80. Geburtstag von Werner Herzog
Urwald, Sahara und Antarktis als Drehorte: Werner Herzog hat sich und seine Crews nicht geschont. Hier auf dem Mount Erebus, 2007 © picture alliance / Everett Collection
Auf der Suche nach der tieferen Wahrheit
18:03 Minuten
Werner Herzog ist über Berge und durch die Wüste gezogen, hat im Dschungel gedreht und immer wieder mit dem ausgesprochen schwierigen Klaus Kinski zusammengearbeitet. Von Grenzerfahrungen will er im Rückblick dennoch nicht sprechen.
Werner Herzog feiert Geburtstag. Er ist Filmproduzent, Schauspieler, Synchronsprecher und Schriftsteller - vor allem aber Regisseur. "Neuer Deutscher Film" und "internationaler Autorenfilm" sind dabei die Stichworte, seine Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Klaus Kinski ist legendär und wurde vielfach beschrieben und kommentiert. Jetzt, anlässlich seines 80. Geburtstags, erscheinen Rückblicke und Würdigungen, die auch immer wieder an Kinskis Ausfälle erinnern. "Alle fünf Filme mit ihm sind ja zu Ende gedreht. Jeder andere Regisseur hätte nach anderthalb Tagen das Handtuch geworfen", sagt Herzog.
Die Zusammenarbeit mit dem extrovertierten, cholerischen Kinski ist für Herzog keine Grenzerfahrung gewesen, wie viele Kritiker meinten. Der Regisseur spricht lieber von "Projekten, die mit großer Vehemenz auf mich zukommen".
"Das kann ich machen und das nicht"
"Grenzerfahrungen - für mich sind sie völlig unbedeutend. Das einzige, was zählt, ist, was ich auf die Leinwand ziehe", sagt er. "Sie müssen, wenn Sie Filme machen und nicht im Studiosystem drehen - dort drehen, wo mit Geld alles gelöst werden kann - einen Sinn entwickeln, um zu wissen: Das kann man machen, und das nicht."
"Im Urwald oder in der Sahara oder in der Antarktis": Seine Projekte funktionierten in solchen Gegenden, weil er alles vorher überprüfe und ausprobiere, sagt Herzog. "Oft teste ich es an mir selbst, bevor ich das dann anderen antue."
Als Beispiel nennt er "Aguirre, der Zorn Gottes" (1972): "Ich bin auf Flößen nur mit einem Ruderer durch drei hintereinander liegende Stromschnellen gefahren auf dem Rio Huallaga. Und nachdem ich das gemacht hatte, wusste ich: 'Ja, das kann ich jetzt mit einem Trupp von spanischen Eroberern in Panzern und mit Hellebarden und Schwertern und Kanonen machen."
Fakten ergeben keine Wahrheit
"Mich hat immer interessiert, was konstituiert Wahrheit? Wir wissen ja alle nicht, was Wahrheit ist. Weder der Papst in Rom noch die Philosophen, noch die Mathematiker. Ist es eigentlich immer nur eine Annäherung an etwas, was da fern im Nebel liegt?"
Er sei mit seinen Filmen auf der Suche nach der Wahrheit - anders als Dokumentarfilmer - nicht bestrebt zu zeigen, was "rein faktisch ist".
Fakten per se geben mir keine Wahrheit. Das Telefonbuch von Manhattan mit vier Millionen Einträgen ist uninspirierend. Wir wissen die Namen, und wir wissen die Telefonnummern und die Adresse dazu. Warum aber Herr John Smith jede Nacht in sein Kissen weint, das wissen wir nicht, und hinter dem bin ich her.
"Verformung des Faktischen"
Mit der Fiktion seiner Filme will Herzog der Wahrheit näherkommen, als es reine Fakten können. Um das zu illustrieren, wählt er als Beispiel Michelangelos Pieta, die im Petersdom steht. "Jesus vom Kreuz genommen ist ein 33-jähriger Mann. Seine Mutter ist 17. Wollte Michelangelo uns Fake News geben, wollte er uns beschwindeln? Nein, er wollte uns durch eine Verformung des Faktischen eine tiefere Wahrheit zeigen. Die Wahrheit des Schmerzensmannes und die Wahrheit der Jungfrau."
(sru)