Wer hat den Schuh erfunden?
In seinem aus dem Nachlass veröffentlichten Aufsatz "Methodologische Probleme einer Geistesgeschichte der Technik" – erschienen in dem von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler herausgegebenen Band "Geistesgeschichte der Technik" – verweist der Philosoph Hans Blumenberg (1920-1996) auf eine im Kreise der französischen Enzyklopädisten geführte Debatte. Der Abbé Galiani hatte Mirabeau und Voltaire aufgefordert, die Frage zu beantworten, ob die Natur oder ein Mensch den Schuh erfunden hätte.
Dieses zunächst etwas abwegig anmutende Problem führt allerdings ins Zentrum der Überlegungen, die Blumenberg in diesem und dem ebenfalls aus dem Nachlass veröffentlichten Beitrag "Einige Schwierigkeiten, eine Geistesgeschichte der Technik zu schreiben" anstellt. Dabei ist für ihn Voltaires Antwort ein entscheidender Punkt für seine Argumentation. Schuhe wären, so Voltaire, "nicht das Werk des Menschen", da man den Erfinder der Schuhe, eines so unverzichtbaren Gebrauchsgegenstandes, den es zu allen Zeiten gab, doch kennen würde.
"Man darf nicht der immer schwankenden, unsicheren Meinung der Menschen, sondern nur den Gesetzen der Natur zuschreiben, was sich durch alle Zeitalter und bei allen Menschen erhalten hat."
Demnach könne man, so Blumenberg, eine Geistesgeschichte der Technik nicht als Chronik technischer Erfindungen schreiben. Eine solche Beschreibung des technischen Zeitalters würde nämlich nur die Summe der in dieser Zeit gemachten Erfindungen festhalten, ließe aber unberücksichtigt, was Blumenberg als methodisches Problem für unverzichtbar hält: die Wirkung und Einflussnahme des Geistes auf die Technik.
Deshalb wird für ihn neben Voltaires Antwort eine Bemerkung von Marx aus dem "Kapital" bedeutend. Marx führt im Kapitel "Maschinerie" aus, dass die "Mechanisierung der Produktion" als "die in Erfindungen umgesetzte Konsequenz aus der Arbeitsstruktur" zu verstehen ist. Deshalb würden technische Erfindungen des 18. Jahrhunderts auch keinem "einzelnen Individuum" gehören, da sie von kollektiven Denkleistungen durchsetzt sind.
Eine Geistesgeschichte der Technik müsste demnach das Ineinandergreifen von Geist und Technik beschreiben. Dieser methodischen Herausforderung gelten Blumenbergs Überlegungen in den beiden Aufsätzen, der daran dachte, wie aus dem Nachwort zu entnehmen ist, eine Geistesgeschichte der Technik zu schreiben. Im philosophischen Seminar der Universität Hamburg hatte er 1959 dazu eine Vorlesung angeboten und in einem ein Jahr zuvor an Erich Rothacker geschriebenen Brief sprach er davon, dass er bereits seit zehn Jahren den Plan habe, eine solche Abhandlung zu realisieren.
Den beiden bisher unveröffentlichten Aufsätzen ist eine CD mit dem von Blumenberg 1967 im Hessischen Rundfunk gehaltenen Vortrag "Die Maschinen und der Fortschritt. Gedanken zu einer Geistesgeschichte der Technik" beigefügt.
Dieses kleine Büchlein ermöglicht erhellende Einblicke in den Denkhorizont von Hans Blumenberg, die dankbar zur Kenntnis nehmen wird, wer Freude daran hat, einem brillanten Philosophen in die Technikgeschichte zu folgen.
Besprochen von Michael Opitz
Hans Blumenberg: Geistesgeschichte der Technik
Mit einem Radiovortrag auf CD
aus dem Nachlaß herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
152 Seiten, 25,00 Euro
"Man darf nicht der immer schwankenden, unsicheren Meinung der Menschen, sondern nur den Gesetzen der Natur zuschreiben, was sich durch alle Zeitalter und bei allen Menschen erhalten hat."
Demnach könne man, so Blumenberg, eine Geistesgeschichte der Technik nicht als Chronik technischer Erfindungen schreiben. Eine solche Beschreibung des technischen Zeitalters würde nämlich nur die Summe der in dieser Zeit gemachten Erfindungen festhalten, ließe aber unberücksichtigt, was Blumenberg als methodisches Problem für unverzichtbar hält: die Wirkung und Einflussnahme des Geistes auf die Technik.
Deshalb wird für ihn neben Voltaires Antwort eine Bemerkung von Marx aus dem "Kapital" bedeutend. Marx führt im Kapitel "Maschinerie" aus, dass die "Mechanisierung der Produktion" als "die in Erfindungen umgesetzte Konsequenz aus der Arbeitsstruktur" zu verstehen ist. Deshalb würden technische Erfindungen des 18. Jahrhunderts auch keinem "einzelnen Individuum" gehören, da sie von kollektiven Denkleistungen durchsetzt sind.
Eine Geistesgeschichte der Technik müsste demnach das Ineinandergreifen von Geist und Technik beschreiben. Dieser methodischen Herausforderung gelten Blumenbergs Überlegungen in den beiden Aufsätzen, der daran dachte, wie aus dem Nachwort zu entnehmen ist, eine Geistesgeschichte der Technik zu schreiben. Im philosophischen Seminar der Universität Hamburg hatte er 1959 dazu eine Vorlesung angeboten und in einem ein Jahr zuvor an Erich Rothacker geschriebenen Brief sprach er davon, dass er bereits seit zehn Jahren den Plan habe, eine solche Abhandlung zu realisieren.
Den beiden bisher unveröffentlichten Aufsätzen ist eine CD mit dem von Blumenberg 1967 im Hessischen Rundfunk gehaltenen Vortrag "Die Maschinen und der Fortschritt. Gedanken zu einer Geistesgeschichte der Technik" beigefügt.
Dieses kleine Büchlein ermöglicht erhellende Einblicke in den Denkhorizont von Hans Blumenberg, die dankbar zur Kenntnis nehmen wird, wer Freude daran hat, einem brillanten Philosophen in die Technikgeschichte zu folgen.
Besprochen von Michael Opitz
Hans Blumenberg: Geistesgeschichte der Technik
Mit einem Radiovortrag auf CD
aus dem Nachlaß herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
152 Seiten, 25,00 Euro