Wenn schwarze Engel an die Fenster klatschen
Aufwühlende Bilder und extreme Emotionalität bietet fast jede Aufführung des italienischen Theatermachers Romeo Castellucci. Seine neue Performance "Folk", die bei der Ruhrtriennale Uraufführung hatte, bildet da keine Ausnahme - und lässt so manchen ratlos zurück.
Die Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord ist so etwas wie die Kapelle unter den Industriedenkmälern des Ruhrgebiets. Hier hat Christoph Schlingensief seine "Kirche der Angst" entworfen, hier inszenierte Robert Wilson die "Temptations of St. Anthony".
Nun wallt Dampf aus ihr, während das Publikum den leer geräumten Saal betritt. Es gibt keine Sitzplätze, nur ein riesiges Wasserbassin, um das sich die Zuschauer gruppieren. Sie werden Zeuge einer Taufzeremonie. Gemessenen Schrittes steigen Menschen ins Wasser, einer taucht den anderen komplett unter, der Getaufte wartet auf den nächsten, der Täufer verlässt klitschnass das Becken. Dazu tönt kitschig überzeichnetes Choralgewummer vom Band.
Plötzlich ein Knall. An eins der drei Fenster, die mit ihren runden Bögen an eine romanische Kirche erinnern, scheint ein Vogel gestoßen zu sein. Wieder fliegt ein Schatten gegen das Fenster. Er hat menschliche Umrisse. Immer mehr Leute springen von draußen gegen die geschlossenen Scheiben, krallen sich fest, stürzen wieder ab. Die Zuflucht der Täufer wird angegriffen.
Romeo Castellucci erklärt nicht, warum. Die Fantasie jedes Einzelnen ist gefragt. Vielleicht geht draußen die Welt unter, und die letzten Überlebenden versuchen, herein zu kommen. Oder es sind wilde Tiere, die möglichst draußen bleiben sollten. Gegen Ende breiten die Schatten ihre Arme aus und stürzen wie schwarze Engel ins Nichts. Während im Inneren ein Mann im Wasser den Arm hebt. Die Schläuche des Beckens werden zerschnitten, das Wasser ergießt sich in den Innenraum. Die meisten Zuschauer flüchten auf Podeste. Dann setzt sich ein alter Mann an einen Tisch und versucht geometrische Objekte – Rechtecke und Kreise – in vorgestanzte Öffnungen zu fügen, ein Spiel für Kindergartenkinder.
Plötzlich ist "Folk" zu Ende. Nur eine Stunde hat die Performance gedauert, an der sechs Schauspieler und eine Menge Statisten aus dem Ruhrgebiet mitgewirkt haben.
Die meisten Zuschauer sehen ein bisschen verwirrt aus. Einerseits ist es ein Kompliment an Romeo Castellucci und sein Team, dass man gern mehr sehen, in diese rätselhafte Welt weiter eintauchen möchte. Aber es ist auch unbefriedigend, dass die Aufführung einfach so abbricht. Niemand verneigt sich, es ist schlicht Schluss.
Die Künstler der ersten Ruhrtriennale unter Intendant Heiner Goebbels lassen sich auf die überwältigenden Räume ein, erkunden sie, nutzen ihre Aura. Das gilt auch für Aufführungen, die nicht direkt für das Festival entstanden sind. Die Choreographin Anne Teresa de Keersmaekers hat ihre Tanzstücke "En Attendant" und "Cesena" für das Festival in Avignon entwickelt und danach in Barcelona, Brüssel und anderen Städten gezeigt. In der Bochumer Jahrhunderthalle kommt ihre Idee, ganz ohne Technik nur mit natürlichem Licht zu arbeiten, perfekt zum Tragen.
"En Attendant" wird in der Abenddämmerung gespielt. Am Anfang sind die Tänzer und Musiker noch klar zu sehen, dann wird es immer dunkler. Es gibt weder Bühnenbild noch Kostüme, nur puren, meist abstrakten Tanz. Einzelne Gesten der Trauer und des Trostes, der Annäherung und der Abweisung werden angedeutet, gelegentlich gibt es eine genau auf die Livemusik choreografierte Sequenz. Ein meditatives Warten auf das Verdämmern, die Auflösung der Körper.
Ganz anders dann "Cesena". Der Titel erinnert an ein Massaker im Jahr 1377, den Anfang vom Ende der Papstresidenz in Avignon. Auch hier gibt es keine konkreten erzählenden Bilder, aber deutlich mehr Aktion auf der anfangs noch stockdunklen Bühne. Atmen, trappelnde Füße, Schreie, dann erkennt man erste Umrisse. Ein weißer Kreidekreis ist auf den Boden gemalt, er bietet Orientierung. Während das Licht zurück kehrt, werden die Bewegungen immer lebendiger, bis alle durch eine offene Tür verschwinden.
Das Tanzensemble ROSAS von Anne Teresa de Keersmaeker arbeitet hier mit dem Chor graindelavoix von Björn Schmelzer zusammen. Es gelingt, Tänzer und Sänger nahezu symbiotisch zu vereinigen, ein gemeinsames Ensemble zu schaffen, in dem jeder seine Talente in den Dienst des Ganzen stellt. Sänger bewegen sich, auch Tänzer singen. Die reibungsvolle, von Dissonanzen durchsetzte mittelalterliche Musik schafft eine spannungsgeladene Atmosphäre. Das Publikum zieht mit, auch morgens um fünf ist die Jahrhunderthalle voll besetzt. Diese Saison der Ruhrtriennale könnte einer der besten des Festivals werden.
Nun wallt Dampf aus ihr, während das Publikum den leer geräumten Saal betritt. Es gibt keine Sitzplätze, nur ein riesiges Wasserbassin, um das sich die Zuschauer gruppieren. Sie werden Zeuge einer Taufzeremonie. Gemessenen Schrittes steigen Menschen ins Wasser, einer taucht den anderen komplett unter, der Getaufte wartet auf den nächsten, der Täufer verlässt klitschnass das Becken. Dazu tönt kitschig überzeichnetes Choralgewummer vom Band.
Plötzlich ein Knall. An eins der drei Fenster, die mit ihren runden Bögen an eine romanische Kirche erinnern, scheint ein Vogel gestoßen zu sein. Wieder fliegt ein Schatten gegen das Fenster. Er hat menschliche Umrisse. Immer mehr Leute springen von draußen gegen die geschlossenen Scheiben, krallen sich fest, stürzen wieder ab. Die Zuflucht der Täufer wird angegriffen.
Romeo Castellucci erklärt nicht, warum. Die Fantasie jedes Einzelnen ist gefragt. Vielleicht geht draußen die Welt unter, und die letzten Überlebenden versuchen, herein zu kommen. Oder es sind wilde Tiere, die möglichst draußen bleiben sollten. Gegen Ende breiten die Schatten ihre Arme aus und stürzen wie schwarze Engel ins Nichts. Während im Inneren ein Mann im Wasser den Arm hebt. Die Schläuche des Beckens werden zerschnitten, das Wasser ergießt sich in den Innenraum. Die meisten Zuschauer flüchten auf Podeste. Dann setzt sich ein alter Mann an einen Tisch und versucht geometrische Objekte – Rechtecke und Kreise – in vorgestanzte Öffnungen zu fügen, ein Spiel für Kindergartenkinder.
Plötzlich ist "Folk" zu Ende. Nur eine Stunde hat die Performance gedauert, an der sechs Schauspieler und eine Menge Statisten aus dem Ruhrgebiet mitgewirkt haben.
Die meisten Zuschauer sehen ein bisschen verwirrt aus. Einerseits ist es ein Kompliment an Romeo Castellucci und sein Team, dass man gern mehr sehen, in diese rätselhafte Welt weiter eintauchen möchte. Aber es ist auch unbefriedigend, dass die Aufführung einfach so abbricht. Niemand verneigt sich, es ist schlicht Schluss.
Die Künstler der ersten Ruhrtriennale unter Intendant Heiner Goebbels lassen sich auf die überwältigenden Räume ein, erkunden sie, nutzen ihre Aura. Das gilt auch für Aufführungen, die nicht direkt für das Festival entstanden sind. Die Choreographin Anne Teresa de Keersmaekers hat ihre Tanzstücke "En Attendant" und "Cesena" für das Festival in Avignon entwickelt und danach in Barcelona, Brüssel und anderen Städten gezeigt. In der Bochumer Jahrhunderthalle kommt ihre Idee, ganz ohne Technik nur mit natürlichem Licht zu arbeiten, perfekt zum Tragen.
"En Attendant" wird in der Abenddämmerung gespielt. Am Anfang sind die Tänzer und Musiker noch klar zu sehen, dann wird es immer dunkler. Es gibt weder Bühnenbild noch Kostüme, nur puren, meist abstrakten Tanz. Einzelne Gesten der Trauer und des Trostes, der Annäherung und der Abweisung werden angedeutet, gelegentlich gibt es eine genau auf die Livemusik choreografierte Sequenz. Ein meditatives Warten auf das Verdämmern, die Auflösung der Körper.
Ganz anders dann "Cesena". Der Titel erinnert an ein Massaker im Jahr 1377, den Anfang vom Ende der Papstresidenz in Avignon. Auch hier gibt es keine konkreten erzählenden Bilder, aber deutlich mehr Aktion auf der anfangs noch stockdunklen Bühne. Atmen, trappelnde Füße, Schreie, dann erkennt man erste Umrisse. Ein weißer Kreidekreis ist auf den Boden gemalt, er bietet Orientierung. Während das Licht zurück kehrt, werden die Bewegungen immer lebendiger, bis alle durch eine offene Tür verschwinden.
Das Tanzensemble ROSAS von Anne Teresa de Keersmaeker arbeitet hier mit dem Chor graindelavoix von Björn Schmelzer zusammen. Es gelingt, Tänzer und Sänger nahezu symbiotisch zu vereinigen, ein gemeinsames Ensemble zu schaffen, in dem jeder seine Talente in den Dienst des Ganzen stellt. Sänger bewegen sich, auch Tänzer singen. Die reibungsvolle, von Dissonanzen durchsetzte mittelalterliche Musik schafft eine spannungsgeladene Atmosphäre. Das Publikum zieht mit, auch morgens um fünf ist die Jahrhunderthalle voll besetzt. Diese Saison der Ruhrtriennale könnte einer der besten des Festivals werden.