Einsicht auch bei dem einen oder anderen, denken wir an den aufgeblähten Staatsapparat und die Proteste dagegen, dort Personal abzubauen. Ich weiß nicht, mir hat unlängst jemand erzählt, dass die Günstlinge der Regierenden, die mit einem Job versorgt wurden, diesen Job eigentlich nur aus dem Grund nehmen, weil sie wissen, dass sie da nicht arbeiten müssen. Halten Sie das für übertrieben?
Rondholz: Also es ist so, dass es selbstkritische Stimmen durchaus gibt, die werden nur hier nicht wahrgenommen. Wenn man also die seriöse griechische Presse liest, da ist eine Menge Selbstkritik drin, auch viel Kritik an dem, was die Politikerkaste in den letzten Jahrzehnten getrieben hat und diese Gefälligkeitsdemokratie, das heißt, jede Partei, die an die Macht kommt, versorgt erst mal ihre Anhänger mit ...
Bürger: Das ist aber immer die Kritik an den anderen und nicht an sich selbst, und auch nicht die Initiative, selbst etwas zu tun, also ich denke etwa im Vergleich zu Deutschland, wo es unendlich viele Bürgerbewegungen gibt, nicht nur gegen etwas, gegen ein Bahnhofsprojekt wie Stuttgart 21, sondern auch für etwas. Dieses gemeinschaftliche Denken, etwas für und miteinander zu tun, ist das in Griechenland unterentwickelt?
Rondholz: Vielleicht ist das ein bisschen unterentwickelt, aber ich frage mich, in welchem Land Wähler zum Beispiel eine Partei nicht wählen würden oder Parteien nicht wählen würden – in diesem Falle sind es zwei große Parteien, die sich immer abwechseln, die PA.SO.K und die Nea Dimokratia, die Konservativen und die Liberalen –, die viel versprechen und es dann zunächst auch halten, das heißt zum Beispiel Versorgung der Kinder mit Posten im Beamtenapparat oder als Angestellte bei Staatsbetrieben und so weiter. Das ist natürlich eine zunächst mal relativ bequeme Lage, und da würde man auch in anderen Ländern so handeln.
Es ist das Problem, dass die Politiker eben immer zu viel versprochen haben, was sie auf Dauer nicht hätten halten können. Und es gibt auch selbstkritische Stimmen, durchaus, wenn man sich mit den Leuten unterhält auf der Straße, also diese Selbstkritik ist da und die Einsicht auch, dass man etwas tun muss, sonst hätte auch dieser Staat es sich nicht leisten können, 20 Prozent Gehaltskürzung zu verordnen. Das müsste man sich mal in Deutschland vorstellen, was hier passieren würde, wenn plötzlich die Leute 20 oder 30 Prozent weniger Geld in der Kasse hätten. Hier streitet man also um kleine, einstellige Prozentzahlen, aber zweistellige!?
Bürger: Wenn man sich wie Sie dem Land verbunden fühlt, dann tut es natürlich auch weh, zu sehen, wie es in den Abgrund schliddert. Die meisten Gespräche enden derzeit ohne eine positive Aussicht. Wie gehen Sie selbst damit um und wie könnten Deutsche die Griechen in dieser Lage auch unterstützen, ohne als übergriffige Besserwisser wahrgenommen zu werden?
Rondholz: Also die Lage ist so, dass es wahrscheinlich mehr als zehn Jahre dauern wird, bis Griechenland aus dieser Krise herauskommt, und ein Weg wären zum Beispiel Investitionen in Projekte, die auch wirklich vernünftig sind, zum Beispiel gibt es also jetzt eine Initiative, ein großes Solarkraftwerk zu errichten, das größte der Welt soll es einmal werden, und da werden Investoren gesucht und das soll an die Stelle eines großen Braunkohlekraftwerks treten, was einer der schlimmsten Luftverschmutzer in der Region ist und so weiter. Also einiges kann getan werden, aber es wird lange dauern, die Durststrecke wird vielleicht zehn Jahre dauern, man weiß es nicht so genau.
Bürger: Eberhard Rondholz, ich danke Ihnen für das Gespräch und nenne noch mal den Titel Ihres neuen Buches: "Griechenland: Ein Länderporträt", erschienen ist es im Christoph Links Verlag, 200 Seiten kosten 16,90 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Empfindlichkeiten gibt es also auf beiden Seiten. Zum Teil sind sie historisch begründet, zum anderen spiegeln sie alte Vorurteile. Eberhard Rondholz, wie nehmen Sie das wahr – sind durch die Krise alte Klischees wieder hochgekocht?
Eberhard Rondholz: Na ja, zunächst mal haben wir neue Klischees, die eigentlich so nicht im Schwange waren, die vom faulen korrupten Griechen und so weiter, wie Sie also vor allen Dingen von der "Bild"-Zeitung transportiert worden sind, und zwar dort in einer Form, die von einem ehemaligen Journalisten des Hauses, von Michael Spreng, dem ehemaligen Chefredakteur von "Bild am Sonntag", als an der Grenze zur Volksverhetzung bezeichnet worden ist. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. Aber auch im "Focus" sind Dinge geschrieben worden, wo man sich wirklich fragt: Haben die Leute nur keine Ahnung, oder geht es einfach nur um Polemik?
Also gerade im Bereich der Beurteilung der griechischen Kultur hat da einer geschrieben, die Griechen hätten keinen bedeutenden Dichter mehr hervorgebracht, die neuen Griechen, und es wurde auch nie ein Film gedreht, der in Europa Beachtung fände – als ob der Mann noch nie etwas von dem Literaturnobelpreisträgern Seferis und Elytis gehört hätte oder ganz zu schweigen von (…) oder Giannis Ritsos, und auch was den Film angeht, nicht wahr, wenn man sich ein bisschen auskennt, dann weiß man, dass es da Silberne Bären und Goldene Löwen und Goldene Palmen die Menge gegeben hat.
Bürger: Dennoch: In diesen ganzen Wochen, in diesen Monaten sind doch auch alte Animositäten wieder hochgekocht. Sie schreiben in Ihrem Buch deshalb auch, dass man als Deutscher in Griechenland neuerdings häufiger auf die Zeit der deutschen Okkupationen angesprochen wird, das war ja jahrelang eher die Ausnahme. Warum jetzt?
Rondholz: Na ja, man muss ja eins den Griechen zugute halten, dass sie eine Kultur der Versöhnung gepflegt haben nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie haben als erste die kulturellen Beziehungen wieder aufgenommen zu Deutschland, sie haben sehr früh auf die Verfolgung von Kriegsverbrechern verzichtet, was manche hier gar nicht so richtig verstanden haben, aber da war auch ein bisschen Erpressung im Spiel, da wurde also der Strafanspruch der griechischen Opfer für ein Linsengericht verkauft, nämlich für die Zusage, mehr Tabak aus Griechenland zu importieren und so weiter.
Dass man sich jetzt an diese Dinge erinnert, hat natürlich auch etwas mit der Hetze zu tun, die in einigen deutschen Medien gepflegt worden ist, und das wird in griechischen Medien sehr wohl wahrgenommen, es wird übersetzt und transportiert, die Leute lesen das, zum Teil können die natürlich auch noch deutsch, die Leute, die als Gastarbeiter hier waren. Also es ist bekannt, was die Medien hier über Griechenland schreiben - im Unterschied zu dem, was die Franzosen und die Briten schreiben, da ist ein großer Unterschied.
Bürger: Worin rührt aber die Angst der Griechen vor einer ich nenne das jetzt mal feindlichen Übernahme? An welche alten Erinnerungen knüpft das an, dass die Griechen sich jetzt von den Deutschen bevormundet fühlen?
Rondholz: Na ja, die Erinnerung an die Besatzungszeit ist da und auch an die wirtschaftliche Ausplünderung des Landes in dieser Zeit. Es ist ja nicht nur so, dass da Tausende von Zivilisten umgebracht worden sind bei sogenannten Vergeltungsaktionen, sondern das Land ist wirtschaftlich ausgeplündert worden. Es wurden den Griechen Zwangskredite verordnet, Geldsummen, die bis heute nicht zurückgezahlt worden sind, daran muss man auch mal gelegentlich erinnern, es geht da also doch immerhin um ganz erhebliche Summen, nach heutiger Kaufkraft etwa fünf Milliarden Euro, die das deutsche Reich den Griechen als Kredit abverlangt hat, und wenn man Zins und Zinseszins dazurechnet, wären das heute ungefähr 20 Milliarden, und die sind nie bezahlt worden, diese Gelder, und daran erinnert man heute auch, nicht wahr. Also die Ausplünderung und Ausbeutung Griechenlands in der Zeit der Besatzung ist noch in Erinnerung, das ist nicht vergessen.
Bürger: Der Schriftsteller Petros Markaris hat vor Kurzem bei uns im Interview gesagt, es sei eine Art griechischer Tradition, sich in der Opferrolle zu sehen. Sie haben das jetzt ja mit berechtigten Begründungen angefüllt. Gibt es andere Gründe dafür als die, die Sie genannt haben, diese Art, sich als Opfer zu stilisieren?
Rondholz: Das ist bei fast allen kleinen Ländern so, dass die sich sehr schnell als Opfer sehen, wenn sie von den großen bevormundet oder ausgebeutet werden oder wie auch immer schlecht behandelt. Das ist ganz normal. Markaris hat einen etwas merkwürdigen Blick auf Griechenland, er ist zwar selber auch zur Hälfte Grieche, aber er ist nicht in Griechenland aufgewachsen, sondern in Istanbul, er ist also aus einer armenisch-griechischen Ehe und er ist eher in Deutschland sozialisiert, war ja auch Brecht- und Goethe-Übersetzer, bevor er angefangen hat, seine Krimis zu schreiben. Und er schreibt etwas Merkwürdiges, und das wiederholt er auch immer wieder: Als Griechenland noch ärmer war, waren die Griechen eigentlich besser dran, man hatte eine Kultur der Armut, die dann mit dem Beitritt zur EU und zur Eurozone verloren gegangen sei, als ob es für die Griechen empfehlenswert wäre, jetzt zu dieser Zeit der Armut zurückzukehren, aber das war eine Zeit des Elends. Die Leute waren gezwungen, zu Hunderttausenden auszuwandern und Arbeit woanders zu suchen, zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland.
Bürger: Das hat ein gewisses Maß an Sozialromantik.
Rondholz: Ja, das würde ich sagen, das ist der Blick eines Wohlhabenden, der sich nicht so richtig hineinversetzen kann in die Situation der armen Leute. Auch in seinen Krimis ist es mehr so der Kleinbürger, da auch in dem neuesten, nicht wahr, die faulen Kredite, da hat er auch einen etwas ironischen Blick auf diese ...
Bürger: Der neue Krimi von Petros Markaris.
Rondholz: ... übertriebene Stilisierung der Opferrolle. Aber der griechische Arbeiter und der kleine Angestellte ist ein Opfer dieser Situation, wenn man plötzlich 20 Prozent weniger Geld in der Kasse hat oder 30 gar, dann ist das eine schlimme Lage.
Bürger: Und darüber sind die Griechen zu Recht unzufrieden in diesen Wochen, in diesen Monaten, mit den Vorgängen in ihrem Land, darüber sprechen wir hier mit dem Griechenlandkenner Eberhard Rondholz, langjähriger Redakteur des WDR und Autor eines neuen Griechenland-Buches, er ist zu Gast hier bei uns im Deutschlandradio Kultur. Warum hört man dennoch nur selten selbstkritische Stimmen aus Griechenland?
Rondholz: Bitte?
Bürger: Warum hört man dennoch nur wenige selbstkritische Stimmen aus Griechenland? Man hat den Eindruck, es fehlt so ein bisschen an der Einsicht auch bei dem einen oder anderen, denken wir an den aufgeblähten Staatsapparat und die Proteste dagegen, dort Personal abzubauen. Ich weiß nicht, mir hat unlängst jemand erzählt, dass die Günstlinge der Regierenden, die mit einem Job versorgt wurden, diesen Job eigentlich nur aus dem Grund nehmen, weil sie wissen, dass sie da nicht arbeiten müssen. Halten Sie das für übertrieben?
Rondholz: Also es ist so, dass es selbstkritische Stimmen durchaus gibt, die werden nur hier nicht wahrgenommen. Wenn man also die seriöse griechische Presse liest, da ist eine Menge Selbstkritik drin, auch viel Kritik an dem, was die Politikerkaste in den letzten Jahrzehnten getrieben hat und diese Gefälligkeitsdemokratie, das heißt, jede Partei, die an die Macht kommt, versorgt erst mal ihre Anhänger mit ...
Bürger: Das ist aber immer die Kritik an den anderen und nicht an sich selbst, und auch nicht die Initiative, selbst etwas zu tun, also ich denke etwa im Vergleich zu Deutschland, wo es unendlich viele Bürgerbewegungen gibt, nicht nur gegen etwas, gegen ein Bahnhofsprojekt wie Stuttgart 21, sondern auch für etwas. Dieses gemeinschaftliche Denken, etwas für und miteinander zu tun, ist das in Griechenland unterentwickelt?
Rondholz: Vielleicht ist das ein bisschen unterentwickelt, aber ich frage mich, in welchem Land Wähler zum Beispiel eine Partei nicht wählen würden oder Parteien nicht wählen würden – in diesem Falle sind es zwei große Parteien, die sich immer abwechseln, die PA.SO.K und die Nea Dimokratia, die Konservativen und die Liberalen –, die viel versprechen und es dann zunächst auch halten, das heißt zum Beispiel Versorgung der Kinder mit Posten im Beamtenapparat oder als Angestellte bei Staatsbetrieben und so weiter. Das ist natürlich eine zunächst mal relativ bequeme Lage, und da würde man auch in anderen Ländern so handeln.
Es ist das Problem, dass die Politiker eben immer zu viel versprochen haben, was sie auf Dauer nicht hätten halten können. Und es gibt auch selbstkritische Stimmen, durchaus, wenn man sich mit den Leuten unterhält auf der Straße, also diese Selbstkritik ist da und die Einsicht auch, dass man etwas tun muss, sonst hätte auch dieser Staat es sich nicht leisten können, 20 Prozent Gehaltskürzung zu verordnen. Das müsste man sich mal in Deutschland vorstellen, was hier passieren würde, wenn plötzlich die Leute 20 oder 30 Prozent weniger Geld in der Kasse hätten. Hier streitet man also um kleine, einstellige Prozentzahlen, aber zweistellige!?
Bürger: Wenn man sich wie Sie dem Land verbunden fühlt, dann tut es natürlich auch weh, zu sehen, wie es in den Abgrund schliddert. Die meisten Gespräche enden derzeit ohne eine positive Aussicht. Wie gehen Sie selbst damit um und wie könnten Deutsche die Griechen in dieser Lage auch unterstützen, ohne als übergriffige Besserwisser wahrgenommen zu werden?
Rondholz: Also die Lage ist so, dass es wahrscheinlich mehr als zehn Jahre dauern wird, bis Griechenland aus dieser Krise herauskommt, und ein Weg wären zum Beispiel Investitionen in Projekte, die auch wirklich vernünftig sind, zum Beispiel gibt es also jetzt eine Initiative, ein großes Solarkraftwerk zu errichten, das größte der Welt soll es einmal werden, und da werden Investoren gesucht und das soll an die Stelle eines großen Braunkohlekraftwerks treten, was einer der schlimmsten Luftverschmutzer in der Region ist und so weiter. Also einiges kann getan werden, aber es wird lange dauern, die Durststrecke wird vielleicht zehn Jahre dauern, man weiß es nicht so genau.
Bürger: Eberhard Rondholz, ich danke Ihnen für das Gespräch und nenne noch mal den Titel Ihres neuen Buches: "Griechenland: Ein Länderporträt", erschienen ist es im Christoph Links Verlag, 200 Seiten kosten 16,90 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.