Wenn Google Grippewellen vorhersagt
Wenn Behörden und Unternehmen riesige Datenmengen für bestimmte Zwecke nutzen, ist neuerdings von einem Phänomen namens "Big Data" die Rede. Was dieser Trend für unser Zusammenleben bedeutet und wie die Politik darauf reagieren sollte, erklärt der Buchautor Viktor Mayer-Schönberger.
Dieter Kassel: Zwei technische Entwicklungen sind es im Wesentlichen, die ein Phänomen ermöglicht haben, das Experten schon jetzt – und bald wohl auch wir alle – unter dem Begriff Big Data kennen: Speichermedien, die zu bezahlbaren Preisen riesige Mengen an Daten aufnehmen können, und schnelle Prozessoren, die diese Daten in überschaubarer Zeit umfangreich auswerten können. Das ist eine Entwicklung, die unsere Welt verändern wird, aber es ist nicht in erster Linie eine technische Entwicklung.
Ein grundlegendes Buch zu dem Thema, das heute in mehreren Sprachen erscheint, heißt deshalb "Big Data – eine Revolution, die unser Leben, unsere Arbeit und unser Denken verändert". So kann man es zumindest übersetzen, denn es gibt vorerst keine deutschsprachige Ausgabe. Die beiden Autoren des Buches sind Kenneth Cukier, ein Journalist, der für den britischen "Economist" arbeitet, und Viktor Mayer-Schönberger. Er ist Professor of Internet Governance and Regulation am Internet Institute an der Universität Oxford. Und da, in Oxford, begrüße ich ihn jetzt am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Mayer-Schönberger!
Viktor Mayer-Schönberger: Guten Tag!
Kassel: Um wirklich einzusteigen, kann man heute schon sagen, dass eine Firma wie Google zum Beispiel die Ausbreitung einer Grippeepidemie besser vorhersagen kann als die zuständigen Gesundheitsbehörden?
Mayer-Schönberger: Ja, das ist in der Tat der Fall. Die zuständigen Gesundheitsbehörden sind angewiesen auf Informationen, die sie von den praktischen Ärzten bekommen, die erhalten sie immer mit einer gewissen Zeitverzögerung. Und nicht alle, die die Grippe haben, gehen auch zu praktischen Ärzten und suchen sich ärztlichen Rat. Im Vergleich dazu hat Google die Suchanfragen ausgewertet – immerhin bekommt Google mehrere Milliarden davon am Tag – und aus dem Vergleich mit alten Grippeepidemiedaten nachweisen können, dass eine Kombination aus 45 Suchbegriffen die Vorhersage der Verbreitung der Grippe sehr gut erlaubt.
Kassel: Nun stellt sich der Laie das einfach vor: Google guckt zum Beispiel nach, wer gibt ein "Grippevorsorge", "Grippebekämpfung", "billige Grippemedikamente". Aber darunter stecken doch sicherlich kompliziertere Programme, allein diese 45 Begriffe hat sich vermutlich doch schon kein Mensch mehr ausgedacht, oder?
Mayer-Schönberger: Nein, diese 45 Begriffe, und das ist das Spannende daran, hat sich kein Mensch mehr ausgedacht. Das heißt, Google ist in diese Fragestellung hineingegangen, ohne zu wissen, welche Begriffe die beste Vorhersagewahrscheinlichkeit haben für die Verbreitung der Grippe. Die 45 Begriffe, die dann herausgekommen sind, haben alle irgendetwas mit Grippe oder Gesundheit zu tun. Aber sie hat ein Computermodell ermittelt und damit Google das Werkzeug in die Hand gegeben, das ein Mensch selber aus den 50 Millionen Begriffen, die Google getestet hat, nicht erraten hätte können. Der 46. Begriff, der ausgesondert wurde, war NBA, denn die hat ihren Wettbewerb, ihren Hauptwettbewerb immer im Winter, dort, wo die Grippe am stärksten auftritt. Und interessanterweise war das der erste Begriff, der nicht mehr gut in das Modell hineingepasst hat, denn in der Tat hat dieser Begriff nichts mehr mit der Grippe zu tun.
Ein grundlegendes Buch zu dem Thema, das heute in mehreren Sprachen erscheint, heißt deshalb "Big Data – eine Revolution, die unser Leben, unsere Arbeit und unser Denken verändert". So kann man es zumindest übersetzen, denn es gibt vorerst keine deutschsprachige Ausgabe. Die beiden Autoren des Buches sind Kenneth Cukier, ein Journalist, der für den britischen "Economist" arbeitet, und Viktor Mayer-Schönberger. Er ist Professor of Internet Governance and Regulation am Internet Institute an der Universität Oxford. Und da, in Oxford, begrüße ich ihn jetzt am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Mayer-Schönberger!
Viktor Mayer-Schönberger: Guten Tag!
Kassel: Um wirklich einzusteigen, kann man heute schon sagen, dass eine Firma wie Google zum Beispiel die Ausbreitung einer Grippeepidemie besser vorhersagen kann als die zuständigen Gesundheitsbehörden?
Mayer-Schönberger: Ja, das ist in der Tat der Fall. Die zuständigen Gesundheitsbehörden sind angewiesen auf Informationen, die sie von den praktischen Ärzten bekommen, die erhalten sie immer mit einer gewissen Zeitverzögerung. Und nicht alle, die die Grippe haben, gehen auch zu praktischen Ärzten und suchen sich ärztlichen Rat. Im Vergleich dazu hat Google die Suchanfragen ausgewertet – immerhin bekommt Google mehrere Milliarden davon am Tag – und aus dem Vergleich mit alten Grippeepidemiedaten nachweisen können, dass eine Kombination aus 45 Suchbegriffen die Vorhersage der Verbreitung der Grippe sehr gut erlaubt.
Kassel: Nun stellt sich der Laie das einfach vor: Google guckt zum Beispiel nach, wer gibt ein "Grippevorsorge", "Grippebekämpfung", "billige Grippemedikamente". Aber darunter stecken doch sicherlich kompliziertere Programme, allein diese 45 Begriffe hat sich vermutlich doch schon kein Mensch mehr ausgedacht, oder?
Mayer-Schönberger: Nein, diese 45 Begriffe, und das ist das Spannende daran, hat sich kein Mensch mehr ausgedacht. Das heißt, Google ist in diese Fragestellung hineingegangen, ohne zu wissen, welche Begriffe die beste Vorhersagewahrscheinlichkeit haben für die Verbreitung der Grippe. Die 45 Begriffe, die dann herausgekommen sind, haben alle irgendetwas mit Grippe oder Gesundheit zu tun. Aber sie hat ein Computermodell ermittelt und damit Google das Werkzeug in die Hand gegeben, das ein Mensch selber aus den 50 Millionen Begriffen, die Google getestet hat, nicht erraten hätte können. Der 46. Begriff, der ausgesondert wurde, war NBA, denn die hat ihren Wettbewerb, ihren Hauptwettbewerb immer im Winter, dort, wo die Grippe am stärksten auftritt. Und interessanterweise war das der erste Begriff, der nicht mehr gut in das Modell hineingepasst hat, denn in der Tat hat dieser Begriff nichts mehr mit der Grippe zu tun.
Big Data kann uns zu pragmatischen Einsichten verhelfen
Kassel: Damit wird schon langsam klar, dass Big Data, auch wenn der Begriff das vielleicht nahelegt, dass das nicht ausschließlich etwas mit den riesigen Datenmengen allein zu tun hat. Was muss denn alles zusammenkommen, damit aus Big Data wirklich eine Revolution wird?
Mayer-Schönberger: Nun, zum einen erfordert es, viel Daten zu haben, zum zweiten bedarf es der notwendigen Werkzeuge, also großer Speicher, aber auch Prozessorfähigkeiten, und der notwendigen statistischen Fähigkeiten der Menschen, das auszuwerten, und es bedarf aber auch einer Art Idee, zu verstehen, wie man aus Daten Wert schöpfen kann. Und all diese drei Möglichkeiten müssen zusammenkommen, um Big Data erfolgreich werden zu lassen.
Kassel: Aber bleibt nicht alles trotzdem auch eine Frage der menschlichen Interpretation? Nehmen wir noch einmal kurz dieses Beispiel Grippeepidemie und Google. Wenn wir die – Sie haben es schon erklärt – leider in der Regel zu spät eintreffenden Daten von Ärzten haben, dann haben wir wirklich nur die Patienten, die erkrankt sind. Bei denen, die zum Beispiel bei Google gesucht haben, können ja auch medizinische Mitarbeiter dabei sein, die sich informieren wollten, Leute, die einfach nur neugierig sind – also mit anderen Worten: Big Data zeigt uns ja Zusammenhänge, aber welche Gründe es für diese Zusammenhänge gibt, zeigt es uns ja nicht.
Mayer-Schönberger: Das ist völlig richtig. Big Data kann uns nicht das Warum bieten, sondern nur die Tatsache, dass offenbar Zusammenhänge existieren, aber das ist in vielen Fällen schon gut genug. Und oftmals, wenn wir glauben, wir haben das Warum, wir haben den Grund erkannt, müssen wir dann doch später feststellen, dass wir uns getäuscht haben. Also auch die Suche nach dem Grund, diese sehr tiefe menschliche Suche nach dem Grund der Dinge, die verstellt uns ganz oft den Weg zu pragmatischen Einsichten. Und Big Data kann uns hier zu diesen pragmatischen Einsichten helfen, verhelfen.
Kassel: Sie blicken natürlich nicht nur auf die Dinge, die schon gemacht werden. Sie blicken auch in die Zukunft in dem Buch und erwähnen in einem Zusammenhang den Film "Minority Report". Dazu kann man kurz erklären, für die, die sich nicht erinnern oder ihn schlicht nicht gesehen haben, da gibt es schon am Anfang eine Szene, wo ein Polizist einen Mann verhaftet, der kurz davor ist, einen Mord zu begehen. In dem Film geht das nicht über Big Data, aber wäre so etwas prinzipiell mit Big Data vorstellbar?
Mayer-Schönberger: Ja, das wäre vorstellbar, und es gibt auch in manchen Ländern Bestrebungen in diese Richtung, zum Beispiel versuchen Polizeibehörden in den Vereinigten Staaten Big Data zu verwenden, um Verbrechen vorherzusagen und dann an diesem vorhergesagten Termin und in diesem vorhergesagten Ort verstärkt durch Polizeikontrollen et cetera dieses vorhergesagte Verbrechen zu unterbinden. Also diese Bewegungen, diese Ideen sind nicht mehr nur Hirngespinste von Drehbuchautoren, sondern werden in den Vereinigten Staaten in einigen Bereichen schon in die Tat umgesetzt.
Mayer-Schönberger: Nun, zum einen erfordert es, viel Daten zu haben, zum zweiten bedarf es der notwendigen Werkzeuge, also großer Speicher, aber auch Prozessorfähigkeiten, und der notwendigen statistischen Fähigkeiten der Menschen, das auszuwerten, und es bedarf aber auch einer Art Idee, zu verstehen, wie man aus Daten Wert schöpfen kann. Und all diese drei Möglichkeiten müssen zusammenkommen, um Big Data erfolgreich werden zu lassen.
Kassel: Aber bleibt nicht alles trotzdem auch eine Frage der menschlichen Interpretation? Nehmen wir noch einmal kurz dieses Beispiel Grippeepidemie und Google. Wenn wir die – Sie haben es schon erklärt – leider in der Regel zu spät eintreffenden Daten von Ärzten haben, dann haben wir wirklich nur die Patienten, die erkrankt sind. Bei denen, die zum Beispiel bei Google gesucht haben, können ja auch medizinische Mitarbeiter dabei sein, die sich informieren wollten, Leute, die einfach nur neugierig sind – also mit anderen Worten: Big Data zeigt uns ja Zusammenhänge, aber welche Gründe es für diese Zusammenhänge gibt, zeigt es uns ja nicht.
Mayer-Schönberger: Das ist völlig richtig. Big Data kann uns nicht das Warum bieten, sondern nur die Tatsache, dass offenbar Zusammenhänge existieren, aber das ist in vielen Fällen schon gut genug. Und oftmals, wenn wir glauben, wir haben das Warum, wir haben den Grund erkannt, müssen wir dann doch später feststellen, dass wir uns getäuscht haben. Also auch die Suche nach dem Grund, diese sehr tiefe menschliche Suche nach dem Grund der Dinge, die verstellt uns ganz oft den Weg zu pragmatischen Einsichten. Und Big Data kann uns hier zu diesen pragmatischen Einsichten helfen, verhelfen.
Kassel: Sie blicken natürlich nicht nur auf die Dinge, die schon gemacht werden. Sie blicken auch in die Zukunft in dem Buch und erwähnen in einem Zusammenhang den Film "Minority Report". Dazu kann man kurz erklären, für die, die sich nicht erinnern oder ihn schlicht nicht gesehen haben, da gibt es schon am Anfang eine Szene, wo ein Polizist einen Mann verhaftet, der kurz davor ist, einen Mord zu begehen. In dem Film geht das nicht über Big Data, aber wäre so etwas prinzipiell mit Big Data vorstellbar?
Mayer-Schönberger: Ja, das wäre vorstellbar, und es gibt auch in manchen Ländern Bestrebungen in diese Richtung, zum Beispiel versuchen Polizeibehörden in den Vereinigten Staaten Big Data zu verwenden, um Verbrechen vorherzusagen und dann an diesem vorhergesagten Termin und in diesem vorhergesagten Ort verstärkt durch Polizeikontrollen et cetera dieses vorhergesagte Verbrechen zu unterbinden. Also diese Bewegungen, diese Ideen sind nicht mehr nur Hirngespinste von Drehbuchautoren, sondern werden in den Vereinigten Staaten in einigen Bereichen schon in die Tat umgesetzt.
Die dunkle Seite von Big Data
Kassel: Aber das rührt doch an den Grundfesten unseres Rechtsverständnisses. In jedem Rechtsstaat zumindest, so unterschiedlich die Gesetze im Einzelnen sein mögen, wird man immer nur bestraft für etwas, das man wirklich getan hat. Die Gedanken sind ja frei. Müssen wir dann in der Zukunft Menschen bestrafen für etwas, was sie nur wahrscheinlich getan hätten?
Mayer-Schönberger: Ich hoffe nicht. Es ist in der Tat die dunkle Seite von Big Data, und wir müssen, wie bei jedem Werkzeug, wie bei jeder neuen Technologie, wie bei jeder Innovation, auch vorsichtig sein, dass diese dunkle Seite, in diesem Fall von Big Data, nicht überhand nimmt, dass wir diese dunkle Seite kontrollieren. Es darf nicht dazu kommen, dass wir Menschen verhaften und bestrafen für Dinge, die sie noch nicht getan haben.
Kassel: Na, eigentlich müssen wir damit heute schon leben, ein kleinerer Zusammenhang ist die Überprüfung unserer Kreditwürdigkeit. Wenn da der Computer sagt, nein, aufgrund der Statistik wird zum Beispiel Herr Kassel höchstwahrscheinlich den Kredit nicht zurückzahlen können, kriege ich den nicht, erfahre vielleicht diesen Grund nicht mal genau und kann schon heute nichts machen. Kommt man aus dieser Zwickmühle überhaupt noch heraus?
Mayer-Schönberger: Diese Zwickmühle besteht heute schon. Sie könnte in der Zukunft noch problematischer werden. Ich glaube, wir müssen hier richtig gegensteuern, und gegensteuern nicht, indem wir uns der Technologie verschließen. Immerhin erlaubt uns Big Data und diese Technologie der Vorhersage bessere Einsichten, bessere Planung für die Zukunft. Nein, wir dürfen uns der Technologie nicht verschließen, aber wir müssen die Technologie kritisch begleiten. Und das bedeutet in diesem Zusammenhang zum Beispiel, dass wir uns gut überlegen müssen, ob wir nicht die Regeln, die hinter Entscheidungen stehen, zum Beispiel, ob Sie einen Kredit bekommen oder nicht, ob jemand verhaftet wird oder nicht, dass wir die Regeln und die Daten transparent machen.
Kassel: Da stellt sich die Frage, wer soll das tun? Brauchen wir eine Art Internetpolizei?
Mayer-Schönberger: Wir sprechen in unserem Buch nicht von einer Internetpolizei, sondern von einem Big-Data-TÜV oder von Algorithmikern, wie wir sie nennen, also einer Kaste von Experten, die sich wie der TÜV darauf spezialisiert haben, Gefahren zu erkennen, Risiken einzuschätzen und Maßnahmen zur Vorbeugung festzulegen.
Mayer-Schönberger: Ich hoffe nicht. Es ist in der Tat die dunkle Seite von Big Data, und wir müssen, wie bei jedem Werkzeug, wie bei jeder neuen Technologie, wie bei jeder Innovation, auch vorsichtig sein, dass diese dunkle Seite, in diesem Fall von Big Data, nicht überhand nimmt, dass wir diese dunkle Seite kontrollieren. Es darf nicht dazu kommen, dass wir Menschen verhaften und bestrafen für Dinge, die sie noch nicht getan haben.
Kassel: Na, eigentlich müssen wir damit heute schon leben, ein kleinerer Zusammenhang ist die Überprüfung unserer Kreditwürdigkeit. Wenn da der Computer sagt, nein, aufgrund der Statistik wird zum Beispiel Herr Kassel höchstwahrscheinlich den Kredit nicht zurückzahlen können, kriege ich den nicht, erfahre vielleicht diesen Grund nicht mal genau und kann schon heute nichts machen. Kommt man aus dieser Zwickmühle überhaupt noch heraus?
Mayer-Schönberger: Diese Zwickmühle besteht heute schon. Sie könnte in der Zukunft noch problematischer werden. Ich glaube, wir müssen hier richtig gegensteuern, und gegensteuern nicht, indem wir uns der Technologie verschließen. Immerhin erlaubt uns Big Data und diese Technologie der Vorhersage bessere Einsichten, bessere Planung für die Zukunft. Nein, wir dürfen uns der Technologie nicht verschließen, aber wir müssen die Technologie kritisch begleiten. Und das bedeutet in diesem Zusammenhang zum Beispiel, dass wir uns gut überlegen müssen, ob wir nicht die Regeln, die hinter Entscheidungen stehen, zum Beispiel, ob Sie einen Kredit bekommen oder nicht, ob jemand verhaftet wird oder nicht, dass wir die Regeln und die Daten transparent machen.
Kassel: Da stellt sich die Frage, wer soll das tun? Brauchen wir eine Art Internetpolizei?
Mayer-Schönberger: Wir sprechen in unserem Buch nicht von einer Internetpolizei, sondern von einem Big-Data-TÜV oder von Algorithmikern, wie wir sie nennen, also einer Kaste von Experten, die sich wie der TÜV darauf spezialisiert haben, Gefahren zu erkennen, Risiken einzuschätzen und Maßnahmen zur Vorbeugung festzulegen.
Was die Politik jetzt tun sollte
Kassel: Aber die Entscheidung muss ja jemand anderes treffen, eventuell Richter, Regierungen. Können Regierungen heute – nun reden wir mal nur von demokratisch gewählten Regierungen in freien Ländern - können die mit so was umgehen?
Mayer-Schönberger: Ich denke, es muss ein Umdenken auch in der Politik geben, die Politikerinnen und Politiker müssen feststellen und werden feststellen müssen, dass ihre Aufgabe, ihr Aufgabenbereich plötzlich sehr viel komplexer und schwieriger geworden ist. Auf der einen Seite werden sie über Big Data wesentlich bessere empirische Daten der Vorhersage bekommen, können also damit besser regieren, auf der anderen Seite müssen sie aber auch ganz klar Maßnahmen ergreifen, um die Gefahren, die von Big Data ausgehen können, einzudämmen und sicherzustellen, dass unsere Gesellschaft robust in die Zukunft gehen kann.
Kassel: Wir reden heute im Deutschlandradio Kultur mit Viktor Mayer-Schönberger, einem der beiden Autoren des Buches "Big Data", das heute weltweit in verschiedenen Sprachen erscheint, in Deutsch zunächst noch nicht. Und es ist vielleicht, und das merkt man auch, wenn man ihr Buch gelesen hat, gar nicht mal das allergrößte Problem, aber eines der Probleme ist zumindest vom Namen her ein altes, nämlich der Datenschutz. Die Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union stammt im Kern aus dem Jahr 1995. Kann man nicht feststellen, diese Regeln, die wir haben, sind eigentlich für die Zukunft überhaupt nicht mehr anwendbar?
Mayer-Schönberger: Ja, die Datenschutzregeln, denen ich mich persönlich, und deren Idealen ich mich sehr verpflichtet fühle, die sind in der Tat in dem Zeitalter von Big Data problematisch, weil Big Data die bestehenden Datenmengen weiter nutzen möchte – nicht nur für den primären Zweck, sondern für sekundäre und tertiäre Zwecke. Denken Sie an das Beispiel, das wir besprochen haben mit Google und der Vorhersage der Grippe: Hier werden die Suchbegriffe, die Menschen an Google schicken, um eine Liste von Suchergebnissen zu bekommen, für einen anderen Zweck verwendet, nämlich für die Vorhersage der Verbreitung von Grippe.
Und unsere Datenschutzgesetze sehen insbesondere in diesen Fällen vor, dass von den Betroffenen dann eine Zustimmung noch eingeholt werden muss für diesen neuen Zweck der Verwendung dieser persönlichen Daten, das macht Big Data sehr kompliziert. Wenn Google in der Tat von Milliarden von Menschen die Zustimmung dann wieder verlangen müsste, die Suchbegriffe für die Verbreitung von Grippeepidemien verwenden zu können, könnten Sie Big Data nicht durchführen. Hier müssen wir uns also einem neuen Datenschutz-Paradigma öffnen, das nicht mehr ausschließlich oder primär auf der Zustimmung und Kontrolle durch die Betroffenen beruht, sondern auf einer Kontrolle durch Behörden.
Kassel: Viktor Mayer-Schönberger war das. Er hat zusammen mit Kenneth Cukier das Buch geschrieben "Big Data – Revolution that will transform how we live, work and think". Das Buch ist in englischer Sprache natürlich auch in Deutschland erhältlich, und zwar aktuell so zu Preisen ab 16, 17 Euro. Herr Mayer-Schönberger, ich danke Ihnen und hoffe, dass die nicht "darken" Seiten aus ihrem Buch wahr werden und die anderen nicht!
Mayer-Schönberger: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mayer-Schönberger: Ich denke, es muss ein Umdenken auch in der Politik geben, die Politikerinnen und Politiker müssen feststellen und werden feststellen müssen, dass ihre Aufgabe, ihr Aufgabenbereich plötzlich sehr viel komplexer und schwieriger geworden ist. Auf der einen Seite werden sie über Big Data wesentlich bessere empirische Daten der Vorhersage bekommen, können also damit besser regieren, auf der anderen Seite müssen sie aber auch ganz klar Maßnahmen ergreifen, um die Gefahren, die von Big Data ausgehen können, einzudämmen und sicherzustellen, dass unsere Gesellschaft robust in die Zukunft gehen kann.
Kassel: Wir reden heute im Deutschlandradio Kultur mit Viktor Mayer-Schönberger, einem der beiden Autoren des Buches "Big Data", das heute weltweit in verschiedenen Sprachen erscheint, in Deutsch zunächst noch nicht. Und es ist vielleicht, und das merkt man auch, wenn man ihr Buch gelesen hat, gar nicht mal das allergrößte Problem, aber eines der Probleme ist zumindest vom Namen her ein altes, nämlich der Datenschutz. Die Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union stammt im Kern aus dem Jahr 1995. Kann man nicht feststellen, diese Regeln, die wir haben, sind eigentlich für die Zukunft überhaupt nicht mehr anwendbar?
Mayer-Schönberger: Ja, die Datenschutzregeln, denen ich mich persönlich, und deren Idealen ich mich sehr verpflichtet fühle, die sind in der Tat in dem Zeitalter von Big Data problematisch, weil Big Data die bestehenden Datenmengen weiter nutzen möchte – nicht nur für den primären Zweck, sondern für sekundäre und tertiäre Zwecke. Denken Sie an das Beispiel, das wir besprochen haben mit Google und der Vorhersage der Grippe: Hier werden die Suchbegriffe, die Menschen an Google schicken, um eine Liste von Suchergebnissen zu bekommen, für einen anderen Zweck verwendet, nämlich für die Vorhersage der Verbreitung von Grippe.
Und unsere Datenschutzgesetze sehen insbesondere in diesen Fällen vor, dass von den Betroffenen dann eine Zustimmung noch eingeholt werden muss für diesen neuen Zweck der Verwendung dieser persönlichen Daten, das macht Big Data sehr kompliziert. Wenn Google in der Tat von Milliarden von Menschen die Zustimmung dann wieder verlangen müsste, die Suchbegriffe für die Verbreitung von Grippeepidemien verwenden zu können, könnten Sie Big Data nicht durchführen. Hier müssen wir uns also einem neuen Datenschutz-Paradigma öffnen, das nicht mehr ausschließlich oder primär auf der Zustimmung und Kontrolle durch die Betroffenen beruht, sondern auf einer Kontrolle durch Behörden.
Kassel: Viktor Mayer-Schönberger war das. Er hat zusammen mit Kenneth Cukier das Buch geschrieben "Big Data – Revolution that will transform how we live, work and think". Das Buch ist in englischer Sprache natürlich auch in Deutschland erhältlich, und zwar aktuell so zu Preisen ab 16, 17 Euro. Herr Mayer-Schönberger, ich danke Ihnen und hoffe, dass die nicht "darken" Seiten aus ihrem Buch wahr werden und die anderen nicht!
Mayer-Schönberger: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.