Wer die Glühbirne wirklich erfand
Obwohl der Amerikaner Edison der verbürgte Erfinder der Glühlampe ist, hält sich bis heute eine andere Geschichte. Demnach soll der nach New York ausgewanderte deutsche Uhrmacher Heinrich Göbel der Erfinder sein. Dies widerlegt die brillante technikgeschichtliche Studie von Hans-Christian Rohde, Gymnasiallehrer im Geburtsort Göbels.
Auf die Frage, wer die elektrische Glühbirne erfunden hat, würde wohl jeder "Edison" antworten. Und tatsächlich hat Thomas Alva Edison in seiner Erfinderfabrik Menlo Park bei New York am 21. Oktober 1879 die erste Kohlefaden-Lampe hergestellt, die hell und mehrere Tage lang brannte. Drei Monate später erhielt er das Patent darauf. Bis heute aber hält sich eine andere Geschichte.
In Wahrheit, so lautet sie, war es der Deutsche Heinrich Göbel, der als Erster eine funktionierende Glühlampe konstruiert hat – und zwar schon 1854. Der nach New York ausgewanderte Uhrmacher habe seine Erfindung nur nicht patentiert. Noch 2004 gab das Bundesministerium der Finanzen eine Briefmarke mit dem Titel "150 Jahre elektrische Glühlampe" heraus, die jene luftleere Kölnisch-Wasser-Flasche mit verkohltem Bambusfaden zeigte, die Göbel hergestellt haben soll. Und als im Sommer 2005 die Deutschen im ZDF entscheiden sollten, welches die größten Erfindungen "unserer Besten" seien, da kam die Glühbirne auf Platz zwei – und sie wurde Heinrich Göbel aus Springe bei Hannover zugeschrieben.
Heinrich Göbel – unser Bester, ein weltfremder Tüftler, von der Industriegeschichte und von den Amerikanern vergessen? Alles Schwindel, von hinten bis vorne erfunden – das ist der Befund der brillanten technikgeschichtlichen Studie, die jetzt Hans-Christian Rohde vorgelegt hat. Er, Gymnasiallehrer im Geburtsort Göbels, hat eine ganz unglaubliche Legende minutiös aufgedeckt. Ihren Ursprung hatte sie in einem Streit ums Urheberrecht an der Glühlampe. Als nämlich Edison und seine "Electric Light Company" 1880 begannen, die Erfindung industriell zu verwerten, da stiegen auch andere Firmen in das Geschäft mit dem Licht ein. Vor allem Hersteller, die zuvor sogenannte Bogenlampen produziert hatten, bei denen das Licht durch das Verbrennen von Staub zwischen zwei unter Strom gesetzten Kohlestiften entsteht, ahmten Edisons Fadenkonstruktion nach. Bei ihr sprang kein Funke, sondern es glühte eine hauchdünne Kohlespirale in einem Vakuum, in das als Stromzuleiter Platindrähte eingeschmolzen wurden.
Ein Patent hatte nach damaligem Recht eine Laufzeit von nur siebzehn Jahren. 1885 entschied sich Edison, gegen seine Nachahmer gerichtlich vorzugehen. Und nun kam Heinrich Göbel ins Spiel. Denn nachdem die Patentbrecher zwei Mal unterlegen waren, zogen sie die Geschichte vom verkannten Erfindergenie der Glühlampe aus dem Ärmel. Der damals schon 75-jährige Göbel behauptete – schriftlich, denn Urheberrechtsprozesse wurden damals allein auf der Grundlage von schriftlich eingereichten Stellungnahmen durchgeführt -, schon vor 1873 elektrische Birnen hergestellt zu haben. Noch in Deutschland habe er unter Anleitung eines Hannoveraner Professors an Experimenten dazu gearbeitet. Später, in New York, sei er mit den Glühbirnen als Beleuchtung eines mobilen Teleskops nachts herumgezogen, und in seinem Schlafzimmer habe er die Uhr mit einer solchen Lampe beleuchtet. Hunderte von Zeugen bekräftigten diese Darstellung.
Hans-Christian Rohde hat sich in alle Akten des Prozesses vertieft, hat die Lebensdokumente Heinrich Göbels gesammelt und die Technikgeschichte des elektrischen Lichts studiert. Sein abschließender Befund: Göbel kann die Glühbirne gar nicht erfunden haben. Über außergewöhnliches physikalisches Know-how verfügte der ausgebildete Schlosser nicht. Die Verfahren, um ein Vakuum herzustellen, beherrschte er so wenig wie er jemals über die Mittel verfügte, um an Platindrähte zu kommen. Das auf der deutschen Briefmarke abgebildete Modell der Erfindung Göbels, die Kölnisch-Wasser-Flasche, hätte niemals funktioniert.
Auch mit der Wahrheit hielt es Göbel nicht immer: Eine feinmechanische oder gar optische Ausbildung hatte er nie durchlaufen. Der Professor aus Hannover ist nicht nachweisbar, dass sein Name, Göbel zufolge, "Professor Münchhausen" gewesen sein soll, sagt fast alles. Im ärmlichen Landstädtchen Springe gab es keinerlei Voraussetzungen für anspruchsvolle elektrotechnische Experimente. Aber auch in New York dürfte Göbel kaum dazu in der Lage gewesen sein: Eine anhaltend brennende Schlafzimmerleuchte oder eine für einen Pferdewagen mit Teleskop zu betreiben, hätte vor 1870 Batterien beansprucht, die mehr als 300 Kilo gewogen hätten: viel zu kostspielig, viel zu aufwendig für den fahrenden Händler Göbel.
Bleibt die Frage, wie es zur Göbel-Legende hat kommen können. Von den Prozessen nämlich gingen für Edisons Gegner alle bis auf einen verloren. Und das eine Verfahren, das sie gewannen, bestätigte nicht etwa Göbels Ersterfindung, sondern hielt die Beweislage nur für zweifelhaft. Göbel, der noch während die Prozesse andauerten starb, hatte dennoch seine Funktion erfüllt: Der Rechtsstreit zog sich bis 1893 hin, und da in Kanada das Glühlampen-Patent schon 1894 auslief, galt auch in den Vereinigten Staaten ein verkürzte Schutzfrist.
Zur Göbel-Legende kam es aus zwei Gründen. Zum einen, weil der Mythos nicht ausstirbt, Erfinder seien kauzige, vereinzelte, weltfremde und verkannte Genies. Aber es gibt im Zeitalter der Industrie keine einsamen Erfinder, Wissenschaft ist auf Kooperation und Arbeitsteilung angewiesen Auch Edison konnte die Glühbirne nur funktionsfähig machen, weil er über ein ganzes Team von Assistenten verfügte.
Zum anderen wurde die Nachricht von jenem einen Verfahren in St. Louis, bei dem die Anwälte, die die Göbel-Geschichte erfunden hatten, Erfolg hatten, in Deutschland begierig aufgegriffen. "Göbel, nicht Edison" lautete die Schlagzeile. Der Artikel eines ausgesprochenen Edison-Gegners wurde zur Hauptquelle, ein deutscher Ingenieur steigerte sich 1923 in die Legende hinein, fingierte weitere Beweise und prägte in Zeiten nationaler Depression das Bild "unseres Besten". Deutscher Idealismus gegen amerikanischen Materialismus – das hörte man hierzulande immer gerne. Göbels Heimatstadt Springe sprang darauf selbstverständlich an: Man organisierte Göbel-Umzüge, führte Göbel-Stücke auf, baute ein Göbel-Denkmal und benannte eine Schule nach dem Helden.
Von der Legende, die zu alledem führte, ist jetzt nichts mehr übrig. Ein Mythos weniger – was kann man über die Leistung eines Buches Besseres sagen? Hans-Christian Rohde hat einen veritablen Technik-Krimi geschrieben, akribisch, belehrend und unterhaltsam. So muss Wissenschaftsgeschichte sein.
Rezensiert von Jürgen Kaube
Hans-Christian Rode,
Die Göbel-Legende. Der Kampf um die Erfindung der Glühlampe,
Verlag zu Klampen, Springe 2007, 248 Seiten, kt., 29,80 Euro.
In Wahrheit, so lautet sie, war es der Deutsche Heinrich Göbel, der als Erster eine funktionierende Glühlampe konstruiert hat – und zwar schon 1854. Der nach New York ausgewanderte Uhrmacher habe seine Erfindung nur nicht patentiert. Noch 2004 gab das Bundesministerium der Finanzen eine Briefmarke mit dem Titel "150 Jahre elektrische Glühlampe" heraus, die jene luftleere Kölnisch-Wasser-Flasche mit verkohltem Bambusfaden zeigte, die Göbel hergestellt haben soll. Und als im Sommer 2005 die Deutschen im ZDF entscheiden sollten, welches die größten Erfindungen "unserer Besten" seien, da kam die Glühbirne auf Platz zwei – und sie wurde Heinrich Göbel aus Springe bei Hannover zugeschrieben.
Heinrich Göbel – unser Bester, ein weltfremder Tüftler, von der Industriegeschichte und von den Amerikanern vergessen? Alles Schwindel, von hinten bis vorne erfunden – das ist der Befund der brillanten technikgeschichtlichen Studie, die jetzt Hans-Christian Rohde vorgelegt hat. Er, Gymnasiallehrer im Geburtsort Göbels, hat eine ganz unglaubliche Legende minutiös aufgedeckt. Ihren Ursprung hatte sie in einem Streit ums Urheberrecht an der Glühlampe. Als nämlich Edison und seine "Electric Light Company" 1880 begannen, die Erfindung industriell zu verwerten, da stiegen auch andere Firmen in das Geschäft mit dem Licht ein. Vor allem Hersteller, die zuvor sogenannte Bogenlampen produziert hatten, bei denen das Licht durch das Verbrennen von Staub zwischen zwei unter Strom gesetzten Kohlestiften entsteht, ahmten Edisons Fadenkonstruktion nach. Bei ihr sprang kein Funke, sondern es glühte eine hauchdünne Kohlespirale in einem Vakuum, in das als Stromzuleiter Platindrähte eingeschmolzen wurden.
Ein Patent hatte nach damaligem Recht eine Laufzeit von nur siebzehn Jahren. 1885 entschied sich Edison, gegen seine Nachahmer gerichtlich vorzugehen. Und nun kam Heinrich Göbel ins Spiel. Denn nachdem die Patentbrecher zwei Mal unterlegen waren, zogen sie die Geschichte vom verkannten Erfindergenie der Glühlampe aus dem Ärmel. Der damals schon 75-jährige Göbel behauptete – schriftlich, denn Urheberrechtsprozesse wurden damals allein auf der Grundlage von schriftlich eingereichten Stellungnahmen durchgeführt -, schon vor 1873 elektrische Birnen hergestellt zu haben. Noch in Deutschland habe er unter Anleitung eines Hannoveraner Professors an Experimenten dazu gearbeitet. Später, in New York, sei er mit den Glühbirnen als Beleuchtung eines mobilen Teleskops nachts herumgezogen, und in seinem Schlafzimmer habe er die Uhr mit einer solchen Lampe beleuchtet. Hunderte von Zeugen bekräftigten diese Darstellung.
Hans-Christian Rohde hat sich in alle Akten des Prozesses vertieft, hat die Lebensdokumente Heinrich Göbels gesammelt und die Technikgeschichte des elektrischen Lichts studiert. Sein abschließender Befund: Göbel kann die Glühbirne gar nicht erfunden haben. Über außergewöhnliches physikalisches Know-how verfügte der ausgebildete Schlosser nicht. Die Verfahren, um ein Vakuum herzustellen, beherrschte er so wenig wie er jemals über die Mittel verfügte, um an Platindrähte zu kommen. Das auf der deutschen Briefmarke abgebildete Modell der Erfindung Göbels, die Kölnisch-Wasser-Flasche, hätte niemals funktioniert.
Auch mit der Wahrheit hielt es Göbel nicht immer: Eine feinmechanische oder gar optische Ausbildung hatte er nie durchlaufen. Der Professor aus Hannover ist nicht nachweisbar, dass sein Name, Göbel zufolge, "Professor Münchhausen" gewesen sein soll, sagt fast alles. Im ärmlichen Landstädtchen Springe gab es keinerlei Voraussetzungen für anspruchsvolle elektrotechnische Experimente. Aber auch in New York dürfte Göbel kaum dazu in der Lage gewesen sein: Eine anhaltend brennende Schlafzimmerleuchte oder eine für einen Pferdewagen mit Teleskop zu betreiben, hätte vor 1870 Batterien beansprucht, die mehr als 300 Kilo gewogen hätten: viel zu kostspielig, viel zu aufwendig für den fahrenden Händler Göbel.
Bleibt die Frage, wie es zur Göbel-Legende hat kommen können. Von den Prozessen nämlich gingen für Edisons Gegner alle bis auf einen verloren. Und das eine Verfahren, das sie gewannen, bestätigte nicht etwa Göbels Ersterfindung, sondern hielt die Beweislage nur für zweifelhaft. Göbel, der noch während die Prozesse andauerten starb, hatte dennoch seine Funktion erfüllt: Der Rechtsstreit zog sich bis 1893 hin, und da in Kanada das Glühlampen-Patent schon 1894 auslief, galt auch in den Vereinigten Staaten ein verkürzte Schutzfrist.
Zur Göbel-Legende kam es aus zwei Gründen. Zum einen, weil der Mythos nicht ausstirbt, Erfinder seien kauzige, vereinzelte, weltfremde und verkannte Genies. Aber es gibt im Zeitalter der Industrie keine einsamen Erfinder, Wissenschaft ist auf Kooperation und Arbeitsteilung angewiesen Auch Edison konnte die Glühbirne nur funktionsfähig machen, weil er über ein ganzes Team von Assistenten verfügte.
Zum anderen wurde die Nachricht von jenem einen Verfahren in St. Louis, bei dem die Anwälte, die die Göbel-Geschichte erfunden hatten, Erfolg hatten, in Deutschland begierig aufgegriffen. "Göbel, nicht Edison" lautete die Schlagzeile. Der Artikel eines ausgesprochenen Edison-Gegners wurde zur Hauptquelle, ein deutscher Ingenieur steigerte sich 1923 in die Legende hinein, fingierte weitere Beweise und prägte in Zeiten nationaler Depression das Bild "unseres Besten". Deutscher Idealismus gegen amerikanischen Materialismus – das hörte man hierzulande immer gerne. Göbels Heimatstadt Springe sprang darauf selbstverständlich an: Man organisierte Göbel-Umzüge, führte Göbel-Stücke auf, baute ein Göbel-Denkmal und benannte eine Schule nach dem Helden.
Von der Legende, die zu alledem führte, ist jetzt nichts mehr übrig. Ein Mythos weniger – was kann man über die Leistung eines Buches Besseres sagen? Hans-Christian Rohde hat einen veritablen Technik-Krimi geschrieben, akribisch, belehrend und unterhaltsam. So muss Wissenschaftsgeschichte sein.
Rezensiert von Jürgen Kaube
Hans-Christian Rode,
Die Göbel-Legende. Der Kampf um die Erfindung der Glühlampe,
Verlag zu Klampen, Springe 2007, 248 Seiten, kt., 29,80 Euro.