Wenn Freundlichkeit zu Barbarei wird
Die preisgekrönte amerikanische Autorin Lily Tuck beschreibt in ihrem Roman die Geschichte der 17-jährigen Ella aus Irland, die zur Geliebten des paraguayischen Diktators Franco wird. Mit Raffinesse zeigt sie, wie Freude und Unbeschwertheit dicht neben Brutalität, Schmerz und Angst in denselben Figuren liegen.
Sie ist 17, als sie beschließt, "nie mehr ihr Herz und nie mehr einen Mann zu verlieren". Auf dem Höhepunkt der großen Hungersnot verließ Ella im Alter von 10 ihre irische Heimat, heiratete mit 15, ließ sich scheiden, verliebte sich unglücklich in einen mittelosen russischen Grafen in Paris und lernte dort einen draufgängerischen jungen Südamerikaner kennen. Sie reiste mit ihm in sein Land und blieb bis zu dessen Tod an seiner Seite. Francisco, genannt Franco, machte sie zu seiner Mätresse. Sie wurde die Mutter seiner fünf Söhne.
In der Hauptstadt von Paraguay, Asuncion, führte sie ein Leben in Luxus, gefährdet freilich durch die Gewalten der Natur, durch Intrigen der Herrscherfamilie und durch die unberechenbaren Launen ihres Geliebten. Freundlich und großzügig zunächst, zeigte er sich zunehmend als arrogant und grausam: ein kindlich-barbarischer Despot.
Gekränkt wegen der Zurückweisung seines Heiratsbegehrens mit der Tochter des brasilianischen Präsidenten zettelt Franco 1864 ein bewaffnetes Scharmützel mit seinem mächtigen Nachbarn an. Aus ähnlich persönlichen Beweggründen, aus Ruhmsucht und Geltungsdrang, überträgt er diesen Krieg auf sein anderes großes Nachbarland, auf Argentinien.
Bis zur Auslöschung der Bevölkerung hält er diesen mörderischen Krieg durch, während er mit wechselnden, gegeneinander ausgespielten Parteien den Rückzug ins Landesinnere antritt. Er stirbt im letzten Gefecht, Ella entkommt nach Paris, wo sie in Armut ihre letzten Tage zubringt.
"Die Geliebte des Diktators", der auf englisch weitaus weniger reißerisch "The News from Paraguay" heißt, ist ein historischer Roman. Ella Lynch, Francisco Solano Lopez und zahlreiche weitere Figuren haben tatsächlich gelebt, jener zerstörerische Krieg hat zwischen 1864 und 1870 wirklich stattgefunden.
Lily Tuck fügt Bilder und Szenen aus wechselnden Perspektiven zusammen. Tagebücher, Briefe, Zeitungsausschnitte stehen neben in dichter Folge aneinandergereihten kurzen Episoden, die allesamt erfunden sind. Ein Panorama von erstaunlichen Details und knapp umrissenen, plastisch gezeichneten Figuren eröffnet einen unbekannten Kontinent.
Mit dramaturgischer Raffinesse zeigt sie, wie Freude und Unbeschwertheit dicht neben Brutalität, Schmerz und Angst in denselben Figuren wohnen. Immer wieder zeigt sie den schmalen Grat, auf dem Gefühle in ihr Gegenteil umschlagen, wenn Freundlichkeit zu Barbarei wird.
Lily Tuck wurde 1938 als Tochter deutscher Emigranten in Paris geboren, verbrachte ihre Kindheit in Peru und Uruguay, ihre Jugend in Paris und Manhattan, wo sie bis heute lebt. Sie war es, wie sie über sich selber sagt, gewohnt, Außenseiterin zu sein. Daraus schöpft sie ihre Stoffe als Schriftstellerin. Spät erst begann sie zu schreiben, ihr erster Roman "Interviewing Matisse" erschien 1991, auch in ihren folgenden Büchern macht sie eine fremde Kultur zum Schauplatz ihrer Erzählungen wie in "Siam, or the Woman Who Shot a Man" und "Limbo, and Other Places I have lived".
"Die Geliebte des Diktators", ist ihr erstes, ins Deutsche übersetztes Buch. Veröffentlicht 2004, wurde es im vergangenen Jahr mit dem 55. National Book Award ausgezeichnet, der neben dem Pulitzer Preis die bedeutendste Würdigung für Buchautoren in den USA ist, eine Art Literatur-Oscar also.
Ihr Roman schildert mehr als nur ein Frauenschicksal in einem lateinamerikanischen Land in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Paraguay steht für andere Länder und Epochen. Das Buch ist eine erstaunliche Parabel auf die Machart von Despotien, auf diejenigen, die sie tragen und ertragen, überall und zu allen Zeiten, auch heute.
Lily Tuck: Die Geliebte des Diktators
Roman. Aus dem Englischen von Katharina Förs und Thomas Wollermann.
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006
331 Seiten, 19,80 Euro
In der Hauptstadt von Paraguay, Asuncion, führte sie ein Leben in Luxus, gefährdet freilich durch die Gewalten der Natur, durch Intrigen der Herrscherfamilie und durch die unberechenbaren Launen ihres Geliebten. Freundlich und großzügig zunächst, zeigte er sich zunehmend als arrogant und grausam: ein kindlich-barbarischer Despot.
Gekränkt wegen der Zurückweisung seines Heiratsbegehrens mit der Tochter des brasilianischen Präsidenten zettelt Franco 1864 ein bewaffnetes Scharmützel mit seinem mächtigen Nachbarn an. Aus ähnlich persönlichen Beweggründen, aus Ruhmsucht und Geltungsdrang, überträgt er diesen Krieg auf sein anderes großes Nachbarland, auf Argentinien.
Bis zur Auslöschung der Bevölkerung hält er diesen mörderischen Krieg durch, während er mit wechselnden, gegeneinander ausgespielten Parteien den Rückzug ins Landesinnere antritt. Er stirbt im letzten Gefecht, Ella entkommt nach Paris, wo sie in Armut ihre letzten Tage zubringt.
"Die Geliebte des Diktators", der auf englisch weitaus weniger reißerisch "The News from Paraguay" heißt, ist ein historischer Roman. Ella Lynch, Francisco Solano Lopez und zahlreiche weitere Figuren haben tatsächlich gelebt, jener zerstörerische Krieg hat zwischen 1864 und 1870 wirklich stattgefunden.
Lily Tuck fügt Bilder und Szenen aus wechselnden Perspektiven zusammen. Tagebücher, Briefe, Zeitungsausschnitte stehen neben in dichter Folge aneinandergereihten kurzen Episoden, die allesamt erfunden sind. Ein Panorama von erstaunlichen Details und knapp umrissenen, plastisch gezeichneten Figuren eröffnet einen unbekannten Kontinent.
Mit dramaturgischer Raffinesse zeigt sie, wie Freude und Unbeschwertheit dicht neben Brutalität, Schmerz und Angst in denselben Figuren wohnen. Immer wieder zeigt sie den schmalen Grat, auf dem Gefühle in ihr Gegenteil umschlagen, wenn Freundlichkeit zu Barbarei wird.
Lily Tuck wurde 1938 als Tochter deutscher Emigranten in Paris geboren, verbrachte ihre Kindheit in Peru und Uruguay, ihre Jugend in Paris und Manhattan, wo sie bis heute lebt. Sie war es, wie sie über sich selber sagt, gewohnt, Außenseiterin zu sein. Daraus schöpft sie ihre Stoffe als Schriftstellerin. Spät erst begann sie zu schreiben, ihr erster Roman "Interviewing Matisse" erschien 1991, auch in ihren folgenden Büchern macht sie eine fremde Kultur zum Schauplatz ihrer Erzählungen wie in "Siam, or the Woman Who Shot a Man" und "Limbo, and Other Places I have lived".
"Die Geliebte des Diktators", ist ihr erstes, ins Deutsche übersetztes Buch. Veröffentlicht 2004, wurde es im vergangenen Jahr mit dem 55. National Book Award ausgezeichnet, der neben dem Pulitzer Preis die bedeutendste Würdigung für Buchautoren in den USA ist, eine Art Literatur-Oscar also.
Ihr Roman schildert mehr als nur ein Frauenschicksal in einem lateinamerikanischen Land in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Paraguay steht für andere Länder und Epochen. Das Buch ist eine erstaunliche Parabel auf die Machart von Despotien, auf diejenigen, die sie tragen und ertragen, überall und zu allen Zeiten, auch heute.
Lily Tuck: Die Geliebte des Diktators
Roman. Aus dem Englischen von Katharina Förs und Thomas Wollermann.
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006
331 Seiten, 19,80 Euro