Wenn Wissenschaft in Metaphern spricht

Auch Naturwissenschaftler können nicht auf Metaphern wie "Gen" und "Atom" verzichten, erst recht nicht, wenn sie mitteilen sollen, was sie tun. Metaphern aber sind unscharf per se. Was passiert bei der Übertragung exakten Wissens in die Welt der Wörter? Was geht verloren, was wird gewonnen? Die Autoren untersuchen die kreative Wirkung dieser Übertragung, bei der durch Fiktion, Vereinfachung und manchmal Falschem am Ende Neues und sogar neu Erkanntes stehen kann.
Der französische Kulturtheoretiker Roland Barthes hat es so gesagt: Die mathematische Sprache "ist eine abgeschlossene Sprache, die ihre Perfektion gerade aus dem Tod gewinnt, zu dem sie bereit war". Lebendig und unberechenbar aber ist die Sprache, die jeder (miss-)versteht oder wenigstens (miss-)verstehen könnte. Auch Naturwissenschaftler müssen die lingua franca benutzen, um von ihrer Forschung zu erzählen - und tun es erfolgreich, wie man an Bestseller-Autoren wie Stephen Hawkings und Richard Dawkins sieht.

Margery Arent Safir mag solche "Geschichtenerzähler". Oft seien Wissenschaftler selbst die ersten Leser - und "behalten kaum etwas von dem, was sie lesen". Naturwissenschaft ist für Safir heute zu einer "Mythologie des Wissens" geworden. Man studiere populärwissenschaftliche Schriften, um Antworten zu finden, die man früher in Romanen gesucht hat.

Safirs forscher, auch zeitgeistkritischer Essay eröffnet den Band Sprache, Lügen und Moral. Es passt prima, dass Evelyn Fox Keller, die sich mit Physik, Psychoanalyse und Kulturtheorie auskennt, am Beispiel von "Gen", "Genom" und "genetisches Programm" zeigt, wie viel Metaphorik im scheinbar Exakten steckt, wenn nur die Forschung ein paar Jahre weiter rückt. Der Schein-Begriff "Gen" ist längst als heikel und schillernd entlarvt und fast so unscharf wie das "Buch des Lebens", das zu sein der DNA angedichtet wird. Doch der unumgängliche Mangel an Genauigkeit führt laut Safir auch zu erhöhter Produktivität: Neue, aufschlussreiche "Geschichten" werden erzählbar; was die Formeln stumm einschließen, wird immer hörbarer.

Die Aufsätze von Safir und Keller zielen scharf aufs gestellte Thema. Einen holprigen Anlauf braucht dagegen der Geisteswissenschaftler Jean-Michel Rabaté, ehe er zu Nietzsches provokanter Theorie der notwendigen Lüge vorstößt. Laut Nietzsche kann die Kunst im herkömmlichen Sinne nicht lügen, weil sie weiß, dass sie eine Illusion ist:

"Kunst behandelt also den Schein als Schein, will also gerade nicht täuschen, ist wahr."

An Rabatés Exegese wird sich seine eigene Fachgemeinde erfreuen - das Dialogische und Offene tritt zurück.

Dann nimmt das kleine Büchlein eine unerwartete Wende, die allerdings im Titel angekündigt wird: Es geht um Ethik und Moral und darum, ob beide durch die Wissenschaft gefördert werden. Der Chemiker Roald Hoffmann bekennt sich als Freund des Geschichtenerzählens und nimmt Walter Benjamin zum Zeugen. Der hatte bemerkt, eine Erzählung habe anders als eine exakte Information ein langes Leben:

"Sie verausgabt sich nicht. Sie bewahrt ihre Kraft gesammelt und ist noch nach langer Zeit der Entfaltung fähig."

Hoffmanns multidisziplinäre Erörterung ist nett zu lesen, kommt aber kaum auf den moralischen Punkt. Mieke Bal hingegen legt eine anstrengende Lektüre von Th. Manns Joseph-Trilogie vor. Ethik wird bei ihr zum kulturtheoretischen Problem, wie es jenseits der Fachgrenzen kaum wahrnehmbar ist. Gemessen an den Absichten der Edition Unseld, fängt der Band stark an und lässt allmählich nach.

Rezensiert von Arno Orzessek

Margery Arent Safir (Hrsg.): Sprache, Lügen und Moral. Geschichtenerzählen in Wissenschaft und Literatur
Edition Unseld, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
152 Seiten, 10 Euro