Wenn Religion zerstört
Jahrhundertelang haben Hindus und Muslime in Indien friedlich zusammen gelebt. Bis es zu blutigen Konflikten zwischen Vertretern beider Konfessionen kommt. In "Unsere Stadt in jenem Jahr" beschreibt Geetanjali Shree wie sich der Glaubenskampf schleichend der Menschen bemächtigt.
Als 1992 in der nordindischen Stadt Ayodhya die jahrhunderte alte Babri-Moschee von aufgebrachten Hindu-Nationalisten erstürmt und demoliert wurde, war dies das Ende einer langen und friedlichen Koexistenz der zwei größten Konfessionen in Indien. 1998 veröffentlichte die indische Schriftstellerin Geetanjali Shree einen Roman über den erschreckenden Vormarsch religiöser Fundamentalisten in ihrer Heimat: "Hamara shahar us baras" – "Unsere Stadt in jenem Jahr". Die Handlung spielt in Indien, Anfang der 1990er Jahre, in einer kleinen Stadt, die bis zum Ende des Romans namenlos bleibt. Wie im übrigen Land leben auch hier Muslime und Hindus seit Jahrhunderten mehr oder weniger friedlich zusammen. Und wie im übrigen Land bekämpfen sich plötzlich auch in dieser Stadt Hindus und Muslime bis aufs Blut.
Dennoch ist dies kein Roman über die Zerstörung der Babri-Moschee. Shree, die von Haus aus Sozialwissenschaftlerin ist und als eine der bekanntesten Autorinnen der Hindi-Gegenwartsliteratur gilt, spielt auf dieses Ereignis nur an einer Stelle des Romans kurz an. Ihr Roman liefert vielmehr eine psychologisch-feinsinnige Studie darüber, wie das säkulare Denken in Indien durch den Einfluss der Hindunationalisten zu wanken begann – und damit auch das Fundament des Staates an sich.
Im Mittelpunkt des Romans, der sich dem Geschehen aus der Rückschau nähert, stehen nur wenige Figuren. Da sind Shruti und Hanif, ein muslimisches Ehepaar, beide Intellektuelle, er unterrichtet an der örtlichen Universität. Hanif ist befreundet mit Sharad, der Hindu ist – und ebenfalls Professor. Die drei stehen für ein eigentlich aufgeklärtes, pluralistisches und gebildetes Indien, das langsam von innen heraus erodiert: An der Universität werden hindunationalistische Parolen salonfähig. Hanif wird auf einmal nur noch als Muslim gesehen; seine Freundschaft mit Sharad zerbricht, weil auch Sharad plötzlich mehr Trennendes denn Gemeinsames sieht. Alle vermeintlichen Gewissheiten lösen sich auf.
Genau diese Atmosphäre fängt die bewusst collageartige Form des Romans in überzeugender Weise ein: Erzählt wird er von einer Stimme, von der wir nicht erfahren, wem sie gehört. Wir erfahren lediglich: Er/sie/es kann nur Bruchstücke des Geschehenen aufzeichnen, Wahrnehmungsfetzen, aus denen sich keine linear zu erzählende Wahrheit mehr ableiten lässt. Allein eines wird überdeutlich: Wie Religion zum Merkmal der Identität und im Namen der Religion Politik gemacht wird; wie Hass entsteht und Ressentiments sich verbreiten; wie die einen aus Opportunismus schweigen, die anderen aus Angst.
Deshalb mutet dieser jetzt auf Deutsch erschienene Roman, der sich flüssig liest, aber leider eine offenbar leicht gekürzte Fassung des Originals darstellt, noch heute prophetisch und aktuell an. Denn Shree entlarvt in unmissverständlicher Weise die subtilen Mechanismen jeglicher religiös definierter Identität und zeigt: Was in jener kleinen Stadt in jenem Jahr geschah, kann wieder und überall geschehen, zu jeder Zeit, an jedem Ort der Welt.
Besprochen von Claudia Kramatschek
Dennoch ist dies kein Roman über die Zerstörung der Babri-Moschee. Shree, die von Haus aus Sozialwissenschaftlerin ist und als eine der bekanntesten Autorinnen der Hindi-Gegenwartsliteratur gilt, spielt auf dieses Ereignis nur an einer Stelle des Romans kurz an. Ihr Roman liefert vielmehr eine psychologisch-feinsinnige Studie darüber, wie das säkulare Denken in Indien durch den Einfluss der Hindunationalisten zu wanken begann – und damit auch das Fundament des Staates an sich.
Im Mittelpunkt des Romans, der sich dem Geschehen aus der Rückschau nähert, stehen nur wenige Figuren. Da sind Shruti und Hanif, ein muslimisches Ehepaar, beide Intellektuelle, er unterrichtet an der örtlichen Universität. Hanif ist befreundet mit Sharad, der Hindu ist – und ebenfalls Professor. Die drei stehen für ein eigentlich aufgeklärtes, pluralistisches und gebildetes Indien, das langsam von innen heraus erodiert: An der Universität werden hindunationalistische Parolen salonfähig. Hanif wird auf einmal nur noch als Muslim gesehen; seine Freundschaft mit Sharad zerbricht, weil auch Sharad plötzlich mehr Trennendes denn Gemeinsames sieht. Alle vermeintlichen Gewissheiten lösen sich auf.
Genau diese Atmosphäre fängt die bewusst collageartige Form des Romans in überzeugender Weise ein: Erzählt wird er von einer Stimme, von der wir nicht erfahren, wem sie gehört. Wir erfahren lediglich: Er/sie/es kann nur Bruchstücke des Geschehenen aufzeichnen, Wahrnehmungsfetzen, aus denen sich keine linear zu erzählende Wahrheit mehr ableiten lässt. Allein eines wird überdeutlich: Wie Religion zum Merkmal der Identität und im Namen der Religion Politik gemacht wird; wie Hass entsteht und Ressentiments sich verbreiten; wie die einen aus Opportunismus schweigen, die anderen aus Angst.
Deshalb mutet dieser jetzt auf Deutsch erschienene Roman, der sich flüssig liest, aber leider eine offenbar leicht gekürzte Fassung des Originals darstellt, noch heute prophetisch und aktuell an. Denn Shree entlarvt in unmissverständlicher Weise die subtilen Mechanismen jeglicher religiös definierter Identität und zeigt: Was in jener kleinen Stadt in jenem Jahr geschah, kann wieder und überall geschehen, zu jeder Zeit, an jedem Ort der Welt.
Besprochen von Claudia Kramatschek
Geetanjali Shree: Unsere Stadt in jenem Jahr
Roman. Aus dem Hindi von André Penz
Draupadi Verlag, Heidelberg 2013
219 Seiten, 18 Euro
Roman. Aus dem Hindi von André Penz
Draupadi Verlag, Heidelberg 2013
219 Seiten, 18 Euro