Susanne Gaschke ist Journalistin und Publizistin. Sie war lange Jahre Redakteurin der Wochenzeitung "Die Zeit". Heute schreibt sie für "Die Welt" und die "Welt am Sonntag". In ihrem 2014 erschienen Buch "Volles Risiko. Was es bedeutet, in die Politik zu gehen" hat sie ihre Erfahrungen als Kieler Oberbürgermeisterin dargestellt.
Lasst die Häme weg!
Ob Horst Seehofer, Andrea Nahles oder die Kanzlerin: Viele Journalisten scheinen nur darauf zu warten, dass die Akteure der GroKo zu Fall kommen. Und sind dabei unnötig bösartig und ungerecht, meint Susanne Gaschke, Journalistin und frühere Kieler Bürgermeisterin.
Wir alle kennen Formen des Scheiterns: die verpatzte Führerscheinprüfung, die unverdiente Zurücksetzung im Job, das Ende einer Beziehung, die eigentlich wundervoll hätte sein können. Je nach Lebensumständen und psychischer Stabilität lassen sich diese Erfahrungen besser oder schlechter verarbeiten. Manche Menschen scheinen sie abzuschütteln wie eine Ente das Wasser. Andere grübeln, zerfleischen sich selbst und erkranken im schlimmsten Fall an einer Verbitterungsstörung.
Das Scheitern in einem oder an einem politischen Amt ist ein Sonderfall. Es geschieht unter den Augen der Öffentlichkeit. Und diese Öffentlichkeit, hergestellt durch die Medien, ist in der Regel nicht wohlwollend oder tröstend, sondern gern konfrontativ und besserwisserisch. Die Journalisten verhalten sich nicht aus bösem Willen so, oder jedenfalls nicht überwiegend: Es gehört eben zur Natur ihrer Arbeit, dass sie Ereignisse im Nachhinein beurteilen, ohne selbst Konsequenzen fürchten zu müssen. Das allerdings kann zu Grausamkeiten oder Leichtfertigkeit verleiten – wie etwa im Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff.
Für eine andere Kultur des Scheiterns
Im Augenblick gibt es viele Kollegen, die am liebsten das Scheitern des großkoalitionären Spitzenpersonals und der GroKo insgesamt verkünden würden: wegen des vermeintlichen Überdrusses an Flüchtlings-Kanzlerin Angela Merkel, wegen Horst Seehofers kontraproduktivem Asylstreit mit der Vorsitzenden der CSU-Schwesterpartei, wegen Andrea Nahles' Unfähigkeit, der SPD eine neue Richtung zu geben – oder einfach, weil Neuwahlen so spannend wären. Doch träten morgen alle drei Parteivorsitzenden zurück, weil sie sich die vielstimmige Kritik tatsächlich zu Herzen nähmen: Sie würden dafür kaum Lob ernten. Vielmehr müssten sie sich dann sehr wahrscheinlich anhören, sie würden sich in einer für Deutschland und Europa schwierigen Stunde aus der Verantwortung stehlen.
Als jemand, die selbst ein Wahlamt aufgeben musste, weil sie einen innerparteilichen Machtkampf verloren hatte, kann ich sagen: Wir brauchen in Deutschland eine andere Kultur des politischen Scheiterns. Und zwar in mehrerlei Hinsicht. Wenn wir überhaupt wollen, dass mehr intelligente und interessante, kantige oder sensible Persönlichkeiten sich um öffentliche Ämter und Mandate bewerben, dann müssen wir irgendeinen Weg finden, dies zunächst einmal mit Sympathie und Anerkennung zu begleiten – und wir Journalisten müssen im Fall, dass es nicht klappt, Häme unbedingt vermeiden.
Weniger Parteikarriere, mehr Lebensleistung
Außerdem müssen die Parteien, die ja de facto das Monopol auf die Besetzung politischer Ämter innehaben, sich härtere Kriterien bei der Auswahl ihrer Kandidaten auferlegen: Die sollten schon wählbar sein, auch für Menschen außerhalb der Hinterzimmer. Zu sehr schauen die Parteien bisher auf die parteiinternen Aktivitäten eines Bewerbers, zu wenig auf die Lebensleistung. Es sollte unter ihnen auch möglichst keine Leute geben, denen beruflich jede Alternative zur Politik fehlt. Und es sollte niemand dabei sein, der von seinem Amt, von dessen Ausstattung mit Einfluss und Anerkennung, mit Büropersonal und Fahrbereitschaft psychisch dermaßen abhängig wird, dass es für ihn praktisch die Selbstaufgabe bedeuten würde, davon abzulassen.
Wir brauchen mehr Politiker, die die Politik zum Leben nicht brauchen – und denen müssen wir, Mitbürger wie Medien, mit größerer Freundlichkeit begegnen. Das heißt auch, dass ein selbstverständlicherer Wechsel zwischen Politik auf der einen und Wirtschaft oder Wissenschaft auf der anderen Seite möglich sein muss. Die Grundvermutung dabei sollte sein, dass es gut und nicht korrupt ist, wenn jemand die Chance hat, auch nach dem politischen Leben sein eigenes Geld zu verdienen. Dass dabei Regeln des Anstands zu gelten haben, ist klar – selbst wenn Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder diese Anstandsregeln deutlich überdehnt.
Als ich von meinem Amt als Kieler SPD-Oberbürgermeisterin zurückgetreten war, fielen die Urteile der Presse ziemlich unbarmherzig aus. Ich fragte mich ein bisschen, wie gut die federführenden Kollegen ihre eigenen Angriffe ausgehalten hätten, wäre es um sie selbst gegangen. Aber meine Tochter gab mir einen Zettel, auf dem sie ein Zitat des irischen Nobelpreisträgers Samuel Beckett notiert hatte: "Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Das war Trost genug. Und ganz genau da müssen wir hin.