Werkschau von Jonathan Meese in München

Die Odyssee des Meese

12.11.2018, Bayern, München: Jonathan Meese, Maler und Aktionskünstler, spiegelt sich bei einem Interviewtermin in dem noch geschlossenen Ausstellungsraum der Ausstellung "Die Irrfahrten des Meese" in einem Schaukasten. Die Ausstellung in der Neuen Pinakothek, zeigt Werke aus 25 Jahren und startet am 14.11.2018
Jonathan Meese in seiner Ausstellung: Als verspielten Künstler will ihn die Münchner Pinakothek der Moderne mit seinen Werken zeigen. © picture alliance / dpa / Lino Mirgeler
Von Tobias Krone |
Zehn Jahre hat Aktionskünstler Jonathan Meese in keinem Museum ausgestellt. Nun ist vom selbst ernannten "Propheten der Diktatur der Kunst" wieder eine Werkschau zu sehen. Die Pinakothek der Moderne in München zeigt "Die Irrfahrten des Meese".
"Hallooo!"
Wenn Jonathan Meese sein Spielzimmer betritt, dann wird gespielt.
"Ich ziehe meinen Lieblingsmantel aus, ich liebe den, der macht so einen schönen Bauch. Du liebst den auch, Mami, ne? Aber nicht den Bauch. Aaahhh. Mein Lieblingsmantel."
Eigentlich ist es ja nur eine Presseführung durch seine Ausstellung "Die Irrfahrten des Meese" in der Münchner Pinakothek der Moderne. Doch auch das gerät sofort zur Performance. Meese, bärtig, langes schwarzes, leicht ergrautes Haar, schreitet voran – und macht klar: die Odyssee ist hier längst nicht die einzige Inspirationsquelle.
"Nero, Mumin, Atlantis, Mond, Parsifal, Die drei Fragezeichen, Gold, El Dorado, es ist alles da, es geht alles vom Zentrum aus – in alle Richtungen."

Die utopische Welt als angstfreier Raum

Um der naheliegenden Vermutung zu entgegnen, Meese selbst könnte dieses Zentrum sein: Hier, im Ausstellungsraum ist es der Kunstvulkan – ein blutroter Fleck auf dem Teppichboden, den der Künstler selbst gestaltet hat – als eine Art Landkarte seines imaginären Kunstuniversums. Der Teppich macht die Pinakothek zum Spielzimmer – und Meese spielt. Kuratorin Swantje Grundler:
"Er ist natürlich auch eine Privatperson, aber die Privatperson erlebt man sehr selten und die schützt er sehr gut. Und wenn er in der dritten Person spricht von Meese, dann spricht er von der Figur. Und auch vom Diener der Kunst, dem Stellvertreter der Kunst hier, und das zeigt auch, dass im Prinzip seine gesamte Arbeit ein Rollenspiel ist oder eine Vorbereitung auf die utopische Welt in die er uns führen möchte."
Die utopische Welt ist ein angst- und ideologiefreier Raum – dieser ist wiederum nur möglich unter dem Diktat der Kunst. Meese träumt von einem Leben wie das der gräulichen Tierchen im gekrakelten Öl-Aquarell mit dem Titel "Das Geheimwasser des William Bligh" von 2007. Meese:
"Und das ist ganz tief unten, das ist wie ein Krake, wie ein merkwürdiges Wasserwesen, was aber uns allen so überlegen ist. Es wird uns überleben, weil wir ideologisch sind, weil wir politisch sind und religiös. Das braucht das Wesen gar nicht. Das will nur in die Zukunft wie jedes Tier – wie jeder Gegenstand, will nur in die Vergangenheit. Zu oft."
Blick in die Ausstellung "Die Irrfahrten des Meese" in der Pinakothek der Moderne in München
Erstmals nach zehn Jahren ist wieder eine Ausstellung des Künstlers zu sehen.© dpa / picture alliance / Lino Mirgeler
Auch das Frühwerk ist zu besichtigen. Auf Tischen stehen Skulpturen wie der Setzkasten, den Meese mit Draht, Pappmaché und Cowboy- und Indianer-Plastikfigürchen zu einer Art Minidiorama im Handtaschenformat umgestaltet hat.
"Das ist eine tragbare Skulptur, mit der ich damals zu Franz Erhard Walter, meinem liebevollsten und genialsten Professor gegangen bin. Bin ständig bei ihm zur Korrektur gegangen. Und habe so gesagt: ‚Hallo Franz, hier, meine neue Skulptur.‘ Hat er mich so angeguckt: ‚Wahnsinn, die ist ja tragbar.‘ Hab ich gesagt: ‚Ja, stimmt.‘ ‚Weitermachen. Hahahaha.‘ Ich habe nie einen Tipp bekommen, wie ich etwas machen soll. Es war immer nur: Mach mach mach. Ich habe ja dann auch mein Diplom nicht gemacht. Ich wurde dann ja auch abgegriffen von einer Galerie. Ich bin immer von einer Station in die andere gestolpert. Wie ins kalte Wasser."

Fantasievoll und totkomisch

Womit Meese beim Anfang seiner "Irrfahrten" wäre. Und auch dem Grund, weshalb er zehn Jahre nicht mehr in Museen ausgestellt hat. Die Hitlergrüße haben ihn großem Zorn in Öffentlichkeit und Internet ausgesetzt. Bernhard Maaz, Generaldirektor der Pinakotheken:
"Wenn jemand so in Konflikte geraten ist, wie es ihm wiederfahren ist, dann ist völlig klar, dann hält man sich zurück, dann zieht man sich zurück. Und für uns ist völlig klar: Wir wollen neu sehen."
Den lyrischen, den verspielten Meese will die Pinakothek zeigen – und ihm damit auch gewissermaßen eine zweite Chance geben. Schließlich sei er ja auch reifer geworden. Bernhard Maaz:
"Ich glaube, dass er einen entscheidenden Erkenntnisgewinn gemacht hat. Nämlich den, dass die bloße Konfrontation zu keiner Synthese, zu keiner Erkenntnis und zu keiner Weiterentwicklung individueller und gesellschaftlicher Art führen kann."
Tatsächlich kommt Meeses Auftritt vor der Presse ganz ohne Hitlergrüße aus, auch wenn die Kuratoren sichtlich bemüht sind, den Redeschwall des Provokateurs im Griff zu behalten. Der verteidigt dann noch schnell die Aktmalkunst der Vergangenheit gegen diejenigen, die sie unter Sexismus-Bann stellen wollen – eine Provokation, die keine ist. Meese:
"Und wie wir über vergangene Zeiten richten, so selbstgerecht und dämlich. Es gab zu anderen Zeiten andere Kodexe und Sitten und Gebräuche. Wir müssen jetzt in eine neue Zeit kommen, in der es keine Ideologie mehr gibt, keine Politik und keine Religion. Wir müssen den nächsten Evolutionsschritt wagen."
So deutsch verbohrt der selbsternannte Kunstprophet manchmal klingt, so fantasievoll und teils totkomisch ist seine Irrfahrt durchs Meesemeer.

Die Ausstellung "Die Irrfahrten des Meese" ist bis zum 3. März 2019 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.

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