"Wer arbeitet für fünf Euro, wenn er eine bessere Alternative hat?"
Die Menschen müssten wieder einsehen, dass sie, wenn sie ihre Interessen vertreten sehen wollen, dafür was tun müssen, meint Peter Schüren, Arbeitsrechtler von der Universität Münster. Die Menschen müssten sich "auf die Funktion von Gewerkschaften" besinnen.
Klaus Pokatzky: Erstens: Die ganz nüchternen Zahlen. Immer weniger Menschen verdienen bei uns ihr Geld in Arbeitsverhältnissen, die durch Tarifverträge abgesichert sind.
Das Statistische Bundesamt, das dann noch in Ost und West unterscheidet, hat festgestellt, dass 1998 im Westen noch 76 Prozent aller Arbeitnehmer Tarifverträge hatten, letztes Jahr war die Zahl um 15 Prozentpunkte auf 61 Prozent gefallen.
Und im Osten, in den immer noch sogenannten neuen Bundesländern, hatten 1998 63 Prozent Tarifverträge, im vorigen Jahr war der Anteil um 14 Punkte auf 49 Prozent gefallen.
Zweitens, einen Gruß nach Münster: Dort ist ins Studio gekommen Peter Schüren, der Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht an der Universität in Münster. Guten Tag!
Peter Schüren: Guten Tag, Herr Pokatzky!
Pokatzky: Drittens die Frage, Herr Schüren: Muss uns dieser ja doch nicht unbeträchtliche Rückgang der Tarifverträge Sorgen machen?
Schüren: Ja, muss er, weil Tarifverträge und gewerkschaftliche Organisationen die Arbeitnehmer doch erheblich schützen.
Pokatzky: Vor allem in Unternehmen, die keine Tarifverträge kennen, da beobachten Sie zunehmend unmoralische, rechtswidrige Arbeitsverträge. Was verstehen Sie darunter genau?
Schüren: Unmoralisch ist vielleicht etwas schwierig, aber es sind Arbeitsverträge, die rechtswidrige Bedingungen enthalten, um Kosten zu senken. Beispiel, es wurde vorhin genannt: Überstunden werden nicht bezahlt. Wenn so etwas in einem Arbeitsvertrag drin steht, dann wissen alle Beteiligten, dass das rechtswidrig ist.
Sie schreiben es trotzdem rein, weil sie auch wissen, die Arbeitnehmer werden sich gegen eine solche Regel nicht wehren und sie werden unbezahlte Überstunden leisten. Und damit kann man Geld verdienen oder Geld sparen.
Pokatzky: Was gibt es außer diesem Beispiel, das Sie genannt haben, noch an weiteren Beispielen?
Schüren: Ja, es gibt tolle Dinge. Zum Beispiel Zimmer-Reinigen, Hotelzimmer-Reinigen, und da wird nicht nach Zeit gezahlt, sondern nach gereinigtem Zimmer. Und im Ergebnis kommen dann vier Euro raus. Oder das Gleiche ...
Pokatzky: Weil, schneller werden die nicht fertig, die müssen dann wirklich so im Akkord, ein Zimmer nach dem anderen, zack, zack, zack?
Schüren: Ja. Aber Akkord ist etwas ganz anderes, Akkord ist, wenn man durch den Akkord deutlich mehr verdienen kann als der normale Lohn. Das heißt, dadurch, dass man sich anstrengt, kriegt man keine acht Euro, sondern zwölf in der Stunde raus. Hier geht es aber darum, unter dem Deckmantel des Akkords geringere als die vorgeschriebenen Stundenlöhne zu zahlen. Das ist also eine offen rechtswidrige Praxis.
Pokatzky: In welchen Branchen passiert so etwas vor allem?
Schüren: Dort, wo die Arbeitnehmer gering gewerkschaftlich organisiert sind, im Dienstleistungsbereich, wo der Kostendruck auch auf die Unternehmen sehr groß ist, und wo man weiß, Arbeitslose drängen nach, sodass man eine Chance hat, diese Stellen mit Leuten zu besetzen, die sich nicht wehren.
Pokatzky: Die Leute, mit denen Sie da bisher als Arbeitsrechtler zu tun hatten, was hatten die für einen Ausbildungshintergrund, was hatten die gelernt?
Schüren: Es sind meistens Leute mit keiner besonders umfangreichen Ausbildung und deren Chancen, wie gesagt, am Arbeitsmarkt nicht toll sind, die also darauf angewiesen sind, diese Stellen zu halten und deren Alternative dann eben Arbeitslosengeld beziehungsweise Hartz IV ist.
Pokatzky: Wenn die jetzt gegen solche rechtswidrigen Arbeitsverträge klagen vor den Arbeitsgerichten, welche Chancen haben die?
Schüren: Sehr gute. Die Arbeitsgerichte werden ihnen recht geben, man wird einen Vergleich schließen meistenteils, sie bekommen ihr Geld wenigstens teilweise nachbezahlt. Aber Arbeitsrechtsstreitigkeiten gibt es im Regelfall am Ende von Arbeitsverhältnissen und nicht während der Dauer. Das heißt, die Leute wehren sich maximal, wenn die Beziehung schon vorbei ist.
Pokatzky: Solche miesen Arbeitsbedingungen gibt es ja gelegentlich auch sogar per Tarifvertrag. Es gibt Minigewerkschaften, die wir auch Pseudogewerkschaften nennen könnten, denen manchmal sogar von den Arbeitsgerichten mangels Mitgliederzahl die Tariffähigkeit abgesprochen wird, aber die vorher dann solche Tarifverträge abgeschlossen haben. Was ist das für ein Phänomen?
Schüren: Da geht es um Folgendes: Ich kann ziemlich alles in einen Arbeitsvertrag reinschreiben, wenn ich einen Tarifvertrag habe, der das deckt. Also, auch Stundenlöhne unter fünf Euro, das gab es zum Beispiel in der Leiharbeit. Und es gibt Organisationen, die sich Gewerkschaft nennen, die praktisch aber keine Arbeitnehmer vertreten und die Arbeitgebern solche Tarifverträge anbieten.
Die kriegen die dann von denen und können dann unter der Aussage "Ich habe ja einen Tarifvertrag, der das so regelt" diese schlechten Arbeitsbedingungen realisieren.
Pokatzky: Jetzt gibt es ja Möglichkeiten, dass nicht nur Arbeitnehmervertreter oder auch andere Gewerkschaften vor den Arbeitsgerichten gegen diese Minigewerkschaften vorgehen, sondern das könnten ja zum Beispiel auch Bundesländer oder das Bundesarbeitsministerium machen. Also, deren Tariffähigkeit vor Gericht überprüfen lassen. Wird das jemals gemacht?
Schüren: Ja, inzwischen wird es gemacht, das ist ein großer Fortschritt. Zum ersten Mal ist es gemacht worden bei der Leiharbeit, da ist die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für den Bereich der Leiharbeit für tarifunfähig erklärt worden vom Bundesarbeitsgericht in einem Verfahren, das damals die Berliner Arbeitssenatorin und ver.di, die Gewerkschaft, zusammen eingeleitet haben, und das am Ende erfolgreich war. Und damit ist dieses böse Spiel in der Leiharbeit auch ruppig beendet worden.
Pokatzky: Aber warum machen diese Minigewerkschaften so was überhaupt, warum spielen sie da mit?
Schüren: Ich glaube, der Ausdruck Mitspielen ist nicht richtig. Denn die spielen nicht mit, sondern das ist bei der CGZP, bei dieser Gewerkschaft der Leiharbeit ...
Pokatzky: Müssen Sie sagen, was das genau ist, CGZP ...
Schüren: Das ist, die CGZP war diese Tarifgemeinschaft, die die Tarifverträge in der Leiharbeit abschloss, da war das das einzige Geschäft, was diese Organisation betrieb, nämlich Arbeitgeber mit solchen Pseudotarifverträgen zu versorgen. Und es ist noch sehr unklar, ob es dafür Gegenleistungen gab und in welcher Form die aussahen.
Pokatzky: In Deutschlandradio Kultur der Arbeitsrechtler Peter Schüren von der Universität Münster, illegale Arbeitsverträge sind unser Thema. Herr Schüren, wie erklären Sie sich, dass solche Arbeitsbedingungen von der Mehrheit der Arbeitnehmer toleriert werden?
Schüren: Nun, das ist sehr leicht nachvollziehbar: Ein Arbeitnehmer, der keine andere Chance hat als diesen Arbeitsplatz, den er jetzt gerade hat, der wird kaum zum Arbeitsgericht rennen und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses seinen Arbeitgeber verklagen.
Pokatzky: Was müsste für diese Menschen getan werden?
Schüren: Man muss diesen Menschen von außen helfen. Der richtige Weg wäre als Erstes gewerkschaftliche Organisation, Betriebsräte wählen und so weiter, der normale Weg. Aber hier ist das Phänomen jetzt so extrem, dass man darüber nachdenken sollte, einen Bußgeldtatbestand einzuführen, Nutzung von rechtswidrigen Arbeitsbedingungen, und bei einem Bußgeldtatbestand kann man dann nicht nur ein Bußgeld auswerfen, 50.000 Euro oder so was, sondern auch den Gewinn, der auf diese Weise erzielt wird, abschöpfen. Das heißt, den Anreiz nehmen, so etwas zu tun. Und damit könnte man den Leuten real helfen.
Pokatzky: Wie sehen Sie die Chancen dafür, glauben Sie, dass so etwas politisch durchsetzbar wäre?
Schüren: Ja, das glaube ich schon. Darüber müssen wir nur einfach öffentlich diskutieren und es braucht eine Zeit, und dann ist das durchaus möglich. Es gibt solche Tatbestände in kleineren Bereichen schon und es gibt solche Sanktionen auch schon anderswo.
Und sie wirken. Denken Sie zum Beispiel mal ans Kartellrecht, wo sich die Leute verabreden, der Bundesbahn die Eisenbahnschienen etwas teurer zu verkaufen, und dann 200 Millionen zahlen müssen. Das wirkt auch.
Pokatzky: Gibt es eigentlich auch viele Menschen, denen es auch einfach so schlecht geht, dass sie sich lieber auf solche Arbeitsbedingungen einlassen als dass sie gar keine Arbeit kriegen?
Schüren: Selbstverständlich, sonst würden sie es ja nicht machen. Ich meine, wer arbeitet für fünf Euro, wenn er eine bessere Alternative hat?
Pokatzky: Sind das alles Leute, die überhaupt keine ausreichende Schulbildung haben, sind das auch die sogenannten verkrachten Existenzen?
Schüren: Ich glaube nicht. Also, die Leute, die ich da gesehen habe, wirken mir nicht als verkrachte Existenzen. Es gibt einfach Bereiche, in denen es so wenig Arbeitsplätze gibt, in denen es sehr schwer ist, einen Arbeitsplatz zu bekommen.
Pokatzky: Wenn Sie dazu aufrufen, die Leute sollen sich in den großen, den mächtigen Gewerkschaften organisieren ... Die Mitgliedszahlen des Deutschen Gewerkschaftsbundes sinken und sinken. Wenn wir jetzt noch sehen, da kommen also diese Minigewerkschaften und saugen in bestimmten Bereichen was auf, löst sich unser altbekanntes Gewerkschaftssystem langsam auf, zumindest in einigen Branchen?
Schüren: Vielleicht gibt es die Gefahr. Aber ich habe diesen Eindruck nicht unbedingt, ich glaube, dass die Menschen sich hier besinnen müssen auf die Funktion von Gewerkschaften und auf die Notwendigkeit, dass sie für ihre Interessenvertretung selbst sorgen müssen. Die Erwartung, dass andere das für einen tun, die wird oft enttäuscht. Die Menschen müssen wieder einsehen, dass sie, wenn sie ihre Interessen vertreten sehen wollen, dafür was tun müssen!
Pokatzky: Sagt im Deutschlandradio Kultur der Arbeitsrechtler Peter Schüren, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht an der Universität Münster. Vielen Dank und alles Gute nach Münster!
Schüren: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Statistische Bundesamt, das dann noch in Ost und West unterscheidet, hat festgestellt, dass 1998 im Westen noch 76 Prozent aller Arbeitnehmer Tarifverträge hatten, letztes Jahr war die Zahl um 15 Prozentpunkte auf 61 Prozent gefallen.
Und im Osten, in den immer noch sogenannten neuen Bundesländern, hatten 1998 63 Prozent Tarifverträge, im vorigen Jahr war der Anteil um 14 Punkte auf 49 Prozent gefallen.
Zweitens, einen Gruß nach Münster: Dort ist ins Studio gekommen Peter Schüren, der Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht an der Universität in Münster. Guten Tag!
Peter Schüren: Guten Tag, Herr Pokatzky!
Pokatzky: Drittens die Frage, Herr Schüren: Muss uns dieser ja doch nicht unbeträchtliche Rückgang der Tarifverträge Sorgen machen?
Schüren: Ja, muss er, weil Tarifverträge und gewerkschaftliche Organisationen die Arbeitnehmer doch erheblich schützen.
Pokatzky: Vor allem in Unternehmen, die keine Tarifverträge kennen, da beobachten Sie zunehmend unmoralische, rechtswidrige Arbeitsverträge. Was verstehen Sie darunter genau?
Schüren: Unmoralisch ist vielleicht etwas schwierig, aber es sind Arbeitsverträge, die rechtswidrige Bedingungen enthalten, um Kosten zu senken. Beispiel, es wurde vorhin genannt: Überstunden werden nicht bezahlt. Wenn so etwas in einem Arbeitsvertrag drin steht, dann wissen alle Beteiligten, dass das rechtswidrig ist.
Sie schreiben es trotzdem rein, weil sie auch wissen, die Arbeitnehmer werden sich gegen eine solche Regel nicht wehren und sie werden unbezahlte Überstunden leisten. Und damit kann man Geld verdienen oder Geld sparen.
Pokatzky: Was gibt es außer diesem Beispiel, das Sie genannt haben, noch an weiteren Beispielen?
Schüren: Ja, es gibt tolle Dinge. Zum Beispiel Zimmer-Reinigen, Hotelzimmer-Reinigen, und da wird nicht nach Zeit gezahlt, sondern nach gereinigtem Zimmer. Und im Ergebnis kommen dann vier Euro raus. Oder das Gleiche ...
Pokatzky: Weil, schneller werden die nicht fertig, die müssen dann wirklich so im Akkord, ein Zimmer nach dem anderen, zack, zack, zack?
Schüren: Ja. Aber Akkord ist etwas ganz anderes, Akkord ist, wenn man durch den Akkord deutlich mehr verdienen kann als der normale Lohn. Das heißt, dadurch, dass man sich anstrengt, kriegt man keine acht Euro, sondern zwölf in der Stunde raus. Hier geht es aber darum, unter dem Deckmantel des Akkords geringere als die vorgeschriebenen Stundenlöhne zu zahlen. Das ist also eine offen rechtswidrige Praxis.
Pokatzky: In welchen Branchen passiert so etwas vor allem?
Schüren: Dort, wo die Arbeitnehmer gering gewerkschaftlich organisiert sind, im Dienstleistungsbereich, wo der Kostendruck auch auf die Unternehmen sehr groß ist, und wo man weiß, Arbeitslose drängen nach, sodass man eine Chance hat, diese Stellen mit Leuten zu besetzen, die sich nicht wehren.
Pokatzky: Die Leute, mit denen Sie da bisher als Arbeitsrechtler zu tun hatten, was hatten die für einen Ausbildungshintergrund, was hatten die gelernt?
Schüren: Es sind meistens Leute mit keiner besonders umfangreichen Ausbildung und deren Chancen, wie gesagt, am Arbeitsmarkt nicht toll sind, die also darauf angewiesen sind, diese Stellen zu halten und deren Alternative dann eben Arbeitslosengeld beziehungsweise Hartz IV ist.
Pokatzky: Wenn die jetzt gegen solche rechtswidrigen Arbeitsverträge klagen vor den Arbeitsgerichten, welche Chancen haben die?
Schüren: Sehr gute. Die Arbeitsgerichte werden ihnen recht geben, man wird einen Vergleich schließen meistenteils, sie bekommen ihr Geld wenigstens teilweise nachbezahlt. Aber Arbeitsrechtsstreitigkeiten gibt es im Regelfall am Ende von Arbeitsverhältnissen und nicht während der Dauer. Das heißt, die Leute wehren sich maximal, wenn die Beziehung schon vorbei ist.
Pokatzky: Solche miesen Arbeitsbedingungen gibt es ja gelegentlich auch sogar per Tarifvertrag. Es gibt Minigewerkschaften, die wir auch Pseudogewerkschaften nennen könnten, denen manchmal sogar von den Arbeitsgerichten mangels Mitgliederzahl die Tariffähigkeit abgesprochen wird, aber die vorher dann solche Tarifverträge abgeschlossen haben. Was ist das für ein Phänomen?
Schüren: Da geht es um Folgendes: Ich kann ziemlich alles in einen Arbeitsvertrag reinschreiben, wenn ich einen Tarifvertrag habe, der das deckt. Also, auch Stundenlöhne unter fünf Euro, das gab es zum Beispiel in der Leiharbeit. Und es gibt Organisationen, die sich Gewerkschaft nennen, die praktisch aber keine Arbeitnehmer vertreten und die Arbeitgebern solche Tarifverträge anbieten.
Die kriegen die dann von denen und können dann unter der Aussage "Ich habe ja einen Tarifvertrag, der das so regelt" diese schlechten Arbeitsbedingungen realisieren.
Pokatzky: Jetzt gibt es ja Möglichkeiten, dass nicht nur Arbeitnehmervertreter oder auch andere Gewerkschaften vor den Arbeitsgerichten gegen diese Minigewerkschaften vorgehen, sondern das könnten ja zum Beispiel auch Bundesländer oder das Bundesarbeitsministerium machen. Also, deren Tariffähigkeit vor Gericht überprüfen lassen. Wird das jemals gemacht?
Schüren: Ja, inzwischen wird es gemacht, das ist ein großer Fortschritt. Zum ersten Mal ist es gemacht worden bei der Leiharbeit, da ist die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für den Bereich der Leiharbeit für tarifunfähig erklärt worden vom Bundesarbeitsgericht in einem Verfahren, das damals die Berliner Arbeitssenatorin und ver.di, die Gewerkschaft, zusammen eingeleitet haben, und das am Ende erfolgreich war. Und damit ist dieses böse Spiel in der Leiharbeit auch ruppig beendet worden.
Pokatzky: Aber warum machen diese Minigewerkschaften so was überhaupt, warum spielen sie da mit?
Schüren: Ich glaube, der Ausdruck Mitspielen ist nicht richtig. Denn die spielen nicht mit, sondern das ist bei der CGZP, bei dieser Gewerkschaft der Leiharbeit ...
Pokatzky: Müssen Sie sagen, was das genau ist, CGZP ...
Schüren: Das ist, die CGZP war diese Tarifgemeinschaft, die die Tarifverträge in der Leiharbeit abschloss, da war das das einzige Geschäft, was diese Organisation betrieb, nämlich Arbeitgeber mit solchen Pseudotarifverträgen zu versorgen. Und es ist noch sehr unklar, ob es dafür Gegenleistungen gab und in welcher Form die aussahen.
Pokatzky: In Deutschlandradio Kultur der Arbeitsrechtler Peter Schüren von der Universität Münster, illegale Arbeitsverträge sind unser Thema. Herr Schüren, wie erklären Sie sich, dass solche Arbeitsbedingungen von der Mehrheit der Arbeitnehmer toleriert werden?
Schüren: Nun, das ist sehr leicht nachvollziehbar: Ein Arbeitnehmer, der keine andere Chance hat als diesen Arbeitsplatz, den er jetzt gerade hat, der wird kaum zum Arbeitsgericht rennen und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses seinen Arbeitgeber verklagen.
Pokatzky: Was müsste für diese Menschen getan werden?
Schüren: Man muss diesen Menschen von außen helfen. Der richtige Weg wäre als Erstes gewerkschaftliche Organisation, Betriebsräte wählen und so weiter, der normale Weg. Aber hier ist das Phänomen jetzt so extrem, dass man darüber nachdenken sollte, einen Bußgeldtatbestand einzuführen, Nutzung von rechtswidrigen Arbeitsbedingungen, und bei einem Bußgeldtatbestand kann man dann nicht nur ein Bußgeld auswerfen, 50.000 Euro oder so was, sondern auch den Gewinn, der auf diese Weise erzielt wird, abschöpfen. Das heißt, den Anreiz nehmen, so etwas zu tun. Und damit könnte man den Leuten real helfen.
Pokatzky: Wie sehen Sie die Chancen dafür, glauben Sie, dass so etwas politisch durchsetzbar wäre?
Schüren: Ja, das glaube ich schon. Darüber müssen wir nur einfach öffentlich diskutieren und es braucht eine Zeit, und dann ist das durchaus möglich. Es gibt solche Tatbestände in kleineren Bereichen schon und es gibt solche Sanktionen auch schon anderswo.
Und sie wirken. Denken Sie zum Beispiel mal ans Kartellrecht, wo sich die Leute verabreden, der Bundesbahn die Eisenbahnschienen etwas teurer zu verkaufen, und dann 200 Millionen zahlen müssen. Das wirkt auch.
Pokatzky: Gibt es eigentlich auch viele Menschen, denen es auch einfach so schlecht geht, dass sie sich lieber auf solche Arbeitsbedingungen einlassen als dass sie gar keine Arbeit kriegen?
Schüren: Selbstverständlich, sonst würden sie es ja nicht machen. Ich meine, wer arbeitet für fünf Euro, wenn er eine bessere Alternative hat?
Pokatzky: Sind das alles Leute, die überhaupt keine ausreichende Schulbildung haben, sind das auch die sogenannten verkrachten Existenzen?
Schüren: Ich glaube nicht. Also, die Leute, die ich da gesehen habe, wirken mir nicht als verkrachte Existenzen. Es gibt einfach Bereiche, in denen es so wenig Arbeitsplätze gibt, in denen es sehr schwer ist, einen Arbeitsplatz zu bekommen.
Pokatzky: Wenn Sie dazu aufrufen, die Leute sollen sich in den großen, den mächtigen Gewerkschaften organisieren ... Die Mitgliedszahlen des Deutschen Gewerkschaftsbundes sinken und sinken. Wenn wir jetzt noch sehen, da kommen also diese Minigewerkschaften und saugen in bestimmten Bereichen was auf, löst sich unser altbekanntes Gewerkschaftssystem langsam auf, zumindest in einigen Branchen?
Schüren: Vielleicht gibt es die Gefahr. Aber ich habe diesen Eindruck nicht unbedingt, ich glaube, dass die Menschen sich hier besinnen müssen auf die Funktion von Gewerkschaften und auf die Notwendigkeit, dass sie für ihre Interessenvertretung selbst sorgen müssen. Die Erwartung, dass andere das für einen tun, die wird oft enttäuscht. Die Menschen müssen wieder einsehen, dass sie, wenn sie ihre Interessen vertreten sehen wollen, dafür was tun müssen!
Pokatzky: Sagt im Deutschlandradio Kultur der Arbeitsrechtler Peter Schüren, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht an der Universität Münster. Vielen Dank und alles Gute nach Münster!
Schüren: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.