Wenn Peer Gynt das Jodeln lernt

Von Bettina Ritter |
Er lässt Hölzer und Steine klingen, mischt diese Geräusche mit einem Big-Band-Orchester und dem samischen Joik, einer Art des traditionellen, nordischen Jodelns: Der norwegische Komponist Geir Lysne. Und einen Teil von "Peer Gynt" veränderte er so stark, dass selbst seine Ensemble-Mitglieder es kaum wiedererkannten.
"Ich wollte ehrlicher arbeiten, mit meiner eigenen Identität. Ich wurde in Norwegen geboren. Ich bin Norweger, kein Amerikaner."

Zweifelsohne nordisch: Geir Lysne. Hellblonde Haare, farblose Wimpern und Augenbrauen, blaue Augen.

"Die Swing-Abteilung interessiert mich nicht mehr. Also war es nur natürlich, dass ich mich auf meine eigene Volksmusik konzentriere, der ich mich sehr verbunden fühle. Der Joik ist ein Gesang ohne Worte. Für die alte Volksmusik ist die Qualität des Klangs viel wichtiger. Und im Gesang der Sami gibt es gar keine Worte, nur den Klang."

Geir Lysne sitzt in einem Hotel-Zimmer in Berlin Mitte. Er redet schnell, gestikuliert viel. Sein Outfit - scheinbar wahllos: ausgeblichene, rote Wildleder-Turnschuhe, schwarze Samthose, dunkelgrünes Seidenhemd. Früher war er mal Punker, erinnert er sich lächelnd.

"Meine erste Platte war von Jimi Hendrix. Als ich sie auflegte, waren meine Eltern furchtbar erschrocken. Aber besonders hat mich am Anfang die norwegische Punk-Ära beeinflusst. Es gab da eine Band, die nannte sich 'The Aller Værste' - "Die Allerschlimmsten'."

Lysne kommt aus einer so genannten guten Familie - Vater Ingenieur, Mutter Hausfrau, vier Geschwister. Die sind heute alle im Ölgeschäft. Ihn zog es als einzigen zur Musik. Zuerst spielte er Klavier und Trompete. Mit 13 fand er dann sein Instrument: Das Saxofon.

Nach der Schule wusste er zunächst nicht, wohin mit sich. Da waren Drogen im Spiel, deutet Lysne an und macht eine wegwischende Handbewegung. Etwas später betreute er Behinderte und lehrte Musik an der Grundschule. Mit 22 findet er endlich sein großes Ziel: Die königliche Musikhochschule in Oslo.

Nur einmal vorspielen, dann hatte er den Studienplatz. Schon bald schrieb er seine eigenen Kompositionen für Orchester - und stieß auf die ersten Schwierigkeiten.

"Es gibt keine Radio Big Band in Norwegen. Ich konnte meine Stücke also nirgendwo ausprobieren. Ich wusste nicht, ob sie schlecht waren oder einfach zu komplex für die Amateur-Orchester, mit denen ich spielte. Also habe ich einen Kredit aufgenommen und eine Band zusammengestellt. Dann sind wir zum Radio gegangen - zwei Tage Proben, zwei Tage Aufnahme. Fertig war die erste Platte. Und die Leute in der Band waren von meiner Musik begeistert."

Seit sieben Jahren hat Lysne seine eigene Band, das "Listening Ensemble". Mit den 20 Musikern hat er inzwischen vier Alben eingespielt. Inspiration holt er sich in der norwegischen Natur. Mit seiner Familie verbringt er jedes Jahr acht Wochen in den Bergen in einer Holzhütte ohne Strom oder fließendes Wasser. Seine Frau, eine ehemalige Ballett-Tänzerin, arbeitet heute als Hebamme und Krankenschwester. Seine beiden acht und zehn Jahre alten Söhne spielen Fußball und Schlagzeug. Viele seiner Kompositionen entstanden während seiner Väter-Zeit, erinnert sich Lysne.

"Meine Frau und ich bekamen die Kinder, als sie ihre Ausbildung zur Krankenschwester machte. Also blieb ich zu Hause und passte auf. Das war gar nicht schlecht, weil ich nebenbei gut komponieren konnte. Ich hatte so viel Zeit, weil die Kinder so viel schliefen."
In seinem Mix aus Volksmusik und Jazz macht Lysne auch vor den nationalen Heiligtümern nicht halt. So veränderte er Edvard Griegs "Åses Tod" aus Peer Gynt so sehr, dass selbst seine Ensemble-Mitglieder nicht das Original erkannten.

"Nach acht Konzerten und einer Aufnahme hatte noch immer niemand herausgefunden, welche Melodie das war. Aber alle konnten hören, dass es Grieg war. Das war klasse. Jetzt hat mich sogar die nationale Edvard Grieg Gesellschaft beauftragt, so etwas in großem Stil zu machen."