"Wer war Eichmann, bevor er Eichmann wurde"
1982 wurde das Theaterstück "Bruder Eichmann" in München uraufgeführt. Sein Autor Heinar Kipphardt begnügte sich nicht damit, eine Nazi-Größe moralisierend zu verurteilen, sondern ging dem Phänomen der "Banalität des Bösen" nach.
Heinar Kipphardt: "In einem weißen Matrosenanzug mit der Mutter unter vielen anderen Frauen und Kindern am Lagertor des Konzentrationslagers Dürrgoy bei Breslau stehend, eine Besuchserlaubnis vergeblich erhoffend, den Vater kahlgeschoren, zerschlagen in Sträflingskleidung in einem Zug von Häftlingen bemerkend, war eine bestimmte Phase der Kindheit beendet... Ich war später nie in Gefahr, das vergessen zu wollen."
1933. Heinar Kipphardt war elf Jahre alt, als er die Barbarei dort erkannte, wo, wie er in seinem Lebenslauf schrieb, von "nationaler Erhebung" die Rede war. Als er rund 30 Jahre später ankündigte, ein Stück mit dem Titel "Bruder Eichmann" schreiben zu wollen, löste allein die bloße Vorstellung, er würde Eichmann entdämonisieren, heftige Kritik aus: Faschismus sollte auf dem Theater auf jeden Fall moralisch verurteilt werden. Dabei war Kipphardt beim Studium von Eichmanns Verhörprotokollen irritiert auf Verhaltensmuster gestoßen, die er ausgerechnet von seinem Vater kannte, einem leidenschaftlichen Anti-Nazi.
Der Regisseur Dieter Giesing vor der Uraufführung am 21. Januar 1983:
"Eine Sicht auf einen der Größten des Dritten Reiches, die ja ein Synonym ist für Mörder, eine Sicht auf jemand als ein Mitbürger – das Stück heißt ja 'Bruder Eichmann' – ich glaube nicht, dass das vor 20 Jahren in Deutschland möglich gewesen wäre. Und ich glaube, auch heute noch – ich bin sehr gespannt auf die Reaktion auf dieses Stück – wird es so sein , dass das eine große Provokation ist, Eichmann nicht einfach nur als diesen Mörder hinzustellen."
Kipphardt hatte das Projekt lange liegen lassen und sich erst Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre entschlossen, das Stück doch noch fertig zu schreiben. Die vehement umstrittene Uraufführung im Residenztheater München hat er nicht mehr erlebt. Dieter Giesing hat berichtet, wie schwierig die Proben waren, bei denen die Schauspieler genau das leisten mussten, wogegen sich Kritiker und Zuschauer unisono wehrten: Eichmann als normalen Mitbürger zu sehen, die viel beschworene Banalität des Bösen als alltägliche Erfahrung.
Dieter Giesing: "Wir haben erstmal versucht, diese Figur weit von sich wegzuhalten. Sie sehr kritisch zu sehen. Sie sehr negativ zu schildern. Und es war eigentlich ein ziemlich schmerzlicher Prozess, die Figur an sich ranzulassen. Denn das bedeutete natürlich auch, dass man die Normalität plötzlich kapierte, und mit Normalität auch sah, wie viel man selber mit der Figur zu tun hat. Denn die Karriere dieses Mannes ist eine ganz normale deutsche Karriere eines Mittelständlers ... einer deutschen Familie, in der halt die Kinder von früh auf Subordination lernen müssen. Und die Eichmannsche Biografie ist geradezu exemplarisch ... Viel wichtiger als sagen wir Nazis in Uniform zu zeigen, ist, mal zu zeigen, wer Eichmann war, bevor er Eichmann wurde."
Ganz wesentlich ging es Kipphardt um die Dokumentation der Eichmann-Haltung im bürgerlichen Pflichtmenschen. Und so hat er das historische Material um eine Vielzahl politischer Analogieszenen ergänzt: Abwurf der Atombombe auf Nagasaki, Vietnamkrieg, NATO-Manöver, Aktennotizen zur Erprobung neuer Medikamente, Umgang des Rechtsstaats mit vermeintlichen Terroristen, Verhörmethoden in der westlichen Welt ... Nur sehr wenige davon fanden Eingang in die Uraufführung – woraufhin der Verlag und Kipphardts Witwe weitere Aufführungen untersagten. Auch aus Protest gegen die in den Medien verbreitete Auffassung, diese Analogien verharmlosten Eichmanns Morde. Sie schulen, im Gegenteil, die Wachsamkeit der Zuschauer für Obrigkeitshörigkeit, Machtmissbrauch und Destruktion. Und das in literarischer Form, der, wie Kipphardt sagte, alleranstößigsten in den Augen der Machthaber:
"Sie fürchten den unabhängigen Geist. Sie müssen mit Recht fürchten, dass der Mensch, der sich etwa aussetzt den Lüsten und Erkenntnissen von Literatur, der natürlich als Unterwerfungsobjekt nicht mehr so gut funktioniert. Wer seiner Lust nachgeht, ist natürlich in einem Büro oder in einer Fabrik oder beim Militär weniger brauchbar."
Ein Grund mehr, das in der DDR mehrfach, in Westdeutschland selten nachgespielte Stück für unsere Gegenwart neu zu entdecken. Die letzte größere Inszenierung gab es im Jahre 2005, am Theater Krefeld.
1933. Heinar Kipphardt war elf Jahre alt, als er die Barbarei dort erkannte, wo, wie er in seinem Lebenslauf schrieb, von "nationaler Erhebung" die Rede war. Als er rund 30 Jahre später ankündigte, ein Stück mit dem Titel "Bruder Eichmann" schreiben zu wollen, löste allein die bloße Vorstellung, er würde Eichmann entdämonisieren, heftige Kritik aus: Faschismus sollte auf dem Theater auf jeden Fall moralisch verurteilt werden. Dabei war Kipphardt beim Studium von Eichmanns Verhörprotokollen irritiert auf Verhaltensmuster gestoßen, die er ausgerechnet von seinem Vater kannte, einem leidenschaftlichen Anti-Nazi.
Der Regisseur Dieter Giesing vor der Uraufführung am 21. Januar 1983:
"Eine Sicht auf einen der Größten des Dritten Reiches, die ja ein Synonym ist für Mörder, eine Sicht auf jemand als ein Mitbürger – das Stück heißt ja 'Bruder Eichmann' – ich glaube nicht, dass das vor 20 Jahren in Deutschland möglich gewesen wäre. Und ich glaube, auch heute noch – ich bin sehr gespannt auf die Reaktion auf dieses Stück – wird es so sein , dass das eine große Provokation ist, Eichmann nicht einfach nur als diesen Mörder hinzustellen."
Kipphardt hatte das Projekt lange liegen lassen und sich erst Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre entschlossen, das Stück doch noch fertig zu schreiben. Die vehement umstrittene Uraufführung im Residenztheater München hat er nicht mehr erlebt. Dieter Giesing hat berichtet, wie schwierig die Proben waren, bei denen die Schauspieler genau das leisten mussten, wogegen sich Kritiker und Zuschauer unisono wehrten: Eichmann als normalen Mitbürger zu sehen, die viel beschworene Banalität des Bösen als alltägliche Erfahrung.
Dieter Giesing: "Wir haben erstmal versucht, diese Figur weit von sich wegzuhalten. Sie sehr kritisch zu sehen. Sie sehr negativ zu schildern. Und es war eigentlich ein ziemlich schmerzlicher Prozess, die Figur an sich ranzulassen. Denn das bedeutete natürlich auch, dass man die Normalität plötzlich kapierte, und mit Normalität auch sah, wie viel man selber mit der Figur zu tun hat. Denn die Karriere dieses Mannes ist eine ganz normale deutsche Karriere eines Mittelständlers ... einer deutschen Familie, in der halt die Kinder von früh auf Subordination lernen müssen. Und die Eichmannsche Biografie ist geradezu exemplarisch ... Viel wichtiger als sagen wir Nazis in Uniform zu zeigen, ist, mal zu zeigen, wer Eichmann war, bevor er Eichmann wurde."
Ganz wesentlich ging es Kipphardt um die Dokumentation der Eichmann-Haltung im bürgerlichen Pflichtmenschen. Und so hat er das historische Material um eine Vielzahl politischer Analogieszenen ergänzt: Abwurf der Atombombe auf Nagasaki, Vietnamkrieg, NATO-Manöver, Aktennotizen zur Erprobung neuer Medikamente, Umgang des Rechtsstaats mit vermeintlichen Terroristen, Verhörmethoden in der westlichen Welt ... Nur sehr wenige davon fanden Eingang in die Uraufführung – woraufhin der Verlag und Kipphardts Witwe weitere Aufführungen untersagten. Auch aus Protest gegen die in den Medien verbreitete Auffassung, diese Analogien verharmlosten Eichmanns Morde. Sie schulen, im Gegenteil, die Wachsamkeit der Zuschauer für Obrigkeitshörigkeit, Machtmissbrauch und Destruktion. Und das in literarischer Form, der, wie Kipphardt sagte, alleranstößigsten in den Augen der Machthaber:
"Sie fürchten den unabhängigen Geist. Sie müssen mit Recht fürchten, dass der Mensch, der sich etwa aussetzt den Lüsten und Erkenntnissen von Literatur, der natürlich als Unterwerfungsobjekt nicht mehr so gut funktioniert. Wer seiner Lust nachgeht, ist natürlich in einem Büro oder in einer Fabrik oder beim Militär weniger brauchbar."
Ein Grund mehr, das in der DDR mehrfach, in Westdeutschland selten nachgespielte Stück für unsere Gegenwart neu zu entdecken. Die letzte größere Inszenierung gab es im Jahre 2005, am Theater Krefeld.