Werbung und Politik im Netz

"Influencer:innen sind nicht per se feministisch"

08:54 Minuten
Illustration von Personen, die einer Influencerin auf dem Smartphone zusehen.
"Leute monetarisieren auf Social Media ihre Interessen schneller als im Plenum an der Uni oder im Fußballverein", so Caren Miesenberger. © imago images / fStop Images / Malte Müller
Caren Miesenberger im Gespräch mit Max Oppel · 17.03.2021
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Influencer und Influencerinnen wird oft vorgeworfen, ihre zum Teil große Followerschaft werde vor allem für den finanziellen Vorteil genutzt. Social-Media-Expertin Caren Miesenberger sagt, so einfach könne man es sich nicht machen.
Viele Kinder und Jugendliche geben heute Influencer als Berufswunsch an. Klar, die sehen in den sozialen Netzwerken, was alles möglich ist: viel Geld zu verdienen mit Freizeitspaß wie Schminken, Gaming, Tattoos oder Urlaubshotels ausprobieren. Dass da nur ganz wenige an das große Geld kommen und dass das Influencertum unschöne Nebenwirkungen haben kann, wissen sie meistens nicht.
Nun ist das Buch "Influencer – die Ideologie der Werbekörper" von Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt erschienen. Wir sprechen mit Social-Media-Fachfrau und Deutschlandfunk Kultur-Redakteurin Caren Miesenberger darüber.


Max Oppel: Die Autoren schreiben, Zitat: "Die Influencer zeichnen wir keineswegs in rosigem Licht, wir sehen in ihnen eine ernst zu nehmende Gefahr, da sie antiaufklärerisch agieren und ihre Follower manipulieren." Ist es so schlimm?
Caren Miesenberger: Ja, größtenteils schon. Das Buch analysiert den Berufsstand Influencer aus einer marxistischen Tradition heraus und das ist auch die große Stärke daran. Da ist eine Bereicherung für den Diskurs. Das habe ich so bisher noch nicht gesehen. Auch diese Wortwahl von dem Zitat zeigt das auch. Das ist eine sprachliche Referenz auf "Das Kapital" von Karl Marx, der hat im Vorwort geschrieben: "Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht". Marx hat damit gemeint, dass er die Interessensgruppe analysiert und nicht Einzelpersonen. Das wollen die beiden Autoren in dem Buch auch machen. Sie sagen gewissermaßen: Influencer:innen sind gleichzeitig Opfer und Verkörperung des Spätkapitalismus.
Oppel: Influencer, das ist vor allem ein weiblicher Job. Die größten deutschen Social Media-Accounts von Influencer:innen sind von Frauen. Wie inszenieren die sich?
Miesenberger: Es gibt schon verschiedene Sparten Influencer:innen, zum Beispiel Beauty, Reisen, Fitness, um nur einige zu nennen. Und man kann da wirklich sehen: Je mehr Follower die Accounts haben, desto glatter ist die Optik. Die Frauen sind dünn, fast immer geschminkt, zeigen sich auch in dieser Zeit in Bikinis oder Unterwäsche, an Infinity Pools, vor atemberaubenden Naturszenarien. Die größten Accounts mit den lukrativsten Werbedeals inszenieren sich auf ihren Accounts normschön und geschlechterkonform.

"Firmen kaufen mit Werbeverträgen ein bestimmtes Image"

Oppel: Damit sind sie natürlich Vorbild im Sinne der Konzerne, die sie bezahlen: Die Followerinnen sollen ja die Schminke kaufen. Gleichzeitig bedienen sie den männlichen Blick auf ihre Reize. Zugleich begreifen sie sich als emanzipiert, weil sie finanziell unabhängig sind. Die Frage ist: Was überwiegt – das emanzipatorische Vorbild oder das ewig wiederholte Klischee von der normschönen Frau?
Miesenberger: Das Argument stimmt erst mal, ist aber auch kein neues. Anfang der 90er-Jahre hat Naomi Wolf in "Der Mythos Schönheit" schon einmal darauf geguckt, wie Frauen durch Werbung auch gefügig gemacht werden. Ich würde sagen, es kommt auch stark darauf an, wie man Influencer definiert, und das ist eine ganz große Schwachstelle im Buch. Die Autoren differenzieren zu wenig. Sie sagen, diejenigen, die über Social Media berühmt werden, sowohl eigene Inhalt als auch Werbung posten – das sind Influencer:innen. Aber das ist eine riesige Gruppe. Je größer der Account einer Einzelperson ist, und je mehr diese Person über Werbedeals Geld verdienen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass diese Menschen öffentlich für radikale Ideen einstehen.
Firmen kaufen mit Werbeverträgen ein bestimmtes Image. Das ist auch kein neues Phänomen. Das hat man Anfang der 2000er auch schon gesehen. Britney Spears hat zum Beispiel einen millionenschweren Werbedeal mit Pepsi verloren, weil sie in der Öffentlichkeit Coca-Cola trank. Wir dürfen aber nicht auf die Größen der Accounts mit den meisten Followern und Followerinnen gucken.
Oppel: Inwiefern sind auch die kleineren relevant?
Miesenberger: Auch ein Account mit einer halben Million Follower:innen beeinflusst Menschen. Ein Beispiel für so einen Account im Mittelfeld ist El Hotzo, der hat 600.000 Follower:innen auf Instagram. Er filmt sich zum Beispiel dabei, wie er sich selbst tätowiert, und übt im Anschluss in einem anderen Posting ziemlich pointierte Kapitalismuskritik. Natürlich ist die oft verkürzt, das ist auch dem Medium geschuldet. Aber Leute wie er existieren und man muss die auch ernst nehmen als Akteure auf Social Media. Mit 600.000 Follower:innen ist man auch nicht mehr in einer Nische. Das ist ein politischer Influencer.

Oppel: Aber auch da geht es um Werbedeals. Das ist auch eine zentrale Kritik im Buch – da heißt es, früher hätten Leute etwas ausprobiert, wären zufällig berühmt geworden und hätten das dann monetarisiert. "Heute hingegen beginnt fast jede Netzkarriere mit ökonomischem Kalkül", heißt es dazu im Buch.

Miesenberger: Was stimmt: Leute monetarisieren auf Social Media ihre Interessen schneller als im Plenum an der Uni oder im Fußballverein. Aber direkt ökonomisches Kalkül zu unterstellen, damit schert man einen ganzen Haufen junger Leute über einen Kamm. Diese Behauptung wird dem Witz und dem Geistesreichtum derjenigen, die experimentell auf Social Media unterwegs sind, nicht gerecht. Es gibt wirklich zahlreiche Accounts, wo Leute kein Geld draus schlagen können, weil sie zu kritisch sind. Die haben trotzdem extrem viele Follower. Und den schlägt sehr viel digitaler Hass entgegen. Außerdem: Man erwirbt teilweise durch die Nutzung von Social Media auch "soft skills". Zum Beispiel, dass man lernt, gut zu schreiben. Auch wenn man keinen Account hat, auf dem man Werbung schaltet, hat das Auswirkung drauf, dass man z.B. eine Bewerbung besser formuliert. Wo beginnt da ökonomische Kalkül, und wo endet es?

"Influencer:innen haben die Kontrolle über das eigene Bild"

Oppel: Viele Influencer:innen sagen über sich selbst, sie seien feministisch – liegen sie damit richtig?

Miesenberger: Influencer:innen sind natürlich nicht per se feministisch. Aber die digitale Praxis, sich Social Media anzueignen, kann trotzdem emanzipatorisch sein – nämlich für diejenigen, die in anderen Ausdrucksformen unsichtbar gemacht werden, beispielsweise durch Gate Keeper in Medien, Verlagen, Galerien, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die Inszenierung des Selbst kann auch mit einer ganz simplen Sache zu tun haben: Der Kontrolle über das eigene Bild. Das ist auch ein Thema für Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, wenn man zum Beispiel auf das Phänomen Paparazzi Anfang der 2000er zurückschaut. It-Girls wie Paris Hilton, Lindsay Lohan, Britney Spears wurden von Paparazzi in sehr vulnerablen Situationen abgelichtet.
Heute haben Influencer:innen, zumindest theoretisch, viel mehr Kontrolle über ihr eigenes Bild. Klar, es sterben auch Leute beim Selfie machen und männliche Werber reden mit. Es ist aber trotzdem etwas anderes, wenn man eine Kamera, die als Waffe verstanden werden kann, wie Susan Sontag es mal beschrieb, auf sich selbst gerichtet wird, als wenn sie jemand anderes einem an den Kopf hält.
Oppel: Aber diese Freiheit hat ja auch Grenzen: Die Plattformen sind keine "sozialen" Medien, sondern gewinnorientierte Unternehmen.
Miesenberger: Richtig. Und nach deren Spielregeln handeln Influencer:innen auch, die sich auf diesen Plattformen bewegen. Ein Beispiel: Weiblich gelesene Brustwarzen werden zensiert. Ericka Hart, Influencer:in und Sexualpädagog:in aus den USA, hat Brustkrebs überlebt. Hart fotografiert sich oben ohne und postet das auf Instagram und berichtet über medizinischen Rassismus. Damit eröffnet Ericka Hart Räume, die sonst verschlossen blieben. Wo bekommen denn sonst mehr als 400.000 Menschen solche Themen mit, wenn nicht auf Instagram?
Oppel: Also ist Influencertum eine Dauerwerbesendung?

Miesenberger: Bei den ganz großen Accounts, deren Betreiber:innen hauptberuflich sich selbst auf Social Media inszenieren: Ja, fast. Aber umfassend müssen wir auch auf politische Influencer:innen gucken wie auf den genannten El Hotzo. Wenn er zum Beispiel auf Instagram etwas gegen Neonazis postet, dann kommen diese schnell und überschütten ihn mit Hass. Das belohnen die Algorithmen wiederum, denn Interaktionen sind Daten und damit gleichzeitig Kapitalakkumulation für die Plattformen. Er selbst hat aber erst mal keinen Cent davon, aber ist potenziell in Gefahr. Ganz ehrlich: Dann kann man sich doch auch mal paar Groschen dazuverdienen mit einer gesponsorten Anzeige, um endlich selbst auch mal ein Stück vom Kuchen abzukriegen. Damit ist natürlich der Kapitalismus nicht begraben, aber ich gönne es den Leuten.

Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt: "Influencer – die Ideologie der Werbekörper"
Suhrkamp, Berlin 2021
192 Seiten, 15 Euro

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