Daniel Friedrich Sturm, geboren 1973, ist Politikredakteur der Welt und der Welt am Sonntag sowie Buchautor.
Die SPD sucht den Superstar
Die SPD ist in Zugzwang geraten: Wer tritt an gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die vor Kurzem ihre erneute Kandidatur ankündigte? Alles läuft auf Sigmar Gabriel hinaus, meint der Journalist Daniel Friedrich Sturm. Doch der SPD-Chef zögert.
Für Angela Merkel war in dieser Woche der "gegebene Zeitpunkt" gekommen, um ihre vierte Kanzlerkandidatur zu erklären. Wer indes der vierte Sozialdemokrat sein wird, der 2017 gegen Merkel antritt, ist weiterhin offen. Wer bloß setzt die Riege von Gerhard Schröder über Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück fort?
Erst im Januar will die SPD ihre Kandidatenfrage klären. Das hat sie am Montag abermals beschlossen. Schon die Tatsache, dass jener "Zeitplan" alle vier Wochen bekräftigt werden muss, offenbart die Nervosität. Wer will schon ausschließen, dass bei den Sozialdemokraten, bekannt für personelle Eruptionen, auch der nächste Kandidat per Sturzgeburt das Licht der Öffentlichkeit entdeckt?
Immerhin, die SPD bewegt sich doch. Steinmeier, der beliebteste Politiker Deutschlands, steht schon bald für Parteipolitik nicht mehr zur Verfügung. Zu gern, man darf das nicht vergessen, hätten allerhand Sozialdemokraten ihn abermals als Kanzlerkandidaten gesehen. Nun aber wird er bald im Schloss Bellevue residieren, und im Auswärtigen Amt große Fußspuren hinterlassen.
Mit dem Entschluss von Martin Schulz, in die Bundespolitik zu wechseln, hat sich noch etwas bewegt. Schulz ist mit seinem – etwas penetranten – Ansinnen, die EU mit einer dritten Amtszeit als Parlamentspräsident zu beglücken, gescheitert. Er also flieht aus Straßburg und Brüssel nach Berlin, auf die nationale Bühne. Hat er nicht in den vergangenen Jahren stets betont, dass die politische Musik eigentlich in Europa spielt, nicht also in 28 mehr oder weniger kleinen Mitgliedstaaten? Man darf gespannt sein, wie sehr das Sein das Bewusstsein des Bundespolitikers Schulz prägen wird.
Gewiss, Schulz wäre als Außenminister geeignet. Wohl kein anderer hat derart intensive Beziehungen in alle EU-Staaten, und darüber hinaus. Der sprachbegabte Rheinländer ist ein political animal, mehr noch vielleicht als Frank-Walter Steinmeier. Der hatte sich ja erst im fortgeschrittenen Alter vom Mann des Apparats, vom Technokraten, zum Politiker entwickelt, ziemlich beachtlich übrigens.
Der SPD-Chef hat derzeit einen guten Lauf
Im Auswärtigen Amt ist das Misstrauen gegenüber Schulz groß, was vor allem mit dessen lautsprecherischen Auftritt zu tun hat. Selbst in den vergangenen Jahren agierte er ja eher wie der Fraktionsvorsitzende des Europäischen Parlamentes, nicht wie dessen Präsident. Schulz aber ist wendig genug, sich neu zu erfinden. Wenn er schon dabei ist, sollte er einige Positionen – etwa seinen beherzten Ruf nach Eurobonds, also einer gemeinschaftlichen Haftung für alle Staatsschulden in Europa – gleich mit über Bord werfen.
Es wäre ziemlich hoch gepokert, übernähme Schulz nicht nur das Auswärtige Amt, sondern darüber hinaus noch die SPD-Kanzlerkandidatur. Abseits aller Einarbeitung und diverser schlauchender Auslandsreisen: Will Schulz wirklich Außenpolitik gemeinsam mit Angela Merkel machen – und nebenbei die Kanzlerin politisch herausfordern, attackieren, ja aus dem Amt treiben? Ein gewisser Außenminister Steinmeier war an dieser Doppelfunktion im Jahre 2009 gnadenlos gescheitert.
So richten sich alle Blicke auf Sigmar Gabriel, den Parteichef mit der Aussicht auf neuerliche Vaterfreuden. Gabriel hat jüngst Steinmeier zum Präsidenten gepokert. Die Causa Kaiser's Tengelmann nach einigen Ruckeleien erfolgreich gemanagt. In seiner zuweilen störrischen Partei ein Votum zugunsten des Freihandelsabkommen Ceta durchgesetzt. Wäre das den möglichen SPD-Kanzlerkandidaten Schulz oder Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz ebenfalls gelungen? Wohl kaum. Kurzum: Der SPD-Vorsitzende hat derzeit einen guten Lauf. Sigmar Gabriel könnte jetzt beherzt nach der Kanzlerkandidatur greifen. Vielleicht aber nutzt er genau diese souveräne Position, um die Kandidatur auszuschlagen. Ein Vorsitzender der Volkspartei aber, der zaudert und es womöglich nicht wagt, sich dem Volk zur Wahl zu stellen, hätte seinen Beruf verfehlt.