Wenn Kurt Schwitters Sport getrieben hätte

Von Susanne Schrammar |
Ein Basketballfeld, junge Menschen in Taucheranzügen, in der einen Hand eine Wasserbombe, in der anderen einen Kaktus: Willkommen bei den Dada-lympics in Hannover. Die Organisatoren wollen Sport und Kultur zusammenbringen, ganz im Geist des Dada-Künstlers Kurt Schwitters.
Maas: "Jetzt der Kanister oben drauf... Da sind wir jetzt mittlerweile bei einer Höhe von 1,70 Meter, so jetzt kommt der Bauarbeiterhelm, der halt schwierig ist wegen seiner komischen Form."
Junger Mann: "Der Jonglierball wird Dir zu schaffen geben."

Das Sofakissen hat dann nicht mehr drauf gepasst - der fragile Turm, der schon vor dem Jonglierball heftig ins Schwanken geraten war, fällt in sich zusammen: Plastikmülleimer, eine hölzerne Schatzkiste, Radiergummi, ein Haarfön oder Eierbecher - was eben noch im Wettstreit sorgfältig übereinandergestapelt wurde, liegt jetzt verstreut auf der Wiese vor dem Wilhelm-Busch-Museum in Hannover.

Hochstapeln - eine der Disziplinen bei den so genannten "Dada-lympics" - ein Kulturexperiment, das Sport und Kunst miteinander verbindet. Frei nach dem Motto: Wenn sich der als sportlich bekannte Dadaist Kurt Schwitters Sportarten ausgedacht hätte, welche wären das wohl gewesen?

Maas: "Zum Beispiel hätte er Fußball gespielt, aber Fußball mit vier Mannschaften auf vier Tore, die sich bewegen und zwei Bällen, so - das, was wir jetzt machen am 9. August. Oder er hätte Minigolf auf einem Skatepark gespielt, was wir am 12. August machen oder er hätte Aquarien auf Fahrräder gebaut und wär damit rumgefahren und hätte Fische versenkt - vielleicht, man weiß es nicht."

Marcel Maas und Partner Lutz Woellert haben sich die Dada-lympischen Spiele ausgedacht. Jeder, der Lust hat, kann in den nächsten zwei Wochen in Hannover daran teilnehmen - kostenlos und gerne spontan. Die beiden studierten Kulturwissenschaftler nennen sich "Die Spielmacher" und gehören zum Künstler-Kollektiv Twisch. Zum 125. Geburtstag von Kurt Schwitters veranstaltet Twisch zu Ehren des hannoverschen Dada-Gurus ein mehrmonatiges Festival. Wenn also in diesen Tagen junge Menschen in Taucheranzügen auf einem Basketballfeld gegeneinander antreten - mit einem Kaktus in der einen und einer Wasserbombe in der anderen Hand, dann wird auch damit die künstlerische Idee Schwitters fortgeführt.

Der Maler, Dichter und Komponist, der seine Lautgedichte und Collagen als Anti-Kunst verstand, war bekannt für seinen experimentellen Humor. Je absurder, desto besser. Mit den "Dada-lympics" wollen "Die Spielmacher" bewusst ein Gegenmodell zu den derzeit in London stattfinden Olympischen Spielen entwerfen. Weniger Kommerz und Leistungsdenken, sagt Organisator Lutz Woellert, mehr Spaß, Erlebnis und eine Prise Irrsinn:

"Natürlich gibt es Gewinner in dem Spiel, aber es geht nicht darum, jetzt einen Sieger zu ehren mit ner Goldmedaille, sondern Leute dazu zu kriegen, Handlungen zu vollführen, die sie sonst nicht tun würden. Wir neigen dazu, ständig bekannte Muster zu wiederholen, die uns vertraut sind. Auszubrechen, neue Sachen zu riskieren und Spiele sind ideal dafür, Spiele sind halt temporär und räumlich begrenzt, von daher eignen sich Spiele einfach als Impulsgeber zu zeigen: Hier komm, es geht auch anders."

Die Eröffnung der Dada-lympics am vergangenen Freitagabend. Nachdem das dada-lympische Feuer mit Wunderkerzen entzündet und der dada-lympische Eid feierlich gesprochen wurde, waren die Gäste bei einer spontanen Kollektiv-Lesung gefragt: Alle lesen gleichzeitig eine Minute lang etwas vor - ein Gedicht, den Text einer mitgebrachten Fahrkarte, eine willkürlich aufgeschlagene Seite eines Buchs.

Die erste Disziplin der Dada-lympics war ein Poetry Slam mit Texten der großen Dadaisten von Arp bis Tzara. Der künstlerische Teil des Experiments "Sport plus Art" rückte hier in den Vordergrund, doch der Wettstreit der Poeten wurde mit sportlich-launigen Einfällen aufgepeppt: Bei der Abstimmung über die besten Slammer sollte das Publikum Gummi-Flummis werfen, zwischendurch stiegen die Vortragenden auch mal schnell auf einen Heimtrainer.

Die Künstler des Dada - sie waren Vorreiter für den heutigen Poetry Slam, sagt Toby Kunze, der aus Hannover stammt und als einer der besten deutschen Slammer gilt:

"Dadaismus war ja auch das Spiel mit Sprache und eben Sinn und Lautpoesie, dem Dada sehr nah, ist ja auch eine sehr expressive Form von Poesie, eben auch auf's Live-Performen ausgerichtet - ganz klar, heißt ja auch "Lautpoesie" - und das funktioniert gut im Einklang mit den modernen Dichterwettstreit des Poetry Slam."

Bis zum Oktober nächsten Jahres plant das Künstler-Kollektiv Twisch weitere Projekte zu Ehren des Querdenkers Kurt Schwitters: darunter eine Ausstellung im hannoverschen Sprengel-Museum in Zusammenarbeit mit der Londoner Tate-Gallery und eine Erstaufführung der Schwitters Oper "Der Zusammenstoß". Die nächsten sportlich-verrückten Spiele im Rahmen der "Dada-lympics" gibt es in Hannover am kommenden Donnerstag, welche Gaga-Aktionen dann auf die Teilnehmer warten, wird noch nicht verraten. Am 12. August, wenn die Olympischen Spiele in London zu Ende gehen, kommen auch die "Dada-lympics" zu einem vorläufigen Abschluss. Doch schon im nächsten Sommer soll das sportliche Kunstexperiment fortgeführt werden, verspricht Macher Marcel Maas:

"Wir haben einfach vor, dass - wenn möglich - jedes Jahr zu machen und wollen damit natürlich auch was bewegen. Wir wollen andere dazu animieren, das Gleiche zu tun. Das ist so der Plan."
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