Wenn im Computer die Erde bebt
Zwar passieren in Deutschland nicht so heftige Erdbeben wie jüngst in Haiti, stark beben kann die Erde dennoch, wie vor fünf Jahren bei Furtwangen im Schwarzwald mit einer Stärke von 5,4. Um mögliche Folgeschäden zu minimieren, simulieren Forscher Beben im Computer.
Ein Erdbeben an einem Computer zu simulieren, ist für Desiree Hilbring kein Problem. Auf dem Bildschirm ihres Rechners am Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung in Karlsruhe ist eine Karte von Baden-Württemberg zu erkennen. Ein Mausklick genügt, und schon bebt die Erde:
"Wir haben jetzt in der Mitte von Baden-Württemberg in der Nähe von Albstadt das Erdbeben ausgelöst; haben dort dann auch das Epizentrum des Erdbebens mit einer Magnitude von 7,8 und um dieses Epizentrum herum gibt es kreisförmig verschiedene Regionen in Farbabstufungen von dunkelrot, wo die Bodenbeschleunigung bei ungefähr 12 Meter pro Sekunde lag, bis weiter an die Ränder von Baden-Württemberg, wo wir dann im gelben Bereich sind, da waren das 0,9 Meter pro Sekunde; da sieht man, dass es nach außen hin schon relativ stark abnimmt."
Wie heftig die Erde im Südwesten Deutschlands gebebt hat, sieht die Softwareingenieurin sofort auf der Karte - wie in einem Kaleidoskop: Das Zentrum des Bebens im schwäbischen Albstadt ist tief dunkelrot gefärbt; im helleren Rot präsentieren sich die Bereiche um die Universitätsstadt Tübingen im Norden und die Region am Bodensee im Süden. Die Landeshauptstadt Stuttgart ist glimpflicher davon gekommen, sie liegt im ockerfarbenen Bereich. Und der Norden, zwischen Heidelberg und Würzburg, ist grün geblieben - hier dürfte das Beben also keine Schäden angerichtet haben.
Zu erkennen ist auch ein dichtes Geflecht aus grauen, langen Strichen auf der Karte: das Streckennetz der Deutschen Bahn. Grau steht für "normal" - hier ist nichts passiert. Im Süden jedoch leuchtet eine Linie zwischen Tübingen und Sigmaringen im grellen Rot. Diese Strecke ist sofort zu sperren. Züge, die dort unterwegs sind, müssen unverzüglich stoppen:
"Denn es ist ja so, dass ein stehender Zug eine geringere Gefahr hat, zu entgleisen, als jetzt ein ICE zum Beispiel, der mit Hochgeschwindigkeit über das Streckennetz fährt. Und genau die gefährdeten Strecken sind jetzt automatisch identifiziert worden. Und diese Information könnte jetzt an die Bahnleitzentrale weitergeleitet werden, um dann automatisch die Züge anzuhalten."
Am Fraunhofer Institut für Informations- und Datenverarbeitung in Karlsruhe nutzen die Forscher Infrastrukturdaten der Deutschen Bahn: Wie ist der Streckenverlauf? Und wo gibt es sensible Punkte wie zum Beispiel Brücken? Diese Daten werden mit den Computermodellen verknüpft, um die Katastrophenvorsorge im Fall der Fälle effizienter zu gestalten.
Den Forschern geht es um eine schnelle und flächendeckende Frühwarnung bei Erdbeben. Viel Zeit bleibt im Ernstfall nämlich nicht: 30 Sekunden bis eine Minute wären schon sehr viel. Denn wie im Rechenmodell sind es auch in der Realität bestimmte seismische Wellen bei einem Beben, die den Handlungsspielraum erheblich einschränken, sagt der Geophysiker Dr. Ralf Eck vom Fraunhofer Institut:
"Das ganze Modell beruht auf Laufzeitunterschieden zwischen der sogenannten P-Welle, der Primärwelle und der S-Welle, der Sekundärwelle. Das sind zwei verschiedene Wellentypen. Die P-Welle ist die schnelle Welle - als wenn man auf einen Nagel haut; auf ein Stück Eisen in die Wand; und die geht sehr schnell durch das Eisen. Und die S-Welle, die geht quer. Das heißt, wenn man am Nagelende hinten quer haut, so eine Peitschenbewegung, die ist langsamer. Und die zwei Laufzeitunterschiede, die nutze ich jetzt aus für so ein Modell. Das heißt, die P-Welle kommt an, die ist eben sehr schnell gekommen. Und jetzt mache ich darauf eine Modellberechnung, was für ein Schaden mit der S-Welle auf mich zukommen könnte."
Und diese S-Welle, die Sekundärwelle ist es, die an der Erdoberfläche verheerende Schäden anrichten kann. Weltweit gibt es jedes Jahr im Schnitt rund zwanzig Beben, die vergleichbar stark sind wie das fiktive Erdbeben von Albstadt, das eine Magnitude von 7,8 auf der Richter-Skala aufweist.
Der Herd des Bebens wäre in der Simulation in rund zehn Kilometer Tiefe gewesen. Aus Sicht der Seismologen ist das sehr nah. Und somit bleibt auch wenig Zeit für eine umfassende Frühwarnung:
"Die Reaktionszeit ist im Sekundenbereich hier in dem Fall. Das heißt: Ich fange jetzt nicht an, zu telefonieren, um Maßnahmen einzuleiten. Sondern: Solche Werte kann man sehr gut einsetzen, um Züge zu stoppen. Wir wissen aus Japan mit den Hochgeschwindigkeitszügen, dass es dort bereits realisiert ist, dass dann Züge gestoppt werden. Und selbst wenn ich es nicht mehr schaffe, zu stoppen - jeder Kilometer, den ich langsamer fahre, ist weniger Schaden für die Passagiere. Und das ist wichtig."
Es bleibt also keine Zeit mehr, um jeden einzelnen Lokführer extra anzurufen. Die technischen Voraussetzungen reichen aber aus, um die Züge aus der Ferne zu stoppen. Das geschieht in der Praxis des Öfteren, sagt der Physiker Dr. Alfons Buchmann vom Institut für Straßen- und Eisenbahnwesen der Universität Karlsruhe:
"Was für die Bahn ein Anliegen ist, sind Hangrutschungen an Strecken. Das kommt weitaus häufiger vor als Erdbebenschäden: Erde, die von den Hängen runterkommt; zum Beispiel im Rheintal von den Weinbergen, die dann die Bahnstrecke blockieren. Hierfür gibt es auch Sensorik, die nahe an der Trasse installiert ist, die für die Leitungssicherungstechnik zuständig sind, die für den Zugbetrieb notwendig sind. Dazu gehören zum Beispiel Achszähler oder auch das Linienzugbeeinflussungskabel, mit dem der Zug von außen beeinflusst werden kann."
Dort, wo diese technischen Voraussetzungen gegeben sind, ließe sich das Karlsruher Erdbeben-Frühwarnsystem in der Praxis am besten erproben. Für Baden-Württemberg dürfte das weniger relevant sein. In anderen Weltregionen dagegen bebt die Erde weitaus häufiger, und vor allem heftiger:
"Das Ziel war, die Informationsarchitektur des Frühwarnsystems so zu gestalten, dass sie übertragbar ist. Das heißt, es wäre jetzt problemlos möglich, andere Infrastrukturdaten wie zum Beispiel aus Japan oder der Türkei zu übernehmen, um das Frühwarnsystem auf diese Regionen zu übertragen, wo halt die Wahrscheinlichkeit, dass Erdbeben diesen großen Schaden auslösen, höher ist als es bei uns der Fall ist."
"Wir haben jetzt in der Mitte von Baden-Württemberg in der Nähe von Albstadt das Erdbeben ausgelöst; haben dort dann auch das Epizentrum des Erdbebens mit einer Magnitude von 7,8 und um dieses Epizentrum herum gibt es kreisförmig verschiedene Regionen in Farbabstufungen von dunkelrot, wo die Bodenbeschleunigung bei ungefähr 12 Meter pro Sekunde lag, bis weiter an die Ränder von Baden-Württemberg, wo wir dann im gelben Bereich sind, da waren das 0,9 Meter pro Sekunde; da sieht man, dass es nach außen hin schon relativ stark abnimmt."
Wie heftig die Erde im Südwesten Deutschlands gebebt hat, sieht die Softwareingenieurin sofort auf der Karte - wie in einem Kaleidoskop: Das Zentrum des Bebens im schwäbischen Albstadt ist tief dunkelrot gefärbt; im helleren Rot präsentieren sich die Bereiche um die Universitätsstadt Tübingen im Norden und die Region am Bodensee im Süden. Die Landeshauptstadt Stuttgart ist glimpflicher davon gekommen, sie liegt im ockerfarbenen Bereich. Und der Norden, zwischen Heidelberg und Würzburg, ist grün geblieben - hier dürfte das Beben also keine Schäden angerichtet haben.
Zu erkennen ist auch ein dichtes Geflecht aus grauen, langen Strichen auf der Karte: das Streckennetz der Deutschen Bahn. Grau steht für "normal" - hier ist nichts passiert. Im Süden jedoch leuchtet eine Linie zwischen Tübingen und Sigmaringen im grellen Rot. Diese Strecke ist sofort zu sperren. Züge, die dort unterwegs sind, müssen unverzüglich stoppen:
"Denn es ist ja so, dass ein stehender Zug eine geringere Gefahr hat, zu entgleisen, als jetzt ein ICE zum Beispiel, der mit Hochgeschwindigkeit über das Streckennetz fährt. Und genau die gefährdeten Strecken sind jetzt automatisch identifiziert worden. Und diese Information könnte jetzt an die Bahnleitzentrale weitergeleitet werden, um dann automatisch die Züge anzuhalten."
Am Fraunhofer Institut für Informations- und Datenverarbeitung in Karlsruhe nutzen die Forscher Infrastrukturdaten der Deutschen Bahn: Wie ist der Streckenverlauf? Und wo gibt es sensible Punkte wie zum Beispiel Brücken? Diese Daten werden mit den Computermodellen verknüpft, um die Katastrophenvorsorge im Fall der Fälle effizienter zu gestalten.
Den Forschern geht es um eine schnelle und flächendeckende Frühwarnung bei Erdbeben. Viel Zeit bleibt im Ernstfall nämlich nicht: 30 Sekunden bis eine Minute wären schon sehr viel. Denn wie im Rechenmodell sind es auch in der Realität bestimmte seismische Wellen bei einem Beben, die den Handlungsspielraum erheblich einschränken, sagt der Geophysiker Dr. Ralf Eck vom Fraunhofer Institut:
"Das ganze Modell beruht auf Laufzeitunterschieden zwischen der sogenannten P-Welle, der Primärwelle und der S-Welle, der Sekundärwelle. Das sind zwei verschiedene Wellentypen. Die P-Welle ist die schnelle Welle - als wenn man auf einen Nagel haut; auf ein Stück Eisen in die Wand; und die geht sehr schnell durch das Eisen. Und die S-Welle, die geht quer. Das heißt, wenn man am Nagelende hinten quer haut, so eine Peitschenbewegung, die ist langsamer. Und die zwei Laufzeitunterschiede, die nutze ich jetzt aus für so ein Modell. Das heißt, die P-Welle kommt an, die ist eben sehr schnell gekommen. Und jetzt mache ich darauf eine Modellberechnung, was für ein Schaden mit der S-Welle auf mich zukommen könnte."
Und diese S-Welle, die Sekundärwelle ist es, die an der Erdoberfläche verheerende Schäden anrichten kann. Weltweit gibt es jedes Jahr im Schnitt rund zwanzig Beben, die vergleichbar stark sind wie das fiktive Erdbeben von Albstadt, das eine Magnitude von 7,8 auf der Richter-Skala aufweist.
Der Herd des Bebens wäre in der Simulation in rund zehn Kilometer Tiefe gewesen. Aus Sicht der Seismologen ist das sehr nah. Und somit bleibt auch wenig Zeit für eine umfassende Frühwarnung:
"Die Reaktionszeit ist im Sekundenbereich hier in dem Fall. Das heißt: Ich fange jetzt nicht an, zu telefonieren, um Maßnahmen einzuleiten. Sondern: Solche Werte kann man sehr gut einsetzen, um Züge zu stoppen. Wir wissen aus Japan mit den Hochgeschwindigkeitszügen, dass es dort bereits realisiert ist, dass dann Züge gestoppt werden. Und selbst wenn ich es nicht mehr schaffe, zu stoppen - jeder Kilometer, den ich langsamer fahre, ist weniger Schaden für die Passagiere. Und das ist wichtig."
Es bleibt also keine Zeit mehr, um jeden einzelnen Lokführer extra anzurufen. Die technischen Voraussetzungen reichen aber aus, um die Züge aus der Ferne zu stoppen. Das geschieht in der Praxis des Öfteren, sagt der Physiker Dr. Alfons Buchmann vom Institut für Straßen- und Eisenbahnwesen der Universität Karlsruhe:
"Was für die Bahn ein Anliegen ist, sind Hangrutschungen an Strecken. Das kommt weitaus häufiger vor als Erdbebenschäden: Erde, die von den Hängen runterkommt; zum Beispiel im Rheintal von den Weinbergen, die dann die Bahnstrecke blockieren. Hierfür gibt es auch Sensorik, die nahe an der Trasse installiert ist, die für die Leitungssicherungstechnik zuständig sind, die für den Zugbetrieb notwendig sind. Dazu gehören zum Beispiel Achszähler oder auch das Linienzugbeeinflussungskabel, mit dem der Zug von außen beeinflusst werden kann."
Dort, wo diese technischen Voraussetzungen gegeben sind, ließe sich das Karlsruher Erdbeben-Frühwarnsystem in der Praxis am besten erproben. Für Baden-Württemberg dürfte das weniger relevant sein. In anderen Weltregionen dagegen bebt die Erde weitaus häufiger, und vor allem heftiger:
"Das Ziel war, die Informationsarchitektur des Frühwarnsystems so zu gestalten, dass sie übertragbar ist. Das heißt, es wäre jetzt problemlos möglich, andere Infrastrukturdaten wie zum Beispiel aus Japan oder der Türkei zu übernehmen, um das Frühwarnsystem auf diese Regionen zu übertragen, wo halt die Wahrscheinlichkeit, dass Erdbeben diesen großen Schaden auslösen, höher ist als es bei uns der Fall ist."