"Festivals befinden sich auf Sinkflug"
Die Hofer Filmtage feiern ihr 50-jähriges Jubiläum. "Das waren wunderbare Zeiten", erinnert sich Regisseur Werner Herzog, der von Anfang an auf dem Festival mit dabei war. Die große Zeit der Festivals sei - angesichts von YouTube und Co. - aber vorbei.
Patrick Wellinski: Herr Herzog, Sie sind ja schon weit gereist, Sie haben gerade drei Filme gemacht, Sie sind auf der ganzen Welt unterwegs. Jetzt sind Sie aber in Hof. Kann man sagen, Hof ist eine Herzensangelegenheit für Sie?
Werner Herzog: Ach ja, ich meine, ich gehöre da dazu von Anfang an, und das waren wunderbare Zeiten, die ich hier erlebt habe mit Heinz Badewitz und dem Festivalpublikum und anderen Filmleuten, die gerade damals anfingen. Das hatte doch eine Wichtigkeit und eine Bedeutung.
Susanne Burg: Was hat Sie beide eigentlich miteinander verbunden?
Herzog: Der Heinz und ich? Eigentlich gar nichts. Aber ich mochte ihn sehr gern, er war ein außerordentlich liebenswürdiger Mann und hat ja völlig unglaubliche Sachen gemacht. Der hatte so was wie ein Heiliger Narr an sich. Also ich habe vorhin kurz erzählt, in Cannes läuft er dem Bunuel über den Weg und haut ihm auf die Schulter und sagt, hey, Louis, du bist doch der Louis, nämlich, ich bin der Heinz, und ich finde deinen Film ziemlich flau, der jetzt gerade läuft. Ich musste das immer übersetzen, weil der Heinz, glaube ich, kein Englisch und kein Spanisch sprach.
Und sagte, Louis, der Film, den du gerade hier auf dem Festival laufen hast in Cannes, ist eigentlich nicht so besonders gut, der ist eher flau. Aber du hast ja einen Film gemacht, zwei davor, und der ist großartig, den will ich haben. Und Louis gibt dem Heinz diesen Film. Das hat nur er können.
Wellinski: Was hatte er denn, der Heinz Badewitz, für ein Verhältnis zum Kino? Wie würden Sie das beschreiben?
Herzog: Das war so wie die Atemluft für uns.
Burg: Sie haben jetzt schon von Heinz Badewitz erzählt und dieser Mischung aus Menschen, die hier damals dann zusammen kam. Ihre Karriere begann ja auch quasi mit Hof. Was war das für ein Geist, von dem viele immer reden?
Herzog: Ich würde nicht sagen, dass meine Karriere mit Hof anfing. Das war eine Begleiterscheinung. Und ich hatte eigentlich immer eine Position, die war außerhalb der Trends.
Also auch der Trend, der damals im Kino da war, sagen wir, Ende der 60er-Jahre, Anfang der 70er-Jahre, den habe ich eigentlich nie mitgetragen, war dadurch eben fast ein Fremdkörper. Ein Film wie "Aguirre, der Zorn Gottes" ist damals verschrien worden als "faschistischer" Film. Das muss man sich mal vorstellen.
Also, alles war da vollkommen gleichgeschaltet durch die Studentenrevolte. Und so war dann natürlich ein Aufbruch und eine merkwürdige Stimmung da kulturell, die ich nicht wirklich nachvollzogen habe, damals auch nicht.
Burg: Dieser Geist von Hof, wie würden Sie den beschreiben? Also Sie haben ja doch Ihre Filme dann auch hier gezeigt.
Verstorbener Festivalgründer Heinz Badewitz ist "so nicht ersetzbar"
Herzog: Geist von Hof, kann ich nichts so sagen. Geist von Badewitz, Geist von Heinz Badewitz, der war besonders, ist auch nicht ersetzbar, das ist völlig klar. Man kann jetzt nicht nach einem Nachfolger suchen, der so ähnlich sein könnte wie der Heinz. Das soll man gar nicht anfangen, sollte man nicht versuchen. Der ist so nicht ersetzbar.
Wellinski: Für Heinz Badewitz war ja auch die Förderung der Jugend sehr wichtig, bis zum Ende letztendlich. Auch Sie fördern ja Filmemacher, zum Beispiel Joshua Oppenheimer. Welche Rolle spielt das für Sie als Regisseur, dass Sie auch offen sind für neue, junge Filmemacher?
Herzog: Ich bin eigentlich mit ganz jungen jetzt in letzter Zeit immer zusammen und in vieler Hinsicht. Harmony Korine zum Beispiel, Joshua Oppenheimer, viele andere auch. Ich betreibe ja auch meine eigene Filmschule, die Rogue Film School, die Schurken-Filmschule. Das ist so eine Art Guerilla-Style-Filmschule, weil ich das sehr deprimierend finde, was an den Filmhochschulen eigentlich weltweit vor sich geht. Und das ist so eine Art Gegenentwurf.
Aber es gibt so in den letzten paar Jahrzehnten eine immer riesiger werdende Lawine an Leuten, die auf mich zukommen, die von mir lernen wollen oder bei mir Assistent sein wollen. Und ich versuche, dem eine systematische Antwort zu geben durch die eigene Filmschule, die ich mache. Die hat zwar gar keinen Ort und gar keinen festen Zeitpunkt – das mache ich irgendwo in einem Airport-Motel, bei Gatwick oder bei Newark, New Jersey oder so, und da kommen die aus der ganzen Welt. Oder ich habe zum Beispiel jetzt – im Internet kann man das finden – eine Master-Class gemacht sechs Stunden lang. Oder ich habe ein Buch geschrieben, "Leitfaden für die Verwirrten".
4000 Festivals, aber "nicht mehr als vier gute Filme pro Jahr"
In Deutsch gibt es das, glaube ich, noch nicht. "A Guide for the Perplexed". Insofern habe ich mit sehr vielen sehr jungen Leuten zu tun. Und heute, durch das Internet, stoßen auf einmal ganz junge Leute auf Filme, die ich gemacht habe in den 70er-Jahren, wo ihre Eltern sich noch nicht mal kennengelernt hatten. Das sind Zwölfjährige, 15-Jährige, die heute auf einmal meine Filme entdecken, weil sie im Internet verfügbar sind.
Burg: Sie schaffen also so ein bisschen das Fundament für die Filmemacher, dass die dann auch sich in der ganzen Welt tummeln können. Jetzt kommen die dann auf so ein Festival. Für wie wichtig halten Sie es, dass es auch am Anfang, gerade am Anfang der Karriere, so ein gewisser Schutzraum ist? Denn als solcher wurde Hof zum Beispiel ja auch beschrieben. Und wie wichtig ist, dass die dann auch irgendwann sich wirklich durchbeißen müssen?
Herzog: Den Schutzraum gibt es per se nicht. Wenn die Leute aus den Filmhochschulen kommen, erwartet sie auf einmal eine ganz raue Wirklichkeit. Die sind vollkommen ungeschützt und sind nicht darauf vorbereitet. Man muss das richtig sehen. Und das versuche ich eben auch zu vermitteln: Wie kann man sozusagen in dieser Wildnis überleben, und wie kann man vor allem auch dauerhaft überleben. Es ist ja so, in der Branche, in der ich arbeite, als Filmregisseur hat man eigentlich statistisch eine Überlebenszeit von etwa 15 Jahren.
Wie kann man das aber 50 Jahre überleben und immer noch Filme machen? Jetzt, dieses Jahr, wo ich hier vor Ihnen stehe, habe ich drei neue Filme, die Verteilersysteme sind gar nicht schnell genug mehr.
Wellinski: Welche Rolle kann dagegen ein Filmfestival spielen. Sie haben ja erklärt, dass das Filmemachen so eine Art großer Kampf ist, den man führt, als Filmemacher sowieso. Welche Rolle spielen dahingehend Festivals?
Herzog: Ich glaube, sie werden immer unwichtiger, weil es zu viele gibt. Es gibt über 4.000 Festivals, nach wie vor nicht mehr als vier wirklich gute Filme pro Jahr. Dann ist das schon ein wirklich gutes, großartiges Erntejahr. Vier Filme, die Sie blind Ihren Freunden anvertrauen können.
Burg: Was bedeutet das für Hof?
Herzog: Dass Festivals, wenn sie so regional sind wie hier, natürlich ein ganz besonderes regionales Ereignis sind. Und so sollte es auch bleiben. Aber insgesamt die Festivals befinden sich auf einem Sinkflug. Es befindet sich ja auch die Welt der Printmedia, die Zeitungen, im Sinkflug, und auf einmal sind ganz andere Sachen viel wichtiger und relevanter. YouTube oder das Internet per se oder so Oculus – immersive, 360-Grad-, rundum virtuelle Wirklichkeit. Das sind alles Sachen, die mit einer Rasanz auf uns zukommen, wo die Festivals nur noch wie die Slalomstangen hinter sich gelassen werden.
Burg: Sollte denn Hof Ihrer Meinung nach weitermachen?
Herzog: Das kann ich schwer beantworten. Ich glaube, ja, weil es für die Region was Besonderes ist, weil hier das Publikum gewachsen ist und das sicherlich weiter haben will. Und das soll dann auch so sein. Man müsste nur sehen, dass man jemand findet, eben damals wie Heinz Badewitz, der das anfing, einen 22-Jährigen, der irgendwas Besonderes hat. Ihn zu imitieren, wäre Unsinn, das kann man nicht und soll man nicht. Aber irgendwo muss neues Leben geortet und gefunden werden.
Wellinski: Herr Herzog, vielen Dank für Ihre Zeit, und wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Herzog: Vielen Dank!
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