Werke des Malers Gerhard Richter erreichen Weltrekordpreise
Warum wird ein Kunstwerk wie "Die Kerze" von Gerhard Richter auf einen Wert von bis zu zehn Millionen Euro geschätzt? Der Kunstmarktkenner Gérard Goodrow attestiert dem 79-jährigen Düsseldorfer Maler eine "Massentauglichkeit". Zugleich spreche seine Werk den Kopf an und begeistere daher auch die Kunsthistoriker.
Susanne Burg: Ab heute kann man in London einen der berühmtesten deutschen Maler der Gegenwart sehen: Gerhard Richter. Die Tate Modern zeigt 180 Werke aus fünf Jahrzehnten. "Gerhard Richter Panorama", so der Titel dieser großen Retrospektive. Der Anlass: ein früher Geburtstagsstrauß. Gerhard Richter wird im kommenden Februar 80 Jahre alt.
Aber nicht nur hier in der Tate Modern, auch im Auktionshaus Christie’s wird Richter präsent sein. In der nächsten Woche findet dort eine rekordverdächtige Auktion statt. Bis zu zehn Millionen Euro erwartet Christie’s für Richters Gemälde "Kerze" aus dem Jahr 1982.
Gerhard Richter gilt seit Jahren schon als der teuerste Bildende Künstler der Gegenwart. Und wie er dazu werden konnte, darüber spreche ich jetzt mit einem Mann, der den Kunstmarkt seit vielen Jahren aus erster Hand kennt, mit Gérard Goodrow. Er war bei Christie’s für Nachkriegs- und Gegenwartskunst zuständig, er war Kurator am Museum Ludwig, hat die Kunstmesse Art Cologne geleitet und leitet jetzt die Düsseldorfer Galerie Beck und Eggeling. Guten Tag, Herr Goodrow!
Gérard A. Goodrow: Guten Tag!
Burg: Gerhard Richter hat auf die Frage, was er davon halte, dass sein Gemälde "Kerze" zehn Millionen Euro einbringen solle, geantwortet – Zitat –: "Das ist genauso absurd wie die Bankenkrise: unverständlich, albern, unangenehm." Gerhard Richter selbst versteht es nicht. Verstehen Sie es?
Goodrow: Eigentlich auch nicht. Natürlich gibt es da so eine lange Entwicklung bis dahin, aber zehn Millionen für ein Bild von einem lebenden Künstler ist schon irgendwie außergewöhnlich, um das so gelinde zu sagen.
Burg: Aber wie kommt es denn? Wie wurde aus Gerhard Richter der teuerste Künstler der Gegenwart? Lässt sich das auf einen Nenner bringen?
Goodrow: Ich glaube, es gibt da zwei ganz wichtige Punkte bei Richters Preisentwicklung: Erstens und vielleicht am wichtigsten ist, dass es eine sehr langsame Entwicklung war. Richter fing an mit der Malerei, die wir heute kennen von ihm Anfang der 60er-Jahre in Düsseldorf. Und erst Anfang der 70er-Jahre kamen dann die ersten finanziellen Erfolge, wobei das auch für unsere Verhältnisse ziemlich klein war. Es war mehr ein Museums- und Ausstellungserfolg. Es war erst gegen Ende der 90er-Jahre, dass er die Millionengrenze überschritten hatte, und in den letzten 20 Jahren ist das natürlich sehr stark gestiegen, so dass wir jetzt bei solchen Preisen sind.
Auch ganz wichtig an zweiter Stelle ist, dass er eine Art von Malerei betreibt, die im ersten Moment harmlos ausschaut. Es gefällt jedem, die Leute die Abstraktion mögen, mögen ihn, die, die Figuration mögen, haben was von ihm, die Verbindung zwischen Fotografie und Malerei, zwischen Landschaft und Porträt – es ist eigentlich alles drin, man kann ihn eigentlich nicht nicht mögen.
Burg: Das heißt, er ist quasi massenkompatibel?
Goodrow: Massenkompatibel und gleichzeitig höchst konzeptuell und höchst komplex, sodass auch für die Kunsthistoriker und für die Kuratoren immer wieder interessant, weil dieser Spagat, das ist das, was einen Künstler letztendlich erfolgreich macht. Auf der einen Seite massentauglich, und gleichzeitig interessant für die Denker.
Burg: Und trotzdem gibt es ja keinen wirklich messbaren Wert, das ist ja ein ideeller Wert. Kann denn der Wert eines so erfolgreichen Künstlers auch fallen wie eine Aktie an der Börse?
Goodrow: Als vor zwei Jahren die Banken die große Krise eingeleitet hatten, hat auch Richter drunter gelitten. Wobei, wenn man schon in Millionenhöhe angesiedelt ist, tut es etwas weniger weh. Das hat man auch bei Andreas Gursky gesehen. Bei beiden Künstlern sind auf Auktionen die Preise um – ich weiß nicht – so zwischen 20 und 30 Prozent gefallen zuerst einmal. Das tut den Künstlern nicht weh, weil bei Auktionen sehen die Künstler sowieso das Geld nicht, sondern eher die Sammler und die Händler, aber auch auf dem Primärmarkt – ich denke, da passiert nicht viel, also man leidet ein bisschen durch die Krisen, aber ansonsten ist das schon eine sehr sichere Nummer.
Burg: Neben dieser künstlerischen Qualität, die wir angesprochen haben, der Technik, den Themen – wie wichtig ist gerade in der Gegenwartskunst die Person des Künstlers, die Fähigkeit, sich zu inszenieren? Gerhard Richter ist ja nun so gar kein Selbstdarsteller.
Goodrow: Ja, aber gerade in dieser Nicht-Selbstdarstellung ist es eine Selbstdarstellung. Seine Abwesenheit von der Szene hat nicht nur mit seinem Alter zu tun, sondern auch mit seinem gewissen bewussten Abstand, so sich rar machen, so ähnlich wie bei Neo Rauch.
Aber ich denke, die Person des Künstlers war immer wichtig für die jeweilige Zeit. Picasso hat auch natürlich seine Persönlichkeit mitverkauft, Andy Warhol erst recht, aber Gerhard Richter ist einer von den ganz wenigen Gegenwartskünstlern, der auch wahnsinnig gut über seine eigene Kunst reden kann. Es gibt auch den neuen Film über ihn, wo man das auch sieht – wobei er da relativ wenig redet, im Gegensatz zu älteren Filmen –, ich denke, das ist schön eine gewisse Selbstdarstellung von seiner Seite, nur sehr diskret und sehr zurückhaltend.
Burg: In der Kunst gibt es ja nicht sowas wie Sonderangebote. Der Kunde soll nicht den Eindruck bekommen, Kunst sei ein Gebrauchsgegenstand, aber er muss auch an das Urteil der Kunstwelt glauben, dass das Werk, das er da ersteht, was wert ist. Wie wichtig ist denn dieser Faktor Vertrauen im Kunsthandel?
Goodrow: Vertrauen ist das A und O auf so vielen verschiedenen Ebenen. Das haben auch die Fälschungsskandale der letzten Zeit bewiesen. Aber im Sinne von einem Gegenwartskünstler spielt das auch eine große Rolle. Man hat Vertrauen zu Richter, erstens, weil er so gut über seine eigene Kunst reden kann. Das heißt, man weiß von der kunsthistorischen oder kuratorischen Seite, dass das, was er macht, Hand und Fuß hat, und es stimmt überein mit dem, was er sagt – das heißt, er ist authentisch in dem Sinne – und man kann auch als normaler Sammler Vertrauen zu Gerhard Richter haben, gerade weil in den letzten 30, 40 Jahren so viele Museumsausstellungen weltweit mit seinen Werken stattgefunden haben. Es gibt so einen Stempel, einen Genehmigungsstempel vonseiten der Kunstgeschichte, dass Gerhard Richter eine Zeit lang bleiben wird, auf jeden Fall.
Burg: Ab heute findet in London eine große Gerhard-Richter-Retrospektive statt. Wie man zum teuersten Künstler der Gegenwart wird und wie sich Preise am Kunstmarkt bilden, darüber spreche ich hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Kurator, Galeristen und promovierten Kunsthistoriker Gérard Goodrow. Herr Goodrow, als Galerist, woran erkennt man eigentlich ein "upcoming" Talent? Wie wird so ein Talent eigentlich gemacht?
Goodrow: Ich nutze auch das Beispiel Richter immer wieder so für meine eigene Sehschule: Ein junger Künstler, der irgendwie visuell attraktiv ist mit seinen Werken auf der einen Seite und das unterstützt durch einen konzeptuellen Hintergrund, eine Komplexität. Das muss schon vorhanden sein. Ich schaue auch, was andere Kunsthistoriker, Kuratoren, Galeristen über einen Künstler sagen, und erst recht schaue ich nach, was andere Künstler sagen, denn die Künstler sind untereinander wahnsinnig kritisch. Und wenn ein Künstler von einem anderen Künstler gelobt wird, sollte man schon besonders da zuhören.
Burg: Wenn man jetzt mal drei Großverdiener des Kunstbetriebs nebeneinander legt: Gerhard Richter, Damien Hirst und Neo Rauch. Wo sind die Parallelen zwischen den dreien?
Goodrow: Die Parallelen fangen damit an, dass die alle viel Geld verdienen, hören aber sehr bald auf, außer dass ein Damien Hurst natürlich massentauglich ist, und es gibt bei manchen Werken von ihm einen konzeptuellen und komplexen Hintergrund. Ich glaube schon, dass Damien Hurst in gewisser Weise seine künstlerische Seele verkauft hatte. Und die Tatsache, dass es ganz wenige Museumsausstellungen mit seinen Werken gibt und bis jetzt – soweit ich weiß – kaum eine Retrospektive gab, zeigt, dass die Kunstwelt oder die Kunstgeschichtswelt mindestens wenig Vertrauen zu Damien Hirst hat.
Bei Neo Rauch ist es anders, der ist noch relativ jung, erst 50 geworden. Da muss man sehen, so sein Erfolg erst in den letzten zehn Jahren, vielleicht gibt es da Parallele zu Richter, weil auch Richter relativ alt war, als sein großer Erfolg kam. Aber Richter wurde nie richtig gehypt. Auch die neuen Preise heute, das kann man nicht richtig Hype nennen, wenn das von einem ganz kleinen Kreis gemacht wird. Bei Neo Rauch kann man schon von Hype reden – und Hype ist immer sehr gefährlich. Man muss auch damit leben und muss auch mit diesen Erwartungen leben. Und das ist immer wieder schwierig, wenn die Erwartungen zu hoch sind.
Burg: Auch bei Damien Hirst dann eigentlich ein Hype.
Goodrow: Damien Hirst hat in gewisser Weise auch Hype erfunden, mindestens für den europäischen Markt.
Burg: Sie arbeiten ja seit vielen Jahren in ganz verschiedenen Positionen für den Kunstmarkt. Was sind denn aus ihrer Sicht die größten Veränderungen in den vergangenen Jahren?
Goodrow: Ich glaube, die größte Veränderung ist die Tatsache, dass wir heutzutage Milliardäre haben. Früher gab es Millionäre, und die haben Gott sei Dank viel Geld in Kunst investiert. Und wenn es eine Krise gab, sind auch die ausgestiegen, weil es um "nur" Millionen ging. Mit den heutigen Milliardären kann es eine Krise geben, und für die macht es trotzdem nichts aus, denn wenn man – auch wenn es nur drei Milliarden ist – wenn man das hat und die Hälfte verliert, hat man immer noch anderthalb Milliarden, und das sind so Summen, die für uns Normalsterbliche undenkbar sind. Und da wird dann immer noch in Kunst investiert, das heißt, so für die hochpreisigen, diese Weltrekordpreise, die bleiben, gerade weil es Milliardäre gibt. Also den letzten großen Crash hatten wir Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre, da ist alles durchgebrochen, weil wir nur Millionäre hatten.
Und dazu kommt, dass der Kunstmarkt heutzutage global ist, und das hat auch natürlich viel mit Internet und Reisefreiheit zu tun. Das heißt auch, dass, wenn es in einem Land eine Krise gibt, kann der Kunstmarkt in einem anderen Land oder anderer Region aufgefangen werden. Das sieht man heutzutage, dass es den Amerikanern sehr schlecht geht, und das ist normalerweise so Mittelpunkt des Kunstmarktes. Das wird jetzt aufgefangen von Russland, Ukraine, Mongolei, China, Mittelosten, so dass es einigermaßen ein Gleichgewicht auf dem Kunstmarkt gibt.
Burg: Auch so eine Art Rettungsschirm?
Goodrow: Genau!
Burg: Ab heute ist für Besucher die Ausstellung "Gerhard Richter Panorama" zugänglich in London in der Tate Modern. Über Gerhard Richter, den teuersten Künstler der Gegenwart, sprach ich mit dem Galeristen und Kurator Gérard Goodrow. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Goodrow!
Goodrow: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Aber nicht nur hier in der Tate Modern, auch im Auktionshaus Christie’s wird Richter präsent sein. In der nächsten Woche findet dort eine rekordverdächtige Auktion statt. Bis zu zehn Millionen Euro erwartet Christie’s für Richters Gemälde "Kerze" aus dem Jahr 1982.
Gerhard Richter gilt seit Jahren schon als der teuerste Bildende Künstler der Gegenwart. Und wie er dazu werden konnte, darüber spreche ich jetzt mit einem Mann, der den Kunstmarkt seit vielen Jahren aus erster Hand kennt, mit Gérard Goodrow. Er war bei Christie’s für Nachkriegs- und Gegenwartskunst zuständig, er war Kurator am Museum Ludwig, hat die Kunstmesse Art Cologne geleitet und leitet jetzt die Düsseldorfer Galerie Beck und Eggeling. Guten Tag, Herr Goodrow!
Gérard A. Goodrow: Guten Tag!
Burg: Gerhard Richter hat auf die Frage, was er davon halte, dass sein Gemälde "Kerze" zehn Millionen Euro einbringen solle, geantwortet – Zitat –: "Das ist genauso absurd wie die Bankenkrise: unverständlich, albern, unangenehm." Gerhard Richter selbst versteht es nicht. Verstehen Sie es?
Goodrow: Eigentlich auch nicht. Natürlich gibt es da so eine lange Entwicklung bis dahin, aber zehn Millionen für ein Bild von einem lebenden Künstler ist schon irgendwie außergewöhnlich, um das so gelinde zu sagen.
Burg: Aber wie kommt es denn? Wie wurde aus Gerhard Richter der teuerste Künstler der Gegenwart? Lässt sich das auf einen Nenner bringen?
Goodrow: Ich glaube, es gibt da zwei ganz wichtige Punkte bei Richters Preisentwicklung: Erstens und vielleicht am wichtigsten ist, dass es eine sehr langsame Entwicklung war. Richter fing an mit der Malerei, die wir heute kennen von ihm Anfang der 60er-Jahre in Düsseldorf. Und erst Anfang der 70er-Jahre kamen dann die ersten finanziellen Erfolge, wobei das auch für unsere Verhältnisse ziemlich klein war. Es war mehr ein Museums- und Ausstellungserfolg. Es war erst gegen Ende der 90er-Jahre, dass er die Millionengrenze überschritten hatte, und in den letzten 20 Jahren ist das natürlich sehr stark gestiegen, so dass wir jetzt bei solchen Preisen sind.
Auch ganz wichtig an zweiter Stelle ist, dass er eine Art von Malerei betreibt, die im ersten Moment harmlos ausschaut. Es gefällt jedem, die Leute die Abstraktion mögen, mögen ihn, die, die Figuration mögen, haben was von ihm, die Verbindung zwischen Fotografie und Malerei, zwischen Landschaft und Porträt – es ist eigentlich alles drin, man kann ihn eigentlich nicht nicht mögen.
Burg: Das heißt, er ist quasi massenkompatibel?
Goodrow: Massenkompatibel und gleichzeitig höchst konzeptuell und höchst komplex, sodass auch für die Kunsthistoriker und für die Kuratoren immer wieder interessant, weil dieser Spagat, das ist das, was einen Künstler letztendlich erfolgreich macht. Auf der einen Seite massentauglich, und gleichzeitig interessant für die Denker.
Burg: Und trotzdem gibt es ja keinen wirklich messbaren Wert, das ist ja ein ideeller Wert. Kann denn der Wert eines so erfolgreichen Künstlers auch fallen wie eine Aktie an der Börse?
Goodrow: Als vor zwei Jahren die Banken die große Krise eingeleitet hatten, hat auch Richter drunter gelitten. Wobei, wenn man schon in Millionenhöhe angesiedelt ist, tut es etwas weniger weh. Das hat man auch bei Andreas Gursky gesehen. Bei beiden Künstlern sind auf Auktionen die Preise um – ich weiß nicht – so zwischen 20 und 30 Prozent gefallen zuerst einmal. Das tut den Künstlern nicht weh, weil bei Auktionen sehen die Künstler sowieso das Geld nicht, sondern eher die Sammler und die Händler, aber auch auf dem Primärmarkt – ich denke, da passiert nicht viel, also man leidet ein bisschen durch die Krisen, aber ansonsten ist das schon eine sehr sichere Nummer.
Burg: Neben dieser künstlerischen Qualität, die wir angesprochen haben, der Technik, den Themen – wie wichtig ist gerade in der Gegenwartskunst die Person des Künstlers, die Fähigkeit, sich zu inszenieren? Gerhard Richter ist ja nun so gar kein Selbstdarsteller.
Goodrow: Ja, aber gerade in dieser Nicht-Selbstdarstellung ist es eine Selbstdarstellung. Seine Abwesenheit von der Szene hat nicht nur mit seinem Alter zu tun, sondern auch mit seinem gewissen bewussten Abstand, so sich rar machen, so ähnlich wie bei Neo Rauch.
Aber ich denke, die Person des Künstlers war immer wichtig für die jeweilige Zeit. Picasso hat auch natürlich seine Persönlichkeit mitverkauft, Andy Warhol erst recht, aber Gerhard Richter ist einer von den ganz wenigen Gegenwartskünstlern, der auch wahnsinnig gut über seine eigene Kunst reden kann. Es gibt auch den neuen Film über ihn, wo man das auch sieht – wobei er da relativ wenig redet, im Gegensatz zu älteren Filmen –, ich denke, das ist schön eine gewisse Selbstdarstellung von seiner Seite, nur sehr diskret und sehr zurückhaltend.
Burg: In der Kunst gibt es ja nicht sowas wie Sonderangebote. Der Kunde soll nicht den Eindruck bekommen, Kunst sei ein Gebrauchsgegenstand, aber er muss auch an das Urteil der Kunstwelt glauben, dass das Werk, das er da ersteht, was wert ist. Wie wichtig ist denn dieser Faktor Vertrauen im Kunsthandel?
Goodrow: Vertrauen ist das A und O auf so vielen verschiedenen Ebenen. Das haben auch die Fälschungsskandale der letzten Zeit bewiesen. Aber im Sinne von einem Gegenwartskünstler spielt das auch eine große Rolle. Man hat Vertrauen zu Richter, erstens, weil er so gut über seine eigene Kunst reden kann. Das heißt, man weiß von der kunsthistorischen oder kuratorischen Seite, dass das, was er macht, Hand und Fuß hat, und es stimmt überein mit dem, was er sagt – das heißt, er ist authentisch in dem Sinne – und man kann auch als normaler Sammler Vertrauen zu Gerhard Richter haben, gerade weil in den letzten 30, 40 Jahren so viele Museumsausstellungen weltweit mit seinen Werken stattgefunden haben. Es gibt so einen Stempel, einen Genehmigungsstempel vonseiten der Kunstgeschichte, dass Gerhard Richter eine Zeit lang bleiben wird, auf jeden Fall.
Burg: Ab heute findet in London eine große Gerhard-Richter-Retrospektive statt. Wie man zum teuersten Künstler der Gegenwart wird und wie sich Preise am Kunstmarkt bilden, darüber spreche ich hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Kurator, Galeristen und promovierten Kunsthistoriker Gérard Goodrow. Herr Goodrow, als Galerist, woran erkennt man eigentlich ein "upcoming" Talent? Wie wird so ein Talent eigentlich gemacht?
Goodrow: Ich nutze auch das Beispiel Richter immer wieder so für meine eigene Sehschule: Ein junger Künstler, der irgendwie visuell attraktiv ist mit seinen Werken auf der einen Seite und das unterstützt durch einen konzeptuellen Hintergrund, eine Komplexität. Das muss schon vorhanden sein. Ich schaue auch, was andere Kunsthistoriker, Kuratoren, Galeristen über einen Künstler sagen, und erst recht schaue ich nach, was andere Künstler sagen, denn die Künstler sind untereinander wahnsinnig kritisch. Und wenn ein Künstler von einem anderen Künstler gelobt wird, sollte man schon besonders da zuhören.
Burg: Wenn man jetzt mal drei Großverdiener des Kunstbetriebs nebeneinander legt: Gerhard Richter, Damien Hirst und Neo Rauch. Wo sind die Parallelen zwischen den dreien?
Goodrow: Die Parallelen fangen damit an, dass die alle viel Geld verdienen, hören aber sehr bald auf, außer dass ein Damien Hurst natürlich massentauglich ist, und es gibt bei manchen Werken von ihm einen konzeptuellen und komplexen Hintergrund. Ich glaube schon, dass Damien Hurst in gewisser Weise seine künstlerische Seele verkauft hatte. Und die Tatsache, dass es ganz wenige Museumsausstellungen mit seinen Werken gibt und bis jetzt – soweit ich weiß – kaum eine Retrospektive gab, zeigt, dass die Kunstwelt oder die Kunstgeschichtswelt mindestens wenig Vertrauen zu Damien Hirst hat.
Bei Neo Rauch ist es anders, der ist noch relativ jung, erst 50 geworden. Da muss man sehen, so sein Erfolg erst in den letzten zehn Jahren, vielleicht gibt es da Parallele zu Richter, weil auch Richter relativ alt war, als sein großer Erfolg kam. Aber Richter wurde nie richtig gehypt. Auch die neuen Preise heute, das kann man nicht richtig Hype nennen, wenn das von einem ganz kleinen Kreis gemacht wird. Bei Neo Rauch kann man schon von Hype reden – und Hype ist immer sehr gefährlich. Man muss auch damit leben und muss auch mit diesen Erwartungen leben. Und das ist immer wieder schwierig, wenn die Erwartungen zu hoch sind.
Burg: Auch bei Damien Hirst dann eigentlich ein Hype.
Goodrow: Damien Hirst hat in gewisser Weise auch Hype erfunden, mindestens für den europäischen Markt.
Burg: Sie arbeiten ja seit vielen Jahren in ganz verschiedenen Positionen für den Kunstmarkt. Was sind denn aus ihrer Sicht die größten Veränderungen in den vergangenen Jahren?
Goodrow: Ich glaube, die größte Veränderung ist die Tatsache, dass wir heutzutage Milliardäre haben. Früher gab es Millionäre, und die haben Gott sei Dank viel Geld in Kunst investiert. Und wenn es eine Krise gab, sind auch die ausgestiegen, weil es um "nur" Millionen ging. Mit den heutigen Milliardären kann es eine Krise geben, und für die macht es trotzdem nichts aus, denn wenn man – auch wenn es nur drei Milliarden ist – wenn man das hat und die Hälfte verliert, hat man immer noch anderthalb Milliarden, und das sind so Summen, die für uns Normalsterbliche undenkbar sind. Und da wird dann immer noch in Kunst investiert, das heißt, so für die hochpreisigen, diese Weltrekordpreise, die bleiben, gerade weil es Milliardäre gibt. Also den letzten großen Crash hatten wir Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre, da ist alles durchgebrochen, weil wir nur Millionäre hatten.
Und dazu kommt, dass der Kunstmarkt heutzutage global ist, und das hat auch natürlich viel mit Internet und Reisefreiheit zu tun. Das heißt auch, dass, wenn es in einem Land eine Krise gibt, kann der Kunstmarkt in einem anderen Land oder anderer Region aufgefangen werden. Das sieht man heutzutage, dass es den Amerikanern sehr schlecht geht, und das ist normalerweise so Mittelpunkt des Kunstmarktes. Das wird jetzt aufgefangen von Russland, Ukraine, Mongolei, China, Mittelosten, so dass es einigermaßen ein Gleichgewicht auf dem Kunstmarkt gibt.
Burg: Auch so eine Art Rettungsschirm?
Goodrow: Genau!
Burg: Ab heute ist für Besucher die Ausstellung "Gerhard Richter Panorama" zugänglich in London in der Tate Modern. Über Gerhard Richter, den teuersten Künstler der Gegenwart, sprach ich mit dem Galeristen und Kurator Gérard Goodrow. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Goodrow!
Goodrow: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.