Werner Bartens: "Emotionale Gewalt. Was uns wirklich weh tut: Kränkungen, Demütigung, Liebensentzug und wie wir uns dagegen schützen"
Rowohlt, Berlin 2018
302 Seiten, 20,- Euro
Seelische Verletzungen machen krank
Kränkungen und Demütigungen gehören zu den größten Krankmachern unserer Gesellschaft. Dies zeigt Werner Bartens in "Emotionale Gewalt". Mit vielen Beispielen setzt er aber unterschiedliche seelische Verletzungen ungeachtet ihrer Schwere miteinander gleich.
Das kleine Mädchen steht angstbebend neben seiner Mutter: Die ist gerade im Wohnzimmer umgefallen. Einfach so. Sie spielt tot, um ihre Tochter zu bestrafen. Oder: Eine Oma hört auf mit ihrem Enkelkind zu sprechen. Tagelang. Und da ist der Liebhaber, der sich einfach nicht mehr meldet, für mehrere Wochen abtaucht, um dann mit einem Blumenstrauß vor der Tür zu stehen. Auf die Nachfragen der Frau reagiert er mit einem Vorwurf, ihr Klammern sei krankhaft.
Es sind die großen und kleinen Gemeinheiten, Kränkungen und Demütigungen, die Werner Bartens in seinem neuen Buch zusammen getragen hat – und jede dieser Geschichten tut schon beim Lesen weh. Emotionale Gewalt, so der Wissenschaftsjournalist, macht hilflos und krank. Oft ist sie perfide, geschieht beiläufig, und es gibt sie überall: in der Familie, in der Schule, im Job, in der Partnerschaft.
Emotionale Gewalt hat körperliche Folgen
Schlimm daran ist: Ihre Folgen sind nach außen zunächst nicht sichtbar. Dabei ist seelische Gewalt nichts anderes als körperliche. Beides wird in denselben Regionen des Gehirns verarbeitet. Stresshormone werden vermehrt ausgeschüttet. Die Schmerzschwelle ist niedriger, und die Immunabwehr ist geschwächt – was wiederum häufig zu erhöhten Entzündungswerten im Körper führt und daraus resultierend zu Herzkreislauferkrankungen.
Nicht selten werden die Betroffenen depressiv, leiden unter Angststörungen. Bei Kindern etwa, die dauerhaft emotional vernachlässigt werden, entwickelt sich weniger Hirnsubtanz. Kein Wunder also, das Werner Bartens so einen drastischen Titel für sein Buch gewählt hat: "Emotionale Gewalt" – allein dafür muss man dieses Buch loben. Denn es macht mehr als deutlich, was vorsätzliches, destruktives Verhalten auslöst.
Dafür hat Werner Bartens weiträumig recherchiert; er spricht mit Opfern, lässt Wissenschaftler zu Wort kommen, zitiert Studien und Bücher. Und macht so klar: Der Mensch sehnt sich in jeder Lebenslage nach Kausalität. Er will verstehen, was mit ihm passiert – auch wenn es negativ ist. Wird dieses Bedürfnis missachtet, ist es schlimm. Was die Macht von Mobbern erschreckend einfach erklärt. Opfern empfiehlt der Autor, gelassen und achtsam auf deren Bösartigkeiten zu reagieren. So hält man Täter auf Abstand. Werner Bartens nennt das "Selbstwirksamkeit". Und falls das nicht hilft, rät er zum Abbruch der Beziehung. "Wenn du es nicht verändern kannst, lass es sein."
Inhaltlich überraschende Brüche
So weit, so gut. Das Thema allein verdient es, dass sich ein so angesehener Bestsellerautor wie Werner Bartens ihm annimmt – und damit einer großen Leserschaft sicher ist. Dennoch hat das Buch Schwächen. Das liegt daran, dass Bartens versucht, jede Kränkung, jede Demütigung, jede seelische Verletzung unter dem Begriff emotionale Gewalt zusammenzufassen. Dadurch stehen plötzlich die Leiden von Kindern neben denen von Erwachsenen, die von Kriegsopfern neben denen von gemobbten Arbeitnehmern, die von Soldaten neben denen von Sportlern.
Genauso irritierend sind die inhaltlich überraschenden Brüche: Ging es eben noch um den richtigen Umgang mit dem schreienden Baby, wird plötzlich die miese Zurechtweisung eines Kindes durch einen Lehrer thematisiert. Oder es geht um die Nutzung des Smartphones und die daraus resultierende Abwesenheit gemeinsam genutzter Zeit. Was nahelegt, dass Kinder allein dadurch zum Opfer emotionaler Gewalt werden, wenn Eltern zu lang aufs Handy starren.
Insgesamt wäre weniger besser. So lesen sich die 13 Kapitel trotzt der zahlreichen Zusammenfassungen und farblichen Abhebungen ein wenig so, als versuche Werner Bartens, das Thema allein durch die schiere Anzahl der Beispiele wichtig zu machen. Das hätte es aber nicht gebraucht.