Wenn die Geige singt
Während früher Männer wie Igor Oistrach oder Itzhak Perlman die großen Violinenvirtuosen waren und die Szene beherrschten, sind es heute oft Frauen, die die Konzertsäle aufmischen. Eine von ihnen ist die 29-jährige, in Berlin lebende russische Geigerin Alina Pogostkina.
Hochhackige Stiefel, kurzer luftiger Faltenrock und koketter Pferdeschwanz. Alina Pogostkina setzt die Geige an, schließt die Augen und spielt Bachs g-Moll Sonate.
"Ich erinnere mich an kein Leben ohne Musik. Das gab's nie. Auch nicht, als ich im Bauch meiner Mutter war. Es gab immer Musik, das spür ich. Ein Leben ohne Musik ist für mich völlig unvorstellbar."
Seit sie fünf ist, steht die aus der St. Petersburg stammende Alina Pogostkina auf der Bühne. Ihr Vater entdeckt ihr Talent, unterrichtet sie und arrangiert Stücke für das Familien-Ensemble, bestehend aus drei Geigen. In den späten 1980er-Jahren, noch zu sowjetischen Zeiten, wird ihr das Label Wunderkind verpasst.
"Das ist für mich ein sehr schwieriges Thema muss ich sagen. Ich hab mich damit wahnsinnig viel auseinandergesetzt und beschäftigt, weil es Punkte in meinem Leben gab, wo ich dachte, wer bin ich eigentlich. Ich bin immer dieses süße hübsche kleine Mädchen gewesen, das so toll Geige spielt. Aber bin ich das? Macht das mich als Menschen aus? Das ist wahnsinnig schwierig, wenn man als Kind so ausgestellt wird. Und wenn man etwas gut kann, wird man darauf reduziert."
1992 emigriert die Familie nach Deutschland. Man verkauft die Wohnung in St. Petersburg, verlässt Freunde und geht in ein Land, dessen Sprache man nicht spricht. Und beginnt ganz von vorn, nur für die Karriere der Tochter. Auch weil ihr Weltklassegeiger wie Yehudi Menuhin oder Anne-Sophie Mutter eine große Zukunft attestieren. War aber keine einfache Zeit, sagt Alina Pogostkina.
"Hatten überhaupt kein Geld, keine Beziehungen, und mussten irgendwo anfangen. Und da haben wir uns zu dritt in die Fußgängerzone gestellt und haben Musik gemacht. Um überhaupt etwas Geld zu verdienen, um von etwas leben zu können. Das war eine Phase in unserem Leben, die einfach nötig war. Da ging es rein ums Geld verdienen. Trotzdem war es eine wichtige Erfahrung für mich."
Trotz der Straßenmusik, trotz aller Zweifel: Rückblickend ist Alina Pogostkina glücklich, dass ihr Vater sie in jungen Jahren immer wieder zum Instrument getrieben hat. Dass er nie aufgegeben hat, seine Tochter zu überzeugen, dass sie es mit der Geige mal zu was ganz Großem bringen könne. Wie eine Hochleistungssportlerin musste sie einen Wettbewerb nach dem anderen spielen.
Alina Pogostkina - Russin und Deutsche - ist ein weicher, nachdenklicher, aber auch sehr lebenslustiger Mensch. Wichtig ist ihr: Mit Ende 20, abseits der Konzertpodien, in Clubs abzuhängen, tanzen zu gehen, knutschend in der Ecke zu stehen oder einfach nur mal ganze Tage lesend im Bett zu verbringen.
"Ich versuche, soviel wie möglich vom Leben mitzunehmen. Ich bin ein sehr lebenshungriger und lebensdurstiger Mensch. Ich lerne viele spannende Leute kennen, sehe viele Orte. Und ich versuche, davon auch immer etwas mitzunehmen. Also versuche, mir die Orte auch anzuschauen, wenn es sich einrichten lässt."
Eine launische Diva ist Alina Pogostkina nicht. Sie interessiert sich neben der Musik auch für Philosophie und wäre gern einmal Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir begegnet.
"Mich fasziniert die Idee der Freiheit, die die Beiden hatten. Wie die Menschen in dieser Zeit versucht haben, sich loszureißen, von den Konventionen, von den Regeln. Und wie sie versucht haben, rauszufinden, was für sie Freiheit bedeutet. Das finde ich an dieser Zeit sehr interessant, die Freiheit im Denken."
Gerade hat Alina Pogostkina die Violinenwerke des lettischen Komponisten Peteris Vasks eingespielt, eines tonal komponierenden Mystikers. Er verarbeitet in seinen Geigenwerken die jahrhundertelange Fremdherrschaft Lettlands, die Unterdrückung der lettischen Kultur zu Sowjetzeiten und spiegelt darin auch die emotionale Zerrissenheit der Menschen.
"Was ich am Schönsten finde in dieser Musik, ist dass da unheimlich viel Liebe drin ist, in der Musik. Und wenn man es schafft, jeden einzelnen Ton - es ist technisch jetzt nicht das Allerschwierigste - aber es zu schaffen, in jeden einzelnen Ton Liebe rein zu packen, das ist schon irrsinnig anstrengend. Gerade beim Aufnehmen. Dass man eine Session hat von mehreren Stunden, und das mehrere Tage hintereinander und man muss auf Knopfdruck ganz viel Liebe reinpacken in einen Ton, das ist nicht immer einfach. Aber wenn man es schafft, dann erblüht die Musik und berührt die Menschen sehr."
"Virtuosität: Darum geht es mir überhaupt gar nicht. Die Technik ist Mittel zum Zweck für mich. Die Musik ist etwas, was Menschen berühren kann, worüber man Schmerz, Liebe, große Gefühle ausdrücken kann. Wenn man eine so gute Technik hat, dass man alles spielen kann, dass man die großen Violinenkonzerte spielen kann, dass man technisch anspruchsvolle Dinge spielen kann, ist das wunderbar. Wenn es einem nur noch darum geht, verpasst man sehr viel."
Homepage der Violinistin Alina Pogostkina
Links bei dardio.de:
Die Documenta-Künstlerin Judith Hopf im Portät
Die Schweizer Sängerin Sophie Hunger
Krištof Kintera im Porträt
Der Soundkünstler Francisco Lopez im Porträt
Der Poetry-Slammer Gauner im Porträt
"Ich erinnere mich an kein Leben ohne Musik. Das gab's nie. Auch nicht, als ich im Bauch meiner Mutter war. Es gab immer Musik, das spür ich. Ein Leben ohne Musik ist für mich völlig unvorstellbar."
Seit sie fünf ist, steht die aus der St. Petersburg stammende Alina Pogostkina auf der Bühne. Ihr Vater entdeckt ihr Talent, unterrichtet sie und arrangiert Stücke für das Familien-Ensemble, bestehend aus drei Geigen. In den späten 1980er-Jahren, noch zu sowjetischen Zeiten, wird ihr das Label Wunderkind verpasst.
"Das ist für mich ein sehr schwieriges Thema muss ich sagen. Ich hab mich damit wahnsinnig viel auseinandergesetzt und beschäftigt, weil es Punkte in meinem Leben gab, wo ich dachte, wer bin ich eigentlich. Ich bin immer dieses süße hübsche kleine Mädchen gewesen, das so toll Geige spielt. Aber bin ich das? Macht das mich als Menschen aus? Das ist wahnsinnig schwierig, wenn man als Kind so ausgestellt wird. Und wenn man etwas gut kann, wird man darauf reduziert."
1992 emigriert die Familie nach Deutschland. Man verkauft die Wohnung in St. Petersburg, verlässt Freunde und geht in ein Land, dessen Sprache man nicht spricht. Und beginnt ganz von vorn, nur für die Karriere der Tochter. Auch weil ihr Weltklassegeiger wie Yehudi Menuhin oder Anne-Sophie Mutter eine große Zukunft attestieren. War aber keine einfache Zeit, sagt Alina Pogostkina.
"Hatten überhaupt kein Geld, keine Beziehungen, und mussten irgendwo anfangen. Und da haben wir uns zu dritt in die Fußgängerzone gestellt und haben Musik gemacht. Um überhaupt etwas Geld zu verdienen, um von etwas leben zu können. Das war eine Phase in unserem Leben, die einfach nötig war. Da ging es rein ums Geld verdienen. Trotzdem war es eine wichtige Erfahrung für mich."
Trotz der Straßenmusik, trotz aller Zweifel: Rückblickend ist Alina Pogostkina glücklich, dass ihr Vater sie in jungen Jahren immer wieder zum Instrument getrieben hat. Dass er nie aufgegeben hat, seine Tochter zu überzeugen, dass sie es mit der Geige mal zu was ganz Großem bringen könne. Wie eine Hochleistungssportlerin musste sie einen Wettbewerb nach dem anderen spielen.
Alina Pogostkina - Russin und Deutsche - ist ein weicher, nachdenklicher, aber auch sehr lebenslustiger Mensch. Wichtig ist ihr: Mit Ende 20, abseits der Konzertpodien, in Clubs abzuhängen, tanzen zu gehen, knutschend in der Ecke zu stehen oder einfach nur mal ganze Tage lesend im Bett zu verbringen.
"Ich versuche, soviel wie möglich vom Leben mitzunehmen. Ich bin ein sehr lebenshungriger und lebensdurstiger Mensch. Ich lerne viele spannende Leute kennen, sehe viele Orte. Und ich versuche, davon auch immer etwas mitzunehmen. Also versuche, mir die Orte auch anzuschauen, wenn es sich einrichten lässt."
Eine launische Diva ist Alina Pogostkina nicht. Sie interessiert sich neben der Musik auch für Philosophie und wäre gern einmal Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir begegnet.
"Mich fasziniert die Idee der Freiheit, die die Beiden hatten. Wie die Menschen in dieser Zeit versucht haben, sich loszureißen, von den Konventionen, von den Regeln. Und wie sie versucht haben, rauszufinden, was für sie Freiheit bedeutet. Das finde ich an dieser Zeit sehr interessant, die Freiheit im Denken."
Gerade hat Alina Pogostkina die Violinenwerke des lettischen Komponisten Peteris Vasks eingespielt, eines tonal komponierenden Mystikers. Er verarbeitet in seinen Geigenwerken die jahrhundertelange Fremdherrschaft Lettlands, die Unterdrückung der lettischen Kultur zu Sowjetzeiten und spiegelt darin auch die emotionale Zerrissenheit der Menschen.
"Was ich am Schönsten finde in dieser Musik, ist dass da unheimlich viel Liebe drin ist, in der Musik. Und wenn man es schafft, jeden einzelnen Ton - es ist technisch jetzt nicht das Allerschwierigste - aber es zu schaffen, in jeden einzelnen Ton Liebe rein zu packen, das ist schon irrsinnig anstrengend. Gerade beim Aufnehmen. Dass man eine Session hat von mehreren Stunden, und das mehrere Tage hintereinander und man muss auf Knopfdruck ganz viel Liebe reinpacken in einen Ton, das ist nicht immer einfach. Aber wenn man es schafft, dann erblüht die Musik und berührt die Menschen sehr."
"Virtuosität: Darum geht es mir überhaupt gar nicht. Die Technik ist Mittel zum Zweck für mich. Die Musik ist etwas, was Menschen berühren kann, worüber man Schmerz, Liebe, große Gefühle ausdrücken kann. Wenn man eine so gute Technik hat, dass man alles spielen kann, dass man die großen Violinenkonzerte spielen kann, dass man technisch anspruchsvolle Dinge spielen kann, ist das wunderbar. Wenn es einem nur noch darum geht, verpasst man sehr viel."
Homepage der Violinistin Alina Pogostkina
Links bei dardio.de:
Die Documenta-Künstlerin Judith Hopf im Portät
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